Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.07.2023, Az.: 1 OB 46/23

Baugenehmigung; Bauherr; Dreipolige Konstellation; Kosten des Vorverfahrens; Nachbar; Vorverfahren; Anwendbarkeit des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO in dreipoligen Konstellationen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.07.2023
Aktenzeichen
1 OB 46/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 26147
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0714.1OB46.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 29.03.2023
VG Göttingen - 26.01.2023 - AZ: 2 A 212/19

Amtlicher Leitsatz

Wie in zweipoligen Konstellationen findet das Verwaltungsverfahren auch in dreipoligen Konstellationen nicht mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides sein Ende, sodass auch in einem gegen diesen Bescheid und ohne vorhergehendes Widerspruchsverfahren (s. § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO) durchgeführten Klageverfahren über die Kosten des Vorverfahrens zu befinden ist (Anschluss an BVerwG, Urt. v. 29.6.2006 - 7 C 14.05 -, juris Rn. 11 m.w.N.).

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - 2. Kammer - vom 29. März 2023 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Gründe

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 29 März 2023, mit dem dieses die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erklärt hat, hat keinen Erfolg.

Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 29. März 2023 beruht auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Danach sind - soweit ein Vorverfahren geschwebt hat - Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt hat. Die von dem Gericht nur auf Antrag zu treffende Entscheidung kann entweder in dem Tenor des Urteils oder - wie hier - durch gesonderten Beschluss ergehen, gegen den die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthaft ist.

Soweit die Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2023 geltend machen, die von ihnen gegen den Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2019 erhobene Klage sei, weil es sich bei dem vorgenannten Bescheid um einen sie erstmals belastenden Bescheid gehandelt habe, nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO ohne Widerspruchsverfahren zulässig gewesen, ist dies zwar richtig, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aber nicht in Frage. Der Klage liegt eine dreipolige Konstellation zugrunde, in der ein von einer Partei (hier dem Beigeladenen) gegen einen sie belastenden Bescheid (hier der Bescheid vom 5.4.2019, mit dem die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung aufgehoben wurde) geführtes Widerspruchsverfahren zu Lasten einer anderen Partei (hier der Kläger) ausgeht. Ebenso wie in der nur zweipoligen Konstellation findet das Verwaltungsverfahren nicht mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids sein Ende mit der Folge, dass auch in einem gegen diesen Bescheid und ohne vorhergehendes Widerspruchsverfahren (s. § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO) durchgeführten Klageverfahren über die Kosten des Vorverfahrens zu befinden ist. Dies entspricht der Rechtsfolge aus § 79 Abs. 1 VwGO, wonach sowohl bei zwei- wie auch bei dreipoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen Ausgangs- und Widerspruchsverfahren zwar zwei Verwaltungsverfahren darstellen, die jedoch eine Einheit bilden, und erst der Widerspruchsbescheid der behördlichen Entscheidung die für das Klageverfahren maßgebliche Gestalt gibt (BVerwG, Urt. v. 29.6.2006 - 7 C 14.05 -, DVBl. 2006, 1243 = NVwZ 2006, 1294 = juris Rn. 11 m.w.N.).

Andere Gründe, die die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung in Frage stellen könnten, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich; insbesondere bestehen keine Zweifel daran, dass es dem Beigeladenen nicht zuzumuten war, im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 5. April 2019, mit dem der Beklagte die dem Beigeladenen unter dem 8. Mai 2018 erteilte Baugenehmigung aufhob, seine Interessen gegenüber dem Beklagten ohne sachkundigen Beistand zu wahren. Der Vortrag der Kläger in ihrem Schriftsatz vom 12. April 2023, der Beigeladene hätte der Unterstützung durch einen Rechtsanwalt im Widerspruchsverfahren nicht bedurft, weil er sich dort "im Lager" der rechtskundigen Behörde befunden hätte, überzeugt nicht. Das Vorverfahren, auf das sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bezieht, ist jedenfalls auch das von dem Beigeladenen eingeleitete Widerspruchsverfahren gegen die Aufhebung der Baugenehmigung durch den Beklagten. Bereits diese Aufhebung zeigt, dass der Beklagte nicht ohne Weiteres dem Lager des Beigeladenen zuzuordnen war. Soweit die Kläger implizit geltend machen, dem Beigeladenen fehle das Sachbescheidungsinteresse, da dieser sich im Widerspruchsverfahren überhaupt nicht anwaltlich hätte vertreten lassen, ist dies bereits in tatsächlicher Hinsicht falsch; eine anwaltliche Vertretung hat stattgefunden (Widerspruchsschreiben vom 9.4.2019, Widerspruchsbegründung vom 23.4.2019, Schreiben vom 7., 10. und 21.5.2019).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).