Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.08.2018, Az.: 7 MS 54/18
Befugnis des erstinstanzlichen Gerichts zur Aufhebung eines vorangegangenen Beschlusses nach Erlass der klageabweisenden Entscheidung; Entscheidung über einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.08.2018
- Aktenzeichen
- 7 MS 54/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 63607
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2018:0808.7MS54.18.00
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO
- § 80b Abs. 1 S. 1 VwGO
- § 80b Abs. 2 VwGO
Fundstellen
- DÖV 2018, 956
- NVwZ-RR 2018, 957-958
Amtlicher Leitsatz
Auch nach Erlass der klageabweisenden Entscheidung kann das Gericht des ersten Rechtszuges in der Zeit, in der es noch Gericht der Hauptsache ist (d. h. solange das Verfahren noch nicht beim Rechtsmittelgericht anhängig ist), in einem Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO einen vorangegangenen Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO aufheben und die vormals angeordnete oder wiederhergestellte aufschiebende Wirkung der Klage beseitigen. § 80b Abs. 2 VwGO regelt nur die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung über die in § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO genannte Frist hinaus.
Tenor:
Auf den Antrag der Beigeladenen wird der Beschluss des Senats vom 22. Juli 2016 (Az. 7 MS 19/16) geändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Az. 7 KS 17/16) gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 22. Dezember 2015 in der Gestalt des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 27. November 2017 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Abänderungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die Beigeladene begehrt mit ihrem Antrag nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO die Änderung des Beschlusses des Senats vom 22. Juli 2016 (Az. 7 MS 19/16). Mit diesem Beschluss hat der Senat die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. 7 KS 17/16) gegen den Planfeststellungsbeschluss "Errichtung und Betrieb Mineralstoffdeponie Haschenbrok" des Antragsgegners vom 22. Dezember 2015 wiederhergestellt. Vorhabenträgerin des planfestgestellten Deponievorhabens ist die Beigeladene.
Der Antrag der Beigeladenen hat Erfolg.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte bei dem Gericht der Hauptsache die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
Der beschließende Senat ist als "Gericht der Hauptsache" gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO für die Entscheidung zuständig. Entgegen der Auffassung des Antragstellers findet § 80b Abs. 2 VwGO mit der Folge einer Zuständigkeitskonzentration bei dem Bundesverwaltungsgericht keine Anwendung und steht einer Entscheidung des Senats nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nicht entgegen. Denn der Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO ist ein spezieller Rechtsbehelf zur Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung. Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn der nach § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO eintretende Wegfall der aufschiebenden Wirkung rückgängig gemacht werden soll. Für alle anderen Fälle der gerichtlichen Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, die nicht die Rückgängigmachung des gesetzlichen Wegfalls der aufschiebenden Wirkung betreffen, richtet sich das Verfahren nach § 80 Abs. 5 bzw. § 80 Abs. 7 VwGO. Auch nach Erlass der klageabweisenden Entscheidung kann das Gericht des ersten Rechtszuges in der kurzen Zeit, in der es noch das Gericht der Hauptsache ist, Beschlüsse im vorläufigen Rechtsschutzverfahren treffen. Hier kann es sich insbesondere um einen Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO handeln, mit dem das Gericht aufgrund neuer Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren einen vorangegangenen Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO aufhebt und damit die vormals angeordnete oder wiederhergestellte aufschiebende Wirkung der Klage beseitigt. § 80b Abs. 2 VwGO steht einer solchen "vorzeitigen" Beendigung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen, regelt er doch nur die Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung über die in § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO genannte Frist hinaus (vgl. Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO Großkommentar, 4. Auflage 2014, § 80b Rn. 23; W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 23. Auflage 2017, § 80b Rn. 13; VG Sigmaringen, Beschluss vom 13.08.2009 - 1 K 1837/09 -, juris; a. A. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 05.12.2008 - 1 ME 93/08 -, juris; differenzierend: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2003 - 1 B 411/03 -, juris, wonach § 80 Abs. 7 VwGO in solchen Fällen neben § 80b VwGO anwendbar sein dürfte, in denen sich - zusätzlich zur erstinstanzlichen Abweisung der Anfechtungsklage - sonstige Umstände nach dem Ergehen eines stattgebenden Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO geändert haben).
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Das Verfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 7 VwGO ist ein neues selbständiges, vom vorangegangenen Verfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO gelöstes Verfahren und kein Rechtsmittelverfahren zur Überprüfung der Richtigkeit der ursprünglichen Entscheidung. Die Entscheidung in der Sache ist aber nach den gleichen Grundsätzen zu treffen, wie sie für das Verfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO maßgebend sind. Es kommt somit auf eine erneute Interessenabwägung unter Berücksichtigung der mittlerweile erfolgten Änderungen an (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.08.2013 - 22 AS 10.40045, 22 AS 12.40064 -, juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 08.08.2008 - 22 CS 08.1326 -, juris). Der Abänderungsantrag eines Beteiligten hat Erfolg, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen werden, die geeignet sind, eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.01.1999 - 11 VR 13.98 -, juris; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.04.2013 - 4 MC 56/13 -, juris; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 07.12.2011 - 8 ME 184/11 -, juris).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die von der Beigeladenen vorgetragenen Umstände sind geeignet, eine Änderung der Entscheidung des Senats vom 22. Juli 2016 herbeizuführen. Nach dem Senatsbeschluss vom 22. Juli 2016 hat sich eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sachlage ergeben. Auf den Antrag der Beigeladenen ist am 27. November 2017 der Änderungsplanfeststellungsbeschluss des Antragsgegners ergangen. Gegenstand des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses ist im Wesentlichen eine Überarbeitung des Artenschutzmaßnahmenkonzepts und die Festsetzung zusätzlicher Kompensationsmaßnahmen. Der Senat hat nach Ergehen des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses keine Zweifel mehr an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, der zusammen mit dem Änderungsplanfeststellungsbeschluss eine einheitliche Planungsentscheidung bildet. Dies hat der Senat mit seinem die Klage des Antragstellers abweisenden Urteil vom 31. Juli 2018 klar zum Ausdruck gebracht. Insbesondere hat der Senat keine Zweifel an der Unionsrechtskonformität der im Streit stehenden artenschutzrechtlichen Vorschriften; aus diesem Grund hat er von der ihm eingeräumten Möglichkeit der Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV keinen Gebrauch gemacht. Bestehen jedoch - aus der Sicht des beschließenden Senats, die der Antragsteller nicht teilt - keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses, überwiegt bei einer Interessenabwägung das öffentliche Interesse sowie das private Interesse der Beigeladenen am sofortigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die Dringlichkeit des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung ergibt sich aus der - von der Beigeladenen mit den Anlagen 1 - 3 erneut dargelegten, aber auch bereits im Planfeststellungsbeschluss festgestellten - Knappheit von Deponiekapazitäten der Deponieklasse I im Nordwesten von Niedersachsen. Die für den Antragsteller damit verbundenen Belastungen erweisen sich demgegenüber als weniger schwer. Aufgrund der festgesetzten Kompensationsmaßnahmen zugunsten der Amphibien und Brutvögel sind keine irreparablen Folgen zu befürchten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Ziffern 1.5 und 34.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).