Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.07.2023, Az.: 11 LA 110/22

Gefährlichkeit eines Hundes; Wiederaufgreifen des Verfahrens; Wiederaufgreifen eines Verfahrens zur Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 7 NHundG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.07.2023
Aktenzeichen
11 LA 110/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 24456
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0703.11LA110.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 24.02.2022 - AZ: 6 A 203/20

Amtlicher Leitsatz

Unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG kann eine bestands- bzw. rechtskräftige Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 7 NHundG aufzuheben sein (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats).

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichterin der 6. Kammer - vom 24. Februar 2022 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Die Klägerin ist Halterin des Border Collie-Mischlingsrüden "E.". Nach einem Beißvorfall im Jahr 2016 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2017 die Gefährlichkeit des Hundes "E." fest. Die hiergegen gerichtete Klage wurde mit Urteil vom 18. Januar 2018 (6 A 43/17) abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg (Senatsbeschl. v. 13.8.2018 - 11 LA 141/18 -). Im September 2018 beantragte die Klägerin beim Beklagten, den Bescheid vom 24. Januar 2017 aufzuheben. Am 8. Juni 2020 hat die Klägerin zunächst Untätigkeitsklage erhoben. Nach dem Erlass des ablehnenden Bescheides des Beklagten vom 3. Juli 2022 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht beantragt, den Bescheid vom 3. Juli 2022 aufzuheben und festzustellen, dass der Hund "E." nicht mehr als gefährlicher Hund im Sinne des Niedersächsischen Hundegesetzes einzustufen ist. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dazu unter 1.), der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, dazu unter 2.), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, dazu unter 3.), der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (dazu unter 4.) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu unter 5.) rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Diese Berufungszulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt worden bzw. liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 7 ff.). § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eröffnet den Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils in einem Berufungsverfahren somit nur in den Fällen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen des Urteils bestehen, das Urteil aber im Ergebnis richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 9 ff.). Eine den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (NdsOVG, Beschl. v. 17.6.2015 - 8 LA 16/15 - juris Rn. 10). Nach diesen Maßgaben begründen die Ausführungen der Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

a) Die Ausführungen der Klägerin genügen bereits in Teilen nicht den Darlegungsanforderungen. Die Klägerin setzt sich bisweilen unzureichend mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin könne nicht beanspruchen, dass der Beklagte das Verwaltungsverfahren wiederaufgreife und den bestandskräftigen Bescheid vom 24. Januar 2017 über die Feststellung der Gefährlichkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 2 HundG des Hundes "E." aufhebe. Eine Anspruchsgrundlage hierfür finde sich nicht im Niedersächsischen Hundegesetz (NHundG). Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG. Diese Vorschrift sei zwar anwendbar, weil der Bescheid über die Gefährlichkeitsfeststellung vom 24. Januar 2017 bestandskräftig geworden sei. Die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 VwVfG seien vorliegend jedoch nicht erfüllt. Unabhängig von der Frage, ob das Schreiben der Klägerin vom 18. September 2018 einen Wiederaufnahmeantrag darstelle, habe sich die dem Bescheid vom 24. Januar 2017 zugrundeliegende Sachlage nicht im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten der Klägerin geändert. Die Sachlage ändere sich im Sinne dieser Vorschrift, wenn sich die für die unanfechtbare Entscheidung maßgeblichen, die Entscheidung tragenden Tatsachen änderten. Die Änderung müsse darüber hinaus eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordern oder zumindest ermöglichen. Das sei hier nicht der Fall. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von F. G. vom 7. März 2017 stelle keine Sachlage dar, die sich nachträglich zugunsten der Klägerin geändert habe. Die Vorlage eines positiven Wesenstests sei keine neue Tatsache im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Ein Hundehalter könne mit einem Wesenstest nach § 13 Satz 1 NHundG die Fähigkeit seines Hundes zu sozialverträglichem Verhalten nachweisen. Ein solcher Nachweis stelle nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 NHundG aber lediglich eine Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung eines für gefährlich erklärten Hundes dar. Ein positives Gutachten führe nach dem Willen des Gesetzgebers aber nicht dazu, dass die Erlaubnispflicht als solche entfalle, mithin auch die Gefährlichkeit des Hundes als widerlegt gelten könne. Selbst für den Fall, dass der Wesenstest nicht nur die Fähigkeit zu einem sozialverträglichen Verhalten des Hundes nachweise, sondern darüber hinaus deutlich mache, dass schon keinerlei Hinweis auf eine tatsächliche und nicht nur vermutete Gefährlichkeit des Hundes bestünde, habe die zuständige Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit lediglich zu prüfen, ob sie den nach § 13 Abs. 3 Satz 1 NHundG generell geltenden Leinenzwang nach einer gewissen Zeit ganz oder teilweise aufhebe. Eine erneute Überprüfung einer bestandskräftigen Feststellung der Gefährlichkeit sei in diesen Fällen nicht angezeigt. Soweit die Klägerin auf den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. April 2015 (- 11 LA 210/14 -) verweise, ergebe sich nichts anderes.

Soweit die Klägerin zur Begründung ihres Berufungszulassungsantrags geltend macht, die Kammer beschränke sich in den Urteilsgründen im Wesentlichen darauf festzustellen, dass für eine Aufhebung einer verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung keine gesetzliche Grundlage bestehe, so dass die Aufhebung einer Gefährlichkeitsfeststellung unabhängig auch von neu auftretenden Tatsachen nicht möglich sei, setzt sie sich nicht mit den - dargestellten - Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. Vielmehr geht ihre Zulassungsbegründung insoweit an den Urteilsgründen vorbei. Wie ausgeführt, hat das Verwaltungsgericht nicht angenommen, dass für eine Aufhebung einer verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung keine gesetzliche Grundlage bestehe. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht - wie ausgeführt - angenommen, § 51 Abs. 1 VwVfG sei anwendbar, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG seien indessen nicht erfüllt, weil sich die dem Bescheid vom 24. Januar 2017 zugrundeliegende Sachlage nicht im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten der Klägerin geändert habe.

b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils folgen auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen der Klägerin, das Verwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen, die Tatsache des Verlusts des kompletten Unterkiefers des Hundes als neue Tatsache zu berücksichtigen, der Verlust des kompletten Unterkiefers führe zu einer nahezu vollständigen Aufhebung der Beißkraft. Dass sich insofern im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG die dem Verwaltungsakt zu Grunde liegende Sachlage nachträglich zu Gunsten der Klägerin geändert hat, ist weder hinreichend dargelegt noch sonst für den Senat zu erkennen.

aa) Dies gilt schon deswegen, weil ein Verlust des kompletten Unterkiefers des Hundes nicht belegt ist. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Klägerin vorgetragen, dem Hund "E." habe im Dezember 2021 aufgrund einer schweren Krebserkrankung der linke Unterkiefer entfernt werden müssen (Schriftsatz v. 18.2.2022 nebst Anlagen, Bl. 71 ff. Gerichtsakte). Infolge des vom erstinstanzlichen Vortrag abweichenden Zulassungsvorbringens, dem Hund "E." habe der komplette Unterkiefer entfernt werden müssen, sah sich der Senat veranlasst, die Klägerin durch Verfügung vom 10. November 2022 um Klarstellung zum Ausmaß des erfolgten operativen Eingriffs zu bitten. Aus der mit Schriftsatz der Klägerin vom 27. April 2023 übermittelten Tierärztlichen Bescheinigung über eine durchgeführte Operation und Befundbericht der Dr. H. I. vom 19. Februar 2023 (Bl. 177 ff. Gerichtsakte) folgt, dass der gesamte Knochen des linken Unterkieferastes inklusive der dort vorhandenen Zähne entfernt wurde, die sogenannte Hemimandibulektomie sei bei "E." vom linken Kiefergelenk bis hin zur Verbindung der beiden Unterkieferhälften erfolgt. Damit steht fest, dass die mit dem Zulassungsvorbringen geltend gemachte Tatsache des Verlusts des kompletten Unterkiefers des Hundes bereits nicht vorliegt.

bb) Im Übrigen ist auch eine - wie mit dem Zulassungsantrag geltend gemacht - nahezu vollständige Aufhebung der Beißkraft des Hundes "E." nicht hinreichend dargelegt. In der Tierärztlichen Bescheinigung über eine durchgeführte Operation und Befundbericht der Dr. H. I. vom 19. Februar 2023 (Bl. 178 ff. Gerichtsakte) heißt es dazu, die individuelle Beißkraft eines Hundes werde einerseits durch das Zusammenspiel der Kaumuskulatur, der Oberkiefer, der Unterkiefer, der Kiefergelenke sowie der Zähne und andererseits durch das Körpergewicht, die Schädelmorphologie und Schädelgröße beeinflusst. Auch könnten weitere Faktoren, wie z.B. Kiefergelenkserkrankungen, Schmerzen, Muskelerkrankungen oder Fehlbisse einen Einfluss auf die Beißkraft haben. Inwieweit sich die Beißkraft eines Hundes nach einer einseitigen Hemimandibulektomie verändere, könne abschließend nicht beurteilt werden. Bis zum heutigen Zeitpunkt gebe es in der veterinärmedizinischen Literatur keine Studien oder fundierte wissenschaftliche Untersuchungen. Dieser Einschätzung hat sich auch das Amt für Veterinärangelegenheiten und Verbraucherschutz des Beklagten angeschlossen (Schriftsatz v. 9.6.2023, Bl. 187 Gerichtsakte). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beißkraft des Hundes "E." infolge des operativen Eingriffs in einer Weise verändert haben könnte, die eine Änderung der der Gefährlichkeitsfeststellung des Hundes "E." durch Bescheid vom 24. Januar 2017 zu Grunde liegenden Sachlage begründen könnte, sind somit weder hinreichend dargelegt noch für den Senat sonst zu erkennen.

c) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen schließlich auch nicht deswegen, weil das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Vorlage eines positiven Wesenstests sei keine neue Tatsache i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG. Vielmehr entspricht dies der Rechtsprechung des Senats (s. etwa Senatsbeschl. v. 18.1.2012 - 11 ME 423/11 - juris Rn. 4 ff., v. 24.4.2015 - 11 LA 259/14 - V.n.b. u. v. 1.12.2021 - 11 LA 210/21 - V.n.b.). Wie der Senat in seinem Beschluss vom 18. Januar 2012 (- 11 ME 423/11 - juris Rn. 4 ff.) im Einzelnen dargelegt hat, sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG grundsätzlich bereits dann erfüllt, wenn der betroffene Hund etwa ein anderes Tier (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 NHundG) nicht nur ganz geringfügig verletzt hat. Ob der Hund tatsächlich gefährlich ist, ist erst im Rahmen des Wesenstests nach § 13 NHundG zu überprüfen, sodass es für die Feststellung der Gefährlichkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG nicht einer abschließenden Prüfung bedarf, ob das von dem Hund bei dem Beißvorfall gezeigte Verhalten eine gesteigerte Aggressivität oder eine über das natürliche Maß hinausgehende Angriffslust aufweist (Senatsbeschl. v. 22.4.2015 - 11 LA 210/14 - juris Rn. 5 u. v. 30.6.2015 - 11 LA 250/14 - juris Rn. 5). Nach der Systematik des Gesetzes stellt nach § 7 Abs. 1 NHundG der Hinweis auf eine gesteigerte Aggressivität eines Hundes den Anlass für die nähere Prüfung dar. Diese Prüfung bezieht sich lediglich auf die näheren Umstände, die Gegenstand dieses Hinweises sind. In diesem Rahmen obliegt es der zuständigen Behörde, die gesamten Umstände des Vorfalles aufzuklären und hierbei sowohl belastende als auch entlastende Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Der Wesenstest gemäß § 13 NHundG ist gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 NHundG der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes zeitlich nachgelagert und stellt eine Voraussetzung für die Erlaubnis zum Halten des bereits als gefährlich eingestuften Hundes dar, ist mithin nicht bereits Gegenstand der näheren Überprüfung des Sachverhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG, die zu der Feststellung der Gefährlichkeit führen kann (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 3.3.2015 - 11 LA 172/14 - juris Rn. 11 u. v. 30.6.2015 - 11 LA 250/14 - juris Rn. 5).

Daraus, dass schon bei einem bloßen Verdacht der Gefährlichkeit der betreffende Hund wie ein tatsächlich gefährlicher Hund zu behandeln ist, ergibt sich weiter, dass die aufgrund eines zu Recht angenommenen Gefahrenverdachts erfolgte Feststellung der Gefährlichkeit nicht nachträglich dadurch in Frage gestellt werden kann, dass sich etwa bei einem später durchgeführten Wesenstest keine tatsächlichen Hinweise auf eine gesteigerte Aggressivität des Hundes ergeben. Wie der Senat mit Beschluss vom 18. Januar 2012 (- 11 ME 423/11 - juris Rn. 8) entschieden hat (vgl. auch Beschl. v.12.5.2005 - 11 ME 92/05 - juris Rn. 15), ist dem nicht auf der Tatbestandsseite, d. h. durch höhere Anforderungen an die Feststellung der Gefährlichkeit, sondern auf der Rechtsfolgenseite, d.h. bei den in § 14 NHundG geregelten Einschränkungen für das Führen eines gefährlichen Hundes, Rechnung zu tragen. So sollte, wie der Senat in seinem Beschluss vom 18. Januar 2012 dargelegt hat, durch die Neuregelungen des Niedersächsischen Hundegesetzes nicht der Eindruck entstehen, dass durch einen freiwillig vorgezogenen Wesenstest die Feststellung der Gefährlichkeit verhindert werden könne (vgl. den Schriftlichen Bericht, LT-Drs. 16/3666, S. 4 f.). Stattdessen ist im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich unter Verweis auf den o. g. Beschluss des Senats vom 12. Mai 2005 (mit § 14 Abs. 3 Satz 2 NHundG) "ergänzend die Möglichkeit geschaffen worden, vom Leinenzwang ganz oder teilweise abzusehen, insbesondere wenn der Wesenstest keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Gefährlichkeit des Hundes ergibt" (Schriftlicher Bericht, LT-Drs. 16/3666, S. 7). Anlass für weitergehende Regelungen, etwa zur Einführung eines gesonderten Verfahrens zur Aufhebung der Gefährlichkeitsfeststellung (vgl. dazu das im Schriftlichen Bericht ausdrücklich zitierte Urteil des VG Stade v. 24.2.2010 - 1 A 77/09 - juris Rn. 36) oder zu einzelfallbezogenen zusätzlichen Einschränkungen der Rechtsfolgen des § 14 NHundG über die Aufhebung des Leinenzwanges hinaus (vgl. dazu etwa VG Braunschweig, Beschl. v. 28.11.2006 - 5 B 312/06 - juris Rn. 35), hat der Gesetzgeber hingegen nicht gesehen.

Das Zulassungsvorbringen der Klägerin gibt dem Senat keine Veranlassung, von diesen in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen, die dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes entsprechen, abzuweichen.

2. Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift erfordert, dass der Rechtsmittelführer näher ausführt, dass und warum die Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen abweicht. Zur Darlegung dieser besonderen Schwierigkeiten hat der Rechtsmittelführer daher darzutun, hinsichtlich welcher aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung auftretenden Fragen sich besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten ergeben sollen und worin die aus seiner Sicht vorliegende besondere tatsächliche oder rechtliche Problematik im Einzelnen bestehen soll (Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 a Rn. 210).

Die Klägerin trägt insoweit zur Begründung vor, die Rechtssache weise besondere rechtliche Schwierigkeiten auf. Dabei gehe es um die grundsätzliche Frage, "ob die Aufhebung einer ehemals verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung in Niedersachsen im Rahmen eines Verfahrens nach § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes möglich ist oder ob das Niedersächsische Hundegesetz eine solche Aufhebung, auch wenn neue Tatsachen vorliegen, durch die Bestimmungen des Niedersächsischen Hundegesetzes ausgeschlossen ist, weil sich darin keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Aufhebung einer verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung befindet".

Dieses Vorbringen ist anhand der aufgezeigten Maßstäbe nicht geeignet, besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darzulegen. Das Zulassungsvorbringen der Klägerin lässt bereits nicht ansatzweise erkennen, dass und warum die Rechtssache in rechtlicher Hinsicht signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen abweichen und worin die besondere rechtliche Problematik im Einzelnen bestehen soll.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und substantiiert begründen, warum sie für grundsätzlich und klärungsbedürftig sowie klärungsfähig gehalten wird (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 124 a Rn. 54, m.w.N.). Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nicht in Betracht, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres eindeutig beantworten lässt oder sie in der Rechtsprechung - namentlich des Bundesverwaltungsgerichts oder des beschließenden Senats - geklärt ist.

Die Klägerin hat die Fragen formuliert,

a) "ob die Aufhebung einer ehemals verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung in Niedersachsen im Rahmen eines Verfahrens nach § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes möglich ist oder ob das Niedersächsische Hundegesetz eine solche Aufhebung, auch wenn neue Tatsachen vorliegen, durch die Bestimmungen des Niedersächsischen Hundegesetzes ausgeschlossen ist, weil sich darin keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für eine Aufhebung einer verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung befindet" und

b) "ob die Aufhebung einer verbindlich gewordenen Gefährlichkeitsfeststellung eine ausdrückliche Rechtsgrundlage im niedersächsischen Hundegesetz erfordert."

Die aufgeworfenen Fragen sind nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres eindeutig zu beantworten. Das Niedersächsische Hundegesetz regelt kein spezielles Verfahren für eine Überprüfung einer bestands- bzw. - wie hier - rechtskräftigen Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes. Das Niedersächsische Hundegesetz schließt einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes auch nicht aus. Damit ist von den allgemeinen Grundsätzen auszugehen. Gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 NVwVfG gelten für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit u.a. der Behörden des Landes die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes mit Ausnahme der §§ 1, 2, 61 Abs. 2, §§ 78, 94 und §§ 100 bis 101 VwVfG, soweit nicht Rechtsvorschriften des Landes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Der das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich eines unanfechtbaren Verwaltungsakts regelnde § 51 VwVfG ist - wie angeführt - von den von den Behörden des Landes anzuwendenden Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht ausgenommen. Auch sonst ist die Anwendung des § 51 VwVfG nicht ausgeschlossen, da sich inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen in Rechtsvorschriften des Landes nicht finden (vgl. insoweit im Erg. auch bereits VG Stade, Urt. v. 24.2.2010 - 1 A 77/09 - juris Rn. 32; Senatsbeschl. v. 24.4.2015 - 11 LA 259/14 - V.n.b.).

Die aufgeworfenen Fragen sind demnach eindeutig dahingehend zu beantworten, dass die Aufhebung einer unanfechtbaren Gefährlichkeitsfeststellung ohne eine ausdrückliche Rechtsgrundlage im niedersächsischen Hundegesetz im Rahmen eines Verfahrens nach § 51 VwVfG in Betracht kommt.

4. Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zugelassen werden. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dieser Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Zulassungsantragstellers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden (s. etwa BVerwG, Beschl. v. 20.04.2017 - 8 B 56/16 - juris Rn. 5; OVG Bremen, Beschl. v. 2.9.2021 - 1 LA 222/21 - juris Rn. 25).

Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die Klägerin trägt mit ihrer Zulassungsbegründung insoweit vor, die Kammer weiche von der Entscheidung des Senats vom 22. April 2015 (- 11 LA 210/14 -) ab, weil nach ihrem Verständnis "von dieser Senatsrechtsprechung davon auszugehen ist, dass auch ein positives Gutachten im Rahmen eines Wesenstestes, jedenfalls wenn dies mit entsprechender Klarheit im Gutachten hervorgeht, eine Prüfung der Gefährlichkeit des betreffenden Hundes vorzunehmen ist, nicht lediglich in Bezug auf die Aufhebung eines ehemals angeordneten Leinenzwanges, sondern grundsätzlicher Natur".

Damit ist eine Divergenz nicht hinreichend dargelegt. Die Klägerin arbeitet nicht einen inhaltlich bestimmten, das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts tragenden abstrakten Rechtssatz heraus, mit dem das Verwaltungsgericht einem in dem Senatsbeschluss vom 22. April 2015 (-11 LA 210/14 -) aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen haben soll.

Ungeachtet dessen entspricht - wie aus den Ausführungen unter 1.c) folgt - die Auffassung des Verwaltungsgerichts auch der Rechtsprechung des Senats.

5. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen einer Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin, die Tatsache der Entfernung des kompletten Unterkiefers bei dem Hund "E." sei gänzlich unberücksichtigt geblieben, genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen. Wird - wie hier - die Versagung des rechtlichen Gehörs durch Übergehen von Beteiligtenvorbringen geltend gemacht, wird dem Darlegungserfordernis nur genügt, wenn der vermeintlich nicht gewürdigte Vortrag substantiiert und zutreffend angegeben ist (vgl. VGH BW, Beschl. v. 4.3.2022 - A 2 S 362/22 - juris Rn. 4, m.w.N.). Wie bereits unter 1.b)aa) ausgeführt, hat die Klägerin - anders als im Berufungszulassungsverfahren angegeben - nicht vorgetragen, dem Hund "E." habe der komplette Unterkiefer entfernt werden müssen. Vielmehr hat sie erstinstanzlich vorgetragen, dem Hund habe der linke Unterkiefer entfernt werden müssen.

Im Übrigen kommt eine Verletzung rechtlichen Gehörs nur in Betracht, wenn der Beteiligte die ihm zumutbare Möglichkeit nutzt, sich in der mündlichen Verhandlung zu den aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Tatsachen oder Rechtsfragen zu äußern und ggfs. Beweisanträge zu stellen. Diese Möglichkeit hat die Klägerin ausweislich der Verhandlungsniederschrift jedoch nicht genutzt, denn sie hat in der mündlichen Verhandlung keinen förmlichen Beweisantrag gestellt. Die Tatsache, dass ein Beweisantrag erstinstanzlich nicht gestellt wurde, kann zwar dann unerheblich sein, wenn sich dem Tatsachengericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Das setzt aber den schlüssigen Vortrag voraus, dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen; dieser materiell-rechtliche Standpunkt ist auch dann maßgeblich, wenn er rechtlichen Bedenken begegnen sollte. Diese Anforderungen werden aber nicht erfüllt, wenn nicht dargelegt wird, warum sich dem Gericht von seiner Rechtsauffassung ausgehend eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (s. etwa NdsOVG, Beschl. v. 1.11.2021 - 9 LA 11/20 - juris Rn. 34). So ist es hier. Die Klägerin legt nichts dafür dar, dass sich dem Verwaltungsgericht von seiner Rechtsauffassung ausgehend eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).