Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.07.2023, Az.: 4 LB 8/23

Diaspora-Status; Eritrea; freiwillige Ausreise; Haftbedingungen; Illegale Ausreise; Nationaldienst; militärischer Teil; Reueerklärung; Subsidiarität des Asylrechts; zwangsweise Rückführung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.07.2023
Aktenzeichen
4 LB 8/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 29975
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0718.4LB8.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 06.09.2021 - AZ: 4 A 348/17

Fundstelle

  • InfAuslR 2024, 131-132

Amtlicher Leitsatz

Einem eritreischen Staatsangehörigen im nationaldienstpflichtigen Alter, der den Nationaldienst in Eritrea bislang nicht angetreten hat, droht bei einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Inhaftierung mit anschließender Einberufung in den militärischen Teil des Nationaldiensts. Bei der Verwendung im militärisch geprägten Teil des eritreischen Nationaldienstes drohen gewöhnlichen Dienstleistenden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sowohl unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung als auch Folter. Die potentiell alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen treffenden Haftbedingungen in eritreischen Gefängnissen erfüllen sowohl den Tatbestand der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung als auch den Tatbestand der Folter. Der eritreische Staat verlangt grundsätzlich allen illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen im nationaldienstfähigen Alter und unabhängig davon, ob sie sich nach dem Verständnis eritreischer Behörden dem Wehrdienst entzogen haben oder gar desertiert sind, für die Inanspruchnahme konsularischer Dienstleistungen und zur Erlangung des Diaspora-Status die Unterzeichnung der Reueerklärung ab.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 6. September 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, durch welches sie verpflichtet worden ist, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Der am ... 2000 in E-Stadt geborene Kläger ist eritreischer Staatsangehöriger muslimischer Religionszugehörigkeit. Er gehört zu dem Volksstamm der Tigrinya.

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 10. November 2016 unbegleitet in die Bundesrepublik ein und stellte am 1. Februar 2017 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag, zu dem er am 19. April 2017 angehört wurde.

Im Rahmen seiner Anhörung trug der Kläger vor, sein Heimatland im Jahr 2003 im Alter von drei Jahren verlassen zu haben. Seine Mutter sei mit ihm in den Sudan gegangen, da in seinem Heimatland Krieg geherrscht habe. Er selbst habe den Krieg nicht erlebt. Sonst seien sie in Eritrea nicht bedroht oder verfolgt worden. Im Sudan hätten seine Mutter und er bis Mai 2016 gelebt. Dann habe sich seine Mutter zur Ausreise entschieden, weil er aufgrund fehlender Unterlagen die Schule nicht habe besuchen können und seine Mutter außerdem Probleme gehabt habe, eine Arbeit zu finden. Er sei im Sudan auch oft geschlagen und beleidigt worden. Nach Eritrea hätten sie nach Ansicht seiner Mutter nicht zurückgehen können, weil ihnen dort aufgrund ihrer illegalen Ausreise eine lebenslange Haft gedroht hätte. Vom Sudan aus seien sie über Libyen, Italien und Frankreich in die Bundesrepublik gereist. In Libyen sei er durch Schleuser von seiner Mutter getrennt worden. Er sei nach Deutschland gekommen, um Schutz zu beantragen und weil er seine Mutter verloren habe. Weitere Asylgründe habe er nicht. In Eritrea verfüge er über Verwandtschaft in der Gestalt seines Vaters und seiner Großmutter. Seine Mutter lebe aktuell vermutlich in Libyen.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2017 stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 4) und lehnte die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie den Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes (Ziffer 3) ab. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Gegen den am 10. Juli 2017 zugestellten Bescheid vom 7. Juli 2017 hat der Kläger am 19. Juli 2017 Klage erhoben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zu gewähren.

Die Beklagte hat schriftlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht unter Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheids die Beklagte verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zu gewähren. Der Kläger habe im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zwar keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Eine Vorverfolgung sei weder vorgetragen noch sei dies vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich seit 2003 nicht mehr in Eritrea befunden habe, sonst ersichtlich. Soweit sich der Kläger auf die ihm drohende Einberufung zum Nationaldienst und auf eine Bestrafung bzw. Sanktionierung der illegalen Ausreise oder der Umgehung des Nationaldienstes durch Entziehung oder Desertion berufe, knüpfe dies nach obergerichtlicher Rechtsprechung, der das Gericht folge, für sich genommen nicht an einen Verfolgungsgrund i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG an. Es könne insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass der eritreische Staat generell jedem Staatsbürger eine oppositionelle politische Überzeugung unterstelle, weil er illegal ausgereist, sich dem Nationaldienst entzogen und einen Asylantrag im Ausland gestellt habe. Der auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gerichtete Hilfsantrag des Klägers habe jedoch Erfolg. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Eritrea ein ernsthafter Schaden i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohe. Dem Kläger drohe bei seiner Rückkehr nach Eritrea die Einziehung zum Nationaldienst, dem gemäß Art. 6 der Proklamation Nr. 82/1995 grundsätzlich alle Männer und Frauen vom 18. bis 50. Lebensjahr unterlägen. Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen gebe es ebenso wenig wie einen Ersatzdienst. Bei dem Nationaldienst handele es sich um einen zeitlich nicht befristeten Arbeitsdienst unter menschenrechtswidrigen Bedingungen, welcher als Zwangsarbeit und damit als unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung zu qualifizieren sei. Ein Ausweichen im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG innerhalb Eritreas sei dem Kläger nicht möglich. Innerhalb Eritreas gebe es keine Region, in der man sich der Kontrolle durch die Regierung entziehen könne.

Gegen das ihr am 7. September 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. September 2021 die Zulassung der Berufung beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Erkenntnismittel - insbesondere der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 25. Februar 2018 - den Schluss zuließen, dass die Ableistung des Nationaldienstes nicht gleichbedeutend sei mit Haft, Folter, Misshandlungen und Vergewaltigung. Selbst wenn man anderslautenden Quellen folge, erschöpfe sich die Berichterstattung darin, dass sich Folterungen und andersartige Gewalt des Staats gegen Deserteure, Wehrdienstflüchtige, Wehrdienstverweigerer sowie verschiedene religiösen Gruppen richte. Sofern ein solch gefahrerhöhendes Merkmal nicht vorliege, sei nicht mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit von einer Verletzung der Grundrechte aus Art. 3 EMRK bei Ableistung des Nationaldiensts auszugehen. Auch eine Verletzung des Art. 4 EMRK scheide aus. Eine menschenrechtswidrige Behandlung folge nicht aus dem Umstand, dass der Militärdienst in Eritrea oftmals über Jahre andauere und das genaue Ende nicht absehbar sei. Eine Dienstleistung militärischer Art sei gemäß Art. 4 Nr. 3 b) EMRK nicht als Zwangsarbeit im Sinne des Art. 4 EMRK zu bewerten. Sofern der Nationaldienst im zivilen Bereich abgeleistet werde, stelle er eine Bürgerpflicht dar.

Durch Beschluss vom 24. Januar 2023 - 4 LA 200/21 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 7. Juli 2017 verpflichtet hat, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 hat die Beklagte die Berufung begründet und sich hierzu insbesondere auf ihre Ausführungen in dem Bescheid vom 7. Juli 2017, den Zulassungsantrag vom 24. September 2021 und den Senatsbeschluss vom 24. Januar 2023 bezogen. Ergänzend führt die Beklagte aus, es sei bereits nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea überhaupt zum Nationaldienst einberufen werde. Insgesamt befänden sich nur 11 % der eritreischen Bevölkerung im Nationaldienst. Die wichtigste Methode zur Rekrutierung stelle das Schulsystem dar. Da sich der Kläger weder im eritreischen Schulsystem befinde noch im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea dorthin zurückkehre, sei nicht davon auszugehen, dass er auf diesem Wege zum Nationaldienst einberufen werde. Auch eine Rekrutierung außerhalb des Schulsystems sei nicht beachtlich wahrscheinlich. Nach der Erkenntnismittellage werde ein großer Anteil von Personen, die die Schule vor der zwölften Klasse verlassen haben, - u.a. aus Mangel an Kapazitäten - nicht zum Nationaldienst eingezogen. Ebenso wenig beachtlich wahrscheinlich sei eine Rekrutierung infolge einer Razzia. Nach der Erkenntnismittellage gelinge es zahlreichen Dienstverweigerern, sich längerfristig auch dieser Kontrollen zu entziehen und unbehelligt von Sicherheitskräften ein relativ normales Leben zu führen. Insoweit gehe jedenfalls ein Mangel an objektivierbaren Prognosetatsachen zu Lasten des Klägers. Soweit berichtet werde, dass die im Nationaldienst gezahlten Bezüge zu niedrig seien, um die grundlegenden Lebenserhaltungskosten zu decken, sei zu berücksichtigen, dass Wehrpflichtige unter Bedingungen lebten, die die normalen Lebensbedingungen in Eritrea widerspiegelten.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 6. September 2021 (Az.: ) zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil insbesondere unter Berufung auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Darüber hinaus sei die aktuelle politische Lage in Eritrea zu beachten. Im November 2020 sei im nördlichen Teil Äthiopiens ein bewaffneter Konflikt ausgebrochen, an dem eritreischen Truppen von vornherein beteiligt gewesen seien. Hier hätten sich seit 2022 zahlreiche neue Entwicklungen ergeben. Er habe sich in der Bundesrepublik nicht politisch betätigt. Über die politischen Verhältnisse in Eritrea sei er nicht informiert. Seine Erkenntnisse über Eritrea beruhten auf den Erzählungen seiner Mutter. Über eine eritreische ID-Karte oder einen Pass verfüge er nicht. Er habe in der Bundesrepublik bislang auch keinen Kontakt zu eritreischen Behörden gehabt, weil diese "quasi eritreischer Boden" seien und er Angst habe, dort festgenommen, nach Eritrea abgeschoben und zum Militärdienst in den Krieg eingezogen zu werden. Er sei auch nicht bereit, die in dem "Reue-Formular" enthaltene Erklärung zu unterzeichnen, weil er damit eine Straftat einräume, die er nicht begangen habe, und er eine entsprechende Bestrafung durch eritreische Behörden fürchte.

Am 18. Juli 2023 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Diesbezüglich wird auf die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des 4. Senates am 18. Juli 2023 (im Folgenden: Sitzungsniederschrift) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen. Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats einen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.

I. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens treten; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Die Gewährung subsidiären Schutzes setzt voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 20 und Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris 22; Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 72 und Senatsbeschl. v. 5.12.2017 - 4 LB 50/16 -, juris Rn. 31; ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 89). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 20 und v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris Rn. 22). Hat ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten oder war er von einem solchen unmittelbar bedroht, kommt ihm auch hier die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute. Danach ist dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Vorschrift begründet für den von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht ist (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 21 und v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris Rn. 23; Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 72; ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 90).

Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für einen ersthaften Schaden sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer "qualifizierenden" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen (vgl. Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 34). Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen, zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevanten Tatsachen unter anderem die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seine individuelle Lage und die persönlichen Umstände zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15 m. w. N.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 23, 31). Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor einem ernsthaften Schaden hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15; Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14 und Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14).

Ein ernsthafter Schaden ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für einen ersthaften Schaden gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die tatsächliche Gefahr ("real risk") einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit; sie bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris Rn. 37 und Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15; ferner Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 35).

Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Ausländers vor einem ersthaften Schaden im Rechtssinne begründet ist, ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist es Aufgabe des Gerichts, die gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigenden Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden. Hierbei ist für das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung maßgeblich (BVerwG, Urt. v. 17.6.2020 - 1 C 35.19 -, juris Rn. 9). Die Überzeugungsgewissheit gilt nicht nur in Bezug auf das Vorbringen des Schutzsuchenden zu den seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Vorgängen, sondern auch hinsichtlich der in die Gefahrenprognose einzustellenden allgemeinen Erkenntnisse. Diese ergeben sich vor allem aus den zum Herkunftsland vorliegenden Erkenntnisquellen. Auch für diese Anknüpfungstatsachen gilt das Regelbeweismaß des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 20). Das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung gilt auch bei unsicherer Tatsachengrundlage (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 21 und Beschl. v. 28.4.2017 - 1 B 73.17 -, juris Rn. 10). In diesen Fällen bedarf es in besonderem Maße einer umfassenden Auswertung aller Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Herkunftsland; hierauf aufbauend muss das Gericht bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet aus einer Vielzahl von Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung vornehmen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 21 und Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 19). Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes kommt nicht schon dann in Betracht, wenn eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für einen ersthaften Schaden nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse lediglich ausreichende Anhaltpunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation besteht, die einem non-liquet vergleichbar ist. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit ist vielmehr tatbestandliche Voraussetzung für eine Entscheidung zugunsten des Ausländers. Kann das Gericht nicht das nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgegebene Maß an Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass einem Ausländer ein ernstafter Schaden droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, scheidet eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 18; Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 37; ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 38 m. w. N.).

II. Es bestehen stichhaltigen Gründe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Annahme, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Eritrea Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

1. Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK - aufgrund weitgehend identischer sachlicher Regelungsbereiche auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, Beschl. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 10; Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 75; ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 96). Der EGMR entnimmt Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 124 und Urt. v. 4.11.2014 - 29217/12 [Tarakhel v. Switzerland] -, HUDOC Rn. 93 m. w. N.). Art. 3 EMRK findet auch Anwendung, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Personen(-gruppen) ausgeht, sofern nachgewiesen ist, dass die Gefahr tatsächlich besteht und die staatlichen Behörden des Zielstaats nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (EGMR, Urt. v. 11.6.2020 - 17189/11 [M.S. v. Slovakia and Ukraine] -, HUDOC Rn. 118; Urt. v. 23.8.2016 - 59166/12 [J.K. and others v. Sweden] -, HUDOC Rn. 80 und v. 5.9.2013 - 886/11 [K. A. B. v. Sweden] -, HUDOC Rn. 69). Dem entspricht die Regelung des § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c Nr. 3 AsylG. Für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bedarf es einer direkten oder indirekten Aktion eines Akteurs, der die unmenschliche Lebenssituation im Sinne einer Zurechenbarkeit, die jenseits nicht intendierter Nebenfolgen ein auf die bewirkten Effekte gerichtetes Handeln oder gar Absicht erfordert, zu verantworten hat (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 12 und Beschl. v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 -, juris Rn. 13; ferner Senatsurt. v. 14.3.2022 - 4 LB 20/19 -, juris Rn. 75 u. Senatsbeschl. v. 25.2.2021 - 4 LA 212/19 -, juris Rn. 4).

In der Rechtsprechung des EGMR ist weiter geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" ("minimum level of severity") erreichen müssen, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK zu begründen (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 122; Urt. v. 13.12.2016 - Nr. 41738/10 [Paposhvili v. Belgien] -, HUDOC Rn. 174; Urt. v. 4.11.2014 - 29217/12 [Tarakhel v. Switzerland] -, HUDOC Rn. 94; vgl. ferner EuGH, Urt. v.16.2.2017 - C-578/16 PPU, C.K. u.a. -, juris Rn. 68 und BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 12). Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 122; Urt. v. 13.12.2016 - 41738/10 [Paposhvili v. Belgien] -, HUDOC Rn. 174; Urt. v. 4.11.2014 - 29217/12 [Tarakhel v. Switzerland] -, HUDOC Rn. 94 und Urt. v. 21.1.2011 - Nr. 30696/09 [M.S.S./Belgien und Griechenland] -, HUDOC Rn. 219).

Eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK hat der Gerichtshof angenommen, wenn sie unter anderem geplant war, ohne Unterbrechung über mehrere Stunden erfolgte und körperliche Verletzungen oder ein erhebliches körperliches oder seelisches Leiden bewirkte (vgl. EGMR, Urt. v. 9.7.2015 - 32325/13 [Mafalani v. Croatia] -, HUDOC Rn. 69 m. w. N.). Von einer erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ist der Gerichtshof ausgegangen, wenn sie beim Opfer Gefühle der Angst, seelischer Qualen und der Unterlegenheit hervorruft, wenn sie das Opfer in dessen oder in den Augen anderer entwürdigt und demütigt, und zwar unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist, ferner, wenn die Behandlung den körperlichen oder moralischen Widerstand des Opfers bricht oder dieses dazu veranlasst, gegen seinen Willen oder Gewissen zu handeln sowie dann, wenn die Behandlung einen Mangel an Respekt offenbart oder die menschliche Würde herabmindert (EGMR, Urt. v. 3.9.2015 - 10161/13 [M. und M. v. Croatia] -, HUDOC Rn. 132). Angesichts der fundamentalen Bedeutung von Art. 3 EMRK hat sich der Gerichtshof zudem eine gewisse Flexibilität für solche Fälle vorbehalten, in denen die Ursache der Gefahr auf Umständen beruht, die nicht in der direkten oder indirekten Verantwortung der staatlichen Behörde liegen oder die für sich genommen nicht die Standards von Art. 3 EMRK verletzen (vgl. EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 123 und Urt. v. 27.5.2008 - 26565/05 [N. v. United Kingdom] -, HUDOC Rn. 32 m. w. N.).

Eine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung setzt voraus, dass die zugefügten Leiden oder Erniedrigungen jedenfalls über das Maß hinausgehen, welches unvermeidbar mit einer bestimmten Form berechtigter Behandlung oder Strafe verbunden ist (EGMR, Urt. v. 28.2.2008 - 37201/06 [Saadi v. Italy] -, HUDOC Rn. 135).

Folter ist die absichtliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die sehr ernstes und grausames Leiden hervorruft (EGMR, Urt. v. 13.12.2012 - 39630/90 [El-Masri v. The Former Yugoslav Republic of Marcedonia] -, HUDOC Rn. 205, 211). Für die Entscheidung, ob eine bestimmte Form der Misshandlung als Folter einzustufen ist, muss die Unterscheidung berücksichtigt werden, die Art. 3 EMRK zwischen Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung macht, um Fälle vorsätzlicher Misshandlung, die sehr starke und grausame Leiden verursacht, als besonders schändlich, nämlich als Folter, zu brandmarken (EGMR, Urt. v. 28.2.2008 - 37201/06 [Saadi v. Italy] -, HUDOC Rn. 136).

2. Gemessen daran droht dem Kläger mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Eritrea Folter sowie unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.

Der Senat geht im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Gefahrenprognose davon aus, dass der Kläger nicht freiwillig, sondern gegen seinen Willen im Rahmen einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea zurückkehrt, und er bei einer zwangsweisen Rückführung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, zum eritreischen Nationaldienst einberufen zu werden (dazu unter a.). Bei einer zwangsweisen Rückführung wird der Kläger zudem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in den militärischen Teil des Nationaldiensts einberufen werden und dort Folter und einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung und Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ausgesetzt sein (dazu unter b.). Darüber hinaus droht dem Kläger bei einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea eine Inhaftierung unmittelbar nach Einreise und auch dadurch Folter und eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (dazu unter c.).

a. Das Nationalsystem Eritreas sieht eine umfassende aktive Dienstpflicht für erwachsene eritreische Staatsangehörige wie den Kläger vor (dazu unter aa.). Es ist auch beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger alsbald nach seiner Rückkehr in den Nationaldienst einberufen wird (dazu unter bb.).

aa. Nach Art. 6 der Proklamation Nr. 82/1995 über den Nationaldienst (vgl. inoffizielle englische Übersetzung aus dem Gesetzesblatt Eritrea Nr. 11 v. 23.10.1995, abrufbar unter https://www.refworld.org/docid/3dd8d3af4.html; im Folgenden: Proklamation Nr. 82/1995) ist der Nationaldienst in Eritrea für Männer und Frauen vom 18. bis zum 50. Lebensjahr verpflichtend. Er unterteilt sich gemäß Art. 2 Abs. 3, Art. 4 und Art. 13 Abs. 2 der Proklamation Nr. 82/1995 in einen aktiven Nationaldienst ("active national service") und einen militärischen Reservistendienst ("reserve military service"). Den aktiven Nationaldienst von offiziell 18 Monaten müssen gemäß Art. 8 der Proklamation Nr. 82/1995 alle eritreischen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 40 Jahren absolvieren. In der Praxis werden Eritreer jedoch bereits ab dem Alter von etwa 16 Jahren als dienstpflichtig behandelt, wobei teilweise auch noch jüngere Eritreer rekrutiert werden. Maßgeblich für die Rekrutierung ist nicht das tatsächliche Alter, sondern häufig eine Alterseinschätzung aufgrund des Aussehens der Person (vgl. European Asylum Support Office (EASO), Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 32 f.; EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 36 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen, Auskunft der SFH Länderanalyse, 6.12.2021, S. 1 ff.). Alle Dienstpflichtigen absolvieren gemäß Art. 8 der Proklamation Nr. 82/1995 zuerst eine sechsmonatige militärische Ausbildung und werden dann entweder dem militärischen Teil unter dem Verteidigungsministerium zugeteilt oder einer zivilen Aufgabe, die von einem anderen Ministerium verwaltet wird. Angehörige des militärischen Teils leisten Dienst im eritreischen Militär (Armee, Marine oder Luftwaffe). Teilweise leisten sie auch Arbeitseinsätze im Aufbau von Infrastruktur und in der Landwirtschaft. Sie leben auf militärischen Stützpunkten und sind in Einheiten eingeteilt. Angehörige des zivilen Teils leisten ihren Dienst in zivilen Projekten. Zu diesem Zweck teilt sie die Regierung verschiedenen Ministerien zu. Meist handelt es sich um Personen mit guter Ausbildung oder speziellen Fähigkeiten. Typisch sind Einsätze an Schulen, Gerichten oder in der medizinischen Versorgung. Ihren zugeteilten Aufgaben gehen die Dienstleistenden wie einer normalen Arbeit nach. Sie leben mit ihren Eltern, Familien oder in privaten Wohnungen am Arbeitsort (vgl. Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 11 f.). Zuständig für die Einteilung der Wehrpflichtigen in den militärischen bzw. zivilen Teil ist das Verteidigungsministerium (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 25.). Ausgenommen vom Nationaldienst sind lediglich Personen, die ihre Dienstpflicht bereits vor Inkrafttreten der Proklamation Nr. 82/1995 erfüllt haben, sowie ehemalige Unabhängigkeitskämpfer (Art. 12 der Proklamation Nr. 82/1995). Gesundheitliche Beeinträchtigungen führen in der Regel nur dazu, dass die militärische Ausbildung erlassen wird (Art. 13 Abs. 1 der Proklamation Nr. 82/1995), nicht jedoch die Dienstverpflichtung als solche. Faktisch werden verheiratete oder schwangere Frauen sowie Mütter in der Regel jedenfalls von der Dienstleistung im militärischen Teil des Nationaldiensts ausgenommen (vgl. Danish Immigration Service (DIS), Eritrea - National service, exit and entry, Januar 2020, S. 29; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 34; s. auch Senatsbeschl. v. 8.9.2022 - 4 LA 196/21 - juris Rn. 3 ff.). Nach Art. 21 der Proklamation Nr. 82/1995 kann die Dienstpflicht im Falle eines Kriegs oder einer allgemeinen Mobilmachung über die Dauer von 18 Monaten hinaus verlängert werden, sofern die zuständige Behörde den Dienstpflichtigen nicht offiziell entlassen hat. Seit dem Grenzkrieg mit Äthiopien rechtfertigt die eritreische Regierung die unbeschränkte Dauer des Nationaldiensts mit der Bedrohung durch Äthiopien. Der 1998 verhängte faktische Ausnahmezustand wurde seither nicht aufgehoben. Auf dieser Grundlage zieht der Staat Eritrea seine Staatsangehörigen regelmäßig zu einer die 18-Monats-Grenze überschreitenden, langjährigen Dienstleistung heran (Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3.1.2022, S. 14; DIS, Eritrea - National service, exit and entry, Januar 2020, S. 17 ff.; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 33 f.; vgl. zur Nationaldienstverpflichtung insgesamt: EASO, Eritrea, Latest developments on political situation and national service between 1 January 2020 and 31 January 2021, 19.4.2021, S. 4 ff.; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 22 ff.; EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 32 ff.; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 11 f.; SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 30.6.2017, S. 4 f.; Amnesty International (AI), Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18).

bb. Eine Heranziehung des danach grundsätzlich dienstpflichtigen Klägers zum Nationaldienst ist auch beachtlich wahrscheinlich. Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger alsbald nach seiner Rückkehr im Rahmen einer der regulären Rekrutierungsmethoden in den Nationaldienst einberufen werden würde (dazu unter (1)). Dem Kläger droht jedoch im hier zugrunde zulegenden Fall einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea eine Inhaftierung mit anschließender Einberufung in den Nationaldienst (dazu unter (2)). Der Kläger kann der Einziehung in den Nationaldienst bei zwangsweiser Rückführung auch nicht durch die Erlangung des sog. Diaspora-Status entgehen (dazu unter (3)). Er kann schließlich nicht in zumutbarer Weise auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise und Rückkehr nach Eritrea verwiesen werden (dazu unter (4)).

(1) Die wichtigste Methode der Rekrutierung zum Nationaldienst stellt das Schulsystem dar. Die eritreische Regierung bezeichnet diese Rekrutierungsform als "reguläre" Rekrutierung. Die Rekrutierung in den Nationaldienst findet unmittelbar im Anschluss an das 12. Schuljahr statt. Schülerinnen und Schüler, die das 11. Schuljahr abgeschlossen haben, absolvieren die 12. Klasse in dem Militärlager "Sawa". Das Resultat der dort abgelegten Abschlussprüfung (Eritrean Secondary Education Certificate Examination, ESECE) bestimmt die weiteren Bildungsmöglichkeiten und die Einteilung in den Nationaldienst. Die Schüler mit den besten Noten beginnen das Studium an einer der neun Hochschulen. Nach Studienabschluss werden den Absolventen Funktionen im zivilen Teil des Nationaldiensts zugeteilt. Schüler mit einem mittelmäßigen Abschluss besuchen das "Sawa Center for Technical and Vocational Education". Den Absolventen werden anschließend Aufgaben im zivilen oder militärischen Teil des Nationaldiensts zugewiesen. Die Schüler mit den schlechtesten Noten gehen entweder an Berufsbildungsschulen oder direkt in den Nationaldienst. Wer direkt in den Nationaldienst kommt, wird dem zivilen oder militärischen Teil oder der Mitarbeit in einem der Bau- oder Landwirtschafts-Unternehmen der PFDJ zugeteilt (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 27 ff.).

Die Rekrutierung der Schüler, die die Schule bereits vor Erreichen der 12. Klasse verlassen haben, erfolgt durch die lokale Verwaltung. Durch Informationen der Schulen behalten die Lokalverwaltungen einen Überblick über die Schulabgänger und ihr Alter. Das Militär weist die lokalen Verwaltungen regelmäßig an, Schulabgänger einzubestellen, damit sie dem Nationaldienst zugeführt werden können oder zumindest eine Liste mit geeigneten Heranwachsenden zu übergeben. Die Einberufungen werden von der lokalen Verwaltung u.a. an schwarzen Brettern, mit Briefen, Hausbesuchen oder Radioansagen bekannt gemacht. Von der Lokalverwaltung einberufene Personen werden meist dem militärischen Teil des Nationaldiensts zugeteilt (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 29 f.).

Die Einberufung zum Nationaldienst findet zudem statt, wenn Schulabbrecher bei dem Versuch, das Land zu verlassen, aufgegriffen werden (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 31 f.).

Eine weitere Methode der Rekrutierung zum Nationaldienst stellen Razzien durch die Sicherheitskräfte (sog. "giffas") dar. Die in "giffas" rekrutierten Personen verbleiben üblicherweise erst einige Tage oder Wochen in einem Gefängnis und werden dann zur militärischen Ausbildung in Ausbildungslager geschickt. Vereinzelt fahnden militärische Einheiten auch gezielt nach Dienstverweigerern, insbesondere wenn diese einem Aufgebot keine Folge geleistet haben (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 31 f.; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 5).

Eine Heranziehung des Klägers zum Nationaldienst im Rahmen einer dieser Rekrutierungsmethoden erscheint nicht beachtlich wahrscheinlich.

Da der Kläger die Schule in Eritrea nie besucht hat und als Erwachsener nicht mehr schulpflichtig ist, würde er bei einer Rückkehr nach Eritrea weder über das Schulsystem noch über die Lokalverwaltung als Schulabgänger rekrutiert werden. Die damit einzig verbleibende Rekrutierungsmethode durch eine sog. "giffa" erscheint aufgrund fehlender Systematik und Regelmäßigkeit nicht beachtlich wahrscheinlich (so auch OVG E-Stadt, Urt. v. 27.10.2021 - 4 Bf 106/20.A -, juris Rn. 47, 44). Wie aus den Erkenntnismitteln ersichtlich, fehlt es den eritreischen Behörden aufgrund der Vielzahl an Dienstverweigerern an Kapazitäten, Dienstverweigerer systematisch aufzusuchen und zu verhaften. In der Zeit nach dem eritreisch-äthiopischen Grenzkrieg (1998 bis 2000) haben die eritreischen Behörden bzw. militärische Einheiten noch systematisch Dienstverweigerer zu Hause aufgesucht. Dazu scheinen sie mittlerweile keine Kapazität mehr zu haben. Die "giffas" erfolgen nunmehr in der Weise, dass Sicherheitsorgane einen Stadtteil oder ein Dorf abriegeln und die dort aufhältigen Personen einer Überprüfung im Hinblick auf den Nationaldienststatus unterziehen (vgl. SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 22). Ein regelmäßiges und systematisches Vorgehen der eritreischen Behörden ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar. In Gesprächen, die SEM im Jahr 2016 mit diplomatischen Quellen und internationalen Organisationen geführt hat, gingen die Angaben zu der Häufigkeit von "giffas" weit auseinander. So wurde sowohl von in der Vorwoche stattgefundenen "giffas" berichtet, als auch, dass man rund 18 Monate nicht mehr von einer "giffa" gehört habe; andere Einschätzungen lagen dazwischen (vgl. SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 22). Zudem scheinen signifikante regionale Unterschiede zu bestehen und "giffas" etwa in ländlichen Gebieten deutlich seltener durchgeführt zu werden (vgl. SFH, Eritrea: Situation von Schulabbrecher*innen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 16.2.2023, S. 7; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 23). Außerdem informierten sich die betroffenen jungen Leute im Fall einer "giffa" untereinander (vgl. SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 23). Aufgrund all dessen gelingt es einem Teil der Dienstverweigerer, sich längerfristig den Razzien zu entziehen. Zahlreiche Dienstverweigerer führen offenbar ein normales Leben und sind im Lauf mehrerer Jahre nie aufgegriffen worden (vgl. SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 5, 22).

Soweit aktuelleren Quellen zu entnehmen ist, dass sich die "giffas" im Zusammenhang mit dem Krieg in der Tigray-Region ab Mitte 2022 intensiviert haben (vgl. Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, 6.5.2022, S. 6; Human Rights Watch (HRW), Eritrea: Crackdown on Draft Evaders Families, 9.2.2023, S. 2, 7), rechtfertigt dies keine abweichende Betrachtung. Der Anstieg von Zwangsrekrutierungen wird als Ergebnis der Involvierung der Eritrean Defense Forces (EDF) an der Seite der äthiopischen Armee in die militärische Auseinandersetzung in der Tigray-Region gewertet (vgl. HCR, Situation of human rights in Eritrea, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, Mohamed Abdelsalam Babiker, 9.5.2023, S. 7 f.). Von einem sprunghaften Aufschwung wird in diesem Zusammenhang insbesondere bezogen auf den Zeitraum zwischen Mitte und Ende 2022 berichtet (vgl. HCR, Situation of human rights in Eritrea, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, Mohamed Abdelsalam Babiker, 9.5.2023, S. 7 f.). Die militärische Auseinandersetzung in der Tigray-Region ist allerdings mit einer Waffenstillstandsvereinbarung vom November 2022 zum Ruhen gekommen und es wurden erste Schritte hin zur Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer und Kämpferinnen eingeleitet (Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, März 2023, S. 4). Mitte Januar 2023 haben sich die eritreischen Truppen aus den wichtigsten Städten der Tigray-Region zurückgezogen (vgl. HRW, Eritrea: Crackdown on Draft Evaders' Families, 9.2.2023, S. 5). Zwar scheinen eritreische Truppen jedenfalls noch Anfang des Jahres 2023 in gewissem Umfang in der Tigray-Region präsent gewesen (vgl. HRW, Eritrea: Crackdown on Draft Evaders' Families, 9.2.2023, S. 5) und es seinerzeit auch noch zu intensiven Zwangsrekrutierungen gekommen zu sein (HRW, Eritrea: Crackdown on Draft Evaders' Families, 9.2.2023, S. 8). Angesichts der vorstehend genannten deutlichen Demobilisierungsanzeichen kann jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass noch ein verstärktes Bedürfnis dafür bestehen könnte, die militärischen Ränge für einen Einsatz der eritreischen Streitkräfte in der Tigray-Region im Rahmen intensiver "giffas" weiter aufzufüllen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Rekrutierungswellen schon in der Vergangenheit parallel zu den Ereignissen in der Tigray-Region intensiviert haben (vgl. HRW, Eritrea: Crackdown on Draft Evaders' Families, 9.2.2023, S. 5).

(2) Allerdings droht dem Kläger bei einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Inhaftierung mit anschließender Einberufung in den Nationaldienst.

Zwangsweise zurückgeführten Personen werden von der eritreischen Regierung trotz der Verlautbarung, unfreiwillige Rückkehrer und Abschiebungen abzulehnen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea (Stand: November 2021), 3.1.2022, S. 23) auf individuelle Verhandlungen hin akzeptiert (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 67; UK Home Office, Report of a Home Office Fact-Finding Mission - Eritrea: illegal exit and national service, Februar 2016, S. 106). In den Jahren 2016 und 2017 haben wiederholt Zwangsrückführungen über die Landgrenze in Talatasher zwischen Kassala und Tesseney stattgefunden. Allein im Jahr 2016 sollen 400 eritreische Migranten aus dem Sudan zurückgeführt worden sein. Anfang 2017 sind erneut 115 Eritreer und Äthiopier über die Landgrenze zurückgeführt worden. Ägypten hat im Jahr 2017 25 Eritreer nach Eritrea zurückgeführt. Im Juni 2019 hat Frankreich eine Eritreerin über Istanbul nach Eritrea zurückgeführt (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 67 f; AI, Anfragebeantwortung an das VG Magdeburg, 2.8.2018, S. 2). Bezogen auf die Jahre 2020 und 2021 wird von der Rückführung je einer Person nach Eritrea berichtet (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea (Stand: November 2021), 3.1.2022, S. 23). Im März 2022 soll Ägypten 31 Personen zwangsweise nach Eritrea zurückgeführt haben (HRW, World Report 2023 - Eritrea, 12.1.2023, S. 4).

EASO berichtet unter Hinweis auf überwiegend aus dem Sudan über die Landesgrenze stattgefundenen Rückführungen, dass die meisten Betroffenen unmittelbar nach ihrer Ankunft in Eritrea inhaftiert, insbesondere einem unterirdischen Gefängnis bei Tesseney zugeführt und dort auf den Nationaldienststatus überprüft würden. Die weitere Behandlung hänge von dem Profil des Betroffenen ab: Personen, die - wie der Kläger - noch nie in den Nationaldienst aufgeboten wurden, müssten eine militärische Ausbildung absolvieren und sodann ihren Dienst bei einer Militäreinheit aufnehmen (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 69). Nach Auffassung von SEM deuten alle vorliegenden Informationen darauf hin, dass im Falle zwangsweiser Rückführung ähnlich wie bei einer "giffa" der Nationaldienststatus überprüft und anschließend wie bei Aufgriffen im Inland verfahren werde (SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016), d.h. die Personen üblicherweise erst einige Tage oder Wochen in einem Gefängnis verblieben und dann zur militärischen Ausbildung in Ausbildungslager geschickt würden (vgl. dazu unter II. 2. a. bb. (1)). Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen weist darauf hin, es sei ein typisches Muster ("common pattern"), dass zwangsweise zurückgeführte Personen nach ihrer Ankunft in Eritrea inhaftiert und Verhören unterzogen werden (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 300). Bis auf ein paar Ausnahmen seien alle zwangsweise zurückgeführten Personen inhaftiert worden (HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 7). Laut Amnesty International bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass jeder, der im (annähernd) dienstfähigen Alter nach Eritrea zurückgeführt wird, willkürlicher Festnahme ohne Anklage unterliege und Folter und anderen Misshandlungen begegne. Ziel sei der Informationsgewinn darüber, wie und in wessen Begleitung die Personen das Land verlassen haben. Anschließend würden diese Personen - erstmalig oder erneut - dem Nationaldienst zugeführt (AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 9). Bei einer Massenrückführung im Jahr 2016 seien alle 400 aus dem Sudan zurückgeführten Personen inhaftiert worden (AI, Anfragebeantwortung an das VG Magdeburg, 2.8.2018, S. 3). Aufschluss darüber, wie mit zurückgeführten Personen verfahren wird, lieferten die Erkenntnisse über die Behandlung von Personen, die bei dem Versuch, sich dem Wehr- und Nationaldienst zu entziehen, von ihm zu desertieren oder das Land zu verlassen, aufgegriffen wurden (AI, Anfragebeantwortung an das VG Magdeburg, 2.8.2018, S. 3). Das US Department of State führt aus, dass aus dem Ausland abgeschobene Eritreer ebenso wie bei einem Fluchtversuch aufgegriffene Personen der Gefahr der Verhaftung, Inhaftierung oder Einberufung in den Nationaldienst bei Rückkehr ("upon return") ausgesetzt seien (USDOS, Trafficking in Persons Report, June 2016, S. 166).

Auch wenn in den vorstehend genannten Quellen z.T. darauf hingewiesen wird, dass es insgesamt nur wenige Informationen zur Behandlung der Rückgeführten gebe und diese überwiegend zu den aus dem Sudan über die Landgrenze zurückgeführten Personen vorlägen (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 68; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 44), sprechen die nach übereinstimmenden Berichten in den meisten Fällen vorkommenden Inhaftierungen und Überprüfungen im Anschluss an eine zwangsweise Rückführung sowie der Umstand, dass unterschiedliche Quellen davon berichten, dass zwangsweise zurückgeführte Personen nach ihrer Ankunft zunächst inhaftiert, überprüft und im Anschluss ggf. in den Nationaldienst überführt werden und insoweit auch in verschiedenen Berichten die Parallele zu der Verfahrensweise bei Razzien und Aufgriffen im Inland gezogen wird, dafür, dass Inhaftierungen und Überprüfungen im Falle der zwangsweisen Rückführung weit verbreitet sind und nicht nur vereinzelt vorkommen, mithin für nationaldienstverpflichtete Personen wie den Kläger die beachtliche Wahrscheinlichkeit ("real risk") einer Inhaftierung mit anschließender Überführung in den Nationaldienst besteht.

Unter Auswertung der vorstehenden Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle der zwangsweisen Rückführung nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zunächst inhaftiert und einer Überprüfung im Hinblick auf den Nationaldienststatus unterzogen werden würde und anschließend mit Blick darauf, dass er den Nationaldienst in Eritrea bislang nicht angetreten hat, in den Nationaldienst einberufen werden würde.

(3) Das Aufgebot in den Nationaldienst kann der Kläger nicht durch Erlangung des sog. Diaspora-Status abwenden. Die Erlangung des Diaspora-Status kommt im Falle der zwangsweisen Rückführung nach Eritrea von vornherein nicht in Betracht.

Der Diaspora-Satus wird von der eritreischen Regierung den im Ausland lebenden Eritreer angeboten und gewährt freiwilligen Rückkehrern das Privileg, ohne Visaverfahren nach Eritrea ein- und auszureisen. Er entbindet insbesondere auch von der Verpflichtung, den Nationaldienst zu leisten (vgl. Mekonnen/Yohannes, Voraussetzungen und rechtliche Auswirkungen des eritreischen Diaspora-Status, Mai 2022, S. 8; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 61 ff.; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 33). Je nach Quelle liegt die Dauer der Schutzwirkungen zwischen sechs Monaten und einem Jahr (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 62 f.), einem bis drei Jahren (vgl. Mekonnen/Yohannes, Voraussetzungen und rechtliche Auswirkungen des eritreischen Diaspora-Status, Mai 2022, S. 9; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 33) bzw. bis zu sieben Jahren (Danish Immigration Service (DIS), Eritrea - National service, exit and entry, Januar 2020, S. 36). Nach der Erkenntnismittellage wird die große Mehrheit der Personen, die ihr Verhältnis zu dem eritreischen Staat durch den Diaspora-Status "bereinigt" haben, tatsächlich (zunächst) nicht strafrechtlich verfolgt bzw. in den Nationaldienst aufgeboten (vgl. SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 22, 34; AA, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht vom 14.4.2020, Gz.: 508-516.80/, Frage 1).

Um den Diaspora-Status zu erlangen, muss der Auslandseritreer sein Identitätsdokument, den Zahlungsnachweis für die sog. Diaspora-Steuer, d.h. einen Betrag i.H.v. 2% des Einkommens (Gehalt oder Sozialleistungen), das "Reueformular" und ein Schreiben der zuständigen eritreischen Auslandsvertretung vorlegen, in dem diese ihm einen mehr als dreijährigen Auslandsaufenthalt bestätigt (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 61 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19. Mai 2021, S. 29). Das "Reueformular" enthält die Erklärung, dass der Unterzeichnende bedauere, durch die Nichterfüllung des Nationaldienstes ein Vergehen begangen zu haben und dass er bereit sei, zu gegebener Zeit eine angemessene Bestrafung zu akzeptieren (vgl. die englische Übersetzung der "Immigration and Citizenship Services Request Form" in: HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 477: "[...] I regret having committed an offence by not completing the national service and am ready to accept appropriate punishment in due course"). Nach Angaben der eritreischen Behörden ist die Unterzeichnung des Formulars zwar ein Schuldeingeständnis, auf eine Bestrafung wird aber faktisch verzichtet (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3.1. 2022, S. 5 f., 21 f.; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 63). Faktisch gilt außerdem die weitere Bedingung, dass bei dem Antragsteller keine regierungskritischen Aktivitäten festgestellt werden (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 64).

Wie vorstehend ausgeführt richtet sich die Möglichkeit der Erlangung des Diaspora-Status jedoch nur an freiwillige Rückkehrer (vgl. auch AI, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea, 28.7.2017, S. 1 f.). Anders als freiwillige Rückkehrer haben zwangsrückgeführte Personen indes nicht die Möglichkeit, ihren Status gegenüber den Behörden entsprechend zu regeln und sich damit eine mildere Behandlung zu sichern (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 68; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 44).

(4) Der Kläger kann auch nicht darauf verwiesen werden, die aus einer zwangsweisen Rückführung resultierende Gefahr der Inhaftierung und Einberufung in den Nationaldienst durch freiwillige Ausreise und Rückkehr nach Eritrea abwenden zu können.

Nach übereinstimmender Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht, die in gleicher Weise für das Asylanerkennungsverfahren wie für das Abschiebungsschutzverfahren gilt, bedarf des Schutzes vor politischer Verfolgung im Ausland nicht, wer den gebotenen Schutz vor ihr auch im eigenen Land finden (sog. inländische Fluchtalternative, vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, juris Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 6.10.1987 - 9 C 13.87 -, juris Rn. 11) oder - in entsprechender Anwendung dieses Grundgedankens - durch eigenes zumutbares Verhalten die Gefahr politischer Verfolgung abwenden kann, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 -, juris Rn. 27 u. Urt. v. 3.11.1992 - 9 C 21.92 -, juris Rn. 12). Eine solche freiwillige Rückkehrmöglichkeit ist bei der Gefahrenprognose im Asyl- und Flüchtlingsrecht folglich mit in den Blick zu nehmen, insbesondere, wenn sich durch eine freiwillige Rückkehr Verfolgungsgefahren vermeiden lassen, die im Falle der zwangsweisen Rückkehr als Abgeschobener infolge der damit verbundenen Vorabinformation und Kontakte zwischen Abschiebestaat und Zielstaat entstehen können.

Eine freiwillige Ausreise und Rückkehr nach Eritrea sind für den Kläger indes nicht zumutbar. Sie ist daher bei der Gefahrenprognose nicht als Möglichkeit in den Blick zu nehmen, die Gefahr der Inhaftierung, verbunden mit der Überprüfung des Nationaldienststatus und der Einberufung in den Nationaldienst, abzuwenden. Passlose nationaldienstverpflichtete Exil-Eritreer wie der Kläger können nur dann freiwillig aus- und unbehelligt nach Eritrea einreisen, wenn sie im Bedarfsfall zuvor die "Reueerklärung unterzeichnet haben (dazu unter (a)). Der eritreische Staat würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch dem Kläger eine solche "Reueerklärung" abverlangen (dazu unter (b)). Die Abgabe der "Reueerklärung" ist dem Kläger jedoch vorliegend nicht zumutbar (dazu unter (c)).

(a) Nach der Ankunft am internationalen Flughafen Asmara überprüfen und triagieren die eritreischen Behörden üblicherweise die Rückkehrer. Die Sicherheitsbehörden und der Geheimdienst führen Hintergrundüberprüfungen im Hinblick auf regierungspolitische Aktivitäten oder Anzeichen von politischem Dissens durch (vgl. Mekonnen/Yohannes, Voraussetzungen und rechtliche Auswirkungen des eritreischen Diaspora-Status, Mai 2022, S. 15). Die Einwanderungsbehörde kontrolliert die Identitätspapiere der Rückkehrer und ob die sog. Diaspora-Steuer bezahlt und - falls notwendig - das Formular 4/4.2, das "Reueformular" unterzeichnet worden ist (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 61). Zu Verhören und Inhaftierungen kommt es, wenn die Einreisedokumente unvollständig sind, etwa bei Fehlen der eritreischen Identitätskarte, des Nachweises der Entrichtung der Diaspora-Steuer oder der Reueerklärung oder bei Anzeichen regierungspolitischer Aktivitäten oder politischem Dissens (vgl. EASO. Eritrea Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 61; Mekonnen/Yohannes, Voraussetzungen und rechtliche Auswirkungen des eritreischen Diaspora-Status, Mai 2022, S. 15). Anders liegt es offenbar, wenn die vorstehenden genannten Kontrollen keine Auffälligkeiten ergeben. Dann ermöglicht es die eritreische Regierung freiwilligen Rückkehrern, die - wie der Kläger - Eritrea illegal verlassen und ihre Nationaldienstpflichten nicht erfüllt haben, sich nach ihrer Ankunft in Eritrea zu dem Department for Immigration and Nationality in Asmara zu begeben und dort unter Vorlage der oben erwähnten Dokumente sowie eines Unterstützungsschreibens der Auslandsvertretung, welches belegt, dass sie sich mehr als drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, den sog. "Diaspora-Status" zu beantragen, der freiwillige Rückkehrer für einen gewissen Zeitraum nach der Ankunft in Eritrea von der Verpflichtung entbindet, den Nationaldienst zu leisten (hierzu siehe ausführlich unter II. 2. a. bb. (3)). In dieser Vorgehensweise kommt die ambivalente Einstellung der eritreischen Regierung gegenüber Flüchtlingen zum Ausdruck: Einerseits versucht sie mit drakonischen Maßnahmen (angeblicher Schießbefehl bei Fluchtversuchen von Deserteuren, nicht näher bekannte Strafen nach fehlgeschlagenen Fluchtversuchen, Verweigerung von Reisepässen und Ausreisegenehmigungen) zu verhindern, dass Eritreer sich der nationalen Dienstpflicht entziehen. Andererseits scheint die Regierung den Exodus, soweit er sich trotz der drastischen Gegenmaßnahmen nicht verhindern lässt, u.a. zu nutzen, um durch die Erhebung der Diasporasteuer von im Ausland lebenden Eritreern - die etwa 50 Prozent der eritreischen Staatsbürger bilden - Deviseneinnahmen zu erzielen; hieraus generiert Eritrea mehr als 40 Prozent des Staatshaushalts (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19.05.2021, S. 24).

Die Unterzeichnung des "Reueformulars" erweist sich folglich unter zwei Gesichtspunkten als maßgeblich für die Frage, ob passlose nationaldienstverpflichtete Exil-Eritreer wie der Kläger nach Eritrea einreisen können, ohne mit zu Überprüfungen des Nationaldienststatus und Einberufung in den Nationaldienst führenden Verhören und Inhaftierungen rechnen müssen: Zum einen machen die eritreischen Einwanderungsbehörden ihre Vorgehensweise bei der Einreise davon abhängig, ob der Einreisende im Bedarfsfall das unterzeichnete "Reueformular" selbst vorlegen kann. Zum anderen ist von der Unterzeichnung des "Reueformulars" abhängig, ob der Einreisende im Rahmen der Überprüfung der Einreisedokumente in das Visier der eritreischen Behörden gerät. Denn die legale Einreise nach Eritrea ist nur mit einer eritreische Identitätskarte im Original oder mit einem Einreisevisum möglich (vgl. https://us.embassyeritrea.org/visa/SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 33, Letzteres hier als "Laissez-Passer" bezeichnet; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 60, hier als "Freigabeerklärung" bezeichnet), deren Erlangung von den eritreischen Auslandsvertretungen im Bedarfsfall wiederum von der Unterzeichnung der "Reueerklärung" abhängig gemacht wird (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 60; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19. Mai 2021, S. 29; SEM, Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016), S. 33; EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 50 f.).

(b) Auch der Kläger hätte zur Überzeugung des Senats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - sowohl gegenüber der eritreischen Auslandsvertretung zur Erlangung einer eritreischen Identitätskarte bzw. des erforderlichen Einreisevisums als auch gegenüber den eritreischen Einwanderungsbehörden bei der Einreise - die vorstehend beschriebene "Reueerklärung" abzugeben bzw. vorzuzeigen, in der er bedauert, seine Dienstpflicht nicht erfüllt zu haben und erklärt, eine dafür verhängte Strafe zu akzeptieren. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger Eritrea bereits im Kleinkindalter verlassen hat und ihm deshalb bei einer Rückkehr nach Eritrea möglicherweise keine strafrechtliche Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung oder Desertion droht.

(aa) Bei qualifizierender Gesamtbetrachtung und Würdigung der hierzu vorliegenden Erkenntnismittel geht der Senat davon aus, dass der eritreische Staat grundsätzlich allen illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen im dienstfähigen Alter und unabhängig davon, ob sie sich nach dem Verständnis eritreischer Behörden dem Wehrdienst entzogen haben oder gar desertiert sind, für die Inanspruchnahme konsularischer Dienstleistungen und zur Erlangung des Diaspora-Status die Unterzeichnung der "Reueerklärung" abverlangt (so auch der 8. Senat des Nds. OVG, Urt. v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 -, juris Rn. 45). Dies ergibt sich aus Folgendem:

Dr. Daniel Mekonnen und Sara Palacios-Arapiles weisen in ihrem Gutachten aus April 2021 darauf hin, dass die Praxis, konsularische Dienste eritreischer diplomatischer Vertretungen von der Unterzeichnung des "Reueformulars" abhängig zu machen, uneingeschränkt für all diejenigen gelte, die das Land nach dem von 1998-2000 währenden Grenzkonflikt mit Äthiopien verlassen haben. Denn die eritreische Regierung betrachte alle diese Personen als "Flüchtige" oder "Personen, die das Land illegal verlassen haben". Bevor sie konsularische Dienstleistungen in Anspruch nehmen könnten, müssten sie sich formell schuldig bekennen (Mekonnen/Palacios-Arapiles, Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification", April 2021, S. 36). Die Unterzeichnung des "Reueformulars" bilde zusammen mit der Erhebung der Diaspora-Steuer ein untrennbar verbundenes Tandemverfahren (Mekonnen/Palacios-Arapiles, Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification", April 2021, S. 41 f.). Eine Person, die bereit sei die Steuer zu zahlen, könne dies nicht tun, ohne das Reueformular zu unterschreiben, insbesondere wenn diese Person nach dem Grenzkonflikt mit Äthiopien 1998-2000 aus dem Land geflohen sei und sich innerhalb der Altersgrenze für den nationalen Militärdienst (NMSP) befinde oder sich dieser nähere (Mekonnen/Palacios-Arapiles, Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification", April 2021, S. VI).

Diese Einschätzung deckt sich im Ergebnis mit der Angabe verschiedener Quellen, die Reueerklärung sei von denjenigen abzugeben, die Eritrea illegal verlassen und den Nationaldienst nicht geleistet oder nicht abgeschlossen haben.

So hat EASO festgestellt, dass das "Reueformular" von allen Eritreern unterzeichnet werden müsse, die das Land illegal verlassen haben ohne den Nationaldienst abzuschließen. EASO stellt im Hinblick auf den Vorwurf der Dienstpflichtverletzung unmissverständlich klar, dass von dem Erfordernis der Unterzeichnung des Reueformulars nur Personen befreit seien, die vom Nationaldienst ausgenommen sind oder die den Dienst bereits abgeschlossen haben (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 60 f.).

Auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen weist darauf hin, dass die "Reueerklärung" von allen Eritreern verlangt werde, die das Land widerrechtlich ("unlawfully") verlassen haben (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 117). Ähnlich hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH, Eritrea: Reflexverfolgung, Rückkehr und "Diaspora-Steuer", 30.9.2018, S. 8) ausgeführt, dass die Unterzeichnung des "Reueformulars" von Deserteuren und Personen verlangt werde, die das Land "in rechtswidriger Weise" verlassen haben.

Aufgrund der der vorstehend ausgewerteten Erkenntnismittel hält der Senat vereinzelte Quellen, wonach (nur) Deserteure und Wehrdienstverweigerer eine Reueerklärung abzugeben hätten (UK Home Office, Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, Juli 2018, S. 55 "who have left Eritrea without having completed national service"; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016) S. 33), nicht für hinreichend aussagekräftig (so auch der 8. Senat des Nds. OVG, Urt. v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 -, juris Rn. 50). Demzufolge vermag der Senat aus der Erkenntnismittellage auch nicht zu erkennen, dass eritreische Staatsangehörige, die illegal aus Eritrea ausgereist sind und daher ihrer Dienstpflicht bislang nicht nachgekommen sind, denen aber aufgrund der Umstände ihrer Ausreise möglicherweise nicht der Vorwurf der Entziehung oder Desertion vom Nationaldienst gemacht wird, von der Abgabe einer "Reueerklärung" grundsätzlich befreit sind.

Gegen eine Praxis der eritreischen Behörden, nationaldienstverpflichtete Personen, die zwar ihrer Dienstpflicht bislang nicht nachgekommen sind, denen aber nicht der Vorwurf der Entziehung oder Desertion vom Nationaldienst gemacht wird, vom Erfordernis der Unterzeichnung des "Reueformulars" auszuklammern, spricht zudem auch der vorstehend festgestellte Tandemcharakter von Diaspora-Steuer und "Reueformular". In einem untrennbar verbundenen Tandem-Prozess aus Erhebung der Diaspora-Steuer und Abgabe der "Reueerklärung" würde aus dem Absehen von der "Reueerklärung" der Verzicht auf die Erhebung der Diaspora-Steuer folgen. Dass aber die vorstehend genannte Personengruppe von der Verpflichtung zur Zahlung der Diaspora-Steuer ausgenommen wäre, ist anhand der vorliegenden Erkenntnismittel nicht ersichtlich. Danach haben vielmehr uneingeschränkt alle im Ausland wohnhaften Eritreer die Diaspora-Steuer zu zahlen (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 3.1.2022, S. 21; BS, Country Report Eritrea, 29.4.2020, S. 5; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 60).

Soweit es in der Praxis in Einzelfällen vorkommen sollte, dass bei eritreischen Staatsangehörigen für die Inanspruchnahme konsularischer Leistungen auf die Unterzeichnung des "Reueformulars" verzichtet worden ist, rechtfertigt dies keine Rückschlüsse auf die regelmäßige Vorgehensweise der eritreischen Auslandsvertretungen. Im Übrigen werden Behauptungen, dass die eritreischen Botschaften, insbesondere die in Deutschland befindliche, in den letzten Jahren die 2%-Diaspora-Einkommenssteuer nicht mehr einziehen und/oder die Unterzeichnung des "Reueformulars" nicht mehr durchführen würden, als unzutreffend gewertet (Mekonnen/Palacios-Arapiles, Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification", April 2021, S. 41). Eine Befragung gut unterrichteter Eritreerinnen und Eritreer aus Deutschland habe vielmehr ergeben, dass die eritreische Botschaft zwar eine diskretere Art und Weise der Handhabung des Reueformulars eingeführt habe, diese Praxis aber keineswegs eingestellt worden sei (Mekonnen/Palacios-Arapiles, Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification", April 2021, S. 41).

(bb) Ausgehend von dem Vorstehenden zählt der Kläger zu der Personengruppe, der der eritreische Staat für die Inanspruchnahme konsularischer Leistungen zur Ermöglichung einer freiwilligen Einreise nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine "Reueerklärung" abverlangt. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nach seinen Angaben Eritrea im Kleinkindalter verlassen hat.

Nach eritreischem Recht hat der Kläger das Land illegal verlassen. Nach Art. 10 Abs. 1 der Proklamation Nr. 24/1992 issued to regulate the issuing of travel documents, entry and exit visa from Eritrea, and to control residence permits of foreigners in Eritrea (im Folgenden: Proklamation Nr. 24/1992, abrufbar in englischer Sprache unter http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=54c0d9d44) kann keine Person Eritrea über andere Stellen verlassen als über die vom Sekretär für innere Angelegenheiten genehmigten. Nach Art. 11 der Proklamation Nr. 24/1992 kann niemand Eritrea verlassen, wenn er nicht im Besitz eines gültigen Reisedokuments (a.), eines gültigen Ausreisevisums (b.) und eines gültigen internationalen Gesundheitszeugnisses (c.) ist. Die vorgenannten Voraussetzungen für eine legale Ausreise muss jede Person, unabhängig von dem Alter, erfüllen. Die Voraussetzungen für eine legale Ausreise haben im Fall des Klägers, der bei seiner Ausreise bereits kein gültiges Ausreisevisum besessen hat, jedoch nicht vorgelegen. Er hat vor dem Bundesamt vielmehr vorgetragen, das Land gemeinsam mit seiner Mutter illegal verlassen zu haben. Zudem hat der Kläger Eritrea im Jahr 2003 und damit nach dem von 1998-2000 währenden Grenzkonflikt mit Äthiopien verlassen. Bei dieser Sachlage bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eritreische Behörden den Kläger als Person betrachten, die das Land illegal verlassen hat.

Dem steht auch nicht entgegen, dass eritreischen Staatsangehörigen, die Eritrea als Kleinkind verlassen und sich im wehrdienstfähigen Alter nie in Eritrea aufgehalten haben, im Falle einer Rückkehr im Erwachsenenalter nicht mit Strafverfolgung wegen Nationaldienstentzugs oder illegaler Ausreise zu rechnen haben (vgl. OVG E-Stadt, Urt. v. 27.10.2021 - 4 Bf 106/20.A -, juris Rn. 65; ferner AA, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische VG vom 27.7.2018, Gz.: 508-516.80/50859, Frage 1.). Soweit keine Fälle bekannt sind, in denen (irgend-) ein eritreischer Staatsangehöriger nach Wiedereinreise allein aufgrund seiner illegalen Ausreise bestraft worden wäre (vgl. AA, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische VG vom 14.4.2020, Gz.: 508-516.80/, Frage 1; LandInfo, Respons, Eritrea: Utreise, 2.4.2019, S. 8) und in diesem Zusammenhang davon ausgegangen wird, dass nicht die illegale Ausreise an sich, sondern deren Begleitumstände (Umstände der Ausreise, exilpolitische Tätigkeiten, Netzwerke in Eritrea, Zahlung der Diaspora-Steuer) zu einer Bestrafung führen (LandInfo, Respons, Eritrea: Utreise, 2.4.2019, S. 8), lässt sich daraus nur folgern, dass an den Umstand einer illegalen Ausreise eines eritreischen Staatsangehörigen im Kleinkindalter keine strafrechtliche Sanktionierung geknüpft ist, nicht jedoch, dass dieser Personenkreis nach dem Verständnis eritreischer Behörden bereits nicht illegal ausgereist ist.

Unabhängig davon ist davon auszugehen, dass der Kläger für die Inanspruchnahme konsularischer Leistungen auch dann eine "Reueerklärung" abgeben müsste, wenn eritreische Staatsangehörige, die Eritrea im Kleinkindalter ohne die hierfür erforderlichen Papiere verlassen haben, entgegen den vorstehenden Ausführungen nach dem eritreischen Recht und Verständnis der Behörden nicht illegal ausgereist sind. Denn der Kläger kann die nach seinen Angaben im Jahr 2003 und damit im Kleinkindalter erfolgte Ausreise gegenüber den eritreischen Behörden nicht durch Dokumente nachweisen. Mit Blick auf die oft uneinheitlich und oft missbräuchliche Verfahrensweise bei der Erhebung der Diaspora-Steuer und der Abgabe des "Reueformulars" (vgl. Mekonnen/Palacios-Arapiles, Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification", April 2021, S. 38) spricht Überwiegendes dafür, dass seine Angaben zur Ausreise seitens der eritreischen Behörden nicht ohne Weiteres zugrunde gelegt werden, sondern ohne Nachweise zum Zeitpunkt und den Modalitäten seiner Ausreise eine illegale Ausreise vermutet wird.

(c) Die Abgabe der "Reueerklärung" ist dem Kläger vorliegend nicht zumutbar.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Kontext der Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer nach § 5 Abs. 1 AufenthV entschieden, dass die Abgabe der "Reueerklärung" unter Berücksichtigung der widerstreitenden Belange für einen eritreischen Staatsangehörigen, der plausibel bekundet, die Erklärung nicht abgeben zu wollen, im Hinblick auf die darin enthaltene Selbstbezichtigung weder eine zumutbare Mitwirkungshandlung noch eine zumutbare staatsbürgerliche Pflicht sei (BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 24). Vom Herkunftsstaat geforderte Mitwirkungshandlungen seien dem Betroffenen gegen seinen Willen nur zuzumuten, wenn sie mit grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen vereinbar seien. Dies sei bei der "Reueerklärung" nicht der Fall. Die Verknüpfung einer Selbstbezichtigung mit der Ausstellung eines Reisepasses entferne sich so weit von einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung, dass der Betroffene sich darauf gegen seinen Willen nicht verweisen lassen müsse. Es sei weder ein legitimes Auskunftsinteresse des eritreischen Staats erkennbar noch sei ersichtlich, dass die von den eritreischen Auslandsvertretungen praktizierte Voraussetzung im eritreischen Recht irgendeine formelle Grundlage hätte (BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 26). Mit der Erklärung sei eine rechtsstaatliche Grenzen nicht einfordernde Unterwerfung unter die eritreische Strafgewalt verbunden und werde ein Loyalitätsbekenntnis zu dem eritreischen Staat abgefordert, das dem Betroffenen gegen seinen ausdrücklichen Willen nicht zumutbar sei (BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 27). Dies gelte umso mehr, als es in Eritrea nach den erstinstanzlichen Feststellungen kein rechtsstaatliches Verfahren gebe (BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 27). Angesichts der dem eritreischen Staat attestierten gravierenden Menschenrechtsverletzungen und der willkürlichen Strafverfolgung könne ein Eritreer gegen seinen Willen auf die Unterzeichnung einer Selbstbezichtigung mit bedingungsloser Akzeptanz einer wie auch immer gearteten Strafmaßnahme auch dann nicht verwiesen werden, wenn die Abgabe der Erklärung die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung und einer Bestrafung wegen der illegalen Ausreise nicht erhöht, sondern unter Umständen sogar verringert. Vielmehr müsse der Betroffene unter den beschriebenen Umständen (willkürliche und menschenrechtswidrige Strafverfolgungspraxis) kein auch noch so geringes Restrisiko eingehen und sei allein der - nachvollziehbar bekundete - Unwille, die Erklärung zu unterzeichnen, schutzwürdig (BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 28). Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Betroffene plausibel darlegt, dass er zu der Selbstbezichtigung freiwillig nicht bereit sei (BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 22).

Die - in Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften über die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ergangene - Rechtsprechung des Eufach0000000005s ist auf die hier unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität des Asylrechts anzustellenden Zumutbarkeitsprüfung im Hinblick auf die Abgabe der "Reueerklärung" als ein dem Asylantragsteller zumutbares Verhalten zur Gefahrenabwehr (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 -, juris Rn. 27 u. Urt. v. 3.11.1992 - 9 C 21.92 -, juris Rn. 12) übertragbar. Denn sie betrifft im Kern die Frage, ob die Abgabe der "Reueerklärung" wegen der darin enthaltenen Selbstbezichtigung mit grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 26). Daran muss sich die Zumutbarkeit der Abgabe der "Reueerklärung" auch im hier vorliegenden asylrechtlichen Kontext messen lassen.

Vorliegend erfüllt der Kläger auch die in der Rechtsprechung des Eufach0000000005s aufgestellten subjektiven Voraussetzungen für eine Unzumutbarkeit der "Reueerklärung". Danach ist es erforderlich, dass der Betroffene seine Ablehnung "plausibel" bekundet (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 31). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat widerspruchsfrei und nachvollziehbar erklärt, dass er die Unterzeichnung der Reueerklärung ablehne, weil er damit eine Straftat einräume, die er nicht begangen habe und er eine Bestrafung fürchte (vgl. Sitzungsniederschrift, S. 4 f.). Weitergehende Anforderungen sind an die Weigerung nicht zu stellen, insbesondere bedarf es nicht der Glaubhaftmachung einer Gewissensentscheidung oder einer unauflöslichen Konfliktlage (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2022 - 1 C 9.21 -, juris Rn. 31).

b. Es erscheint auch beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger alsbald nach Einberufung in den Nationaldienst Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ausgesetzt sein wird. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger vorliegend den Nationaldienst im militärischen Teil des Nationaldiensts absolvieren müsste (dazu unter aa.). Dort droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sowohl unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung als auch Folter im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (dazu unter bb.).

aa. Nach übereinstimmender Berichtslage müssen die meisten zwangsweise nach Eritrea zurückgeführten Personen nach ihrer Inhaftierung eine militärische Ausbildung absolvieren und werden anschließend in einer Militäreinheit eingesetzt (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 69; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22.6.2016 (aktualisiert am 10.8.2016) S. 44; AI, Anfragebeantwortung an das VG Magdeburg, 2.8.2018, S. 5).

bb. Bei der danach in Betracht kommenden Verwendung im militärisch geprägten Teil des Nationaldienstes drohen dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sowohl unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung als auch Folter (so auch VG Bremen, Urt. v. 13.12.2021 - 7 K 2745/20 -, juris Rn. 78 ff.; VG Berlin, Urt. v. 28.2.2019 - 28 K 392.18 A -, juris Rn. 46; VG Düsseldorf, Urt. v. 7.11.2019 - 6 K 1503/19.A -, juris Rn. 82 ff.VG Münster, Urt. v. 10.9.2019 - 11 K 5924/16.A -, juris Rn. 160 ff.; VG Hannover, Urt. v. 23.1.2018 - 3 A 6312/16 -, juris Rn. 74; UK Upper Tribunal, Urt. v. 7.10.2016 - UKUT 443 (IAC) - Rn. 427, 431: abrufbar unter: Tribunal decisions (www.tribunalsdecisions.service.gov.uk), das von einer Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 Abs. 2 EMRK ausgeht). Im militärischen Teil des Nationaldiensts werden unmenschliche und erniedrigende Behandlungen als Mittel der Bestrafung eingesetzt (dazu unter (1)). Auch Folter wird zur Bestrafung angewandt (dazu unter (2)). Die Haftbedingungen, denen Dienstleistende im Falle der Bestrafung in Gestalt von Inhaftierung ausgesetzt sind, sind für sich genommen als unmenschliche und erniedrigenden Behandlung bzw. Folter einzustufen (dazu unter (3)). Bestrafungen im vorstehend genannten Sinne drohen gewöhnlichen Dienstleistenden wie dem Kläger auch mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (dazu unter (4)).

(1) Es wird berichtet, dass Dienstleistende im militärischen Teil des Nationaldiensts oft unmenschlichen und erniedrigenden Strafen ausgesetzt seien (vgl. HRW, World Report 2023 - Eritrea, 12.1.2023, S 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 19.5.2021, S. 11; Romanian National Council for Refugees (CNRR), General Report, Human Rights Situation, Mai 2021, S. 9 f.). Sowohl während des Militärtrainings als auch sonst komme es regelmäßig zu Bestrafungen - oft in Anwesenheit anderer Dienstleistender -, die auf die Hinzufügung schwerer Schmerzen abzielen (vgl. HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 12 f., 16; HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 304). Schon in den frühen Jahren nach der Unabhängigkeit Eritreas seien Dienstleistende im Trainingscamp Sawa geschlagen und in der Sonne in sog. Helikopter-Positionen aufgehängt worden. Bis heute sollen solche Bestrafungen zur täglichen Routine in Sawa und anderen Militärlagern gehören (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 304). Bestrafungen für fehlende Disziplin - dazu zähle auch, wenn Übungen nicht richtig ausgeführt werden - seien häufig drakonisch. Berichten zufolge würden die Dienstpflichtigen geschlagen oder für Stunden oder Tage gefesselt (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40). Vermeintlicher oder tatsächlicher Widerspruch, Ungehorsam, Beschwerden, Meinungsäußerungen und ungenügende Leistungen während des Militärtrainings und selbst geringfügige Verfehlungen oder Kritik würden mit schweren Strafen und Misshandlungen geahndet (UK Home Office, Country Information and Guidance, Eritrea: National (incl. Military) Service, August 2016, S. 11 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 19.5.2021, S. 12), wie etwa dem Steinesammeln in glühender Hitze (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 407). Auch Demütigungen von Rekruten sollen zur täglichen Routine gehören (SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 30.6.2017, S. 15). Üblich sei es auch, dass Dienstleistende mit Überwachungsfunktion oder Ausbilder für das Verhalten der ihnen Unterstellten bestraft werden (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 306). Hinter der beschriebenen Bestrafungspraxis stehe das Ziel, eine starke Verteidigungsmacht und eine disziplinierte, hart arbeitende Generation zu erschaffen, sowie den "Mut und das Heldentum ehemaliger Kämpfer" zu bewahren (HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 12 f., 16; HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 304). Die beschriebenen Härten sollen aber auch daran liegen, dass die militärischen Kommandanten fast unbeschränkte Macht über ihre Untergebenen haben (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40).

Ohne Zweifel sind Demütigungen und Bestrafungen vor anderen Dienstleistenden, Fesselungen über Stunden oder Tage hinweg, das Hinzufügen schwerer Schmerzen und Schläge und andere Misshandlungen, wie das erzwungene Steinesammeln in glühender Hitze und das Aufhängen in der Sonne in sog. Helikopter-Positionen demütigend, erniedrigend, menschenverachtend oder herabsetzend bzw. geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen oder erhebliches körperliches oder seelisches Leiden zu bewirken und gehen erheblich über das unvermeidbar mit der berechtigten Behandlung fehlender Disziplin und Insubordination verbundene Maß hinaus. Erst Recht gilt dies für die entsprechende Behandlung von Widerspruch, Meinungsäußerungen, ungenügenden Leistungen während des Militärtrainings oder schlichtem Fragenstellen.

(2) Auch das Foltern von Rekruten sei ein weit verbreitetes Mittel der Bestrafung im militärischen Teil des Nationaldienst und soll zur täglichen Routine gehören, etwa bei ungenügenden Leistungen, Regelverstoß, Insubordination, unerlaubtem Entfernen oder Bewegen oder der Bitte um Beurlaubung oder Befreiung (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 305; EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 47; SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 30.6.2017, S. 15). Auch in den militärischen Strafanstalten sei Folter weit verbreitet (BS, Country Report Eritrea, 29.4.2020, S. 13). Die Folter ziele auf eine vollständige Unterwerfung der Dienstleistenden ab (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 281). Es wird berichtet, dass Folter bis heute Teil der täglichen Routine in Sawa und anderen Militärlagern sei (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 304) und für sehr wahrscheinlich erachtet, dass junge Rekruten, die während ihrer Ausbildung selbst gefoltert wurden, formell oder informell darin geschult werden, dieselben Praktiken anzuwenden, wenn sie als Ausbilder tätig sind (Lifos, Temarapport: Eritrea - fängelser och förvarsanläggningar, 12.9.2016, S. 45). Üblicherweise werde eine Kombination aus verschiedenen Methoden angewandt, um intensiven physischen und psychischen Schmerz bei den Opfern zu erreichen. Diese würden beispielsweise über lange Zeiträume in extremer Hitze wie eine Acht oder in sog. Helikopterposition mit den Händen und Füßen nach hinten festgebunden oder in winzigen Zellen in sensorischer und sozialer Isolation eingeschlossen. Zu den Foltermethoden zähle u.a. auch das Schlagen gefesselter Personen mit Peitschen, Kunststoffschläuchen und elektrischen Stöcken und das erzwungene Kopfüber in sehr kaltem Wasser (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 284).

(3) Dienstleistende im militärischen Teil des Nationaldiensts würden zudem aus unterschiedlichsten Gründen mit Inhaftierung bestraft, darunter wegen unbefugtem Bewegen, unbefugter Abwesenheit, Insubordination oder schlichtem Fragenstellen (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 239, 301).

Die dabei zu erwartenden Haftbedingungen erfüllen für sich genommen sowohl den Tatbestand der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung (a) als auch den Tatbestand der Folter (b).

(a) Die potentiell alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen treffenden Haftbedingungen erfüllen nach der vorliegenden Erkenntnismittellage den Tatbestand der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ("unmenschliche" bzw. "menschenrechtswidrige Haftbedingen" ebenfalls bejahend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.9.2022 - OVG 4 B 14/21 -, juris Rn. 36; OVG E-Stadt, Urt. v. 27.10.2021 - 4 Bf 106/20.A -, Rn. 63 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.7.2021 - A 13 S 1563/20 -, juris Rn. 57 u. v. 8.7.2021 - A 13 S 403/20 -, juris Rn. 45; VG Regensburg, Urt. v. 31.3.2021 - RN 2 K 19.30627 -, juris, ohne Rn).

Das eritreische Gefängnis-System wird als "konzentrischer Kreis" aus formellen und informelle Gefängnissen und Haftanstalten verschiedenster Art beschrieben, die sowohl in zivilen Strukturen geführt werden als auch durch den nationalen Geheimdienst, das Militär und den militärischen Geheimdienst (Mekonnen/ Palacios Arapiles, Expert Report: Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification, April 2021, S. 13 f.; Schwedische Einwanderungsbehörde (Migrationsverket), Temarapport: Eritrea - fängelser och förvarsanläggningar [Themenbericht Eritrea - Gefängnisse und Hafteinrichtungen], Summary, 12.9.2016, S. 4 ff.). Dienstleistende und Zivilisten werden gleichermaßen in zivil- als auch in militärisch geführten Haftanstalten untergebracht (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 239).

Die Haftbedingungen werden generell als prekär, unmenschlich und lebensbedrohlich beschrieben. Es wird übereinstimmend auf extreme Überbelegung, mangelnden Zugang zu Nahrung, Wasser und sanitären Einrichtungen, fehlende oder unzureichende medizinische Versorgung und Hygiene ("unspeakable hygienic conditions") hingewiesen. Die Zellen sind oft derart überfüllt, dass sich die Häftlinge nur abwechselnd oder gar nicht hinlegen können. In manchen Gefängnissen gibt es anstelle einer Toilette nur ein Loch im Boden oder einen Kübel. Hofgang wird nicht erlaubt. Der Zugang zu Tageslicht und Luft ist oft absichtlich auf das Minimum reduziert. Die Essensrationen sind klein und wenig nahrhaft, das Trinkwasser ist oft verschmutzt und der Zugang eingeschränkt. Da sich viele Haftanstalten in Wüstengegenden befinden, sind die Häftlinge zusätzlich extremer Hitze und Kälte ausgesetzt. Neben den offiziellen Hafteinrichtungen gibt es auch zahlreiche inoffizielle Gefängnisse. Einige Gefangene werden ohne Kontakt zur Außenwelt in Schiffscontainern, in denen es aufgrund des Klimas in Eritrea extrem heiß werden kann, unterirdischen Zellen, halb-unterirdischen Wassertanks und Wasserspeichern oder Schlachthöfen ohne Toiletten oder Betten festhalten. Aufgrund dieser Umstände kommt es in der Haft häufig zu Krankheiten und Epidemien, immer wieder auch zu Todesfällen einschließlich Hungertod (vgl. HRC, Situation of human rights in Eritrea, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, 6.5.2022, S. 9; HRC, Situation of human rights in Eritrea, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea (Advance Version), 6.5.2022, S. 238); US Department of State (USDOS), 2022 Country Report on Human Rights Practices: Eritrea, 20.3.2023, S. 3 f.; EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 45 ff.; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 47 ff.; AI, Auskunft an das VG Magdeburg, 2.8.2018, S. 5; Bertelsmann Stiftung (BS), Country Report Eritrea, 29.4.2020, S. 13; Lifos, Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (Lifos), Temarapport: Eritrea - fängelser och förvarsanläggningar, 12.9.2016, S. 6, 30 ff.). Schutzmaßnahmen sind für Inhaftierte nicht erreichbar. Viele Inhaftierungen werden bereits nicht offiziell dokumentiert, die Zustände in den Gefängnissen unterliegen außerdem keiner externen Überwachung und es existieren auch keine Beschwerdeverfahren (HRC, Situation of human rights in Eritrea, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea (Advance Version), 6.5.2022, S. 223 f., 226 f.). EASO betont, dass die Bedingungen auch in den Gefängnissen der Militäreinheiten prekär seien, sich auch hier Gefängnisse unterirdisch oder in Schiffscontainern befänden, häufig überfüllt und Hygiene, Medizin und Ernährung problematisch seien (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 41). Auch in den militärischen Strafanstalten sei Folter weit verbreitet (BS, Country Report Eritrea, 29.4.2020, S. 13).

Davon ausgehend besteht kein Zweifel daran, dass die Haftbedingungen sowohl demütigend, erniedrigend, menschenverachtend oder herabsetzend als auch geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen oder erhebliches körperliches oder seelisches Leiden zu bewirken.

(b) Zudem droht Inhaftierten in der Haft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (zur Folter in der Haft vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.7.2021 - A 13 S 1563/20 -, juris Rn. 57 u. v. 8.7.2021 - A 13 S 403/20 -, juris Rn. 45).

Folter droht nach der Rechtsprechung des Eufach0000000005s u.a. dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn sich aus der Quellenlage ergibt, dass Folter während der Haft "zur Tagesordnung" gehört. Denn wenn bestimmte Ereignisse derart häufig sind, dass sie sozusagen zur Tagesordnung gehören, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch im konkreten Fall eintreten, bei der gebotenen verständigen Würdigung beachtlich (BVerwG, Urt. v. 17.1.1989 - 9 C 62.87 -, juris Rn. 7).

Nach der vorliegenden Erkenntnismittellage ist davon auszugehen, dass Folter in eritreischen Gefängnissen "zur Tagesordnung" gehört (so auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.7.2021 - A 13 S 1563/20 -, juris Rn. 57).

Es wird übereinstimmend berichtet, dass Folter in den eritreischen Gefängnissen sowie in den Haftanstalten des Militärs weit verbreitet sei (EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 47; Bertelsmann Stiftung (BS), Country Report Eritrea, 29.4.2020, S. 13; US Department of State (USDOS), 2022 Country Report on Human Rights Practices: Eritrea, 20.3.2023, S. 3 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 19.5.2021, S. 11). Folter werde regelmäßig ("routinely") und systematisch ("systematically") angewandt (HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 6, 11; HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 235). Folter und andere Formen von Misshandlungen in zivilen und militärischen Gefängnissen werden als "alltäglich" und prägend für die Haftbedingungen beschrieben (AI, Anfragebeantwortung an das VG Schwerin, 15.8.2016, S. 4), es heißt, Folter werde umfangreich und methodisch angewandt (vgl. HRC, Detailed findings of the commission of inquiry on human rights in Eritrea, 8.6.2016, S. 26). Ehemalige Inhaftierte berichten von speziellen Folterräumen in den Gefängnissen (Republik.ch, Willkür, Folter, Zwangsarbeit: Wie schlimm ist es wirklich?, 10.4.2020, S. 7). Nach der Lage der Erkenntnismittel wird Folter zu unterschiedlichsten Zwecken eingesetzt und zwar nicht nur bei - aus Sicht des eritreischen Staats besonders bestrafungswürdiger - Regierungskritik und gegenüber religiösen Minderheiten, sondern auch zur Beschaffung von Informationen und Geständnissen und insbesondere auch als Mittel der Bestrafung der Häftlinge (EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 45 ff.; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 50; HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 12). So werden Häftlinge etwa wegen vermeintlicher Fluchtversuche, Infragestellung von Anweisungen, Bitten, Fragenstellen, Insubordination oder der Flucht anderer Gefangener gefoltert (EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 47; Republik.ch, Willkür, Folter, Zwangsarbeit: Wie schlimm ist es wirklich?, 10.4.2020, S. 6; HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 291). Vorgesetzte von Wachleuten und Vernehmungsbeamten scheinen Folter und Misshandlung zu tolerieren, zu fördern und sogar zu lehren (Lifos, Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (Lifos), Temarapport: Eritrea - fängelser och förvarsanläggningar, 12.9.2016, S. 45). Zu den Foltermethoden gehören unter anderem Fesselungen über Tage oder sogar Wochen hinweg an Händen und/oder Füßen mit Seilen und Handschellen, das Verharren in einem Lastwagenreifen oder in extremer Hitze, Waterboarding sowie erzwungenes Barfußgehen oder Rollen über scharfe Gegenstände oder heißen Wüstenboden, hinzu kommen meist Schläge (EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 47; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 50; AI, Anfragebeantwortung an das VG Schwerin, 15.8.2016, S. 5). Häftlinge werden zur Bestrafung oft mit dem Gesicht auf dem Boden liegend oder an einen Baum gefesselt und müssen dort für 24 bis 48 Stunden und manchmal noch länger verharren (USDOS, 2020 Country Report on Human Rights Practices: Eritrea, 30.3.2021, S. 3). Viele Todesfälle seien in diesen Haftbedingungen begründet (AI, Anfragebeantwortung an das VG Schwerin, 15.8.2016, S. 5). Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (United Nations Human Rights Council) entnimmt fast 300 Zeugenberichten aus dem Zeitraum zwischen 1991 und 2015, dass Folter besonders häufig in den Haftanstalten Barentu, Sawa, Adi Abeito, Tessenei, Assab, Wi'a, the 2nd Police Station/Karshele, Me'eter, Mai Serwa und Ala eingesetzt wird. Die Zeugenaussagen weisen darauf hin, dass gerade auch zwangsweise zurückgeführte Personen während ihrer Inhaftierung nach Ankunft in Eritrea der Folter unterzogen werden (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 300). Angesichts der übereinstimmenden Berichte über die weite Verbreitung von Folter in zivil- und militärisch geführten Haftanstalten, der weitgehenden Toleranz und Förderung von Folter und anderen Misshandlungen durch Vorgesetzte der Wachleute und Vernehmungsbeamten sowie des Umstands, dass unterschiedliche Quellen Folter als regelmäßig bzw. alltäglich angewandtes Mittel der Informationsgewinnung und Bestrafung in eritreischen Gefängnissen beschreiben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Inhaftierte in eritreischen Haftanstalten nur in Einzelfällen einer als Folter zu wertenden Behandlung unterzogen werden.

(4) Die Gefahr, alsbald nach Einberufung in den militärischen Teil des Nationaldiensts Bestrafungen im vorstehend genannten Sinne zu erleiden, erscheint auch bezogen auf gewöhnliche Dienstleistende ohne besondere gefahrerhöhende Merkmale wie den Kläger beachtlich wahrscheinlich.

Bei zusammenfassender Bewertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnislage geht der Senat aufgrund der über Bestrafungen, Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen von Dienstleistenden im militärischen Teil des eritreischen Nationaldiensts berichtenden Erkenntnisquellen davon aus, dass die vorstehend als unmenschlich und erniedrigend bzw. als Folter eingeordneten Bestrafungen im militärischen Teil des Nationaldiensts systematisch und routinemäßig angewandt werden und nicht nur vereinzelt vorkommen.

Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Human Rights Watch, EASO und der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichten übereinstimmend, dass die beschriebenen Strafen im militärischen Teil des Nationaldiensts "oft" (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 19.5.2021, S. 11; HRW, World Report 2023 - Eritrea, 12.1.2023, S. 2) bzw. "regelmäßig" (vgl. HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 12 f., 16; HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 304) vorkämen und "häufig" drakonisch ausfielen (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40). Folter wird als weit verbreiten in den militärischen Strafanstalten beschrieben (BS, Country Report Eritrea, 29.4.2020, S. 13). Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen stellt insoweit ausdrücklich klar, dass die vielen Dokumentationen von Folter im militärischen Teil des Nationaldiensts wiederkehrende Muster aufwiesen, die als eindeutiger Hinweis auf eine systematische und routinemäßige Folterpraxis zu verstehen seien (HRC, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 4.6.2015, S. 12 ff., 16).

Zwar wird andererseits auch berichtet, dass es keine Hinweise darauf gebe, in welchem Ausmaß und wie systematisch die beschriebenen Härten im militärischen Teil des Nationaldiensts vorkommen (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 41). Zudem teilt das Auswärtige Amt im Rahmen einer Anfragebeantwortung an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht aus dem Jahr 2018 mit, dass willkürliche Bestrafungen und auch körperliche Züchtigungen (lediglich) nicht auszuschließen seien und Folter, zumindest in einer systematischen Art und Weise, nicht stattfinde (AA, Anfragebeantwortung an das VG Schleswig, 27.7.2018, Gz. .508-516.80/50859, Frage 4).

Bei Gesamtwürdigung aller verwerteten Erkenntnismittel besitzen die für eine regelmäßige und routinemäßige unmenschliche und erniedrigende Bestrafungs- und Folterpraxis im militärischen Teil des Nationaldiensts sprechenden Berichte jedoch ein größeres Gewicht und überwiegen deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen. Dafür spricht zunächst, dass die Berichte, in denen von Regelmäßigkeit und Systematik in der Bestrafungs- und Folterpraxis gesprochen wird, quantitativ gegenüber den aufgezeigten anderslautenden Erkenntnissen überwiegen. In qualitativer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass sich die zitierte Auskunft des Auswärtigem Amts an das Verwaltungsgericht Schleswig vom 27. Juli 2018 (AA, Anfragebeantwortung an das VG Schleswig, 27.7.2018, Gz. .508-516.80/50859, Frage 4) in der einzeiligen Mitteilung erschöpft, dass Bestrafungen und auch körperliche Züchtigungen lediglich nicht auszuschließen seien und Folter jedenfalls nicht in einer systematischen Art und Weise stattfinde, jedoch keinerlei Erläuterung dazu enthält, wie das Auswärtige Amt zu seiner Erkenntnis gelangt ist. Dem steht etwa der fast 500 Seiten umfassende Bericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gegenüber, der seine Erkenntnisse aus der Auswertung von 550 mündlichen Zeugenaussagen und 160 schriftlichen Stellungnahmen gewonnen hat (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, unter "Summary"). Ins Gewicht fällt zudem, dass die Auffassung von EASO, wonach es keine Hinweise darauf gebe, in welchem Ausmaß und wie systematisch Härten im militärischen Teil des Nationaldiensts vorkämen (EASO, Eritrea, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 41), in Widerspruch zu der eigenen Erkenntnis steht, dass drakonische Bestrafungen "häufig" vorkämen (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40). Ferner ist zu berücksichtigen, dass in der Berichtslage jedenfalls weitgehend Übereinstimmung darin herrscht, dass Folter, Demütigungen, Inhaftierungen und Misshandlungen im vorstehen genannten Sinne schon bei geringfügigsten Regelverstößen eingesetzt werden, sowie regelmäßig auch bei alltäglichen Vorkommnissen, wie ungenügenden Leistungen während des Militärtrainings, Bitten um Beurlaubung oder Befreiung oder schlichtem Fragenstellen (UK Home Office, Country Information and Guidance, Eritrea: National (incl. Military) Service, August 2016, S. 11 f.; EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40; HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 239, 301). Damit verfestigt sich der Eindruck, dass drakonische Bestrafungen und Demütigungen im militärischen Teil des Nationaldiensts vor allem als Prinzip zur Schaffung eines allgemeinen Klimas der Angst zur Aufrechterhaltung der Disziplin, Kontrolle und "Mut und Heldentum" verstanden und angewandt werden (vgl. HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 306), d.h. als Teil eines totalitären Herrschaftsprinzip, dass bewusst und systematisch Angst und Schrecken produziert und in diesem Sinne auch zur Tagesordnung gehört. Hierfür sprechen nicht zuletzt auch die als sehr wahrscheinlich erachtete Annahme, dass Rekruten, die während ihrer Ausbildung selbst gefoltert wurden, formell oder informell darin geschult werden, dieselben Praktiken anzuwenden, wenn sie als Ausbilder tätig sind (Lifos, Temarapport: Eritrea - fängelser och förvarsanläggningar, 12.9.2016, S. 45), sowie der Umstand, dass Dienstleistende mit Überwachungsfunktion oder Ausbilder selbst für das Verhalten der ihnen Unterstellten bestraft werden (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 306). Denn die militärischen Kommandanten sollen fast unbeschränkte Macht über ihre Untergebenen haben (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 40). Anhaltspunkte dafür, dass die zahlreichen Berichte über das verbreitete Vorkommen von Folter, Inhaftierung und Misshandlung im militärischen Teil des Nationaldiensts überholt sein könnten, bestehen nicht. Auch aktuelle Erkenntnismittel verweisen darauf, dass Dienstleistende oft unmenschlichen und erniedrigende Bestrafungen, einschließlich Folter ausgesetzt seien (HRW, World Report 2023 - Eritrea, 12.1.2023, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, 19.5.2021, S. 11). Der UN-Sonderberichterstatter verweist auf anhaltende Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen im militärischen Teil des Nationaldiensts, einschließlich missbräuchlicher Bedingungen, schwerer Strafen und unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen (HRC, Situation of human rights in Eritrea, Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Eritrea, 6.5.2022, S. 5). Schließlich fällt ins Gewicht, dass mit Folter, Inhaftierung unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen, Fesselungen über Stunden oder Tage, Hinzufügen schwerer Schmerzen und Schläge und anderer Misshandlungen, wie das erzwungene Steinesammeln in glühender Hitze und das Aufhängen in der Sonne in sog. Helikopter-Positionen besonders schwere Eingriffe in Rede stehen.

c. Zudem begründet die dem Kläger im Falle der zwangsweisen Rückführung nach Eritrea drohende Inhaftierung für sich genommen die Annahme, dass er alsbald nach Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter bzw. unmenschlicher und erniedrigende Behandlung und Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ausgesetzt sein wird.

Die dabei zu erwartenden Haftbedingungen erfüllen nach der vorliegenden Erkenntnismittellage den Tatbestand der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Zudem ist davon auszugehen, dass eritreische Staatsangehörige bei einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea unmittelbar bei der Einreise in Haft genommen werden und Folter in eritreischen Gefängnissen "zur Tagesordnung" gehört. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen unter II. 2. b. bb. (3) (a), (b) verwiesen, die gleichermaßen für zivil- als auch militärisch geführten Haftanstalten gelten. Gerade in Bezug auf das unterirdische Gefängnis bei Tesseney, dem die meisten EASO bekannten Zurückgeführten unmittelbar nach ihrer Ankunft zugeführt wurden (EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, Herkunftsländer-Informationsbericht, September 2019, S. 69), wird von Folter (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 227) und Incommunicado-Haft (EASO, Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, S. 47), d.h Haft ohne Kontakt zur Außenwelt, berichtet. Diverse Zeugenberichte weisen zudem darauf hin, dass gerade zwangsweise zurückgeführte Personen während ihrer Inhaftierung nach Ankunft in Eritrea Folter unterzogen werden (HRC, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (Advance Version), 5.6.2015, S. 300).

3. Eine inländische Fluchtalternative für den Kläger scheidet angesichts des Umstands, dass die beschriebene Gefahr seiner Inhaftierung bereits unmittelbar nach Ankunft in Eritrea droht und eine Überführung in den militärischen Teil des Nationaldienst unmittelbar aus der Haft heraus erfolgen würde, aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO oder § 78 Abs. 8 AsylG liegen nicht vor.