Abschnitt 6 VVNJVollzG - VV zu § 13
Bibliographie
- Titel
- Verwaltungsvorschriften zum Niedersächsischen Justizvollzugsgesetz (VVNJVollzG)
- Amtliche Abkürzung
- VVNJVollzG
- Normtyp
- Verwaltungsvorschrift
- Normgeber
- Niedersachsen
- Gliederungs-Nr.
- 34200
1. Allgemeine Vorschriften
1.1 Jede Lockerung des Vollzuges ist ein singuläres Ereignis.
1.2 Lockerungen des Vollzuges sind namentlich Ausführung, Außenbeschäftigung, Ausgang, Freigang und Urlaub.
1.2.1 1Bei der Ausführung verlässt die oder der Gefangene die Anstalt unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten für eine bestimmte Tageszeit. 2Über die Art und Weise der Ausführung entscheidet die Vollzugsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen; die nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles erforderlichen Sicherungsmaßnahmen sind unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der oder des Gefangenen sowie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzuordnen. 3Dies gilt auch für Maßnahmen, die nicht gesetzlich geregelt sind, wie etwa das Tragen von Dienst- oder Privatkleidung durch die aufsichtführenden Vollzugsbediensteten. 4Die Anordnung und die Gründe hierfür sind zu dokumentieren. 5Während der Ausführung ist die oder der Gefangene ständig und unmittelbar zu beaufsichtigen; dies setzt in der Regel die gleichzeitige Anwesenheit mindestens zweier Vollzugsbediensteter voraus. 6Eine ständige und unmittelbare Aufsicht ist gewährleistet, wenn die oder der Gefangene zeitlich und örtlich durchgehend unter Kontrolle der aufsichtführenden Vollzugsbediensteten steht.
1.2.2 1Bei der Außenbeschäftigung geht die oder der Gefangene regelmäßig einer Beschäftigung außerhalb der Anstalt unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten nach. 2Die Vollzugsbehörde legt im Einzelfall fest, wie die Aufsicht zu gestalten ist; die Entscheidung ist zu dokumentieren.
1.2.3 1Beim Ausgang verlässt die oder der Gefangene die Anstalt für eine bestimmte Tageszeit ohne Aufsicht von Vollzugsbediensteten. 2Sofern die oder der Gefangene angewiesen wird, sich während des Ausgangs von einer oder einem Vollzugsbediensteten oder einer anderen geeigneten Person begleiten zu lassen, dient die Begleitung nicht der Abwendung einer etwaigen Flucht- oder Missbrauchsgefahr, sondern der Unterstützung der oder des Gefangenen im Hinblick auf die Erreichung des festgelegten Ausgangszweckes. 3Vollzugsbedienstete tragen bei der Begleitung in der Regel Privatkleidung.
1.2.4 1Beim Freigang geht die oder der Gefangene einer regelmäßigen Beschäftigung außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht von Vollzugsbediensteten nach. 2Beschäftigung i. S. des Satzes 1 sind auch Maßnahmen der Aus- oder Weiterbildung sowie unentgeltliche Tätigkeiten. 3Die oder der Gefangene ist in unregelmäßigen Abständen unangekündigt zu überprüfen. 4Die Überprüfung erfolgt in der Regel durch Vollzugsbedienstete am Ort der Beschäftigung der oder des Gefangenen; die Durchführung der Überprüfung und deren Ergebnis sind zu dokumentieren.
1.2.5 1Beim Urlaub verlässt die oder der Gefangene die Anstalt auch über Nacht. 2Eine Aufsicht von Vollzugsbediensteten findet während des Urlaubs nicht statt. 3Die Vollzugsbehörde hat sich während eines Urlaubs von mehr als sieben Tagen durch Stichproben davon zu überzeugen, dass der Urlaub seinem Zweck entsprechend durchgeführt wird; entsprechende Maßnahmen und deren Ergebnisse sind zu dokumentieren. 4Urlaubstage sind alle Kalendertage, auf die sich der Urlaub erstreckt. 5Der Tag des Urlaubsantritts wird bei der Berechnung der Urlaubstage nicht mitgezählt. 6Urlaubstage sind nicht in das nächste Vollstreckungsjahr übertragbar; dies gilt nicht, wenn der Urlaub aus Gründen, die die Vollzugsbehörde zu vertreten hat, nicht rechtzeitig gewährt werden konnte.
2. Tatbestand
2.1 1Voraussetzung für die Anordnung einer jeden Lockerung des Vollzuges ist, dass in Bezug auf dieses Ereignis weder eine Flucht noch ein Missbrauch zu Straftaten befürchtet wird. 2Die Beurteilung der Flucht- und Missbrauchsgefahr erfolgt aufgrund einer individuellen Prognose des Verhaltens der oder des Gefangenen während der in Aussicht genommenen Lockerung.
2.2 1Informationen über die Gefangene oder den Gefangenen, die für die Prognose relevant sein können, sind zeitnah vor der Entscheidung zusammenzuführen und zu bewerten. 2Es ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen, im Rahmen derer insbesondere die Persönlichkeit der oder des Gefangenen, ihre oder seine Entwicklung bis zur abgeurteilten Tat, Art und Weise sowie Motive der Tatbegehung, Entwicklung und Verhalten nach der Tat und während der gesamten Vollzugsdauer sowie die Bedingungen, unter denen die Lockerung des Vollzuges erfolgen soll, von Bedeutung sein können.
2.3 1Die im Folgenden genannten Regelbeispiele geben Hinweise darauf, welche Umstände die Befürchtung einer Flucht oder eines Missbrauchs zu Straftaten besonders nahelegen. 2Das Vorliegen eines Regelbeispiels ersetzt nicht die in jedem Einzelfall erforderliche Prüfung. 3Für Lockerungen des Vollzuges nach den Nummern 1.2.2 bis 1.2.5 (Außenbeschäftigung, Ausgang, Freigang und Urlaub) ungeeignet sind in der Regel namentlich Gefangene,
- a)
gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74a GVG von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist,
- b)
gegen die eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist,
- c)
gegen die Untersuchungshaft angeordnet ist,
- d)
gegen die Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist,
- e)
gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland besteht und die aus der Haft abgeschoben werden sollen,
- f)
gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren anhängig ist,
- g)
die während des laufenden Freiheitsentzuges entwichen sind oder dies versucht haben oder
- h)
die aus der letzten Lockerung nicht freiwillig zurückgekehrt sind.
2.4 Im Übrigen ist bei der Prüfung des Tatbestandes in Bezug auf Lockerungen des Vollzuges nach den Nummern 1.2.2 bis 1.2.5 (Außenbeschäftigung, Ausgang, Freigang und Urlaub) wie folgt zu verfahren:
2.4.1 Bei den im Vollstreckungsblatt oder im einschlägigen Datenverarbeitungsprogramm ausgewiesenen Staatsanwaltschaften sind Auskünfte über anhängige Ermittlungs- und Strafverfahren einzuholen.
2.4.2 1Bei der Polizeibehörde ist eine Auskunft über anhängige Ermittlungs- und Strafverfahren einzuholen. 2Das Auskunftsersuchen ist an die für den Wohnsitz der oder des Gefangenen zuständige Polizeidienststelle zu richten. 3Bei Gefangenen ohne Wohnsitz oder mit Wohnsitz außerhalb des Landes Niedersachsen ist das Ersuchen an die Polizeidienststelle am Sitz der Vollzugsbehörde zur Prüfung etwaiger Erkenntnisse und ggf. zur Weiterleitung an das LKA NI zu richten. 4Ein gegen die Gefangene oder den Gefangenen anhängiges Ermittlungs- oder Strafverfahren ist im Rahmen der Prüfung von Flucht- oder Missbrauchsbefürchtungen zu berücksichtigen und insbesondere hinsichtlich seines Gegenstandes sowie des Verfahrensstandes zu gewichten.
2.4.3 Bei Gefangenen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ist bei der zuständigen Ausländerbehörde anzufragen, ob die in Nummer 2 Abs. 3 Buchst. d bis f genannten Maßnahmen oder Verfahren angeordnet, anhängig oder geplant sind.
2.4.4 1Die Beteiligungen nach den Nummern 2.4.1 bis 2.4.3 sind in jedem Fall vor der erstmaligen Entscheidung über eine Lockerung des Vollzuges durchzuführen. 2Sie sind zu wiederholen, soweit die vor jeder Lockerung durchzuführende individuelle Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen eine erneute Beteiligung notwendig macht. 3Weist eine Stelle im Rahmen dieser Beteiligung auf Erkenntnisse hin, die bei einer anderen Stelle vorliegen und für die Entscheidungsfindung von Bedeutung sein können, ist diese Stelle ebenfalls zu beteiligen, soweit dies nach den jeweils geltenden Vorschriften über den Datenschutz zulässig ist.
2.4.5 Das Ergebnis der Beteiligungen nach den Nummern 2.4.1 bis 2.4.4 und die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der beteiligten Stellen sind zu dokumentieren.
3. Rechtsfolge
1Die zeitliche und inhaltliche Ausgestaltung jeder Lockerung ist auf die Erreichung des Vollzugszieles nach § 5 Satz 1 auszurichten. 2Die Ermessensausübung hat sich daran zu orientieren, welche Maßnahmen im Einzelfall zur Erreichung dieses Zieles erforderlich sind. 3Damit die mit der Lockerung angestrebten Effekte bis zur Entlassung der oder des Gefangenen fortwirken können, ist auch die verbleibende Vollzugsdauer bis zu dem von der Vollzugsbehörde prognostizierten Entlassungszeitpunkt zu berücksichtigen.
4. Entscheidungsvorbehalte
Bei Gefangenen, die den Regelbeispielen des § 16 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 unterfallen, wegen einer der in § 104 Abs. 1 genannten Straftaten oder wegen einer Straftat nach den §§ 89a, 89b, 89c, 129a und 129b StGB verurteilt worden sind oder nach Hinweisen von Sicherheitsbehörden oder aus dem Vollzug dem politisch oder religiös motivierten Extremismus zuzurechnen und die im geschlossenen Vollzug untergebracht sind, ist wie folgt zu verfahren:
4.1 Die erstmalige Anordnung einer Lockerung des Vollzuges nach den Nummern 1.2.2 bis 1.2.5 (Außenbeschäftigung, Ausgang, Freigang und Urlaub) sowie jede erneute Anordnung einer solchen Lockerung nach Widerruf oder Rücknahme sind von der Anstaltsleitung zu treffen.
4.2 Im Vollzug der Jugendstrafe gilt Nummer 4.1 mit der Maßgabe, dass bei Gefangenen, die dem Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 unterfallen, als weitere Voraussetzung die Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens vier Jahren wegen einer der in dieser Vorschrift genannten Straftat vorliegen muss.
4.3 Werden in den Fällen nach Nummer 4.1 im Vollzugsplan oder Erziehungs- und Förderplan lediglich die Voraussetzungen einer Lockerung des Vollzuges festgestellt, gilt der Entscheidungsvorbehalt der Anstaltsleitung auch für die erstmalige Anordnung einer Lockerung des Vollzuges nach den Nummern 1.2.2 bis 1.2.5 im Einzelfall.
5. Dokumentation
1Entscheidungen über Lockerungen des Vollzuges sind zu dokumentieren. 2Die Dokumentation erfolgt im Vollzugsplan oder Erziehungs- und Förderplan; soweit die Entscheidung außerhalb der Aufstellung oder Fortschreibung des Vollzugsplans oder Erziehungs- und Förderplans getroffen wird, erfolgt die Dokumentation im Vollzug der Freiheitsstrafe in dem vom Fachministerium herausgegebenen Vordruck.
6. Kostenübernahme
Kann die oder der Gefangene die für die Durchführung einer Lockerung des Vollzuges notwendigen eigenen Kosten nicht aufbringen, so kann die Vollzugsbehörde diese in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
7. Aufwandsentschädigung
7.1 1Vollzugsbedienstete, die in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit Gefangene bei Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 beaufsichtigen oder begleiten und denen dabei finanzielle Aufwendungen entstehen, erhalten eine Aufwandsentschädigung auf der Grundlage von § 20 NBesG. 2Die Aufwandsentschädigung darf nur gewährt werden, soweit die Übernahme der Aufwendungen der oder dem Vollzugsbediensteten nicht zugemutet werden kann.
7.2 1Eine Aufwandsentschädigung i. S. der Nummer 7.1 wird gezahlt für Fahrtkosten in analoger Anwendung des BRKG, für Eintrittsgelder für den Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, sofern der Besuch aufgrund einer ausdrücklichen Anordnung oder Empfehlung der Vollzugsbehörde stattgefunden hat, sowie für Verpflegungsauslagen im notwendigen und angemessenen Umfang bis maximal 12 EUR pro Tag. 2Die Aufwendungen sind nachzuweisen.