Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.07.2023, Az.: 3 OD 5/23

Beschlagnahme; Disziplinarrecht; strenger Richtervorbehalt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.07.2023
Aktenzeichen
3 OD 5/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 26148
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0717.3OD5.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 28.04.2023 - AZ: 18 E 2362/23

Fundstellen

  • DÖD 2023, 238-239
  • NVwZ-RR 2024, 66-67
  • NordÖR 2023, 554

Amtlicher Leitsatz

Die Beschlagnahme steht im niedersächsischen Disziplinarrecht unter einem "strengen Richtervorbehalt". Die in der Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer Beschlagnahme ohne vorherige richterliche Anordnung bei Gefahr in Verzug besteht nicht. Eine so erfolgte Beschlagnahme kann auch nicht nachfolgend durch richterliche Entscheidung bestätigt werden.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Vorsitzender der 18. Kammer - vom 28. April 2023 geändert.

Die Beschlagnahme des Smartphones Xiaomi Redni in E., Modell M2101K6G mit der Tel-Nr. ... (Asservatennummer 19 der Niederschrift über die Durchsuchung und Sicherstellung vom 19. April 2023) wird aufgehoben.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 18. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover, der die Beschlagnahme des Smartphones Xiaomi Redni in E., Modell M2101K6G mit der Tel-Nr. ... (Asservatennummer 19 der Niederschrift über die Durchsuchung und Sicherstellung vom 19. April 2023) bestätigt, hat Erfolg. Die Beschlagnahme des genannten Smartphones ist zu Unrecht erfolgt und daher aufzuheben.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 3 NDiszG in Verbindung mit § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO kann der Betroffene - hier der Antragsgegner - jederzeit die gerichtliche Entscheidung über die Beschlagnahme eines Gegenstandes beantragen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, dass der Antragsgegner den Gegenstand freiwillig herausgegeben hat. Denn auch im Fall einer freiwilligen Herausgabe besteht die Möglichkeit des von der Maßnahme Betroffenen, nachträglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.7.2007 - 2 BvR 2282/06 -, juris Rn. 6; MüKo, StPO, 2. Aufl. 2023, § 98 Rn. 25).

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die o.g. Beschlagnahme bestätigt.

Der Antragsgegner hat hinreichend belegt, dass es sich bei dem beschlagnahmten Smartphone um sein privates Gerät handelt. Er hat einen elektronischen Kaufbeleg über das Smartphone (GA, Bl. 84), Lichtbilder der Originalverpackung (GA, Bl. 88 f.) und ein an ihn gerichtetes Schreiben der Fa. F. vom 19. April 2023 vorgelegt (GA, Bl. 87), mit dem ihm eine neue SIM-Karte mit der o.g. Rufnummer übersandt worden ist. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass es sich um ein geschäftliches Handy der Fa. G. UG handelt, bestehen nicht. Der Antragsteller ist der Eigentümerstellung des Antragsgegners auch zu keinem Zeitpunkt entgegengetreten.

Die Beschlagnahme dieses privaten Smartphones ist ohne gerichtliche Anordnung erfolgt. Der Anordnungsbeschluss des Vorsitzenden der 18. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover vom 11. April 2023 (GA, Bl. 10 f.) beinhaltete die Befugnis zur Durchsuchung der Firmenräume der H. GmbH, D-Straße, D-Stadt sowie der Firmenräume der G. UG (haftungsbeschränkt), B-Straße, B-Stadt einschließlich der Nebengelasse sowie die Befugnis zur Durchsicht und Beschlagnahme von Beweismitteln in Papierform oder elektronische Speichermedien, die Aufschluss über die von dem Antragsgegner ausgeübte Nebentätigkeit als Fahrtrainer geben. Dieser Beschluss enthielt keine Befugnis zur Durchsuchung des Antragsgegners selbst und Beschlagnahme der dabei aufgefundenen Beweismittel. Vielmehr heißt es in der Begründung des Beschlusses: "Es ist insoweit auch zu beachten, dass der Antragsteller davon abgesehen hat, den Antrag auch auf Durchsuchung der Wohnung und Person des Antragsgegners auszudehnen. Das Gericht hätte einen solchen Antrag wegen der damit verbundenen erheblichen Eingriffsintensität aller Voraussicht nach auch abgelehnt." Die Ausführungen des angefochtenen Bestätigungsbeschlusses vom 28. April 2023 (GA, Bl. 39 ff.), diese Einschränkung beziehe sich lediglich auf eine körperliche Untersuchung des Antragsgegners und betreffe nicht die Beschlagnahme von Gegenständen, die sich in den Taschen der Kleidungsstücke des Antragsgegners befänden, beschränkt sich nicht auf eine Interpretation des Anordnungsbeschlusses vom 11. April 2023, sondern erweitert in unzulässiger Weise nachträglich dessen Inhalt über den ursprünglichen Antrag hinaus. Gegenstand des Beschlusses vom 11. April 2023 war die Durchsuchung von Geschäftsräumen der genannten Firmen und die Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel. Die Durchsuchung einer Person wie den Antragsgegner und die Beschlagnahme eines dabei aufgefunden privaten Smartphones waren davon nicht umfasst.

Die Bestätigung der Beschlagnahme des privaten Smartphones des Antragsgegners kann auch nicht auf § 28 Abs. 1 Satz 3 NDiszG in Verbindung mit § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO gestützt werden. Danach soll der Beamte, der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn der Betroffene gegen die Beschlagnahme ausdrücklich Widerspruch erhoben hat. Die Möglichkeit der Bestätigung der Beschlagnahme auf dieser Rechtsgrundlage setzt jedoch voraus, dass das Disziplinarrecht die Möglichkeit eröffnet, bei Gefahr im Verzug eine Beschlagnahme auch ohne richterliche Anordnung durchzuführen. Das ist indes nicht der Fall. Im Gegensatz zu § 98 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. auch § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Durchsuchung) sieht § 28 Abs. 1 Satz 1 NDizG keine Beschlagnahme ohne richterliche Anordnung vor. Auf die genannte Bestimmung der StPO kann auch nicht über deren entsprechende Anwendung nach § 28 Abs. 1 Satz 3 NDiszG zurückgegriffen werden, da das NDiszG insoweit "etwas anderes" bestimmt. Im Disziplinarrecht herrscht, soweit keine ausdrückliche abweichende Regelung getroffen worden ist (vgl. etwa Art. 29 Abs. 1 Satz 2 BayDG sowie § 17 Abs. 2 Satz 2 LDG BW), ein sogenannter "strenger Richtervorbehalt" (vgl. Bieler/Struß, NDiszG, § 28 Rn. 8, Loseblatt Stand November 2021; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 27 Rn. 7, Loseblatt Stand April 2018; Köhler/Baunack, BDG, 7. Aufl. 2021, § 27, Rn. 12; Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 27 Rn. 2; Weiß in GKÖD Bd. II., M § 27 Rn. 16, Loseblatt, Stand Juli 2017; offengelassen von BVerwG, Urteil vom 31.3.2011 - BVerwG 2 A 11/08 -, juris Rn.19). Eine richterliche Bestätigung einer ohne richterliche Anordnung erfolgten Beschlagnahme scheidet damit aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 69 Abs. 1 NDiszG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, da das nach § 71 Abs. 1 NDiszG anwendbare Kostenverzeichnis zum GKG für eine erfolgreiche, nicht besonders aufgeführte Beschwerde keinen Gebührentatbestand enthält (vgl. Nr. 5502 des KV zum GKG).