Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.01.2018, Az.: 10 LA 21/18

Jugendhilfe; Jugendhilfeträger; Kostenerstattung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.01.2018
Aktenzeichen
10 LA 21/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74425
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 11.08.2017 - AZ: 4 A 631/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine analoge Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII (alter wie neuer Fassung) auf die Fälle, in denen eine Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt und die Mutter nicht sorgeberechtigt ist, scheidet mangels Regelungslücke aus.

Tenor:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg – Einzelrichter der 4. Kammer – vom 11. August 2017 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 29.089,69 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beklagte ist durch das Verwaltungsgericht Lüneburg zur Erstattung von Kosten für von der Klägerin gewährte Leistungen der Jugendhilfe in Höhe von 1.075,67 Euro verurteilt worden. Die Widerklage des Beklagten auf Erstattung von Kosten für von ihm gewährte Leistungen der Jugendhilfe in Höhe von 28.014,02 Euro hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.

Die Klägerin gewährte für die minderjährige A. B., geboren am 21. Juli 2007, ab dem 12.11.2012 durchgehend Leistungen der Jugendhilfe. Die Mutter des Kindes lebte ursprünglich zusammen mit dem Kind im Bereich der Klägerin. Eine Vaterschaft wurde nicht festgestellt. Der Mutter wurde durch das Amtsgericht C. mit Beschluss vom 28. Februar 2011 (Bl. 85 BA 001) die elterliche Sorge entzogen. Mutter und Kind wohnten ab dem 25. Juli 2013 in einer eigenen Wohnung im Bereich des Beklagten. Die Minderjährige wurde in der Zeit vom 11. November 2014 bis zum 21. August 2015 auf Kosten des Beklagten in Obhut genommen und fremd untergebracht.

Die Kindesmutter ist Mutter dreier weiterer Kinder. Anders als das Kind A. entstammen diese Kinder aus einer Ehe der Kindesmutter mit dem Kindesvater. Die Vaterschaft ist jeweils anerkannt. Auch für diese Kinder wurden Leistungen der Jugendhilfe erbracht. Insofern erkennt die Klägerin ihre örtliche Zuständigkeit an.

Mit Urteil vom 11. August 2017 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten zur Erstattung für durch die Klägerin gewährte Leistungen für die Minderjährige A. B. im Zeitraum vom 1. August 2013 bis zum 30. November 2014 verurteilt. Die Widerklage, mit der der Beklagte die Erstattung der Kosten für die Inobhutnahme und die Fremdunterbringung des Kindes geltend gemacht hat, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten als örtlich zuständigen Träger im Sinne des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII angesehen. Die Mutter des Kindes habe im maßgeblichen Zeitraum vom 1. August 2013 (Beginn der Leistungen durch die Klägerin) bis 21. August 2015 (Ende der Inobhutnahme) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Beklagten gehabt. Dem stehe nicht entgegen, dass der Mutter bereits vor ihren Umzug in den Bereich des Beklagten das Sorgerecht für das Kind entzogen worden sei. Die Vorschrift des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII sei nicht analog anwendbar, da sie sich nur auf Fälle beziehe, in denen zwei Elternteile existierten, jedoch der gewöhnliche Aufenthalt beider Elternteile auseinanderfalle.

Gegen dieses Urteil, dem Beklagten am 15. August 2017 zugestellt, richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung vom 13. September 2017, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 15. September 2017. Diesen Antrag hat der Beklagte mit Schriftsätzen vom 29. September 2017 (eingegangen beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vorab per Fax am 5. Oktober 2017) sowie vom 16. Oktober 2017, eingegangen am gleichen Tag (einem Montag), begründet.

II.

Der Beklagte macht geltend, die Berufung sei gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu unter 1.), wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (dazu unter 2.), grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (dazu unter 3.) sowie wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen könne, gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu unter 4.) zuzulassen. Die genannten Zulassungsgründe liegen indes nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 01.12.2011 – 1 LA 79/11 –, DVBl 2012, 122; BVerfG, Beschluss vom 08.12.2009 – 2 BvR 758/07 –, NVwZ 2010, 634; Beschluss vom 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 –, NVwZ 2011, 546; vgl. Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 04.01.2012 – 5 LA 85/10 –, juris Rn. 16).

Der Beklagte beruft sich darauf, die Zuständigkeit der Klägerin sei wegen des vorherigen Sorgerechtsentzugs nicht durch einen Umzug der Kindesmutter in den Bereich des Beklagten auf diesen übergegangen. Dies ergebe sich aus einer analogen Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII, wobei der Beklagte in der gesamten Begründung des Zulassungsantrags offenlässt, ob er sich auf die bis zum 31. Dezember 2013 geltende Fassung (im Folgenden: a. F.) oder die ab 1. Januar 2014 geltende Fassung (im Folgenden: n. F.) bezieht. Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sei der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe, wenn und solange die Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt sei. § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII bestimme für den Fall, dass zwei Elternteile vorhanden seien, dass die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibe, wenn die Personensorge keinem dieser Elternteile zustehe und beide Elternteile verschiedene gewöhnliche Aufenthalte hätten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfasse diese Norm als Auffangtatbestand alle Fallgestaltungen, in denen es nach Leistungsbeginn bei zwei Elternteilen zu einem Entzug der Personensorge komme (Urteil vom 14.11.2013 – 5 C 34.12 –, juris Rn. 23). Der Fall, dass eine Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt worden sei und der Mutter, auf deren gewöhnlichen Aufenthalt es dann allein ankomme, das Sorgerecht entzogen werde, sei indes ungeregelt.

Gründe der Rechtsähnlichkeit würden indes eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 86 Abs. 5 Satz 2 2. Alt. SGB VIII auf den hier vorliegenden Fall gebieten. Aus § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII folge, dass der Fall der nicht festgestellten Vaterschaft mit dem Fall des Vorhandenseins zweier Elternteile gleichbehandelt werden solle. Eine Gleichbehandlung sehe auch § 86 Abs. 4 SGB VIII vor, worauf wiederum § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII verweise. Für den Fall bereits bei Leistungsbeginn fehlender Personensorge sehe auch § 86 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 und 4 SGB VIII vor, dass die Zuständigkeit zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns festgeschrieben werde. Zudem verlangten Sinn und Zweck der Bestimmung des § 86 Abs. 5 Satz 2 2. Alt. SGB VIII diese Gleichbehandlung. Die dynamische Zuständigkeit des Jugendamtes sichere den Kontakt zu mitwirkungsbereiten Elternteilen. An dieser Mitwirkungsbereitschaft fehle es aber zumindest in generell-abstrakter Betrachtung, wenn beiden Elternteilen bzw. im Fall des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII der Mutter die Personensorge entzogen worden sei.

Mit diesem Vortrag zeigt der Beklagte keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII abgelehnt, wobei auch das Verwaltungsgericht offengelassen hat, auf welche Fassung der Norm es abstellt.

Jede Art der gesetzesimmanenten richterlichen Rechtsfortbildung – hier die Analogie – setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine eigene Lösung ersetzen. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten. Eine solche Lücke ist im Wege der Gesamtanalogie zu schließen, wenn mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände anknüpfen, ein „allgemeiner Rechtsgrundsatz“ entnommen werden kann, der auf den im Gesetz nicht geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft wie auf die geregelten Tatbestände (BVerwG, Beschluss vom 22.09.2015 – 5 P 12.14 –, juris Rn. 34).

Hier fehlt es bereits an einer Regelungslücke. Entgegen der Ansicht des Beklagten ergibt sich die Zuständigkeit im Fall nicht feststehender Vaterschaft gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII unabhängig von der Personensorge unmittelbar aus dem Gesetz. Sie richtet sich allein nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort der Mutter.

Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist grundsätzlich der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII bestimmt, dass an die Stelle der Eltern die Mutter tritt, wenn und solange die Vaterschaft nicht anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist. Nach § 86 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII ist, wenn ein Elternteil verstorben ist, allein der gewöhnliche Aufenthalt des überlebenden Elternteils maßgeblich. Gemäß diesen Bestimmungen gilt zugleich eine dynamische Zuständigkeit. Die Zuständigkeit „wandert“ mit dem maßgeblichen Elternteil, wenn dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt wechselt (vgl. BT-Drs. 17/13531 S. 8).

Die weiteren Absätze 2, 3 und 5 des § 86 SGB VIII beziehen sich allein auf den Fall, dass Elternteile verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben bzw. nach Leistungsbeginn begründen. § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII a. F. hat folgenden Wortlaut: „Solange die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen.“ § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII n. F. lautet: „Solange in diesen Fällen die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen.“ (Hervorhebung durch den Senat) Unter Zugrundelegung der Auslegung des § 86 Abs. 5 SGB VIII a. F. durch das Bundesverwaltungsgericht gelten die Bestimmungen des § 86 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII für die Fälle, in denen die Elternteile bereits bei Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben. § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII und § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 SGB VIII (a. F.) (gemeinsames Sorgerecht beider Eltern) erfassen nur Fälle, in denen die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründen. § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F. (fehlendes Sorgerecht beider Eltern) setzt hingegen nach – allerdings umstrittener – Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich voraus, dass die Elternteile nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besitzen (zuletzt BVerwG, Urteil vom 14.11.2013 – 5 C 34/12 –, juris Rn. 18, 22 ff.). Nach dieser Auslegung gilt § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F. – wie vom Beklagten zutreffend wiedergegeben – für alle Fallgestaltungen, in denen beiden Elternteilen die Personensorge nicht zusteht und sie nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besitzen (nicht notwendig: begründen) (BVerwG, a.a.O., Rn. 23). In diesen Fällen wandert die Zuständigkeit nicht mehr mit dem gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern mit, sondern bleibt statisch.

Stets ist aber auch nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Tatbestandsvoraussetzung des § 86 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 SGB VIII a. F., dass zwei Elternteile existieren und verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben oder begründen. Existiert nur ein Elternteil, bestimmt sich die Zuständigkeit – abgesehen von der Sonderregelung für einen fehlenden gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gemäß § 86 Abs. 4 SGB VIII – allein nach der Grundnorm des § 86 Abs. 1 SGB VIII.

Nach der gesetzlichen Systematik ist nach dieser Grundnorm der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern bzw. im Fall des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII der Mutter der primäre Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des örtlich zuständigen Trägers. Der sorgerechtliche Status dieser Person(en) ist ohne Belang (Loos in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 86 Rn. 11, 23; Kunkel/Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII Lehr- und Praxiskommentar (im Folgenden nur: SGB VIII), 6. Auflage 2016, § 86 Rn. 18; Eschelbach/Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII (im Folgenden nur: SGB VIII), 7. Auflage 2013, § 86 Rn. 6). Der gewöhnliche Aufenthalt der nicht personensorgeberechtigten Mutter ist daher auch im Fall des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII maßgeblich.

Nur dann, wenn zwei Elternteile existieren und diese verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben, tritt als „sekundärer Anknüpfungspunkt“ (Loos in: Wiesner, SGB VIII, § 86 Rn. 32) gemäß § 86 Abs. 2 bis 5 SGB VIII a. F. das Sorgerecht zur Bestimmung der Zuständigkeit bei konkurrierenden Zuständigkeiten hinzu. Dies ist notwendig, weil ein gemeinsamer Aufenthalt als primärer Anknüpfungspunkt nicht zur Verfügung steht. Zu einer solchen Situation kann es aber in den Fällen des § 86 Abs. 1 Satz 2 (und 3) SGB VIII von vornherein nicht kommen. Insofern besteht keine Regelungslücke.

Die vom Kläger befürwortete analoge Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII (in alter wie neuer Fassung) hätte zur Folge, dass die dargelegte gesetzliche Systematik jedenfalls für nach Leistungsbeginn eingetretene Veränderungen des gewöhnlichen Aufenthalts in ihr Gegenteil verkehrt würde. Primärer Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeitsbestimmung wäre nämlich der sorgerechtliche Status. Wären die gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 SGB VIII maßgeblichen Personen nicht personensorgeberechtigt, käme es auf eine Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts dieser Personen nicht an. Vielmehr würde die Zuständigkeit statisch nach deren früheren gewöhnlichen Aufenthalt bei Leistungsbeginn bestimmt. Der gewöhnliche Aufenthalt wäre etwa selbst dann nicht maßgeblich, wenn beide nicht sorgeberechtigten Elternteile ihren gewöhnlichen Aufenthalt gemeinsam in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers verlegten oder dort erstmals oder wieder begründeten. Dies widerspräche indes sogar der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das den Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII (a. F.) bereits – wie erläutert – weit ausgedehnt hat. Selbst nach dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt in den Fällen des § 85 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII (a. F.) die (erneute) Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts im Bereich eines örtlichen Trägers im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu einem Zuständigkeitsübergang auf diesen (BVerwG, Urteil vom 30.09.2009 – 5 C 18.08 –, juris Rn. 24, ausdrücklich auch für den Fall, dass die Personensorge keinem Elternteil zusteht, und Urteil vom 09.12.2010 – 5 C 17.09 –, juris Rn. 22, und Urteil vom 12.05.2011 – 5 C 4/10 – , juris Rn. 25; ausdrücklich auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23.11.2015 – 4 LA 223/14 –, juris Rn. 3). Die Norm des § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist danach zuständigkeitsbestimmend in den Fällen sowohl des Innehabens des gewöhnlichen Aufenthalts beider Elternteile im Bezirk eines Jugendhilfeträgers vor und bei Beginn der Leistung als auch der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts beider Elternteile im Zuständigkeitsbereich eines einzigen (anderen) Jugendhilfeträges nach Beginn der Leistung (BVerwG, Urteil vom 14.11.2013 – 5 C 34/12 –, juris Rn. 20). Die übrigen Bestimmungen des § 86 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 SGB VIII sind in diesen Fällen nicht anwendbar, weil die Zuständigkeit zuverlässig aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt werden kann und es weiterer Anknüpfungspunkte zur Bestimmung somit nicht bedarf.

Der Verweis gemäß § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII auf § 86 Abs. 4 SGB VIII stützt die Argumentation des Beklagten nicht, da mit § 86 Abs. 4 SGB VIII ersichtlich eine Sonderbestimmung für den Fall des Auslandsaufenthalts der maßgeblichen Elternteile (unabhängig von deren Anzahl) getroffen worden ist, die auf andere Fallkonstellationen nicht übertragbar ist.

Nach der Neufassung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII ist für die vom Beklagten befürwortete analoge Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII ohnehin kein Raum mehr. Im Zusammenhang mit der Änderung fasst die Gesetzesbegründung die Regelung des § 86 SGB VIII und die Bedeutung des Abs. 5 wie folgt zusammen (Hervorhebungen durch den Senat):

„Die dynamische Zuständigkeit will die Beibehaltung der räumlichen Nähe zwischen Elternteil und örtlichem Träger (dem Jugendamt) sicherstellen. Erst räumliche Nähe ermöglicht das Eingehen einer Hilfebeziehung und einen kontinuierlichen, möglichst engen Kontakt. Für eine wirksame Unterstützung von Familien ist diese Nähe zum leistungsgewährenden örtlichen Träger somit unbedingt erforderlich. Eine statische Zuweisung regelt das Gesetz daher nur in eng umrissenen Ausnahmefällen. Ein gesetzlich geregelter Ausnahmefall liegt nach § 86 Absatz 5 vor, wenn die Eltern nach Beginn einer Leistung verschiedene Aufenthalte begründen und beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil die Personensorge zusteht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in jüngerer Zeit zu der Zuständigkeitsregel des § 86 Absatz 5 mehrfach entschieden, dass dieser auch in den Fällen anwendbar sei, in denen die Eltern bereits vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und solche während des Leistungsbezuges beibehalten.

Dieses Verständnis der Zuständigkeitsregel führt zu unbefriedigenden Ergebnissen, weil es die Unterstützungsleistungen für die Elternteile erschwert. Bedarfsgerechte Hilfen für die Eltern erfordern eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit des örtlichen Trägers, die durch eine räumliche Nähe zu dem Aufenthaltsort der Eltern (bzw. des maßgeblichen Elternteils) ermöglicht und begünstigt wird. Eine Ausweitung der eng begrenzten Ausnahmefälle läuft daher unmittelbar den Absichten zuwider, die der Gesetzgeber mit der Zuständigkeitsregel des § 86 Absatz 5 verfolgt hat.“ (BT-Drs. 17/13531, S. 8, Hervorhebungen durch den Senat).

Eine analoge Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII noch über die vom Bundesverwaltungsgericht gezogenen Grenzen kommt danach in keinem Fall in Betracht.

2. Ohne Erfolg macht der Beklagte ferner geltend, die Berufung sei aufgrund besonderer rechtlicher Schwierigkeiten gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

Eine Streitsache weist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, wenn ihre Entscheidung voraussichtlich in tatsächlicher bzw. rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche, d. h. das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen wird. Derartige Schwierigkeiten bestehen nicht, wenn sich die aufgeworfenen Rechtsfragen unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.04.2015 – 5 LA 201/14 –, juris Rn. 17).

So liegen die Dinge aber hier. Die vom Beklagten befürwortete Analogie zu § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII (alter wie neuer Fassung) ist aus den bereits erläuterten Gründen offensichtlich ausgeschlossen.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich bislang noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich noch nicht geklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Hierzu hat der Antragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie zu begründen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17.09.2014 – 10 LA 42/14 –, juris Rn. 17 und vom 10.04.2014 – 10 LA 32/13 –, StoffR 2014, 85 f., DVBl. 2014, 796 ff., RdL 2014, 197 f., juris Rn. 27 m. w. N.).

Der Beklagte hält für grundsätzlich bedeutsam,

„ob die Zuständigkeitsbestimmung der festgeschriebenen bisherigen örtlichen Zuständigkeit des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII, die das Bestehen von zwei Elternteilen ohne Sorgerecht voraussetzt (‚… Personensorge … keinem Elternteil zusteht‘), über Analogie Anwendung auf den Fall des § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII findet, bei dem nur der Elternteil Mutter vorhanden ist, weil keine Vaterschaftsfeststellung vorliegt und dieser Mutter nachträglich nach Leistungsbeginn das Sorgerecht entzogen wurde.“

Die vom Beklagten aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.04.2015 – 5 LA 201/14 –, juris Rn. 17). Das ist – wie ausgeführt – der Fall.

4. Die Berufung ist schließlich auch nicht gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Einen solchen Verfahrensmangel zeigt der Beklagte nicht auf.

Der Beklagte macht geltend, das verwaltungsgerichtliche Urteil verstoße gegen § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, weil dem Urteil Entscheidungsgründe fehlten. Ferner verstoße das Urteil gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil es unter Missachtung wesentlicher Bekundungen des Beklagten gesprochen worden sei. Das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag nicht behandelt. Es beschränke sich auf die Feststellung, eine analoge Anwendung schiede aus, da das durch § 86 Abs. 5 SGB VIII zu lösende Problem in der vorliegenden Konstellation nicht bestehe. Es fehle daher an Ausführungen dazu, warum eine analoge Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII ausscheide. Auf diesem Mangel beruhe das Urteil.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt aber nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII „eine Regelung für die Fälle trifft, in denen der Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit, der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern, auseinanderfällt.“ Eine analoge Anwendung hat es abgelehnt, „da das Problem, das durch § 86 Abs. 5 SGB VIII gelöst werden soll, in der vorliegenden Konstellation nicht besteht.“ Der Beklagte verengt die relevanten Entscheidungsgründe allein auf den letzten Satz. Das Verwaltungsgericht hat aber mit den zitierten Ausführungen eine Analogie deshalb abgelehnt, weil § 86 Abs. 5 SGB VIII eine Bestimmung für den besonders gelagerten Fall treffe und auch nur treffen solle, dass ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt als Anknüpfungspunkt fehle. Eine Analogie scheidet nach den Entscheidungsgründen also deshalb aus, weil es an der vom Beklagten geltend gemachten Rechtsähnlichkeit aufgrund des anders gelagerten Zwecks der Vorschrift des § 86 Abs. 5 SGB VIII mangelt. Das Verwaltungsgericht hat daher sein Urteil sowohl ausreichend begründet als auch den Vortrag des Beklagten in seinem Kern erfasst und gewürdigt.

Überdies teilt der Senat die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine Analogie ausscheidet. Ein Verfahrensmangel wäre also auch nicht entscheidungserheblich.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Hs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG sind der Wert der Klage (1.075,67 Euro) und der Widerklage (28.014,02 Euro) zusammenzurechnen.