Arbeitsgericht Braunschweig
Beschl. v. 13.07.2022, Az.: 3 BV 5/22

Anfechtung einer Beriebsratswahl; Ordnungsgemäße Verwahrung der Wahlrückläufer; Rechtzeitiger Versand der Briefwahlunterlagen

Bibliographie

Gericht
ArbG Braunschweig
Datum
13.07.2022
Aktenzeichen
3 BV 5/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59465
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die verspätete Versendung der Briefwahlunterlagen kann ebenso zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl führen wie die Aufbewahrung der Wahlrückläufer über eine längere Zeitspanne in offenen Boxen.

Tenor:

Die Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt vom 14.03.2022 bis zum 18.03.2022 wird für unwirksam erklärt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten mit dem am 11.04.2022 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingereichten Antrag über die Wirksamkeit der vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 durchgeführten Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt, deren Wahlergebnis mit Aushang vom 28.03.2022 bekanntgegeben wurde.

Die antragstellenden Beteiligten zu 1) bis 9) sind Mitarbeiter der Beteiligten zu 11). Sie kandidierten bei der streitgegenständlichen Betriebsratswahl für die Listen 2 „Wir für Euch“, die Liste 6 „Die Alternative“ und die Liste 7 „MIG 18“. Bei dem Beteiligten zu 10) handelt es sich um den 73-köpfigen im Betrieb der Beteiligten zu 11) gewählten Betriebsrat.

Ende 2021 und zu Beginn des Jahres 2022 befanden sich zahlreiche Mitarbeiter der Beteiligten zu 11) Corona bedingt im Homeoffice. Weitere Lieferengpässe aufgrund des Ukrainekrieges führten ab Februar 2022 zu verschiedenen Zeiten zur Einführung von Kurzarbeit Null für Arbeitnehmer im direkten Bereich.

Die Bekanntmachung des Wahlausschreibens per Aushang erfolgte am 11.11.2022. Mit Personaltelegramm vom 11.11.2022 teilte die Beteiligte zu 11) weiter mit: „Corona bedingt sind viele Beschäftigte überhaupt nicht oder nur zeitweise im Betrieb, z.B., weil sie mobil von zuhause arbeiten. Deshalb werden auf der Startseite des 360° U- Net zusätzliche Informationsseiten zu betrieblichen Wahlen an sechs Standorten der ‚Beteiligten zu 11)‘ eingerichtet. … Hier können sich Beschäftigte ergänzend über Bekanntmachungen zum Wahlverfahren ihres jeweiligen Standortes informieren. Bitte beachten Sie, dass die Aushänge im Betrieb weiterhin die verbindlichen Bekanntmachungen im Rahmen des Wahlverfahrens darstellen. … Soweit in mobiler Arbeit befindliche Beschäftigte aus Anlass des laufenden Wahlverfahrens ausnahmsweise den Betrieb oder den Wahlvorstand aufsuchen möchten, ist dies möglich. …“

Insgesamt waren 67.341 Arbeitnehmer zur streitgegenständlichen Wahl des Betriebsrats berechtigt. Auf Grundlage zweier Beschlüsse des neunköpfigen Wahlvorstandes wurden etwa 59.000 Briefwahlunterlagen versandt. 39.498 Mitarbeiter gaben ihre Stimme ab, davon etwa 35.000 Briefwähler.

Bereits im Herbst 2021 und bis in den Winter 2021 hatte es arbeitgeberseitige Anordnungen im Hinblick auf das mobile Arbeiten gegeben, die jeweils der pandemischen Lage angepasst waren.

Am 18.01.2022 fasste der neunköpfige Wahlvorstand, der vollzählig anwesend war, einstimmig den Beschluss zur Mobilen Arbeit: „Am 16.11.2021 hat die ‚Beteiligte zu 11) mittels Personaltelegramm die maximale Nutzung der mobilen Arbeit für alle Beschäftigten, die mobil arbeiten können und deren Anwesenheit im Betrieb nicht zwingend erforderlich ist (d.h., nicht business essential ist), vom 22.11.2021 bis auf Weiteres angeordnet. Am 14.01.2022 hat die Unternehmensleitung mittels Personaltelegramm die Fortdauer dieser Regelung bis mindestens zum 19.03.2022 bestätigt. Damit ist bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzusehen, dass sich die maximale Nutzung der mobilen Arbeit über die gesamten Wahltage erstreckt und auch Beschäftigte, die mobil arbeiten können und nicht business essential sind, voraussichtlich an den Wahltagen nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht im Betrieb anwesend sein werden. Da die zwingend erforderliche Anwesenheit im betrieb (sog. business essential) nicht personen-, sondern funktions- und aufgabenbezogen ist, kann i.d.R. nicht bereits frühzeitig festgestellt werden, welche Beschäftigten konkret an den Wahltagen ausnahmsweise im Betrieb anwesend sein werden, so dass diese nicht von vornherein namentlich benannt und aus der Gruppe der mobil arbeitenden Beschäftigten ausgenommen werden können. An sich ist zwar der persönlichen Stimmabgabe (Präsenzwahl) gegenüber der Briefwahl stets der Vorrang einzuräumen. Die Möglichkeit zur Teilnahme an der Wahl ist jedoch gegenüber dem Vorrang der persönlichen Stimmabgabe als das gewichtigere Rechtsgut anzusehen. Dieses Vorgehen wird auch durch die anliegenden Gutachten von Prof. T. (Anlage 2) und RA Dr. M. (Anlage 3) bestätigt und empfohlen. Daher schlägt Frau L vor, dass allen Beschäftigten, die grundsätzlich mobil arbeiten können, und dies auch bereits seit der Anweisung vom 16.11.2021 ganz oder teilweise getan haben, Briefwahlunterlagen ohne gesondertes Verlangen von Amts wegen zugesendet werden. Bei diesen Beschäftigten muss der Wahlvorstand davon ausgehen, dass sie auch in Zukunft voraussichtlich gar nicht oder nur ausnahmsweise im Betrieb anwesend sein werden. Weiterhin wird der Wahlvorstand beim Unternehmen eine Abfrage beauftragen, welche Beschäftigten nach aktuellem Stand ganz oder teilweise mobil arbeiten können und ob dem Unternehmen Beschäftigte aus diesem Kreis bekannt sind, bei denen bereits heute sicher feststeht, dass sei an den Wahltagen im Betrieb anwesend sein werden, da ihre Anwesenheit zwingend erforderlich ist (d.h. business essential). Dieser Vorgang wird bei jeder Aktualisierung der Wählerliste erneut angestoßen.“ Die Abfrage erfolgte im Nachgang über die jeweiligen Führungskräfte. Am 24.01.2022 forderte der Wahlvorstand die Führungskräfte auf, bis 28.01.2022, später verlängert bis 31.01.2022, alle Beschäftigten zu melden, für die eine Anwesenheit an den Wahltagen geplant war.

Im Zeitraum vom 07.02.2022 bis 11.02.2022 verpackten Wahlvorstand und Wahlhelfer die entsprechenden Briefwahlunterlagen. Am 14.02.2022 und 15.02.2022 veranlasste der Wahlvorstand deren Versendung.

Der Ukrainekrieg führte im Februar 2022 dazu, dass die Teileversorgung durch die in der Ukraine ansässigen Lieferanten stark eingeschränkt wurde. Bereits aufgrund der Corona Pandemie gab es Probleme bei der Teileversorgung. Beide Umstände führten dazu, dass am Standort A-Stadt mit Mitteilung der Beteiligten zu 11) vom 22.02.2022 sowie 01.03.2022 Kurzarbeit angeordnet und bekannt gemacht wurde. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Kurzarbeit nach den Vorschriften des SGB III lagen auch im Zeitraum der Betriebsratswahl vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 vor.

Am 25.02.2022, konkretisiert am 11.03.2022, traf der neunköpfige Wahlvorstand vollständig anwesend einstimmig den Beschluss über die Anordnung der Briefwahl für die in Kurzarbeit eingeteilten Mitarbeiter: „Frau L informiert, dass das Unternehmen erwägt, für die Produktion und angrenzende Bereiche, am Standort A-Stadt, Kurzarbeit anzumelden auch für die Woche der Betriebsratswahl. Die Vorsitzende A. L. schlägt deshalb nach Rücksprache mit dem Rechtswesen vor, im Falle von Kurzarbeit, dass alle Beschäftigte die dem Wahlvorstand durch Kostenstellen oder Abteilungskürzeln (OE) genannt werden, der Briefwahl zugeordnet werden. Das Unternehmen informierte mit der Bekanntmachung vom 01.03.2022, dass Teile der Produktion und angrenzende Bereiche auch während der Wahlwoche in Kurzarbeit gehen. Deshalb wurden alle Beschäftigten, die dem Wahlvorstand durch Kostenstellen oder Abteilungskürzeln (OE) genannt wurden, der Briefwahl zugeordnet.“

Wahlvorstand und 21 Wahlhelfer verpackten die Briefwahlunterlagen und versendeten sie sukzessive in der Zeit vom 02.03.2022 bis 07.03.2022. Für einige noch nachträglich für die Kurzarbeit benannten Mitarbeiter erfolgte die Versendung am 08.03.2022, für weitere nachgemeldete zirka 300 Mitarbeiter am 11.03.2022.

Wahlwerbung wurde in großem Stil im Betrieb der Beteiligten zu 11) auf einer Fläche von mehr als 6 km² betrieben. Die etwa 100 Eingangsbereiche, die Treppenhäuser und Zugänge waren mehrfach plakatiert. Im Verlauf der Wahl wurden in der Zeit vom 21.01.2022 bis 13.03.2022 viele Poster, Wahlplakate und Flyer der Listen 1, 2, 3 und 8 zerstört, überklebt und entfernt. Die Beteiligte zu 11) stockte die Zahl der durch den Werkschutz abgehaltenen Streifen nach der Meldung entsprechender Vorfälle sowohl in der Tages- als auch der Nachtzeit im gesamten Werk auf. Insbesondere am 15., 16. und 17.03.2022 setzte die Beteiligte zu 11) im Werkschutz gezielt Streifen im gesamten Werk zur Verhinderung weiterer Vorfälle ein.

Im Verlauf der digitalen Betriebsversammlung vom 16.02.2022 erhielt der Beteiligte zu 6) erst als 27. Redner die Gelegenheit, sich zu äußern. Entgegen der auf fünf Minuten festgelegten Redezeit wurde er durch den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden bereits nach drei Minuten und 45 Sekunden unterbrochen, während der Vertrauenskörperleiter sieben Minuten Redezeit erhielt.

Zahlreiche der insgesamt zurückgesandten etwa 35.000 Briefwahlunterlagen gingen in der zentralen Poststelle der Beteiligten zu 11) ein. Die Poststelle ist ein abgetrennter Bereich, zu dem nicht jeder zutrittsbefugt ist. Vor dem Betreten der Poststelle bedarf es einer gesonderten Anmeldung. Die Poststelle sortierte die Post für den Wahlvorstand aus, hierbei handelte es sich zum einen um die an den Wahlvorstand direkt adressierte Post als auch um die zurückgesandten Freiumschläge, und sammelte sie in offenen Kisten, ohne sie zu zählen oder zu registrieren. Die Kisten haben Maße von 26 cm x 46 cm x 14 cm und fassen etwa 300 Briefe. Bei Eingängen von 700 bis 3.000 Briefen täglich für den Wahlvorstand handelte es sich um drei bis zehn Kisten, die in der Poststelle zur Abholung durch den Wahlvorstand bereitstanden. In der Regel war ein Wahlvorstandsmitglied, das nicht Mitglied der Liste der I. M. ist, mit der Abholung der offenen Postboxen aus der Poststelle beauftragt. Er verbrachte sie in das Wahlvorstandsbüro.

Andere Freiumschläge wurden direkt in den Briefkasten vor dem Büro des Wahlvorstandes eingeworfen oder aber beim Werkschutz abgegeben.

Im Wahlvorstandsbüro gab es einen Raum, in dem ein Wahlvorstandsmitglied die zurückgesandten Freiumschläge registrierte. Angesichts der insgesamt etwa 35.000 zurückgesandten Freiumschläge nahm die Registrierung viel Zeit in Anspruch. Es bestand die Möglichkeit, diesen Raum abzuschließen, wenn das mit der Registrierung befasste Wahlvorstandsmitglied den Raum verließ.

Kurz vor Beendigung der täglichen Arbeitszeit verbrachten zwei Wahlvorstandsmitglieder die Kisten in zwei Schiebetheken in einem Raum im Büro des Wahlvorstandes. Die Griffe der Türen wurden im Anschluss mit einer Stahlkette und zwei verschiedenen Vorhängeschlössern gesichert, wobei die beiden Schlüssel an die unterschiedlichen vertretenen Gewerkschaftsmitglieder im Wahlvorstand aufgeteilt wurden.

Die Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte mit Aushang vom 28.03.2022. Die meisten Stimmen akquirierte die Liste 4 der I. M. mit 33.642 Stimmen, dies entspricht 85,5 % und 66 Sitzen.

Die Beteiligten zu 1) bis 9) tragen vor, die Anordnung von Briefwahl für alle Beschäftigten im Homeoffice sei rechtswidrig. Das mobile Arbeiten während der Corona Pandemie sei im Betrieb der Beteiligten zu 11) flexibel ausgestaltet. Der Wahlvorstand habe eine Einzelfallprüfung vornehmen müssen: Nur, wenn konkret absehbar sei, welche Mitarbeiter sich zum Zeitpunkt der Wahl tatsächlich im Homeoffice befinden, sei die Anordnung von Briefwahl gesetzeskonform möglich gewesen. Zudem sei die Übersendung der Briefwahlunterlagen teilweise verspätet erfolgt und den Mitarbeitern erst am 15.03.2022 zugegangen, teilweise haben Arbeitnehmer die Unterlagen gar nicht erhalten. Für etwa 700 Wahlberechtigte, insbesondere Langzeiterkrankte, fehlen die Wahlunterlagen ganz oder seien unvollständig versandt worden.

Auch die Anordnung der Briefwahl für alle Mitarbeiter, für die Kurzarbeit angeordnet worden ist, sei unzulässig. Auch diesbezüglich habe es einer Einzelfallprüfung des Wahlvorstandes bedurft, welche Mitarbeiter sich am Wahltag tatsächlich in Kurzarbeit Null befinden.

Der Wahlvorstand habe den Briefkasten vor seinem Büro nicht regelmäßig geleert. Briefwahlunterlagen seien herausgequollen und haben entwendet werden können.

Die Freiumschläge seien auch mit einer handelsüblichen Taschenlampe durchleuchtbar gewesen. Angesichts der Anordnung der Listen auf dem Stimmzettel sei so erkennbar gewesen, ob bei den Listen 2, 3, 6 oder 7 ein Kreuz gemacht worden sei.

Die Liste der I. M. habe das Intranet der Beteiligten zu 11) bevorzugt über eine eigene Homepage für Wahlwerbung nutzen können.

Auch die für den Beteiligten zu 6) nur verkürzt gewährte Redezeit während der digitalen Betriebsversammlung stelle einen Verstoß gegen die Gleichheit im Wahlkampf dar.

Die Beteiligten zu 1) bis 9) beantragen,

die Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt vom 14.03.2022 bis zum 18.03.2022 wird für unwirksam erklärt.

Die Beteiligten zu 10) und 11) beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 10) trägt vor, es sei zu keiner Zeit eine generelle Briefwahl angeordnet worden. Stets sei der Vorrang der Urnenwahl gewahrt worden. Der Wahlvorstand habe die Mitarbeiter, an die Briefwahlunterlagen gesandt wurden, per Mail auf die Möglichkeit der Urnenwahl hingewiesen.

Die zentrale Poststelle der Beteiligten zu 11) habe den Wahlvorstand informiert, sobald die dort eingegangenen Sendungen fertig sortiert worden seien. Sodann habe das betreffenden Wahlvorstandsmitglied zwischen 09.00 Uhr und 11.00 Uhr die aussortierte Post an den Wahlvorstand nebst Freiumschlägen in den offenen Postboxen dort abgeholt.

Durch das Überkleben, Zerstören und Entfernen von Wahlwerbemitteln sei es zu keiner Wahlbeeinflussung gekommen. In Relation zu dem Umfang der georderten Werbemittel sei ein nur kleiner Teil von diesen unlauteren Eingriffen betroffen gewesen. Außerdem können die Vorfälle weder der Beteiligten zu 11) noch dem Beteiligten zu 10) angelastet werden.

Allen Listen sei mit der Information vom 22.02.2022 die gleiche Möglichkeit zur Wahlwerbung im Intranet der Arbeitgeberin eingeräumt worden.

Die Beteiligten zu 1) bis 9) haben mit dem Schriftsatz vom 12.07.2022 weiter vorgetragen, dass die Wahlberechtigten nicht ausreichend auf den Vorrang der Urnenwahl verwiesen worden seien, dass der Wahlvorstand nicht ausreichend substantiiert zur Leerung des Briefkastens vor dem Wahlvorstandsbüro vorgetragen habe, dass die Anordnung der Briefwahl für die Mitarbeiter, für die mobile Arbeit und Kurzarbeit angeordnet war, trotz weiterer Erläuterungen der Beteiligten zu 10) und 11) rechtswidrig sei. Auch ihre weiteren Rügen den Postlauf der Briefwahlunterlagen, die Zerstörung der Wahlplakate und die bevorzugte Nutzung des Intranets durch die Liste der I. M. betreffend haben sie mit dem Schriftsatz vom 12.07.2022 aufrechterhalten. Die Beteiligten zu 10) und 11) haben im Hinblick auf diesen Schriftsatz Schriftsatznachlass beantragt.

II.

Dem zulässigen Antrag ist stattzugeben und die Betriebsratswahl im U-Stammwerk in A-Stadt vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 für unwirksam zu erklären.

1)

Da die Betriebsratswahl im U-Stammwerk bereits ohne die mit Schriftsatz vom 12.07.2022 vorgebrachten Erwägungen für unwirksam zu erklären war, hat die Kammer diesen Schriftsatz der Beteiligten zu 1) bis 9) nicht in die Entscheidungsfindung einfließen lassen Dem Antrag auf Schriftsatznachlass des Beteiligten zu 10) und der Beteiligten zu 11) war folglich nicht nachzugehen.

2)

Die Anfechtung der Beteiligten zu 1) bis 9) ist form- und fristgerecht erfolgt.

a)

Nach § 19 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer die Betriebsratswahl anfechten. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen (BAG, 20.10.2021, 7 ABR 36/20).

b)

Die antragstellenden Beteiligten zu 1) bis 9) waren zum Zeitpunkt der Wahl wahlberechtige Arbeitnehmer des Wahlbetriebs und sind daher nach § 19 II 1 1. Alt. BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt.

Der Wahlanfechtungsantrag ist am 11.04.2022 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen nach der am 28.03.2022 erfolgten Bekanntmachung des Wahlergebnisses beim hiesigen Arbeitsgericht eingegangen.

3)

Die durchgeführte Wahl ist anfechtbar. Nach § 19 I BetrVG kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte (BAG, 13.10.2004, 7 ABR 5/04).

Anfechtbar ist die Wahl aus folgenden Gründen:

a)

Der Wahlvorstand hat gegen die Bestimmung des § 24 II WOBetrVG verstoßen, indem die Briefwahlunterlagen im Sinn des § 24 I BetrVG für die der mobilen Arbeit unterliegenden Beschäftigten erst am 14.02.2022 und 15.02.2022 und für die sich in Kurzarbeit Null befindenden Mitarbeiter erst vom 02.03.2022 bis 08.03.2022 und nachgeschoben am 11.03.2022 versandt wurden, wobei die Wahl selbst dann vom 14.03.2022 bis 18.03.2022 stattgefunden hat.

aa)

Die Übersendung der Briefwahlunterlagen erfolgte im Sinne des § 24 II WOBetrVG in wahlverfahrensverletzender Art und Weise zu spät, sowohl an die mobil Tätigen als auch die Beschäftigten in Kurzarbeit Null.

aaa)

Zwar sieht § 24 II WOBetrVG selbst keinen Zeitrahmen oder keine Frist für die Übersendung von Briefwahlunterlagen vorsieht vor.

Aber die Kammer schließt sich hierbei folgenden Ansichten an:

Sofern dem wahlberechtigten Arbeitnehmer durch Zugänglichmachung des Wahlausschreibens durch Aushang während der normalen Arbeitszeit die grundlegende Kenntnisnahme vom Wahlverfahren ermöglicht worden ist und somit lediglich eine Verhinderung am Wahltage selber zu besorgen ist, müssen die Wahlunterlagen - als durch die Nennung der Vorschlagslisten als zu übersendende Unterlagen in § 24 I Nr. 2 WOBetrVG - spätestens eine Woche vor Stimmabgabe beim Wähler eingetroffen sein (§ 10 II WOBetrVG; LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18 m.w.N.).

Sofern der Ort des Aushangs des Wahlausschreibens während der normalen Arbeitszeiten für Mitarbeiter wegen der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht zugänglich war, sind die Grundgedanken des § 3 WOBetrVG zu berücksichtigen. Hierbei geht es um die Zugänglichkeit des Wahlausschreibens als grundlegende Regel für eine demokratische Wahl auf. Für den Kreis der Beschäftigten, für den eine Abwesenheit vom Ort des Aushangs des Wahlausschreibens während des Wahlverfahrens insgesamt voraussichtlich anzunehmen ist, muss der Wahlvorstand dafür Sorge tragen, dass sie so rechtzeitig Kenntnis vom Wahlausschreiben erlangen, dass sie sowohl aktiv als auch passiv in das Wahlgeschehen eingreifen können (LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18; LAG Hamburg, 28.03.2007, 5 TaBV 2/07; LAG Baden-Württemberg, 29.11.1990, 4 TaBV 2/90). Der Hinweis in einem Wahlausschreiben auf die Möglichkeit zur Kandidatur, also zur Erstellung von eigenen Wahlvorschlägen, ist von elementarer Bedeutung für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts (BAG, 05.05.2004, 7 ABR 44/03 m.w.N.).

bbb)

Mitarbeiter, für die mobiles Arbeiten angeordnet war, erhielten die Briefwahlunterlagen, die am 14.02.2022 und 15.02.2022 versandt wurden, und Mitarbeiter in Kurzarbeit Null, deren Unterlagen vom 02.03.2022 bis 08.03.2022 und nachgeschoben am 11.03.2022 versandt wurden, hiernach zu spät.

(1)

Die Mitarbeiter, die mobil von zuhause aus tätig waren, waren zumindest teilweise während des gesamten Wahlverfahrens abwesend vom Ort des Aushangs des Wahlausschreibens.

Der Wahlvorstand selbst hat in seinem Beschluss vom 18.01.2022 über die Anordnung von Briefwahl für Beschäftigte, die mobil arbeiten können und nicht business essential sind, festgehalten, dass die Arbeitgeberin bereits am 16.11.2022 die maximale Nutzung der mobilen Arbeit für alle Beschäftigten, die mobil arbeiten können und deren Anwesenheit im Betrieb nicht zwingend erforderlich ist, angeordnet hat. Diese Anordnung ist sodann mit Personaltelegramm vom 14.01.202 bis mindestens 19.03.2022 verlängert worden. Bei einem Aushang des Wahlausschreibens am 11.11.2022 waren somit zumindest eine Vielzahl der mobil Tätigen nach den vom Wahlvorstand zugrunde gelegten Entscheidungen der Arbeitgeberin bereits ab fünf Tagen seit Aushang und sodann für das gesamte Wahlverfahren abwesend vom Ort des Wahlausschreibens.

Es ist weiter davon auszugehen, dass sich auch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens am 11.11.2022 eine große Anzahl der mobil Arbeitenden im Homeoffice befand. Denn während des gesamten Herbst 2021 und Winter 2021 gab es bereits unternehmerseitige Vorgaben im Hinblick auf das mobile Arbeiten, die der jeweiligen pandemischen Lage angepasst waren. Die Arbeitgeberin teilte mit Personaltelegramm vom 11.11.2022 bereits selbst mit, dass sich viele Beschäftigte Corona bedingt überhaupt nicht oder nur zeitweise im Betrieb aufhalten, z.B., weil sie mobil von zuhause arbeiten. Die Arbeitgeberseite geht weiter davon aus, dass eine nicht unerhebliche Anzahl an mobil Beschäftigten auch während des gesamten Wahlverfahrens dem Betrieb abwesend ist. Andernfalls ist die Mitteilung in dem besagten Personaltelegramm vom 11.11.2022 sinnbefreit, dass „soweit in mobiler Arbeit befindliche Beschäftigte aus Anlass des laufenden Wahlverfahrens ausnahmsweise den Betrieb oder den Wahlvorstand aufsuchen möchten“, dies möglich ist.

Die Zusendung der Briefwahlunterlagen an die Mitarbeiter, für die mobiles Arbeiten angeordnet war, erfolgte nach all dem zu spät, nämlich zu einem Zeitpunkt, als es den mobil Arbeitenden nicht mehr möglich war, selbst Entscheidungen zur Ausübung des passiven Wahlrechts treffen zu können. Denn mit Zusendung unter dem 14.02.2022 und 15.02.2022, also mehr als drei Monate nach Aushang des Wahlausschreibens am 11.11.2022, waren die Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen bei weitem zweifelsohne abgelaufen. Damit aber wurde die grundlegende Möglichkeit der aktiven Teilnahme an der Betriebsratswahl nach demokratischen Prinzipien nicht mehr möglich.

Unerheblich ist, dass ergänzend zu den Aushängen auf der Startseite des 360° U- Net zusätzliche Informationsseiten zu betrieblichen Wahlen eingerichtet wurden. Denn maßgeblich sind allein die Aushänge des Wahlausschreibens. Davon geht auch die Arbeitgeberin aus, wenn sie mit ihrem Personaltelegramm vom 11.11.2022 darauf verweist, dass die Aushänge im Betrieb weiterhin die verbindlichen Bekanntmachungen im Rahmen des Wahlverfahrens darstellen. Das ergibt sich weiter aus der gesetzlichen Vorschrift, die nur „ergänzend“ zum Aushang eine Bekanntmachung des Wahlausschreibens mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik zulässt (§ 3 IV 2 WOBetrVG). Eine Ausnahme, beispielsweise durch postalische Zusendung des Wahlausschreibens gibt es nicht. Eine solche ist auch schon deshalb nicht sinnvoll, weil in diesem Falle praktisch kaum zu klären wäre, mit welchem Tage (Zugang beim letzten Wahlberechtigten) die Wahl überhaupt eingeleitet wäre. Mit Erlass des Wahlausschreibens nämlich wird die Betriebsratswahl eingeleitet (§ 3 I 2 WOBetrVG). Das Wahlausschreiben ist erlassen, sobald es der Wahlvorstand durch Aushang im Betrieb bekannt gemacht hat (LAG B-Stadt, 11.04.2003, 4 (13) TaBV 63/02).

(2)

Die Mitarbeiter, für die Kurzarbeit Null galt, haben die Briefwahlunterlagen ebenfalls zu spät erhalten. Unter Berücksichtigung der vorgegebenen Brieflaufzeit bei der Deutschen Post AG von „Einwurftag + 1“ haben die am 07.03.2022 und 08.03.2022 sowie 11.03.2022 versandten Unterlagen die betreffenden Arbeitnehmer nicht mehr eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe am 14.03.2022 erreicht.

bb)

Der Verstoß gegen die Rechtzeitigkeit der Übersendung der Wahlunterlagen bleibt auch nicht im Sinne des § 19 I letzter Halbsatz BetrVG ohne Bedeutung. Nach dieser Norm berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise die Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zum selben Wahlergebnis geführt hätte. Nur wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre, bleibt der Verfahrensverstoß ohne Bedeutung; ansonsten bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (BAG, 28.04.2021, 7 ABR 10/20; BAG, 25.10.2017, 7 ABR 2/16; LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18).

Eine solche konkrete Feststellung eines identischen Wahlergebnisses kann vorliegend nicht getroffen werden.

Es kann bereits nicht ausgeschlossen werden, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern, die durchgängig während des Wahlverfahrens zu Hause arbeiteten, bei rechtzeitiger Zusendung des Wahlausschreibens von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern, für die während der Wahltage Kurzarbeit Null angeordnet war, bei rechtzeitiger Zusendung der Wahlunterlagen von ihrem aktiven Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten.

Zudem ist die Wahlbeteiligung zu betrachten. Von insgesamt 67.341 wahlberechtigten Arbeitnehmern haben insgesamt 39.498 an der Wahl teilgenommen. Dabei sind etwa 59.000 Briefwahlunterlagen versendet worden, etwa 35.000 Freiumschläge kamen zurück. Hätten alle Mitarbeiter, die sich auf Anweisung in mobiler Arbeit oder in Kurzarbeit Null befanden, im oben genannten Sinne rechtzeitig die Wahlunterlagen erhalten, so kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass es ein größeres Interesse an der Betriebsratswahl mit der Folge einer deutlich höheren Wahlbeteiligung gegeben hätte, was sich - selbstverständlich - auch auf das Wahlergebnis hätte auswirken können.

b)

Ein weiterer, die Anfechtbarkeit der Wahl begründender Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren liegt im Umgang des Wahlvorstandes mit den sog. Wahlrückläufern, d.h. in der Art und Weise der Verwahrung der von den Briefwählern zurückgesandten Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe.

aa)

Nach der Ausgestaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Wahlverfahrens durch das BetrVG und die WO 2001 ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass sowohl der Wahlvorstand insgesamt als auch seine einzelnen Mitglieder im Hinblick auf die Durchführung des Wahlverfahrens als zuverlässig und vertrauenswürdig anzusehen sind. Ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt je möglich ist, muss der Wahlvorstand deshalb das Wahlverfahren über die konkreten Vorgaben der Wahlordnung (z.B. des § 12 WO 2001) hinaus in seinem praktischen Ablauf nicht so ausgestalten, dass es gegen jedwede theoretisch denkbare Manipulation der das Wahlverfahren betreffenden Unterlagen durch sich selbst oder eines seiner Mitglieder abgesichert ist. Das gilt auch dann, wenn dem Wahlvorstand Wahlkandidaten angehören. Die Tatsache, dass ein Mitglied des Wahlvorstands zugleich Wahlkandidat ist, rechtfertigt nicht den generellen Verdacht, es könnte die Wahl manipulieren. Allerdings zählt es auch zu den grundlegenden Anforderungen einer demokratischen Wahl und deshalb zum Wesensgehalt der Vorschriften über das Wahlverfahren, dass der Wahlvorstand solchen Gefahren der Einflussnahme auf das Wahlverhalten und das Wahlergebnis, die gemessen an der allgemeinen Lebenserfahrung und den konkreten Umständen des Einzelfalles nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, mit wirksamen Mitteln begegnet. Andernfalls erweist sich eine Betriebsratswahl allein wegen des Bestehens der Möglichkeit der Wahlmanipulation als anfechtbar, ohne dass es darauf ankäme, ob ein konkreter Verdacht gegen eine bestimmte Person festgestellt werden kann (LAG Düsseldorf, 16.09.2011, 10 TaBV 33/11; LAG Hamm, 01.06.2007, 13 TaBV 86/06; LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.1998, 5 TaBV 18/98).

Dabei kann es auf die Frage, welchen konkreten Gefahren mit welchen Mitteln zu begegnen ist, keine allgemeingültige Antwort geben. Diese Frage ist vielmehr vom Wahlvorstand nach sorgsamer Analyse der jeweiligen Wahlgegebenheiten in pflichtgemäßer Ausübung des ihm gegebenen Beurteilungs- und Ermessensspielraums nach Lage der Dinge zu beantworten (LAG Düsseldorf, 16.09.2011, 10 TaBV 33/11).

aaa)

Es ist allerdings anerkannt, dass der Wahlvorstand die zurückgesandten Freiumschläge ungeöffnet bis zum Wahltag unter Verschluss zu nehmen hat, damit eine Veränderung oder Entwendung der Freiumschläge ausgeschlossen ist. In Betracht kommt z.B. eine versiegelte Wahlurne. Eine Aufbewahrung in der verschlossenen Schublade oder einem verschlossenen Schrank des Wahlvorstandsbüros genügt regelmäßig nicht (Hess. LAG, 29.10.2020, 16 TaBV 150/19 m.w.N.).

bbb)

Der Wahlvorstand muss sich vorwerfen lassen, in der gegebenen Situation angezeigte Maßnahmen nicht ergriffen und adäquate Vorkehrungen zur Meidung nicht ganz unwahrscheinlich erscheinender Manipulationsgefahren nicht getroffen zu haben.

Es kann anhand des vom Wahlvorstand vorgetragenen Prozederes nicht ansatzweise festgestellt werden, ob zum Zeitpunkt der Stimmenauszählung noch alle eingegangenen Briefwahlrückläufer vorhanden waren, die in offenen Postboxen transportiert und tagsüber unverschlossen in einem zum Büro des Wahlvorstands gehörigen Raum aufbewahrt wurden, um registriert zu werden.

Den Anforderungen genügte der Wahlvorstand bereits deswegen nicht, weil ein Wahlvorstandsmitglied allein die offenen drei bis zehn Postboxen täglich von der Poststelle in das Wahlvorstandsbüro verbrachte. Hierdurch war nicht ausgeschlossen, dass er in einem unbeobachteten Moment auf seinem Weg Freiumschläge aus den offenen Postboxen entfernte.

Den Anforderungen wurde der Wahlvorstand auch deswegen nicht gerecht, als die unverschlossenen Boxen während des gesamten Tages in einem Raum des Wahlvorstandbüros untergebracht waren, um registriert zu werden. Zwar war dieser Raum gesondert abschließbar, aber auch der Beteiligte zu 10) trägt nicht vor, dass der Raum stets und ausnahmslos auch verschlossen worden ist, wenn das mit der Registrierung betraute Wahlvorstandsmitglied diesen Raum im Lauf des Tages verließ. Hierdurch war wiederum nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder des Wahlvorstands oder Besucher des Wahlvorstands in einem unbeobachteten Moment Freiumschläge aus den offenen Postboxen entfernten.

Den Anforderungen wurde der Wahlvorstand weiter unter dem Aspekt nicht gerecht, als ein Wahlvorstandsmitglied allein mit der Registrierung betraut war und sich den ganzen Tag allein in dem zu dem Wahlvorstandsbüro gehörigen Raum mit den Freiumschlägen befand.

Diese Möglichkeit bot sich zudem in allen Konstellationen zu einem Zeitpunkt, als die Freiumschläge weder gezählt geschweige denn registriert waren, so dass ein Abhandenkommen von Umschlägen nicht einmal aufgefallen wäre. Das heißt dem Wahlvorstand ist auch vorzuwerfen, dass mit der erst im auch zugänglichen Raum des Wahlvorstandsbüros durch nur ein Wahlvorstandsmitglied vorgenommenen Registrierung der eingehenden Freiumschläge durch einen Abgleich mit der am Tag der Stimmauszählung erfolgten Registrierung der Briefwähler in der Wählerliste nicht ansatzweise festgestellt werden konnte, ob sämtliche ursprünglich beim Wahlvorstand eingegangenen Freiumschläge zum Zeitpunkt der Stimmauszählung noch vorhanden waren. Weder sind die Freiumschläge unmittelbar nach ihrem Eingang beim Wahlvorstand manipulationssicher registriert worden. Noch trägt der Wahlvorstand vor, dass seiner Registrierung sicher zu entnehmen ist, wann die jeweiligen Briefwahlrückläufer beim Wahlvorstand eingegangen sind und wer, wann den Eingang der einzelnen Umschläge registriert hat (vgl.: Hess. LAG, 29.10.2020, 16 TaBV 150/19).

bb)

Auch dieser Verstoß konnte das Wahlergebnis beeinflussen.

Nach § 19 I letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (BAG, 28.04.2021, 7 ABR 10/20; BAG, 25.10.2017, 7 ABR 2/16; LAG Hamm, 12.03.2019, 7 TaBV 49/18).

Eine solche konkrete Feststellung eines identischen Wahlergebnisses kann vorliegend nicht getroffen werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis anders ausgefallen wäre, wenn die Briefwahlrückläufer vom Wahlvorstand nicht in offenen Postboxen von der Poststelle zum Wahlvorstandsbüro transportiert und in einem zum Wahlvorstandsbüro gehörigen Raum zum Zwecke der Registrierung tagsüber offen aufbewahrt, sondern unter Verschluss genommen worden wären. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Freiumschläge weggekommen sind. Wären die Briefwahlrückläufer sogleich nach ihrem Eingang vom Wahlvorstand sicher verwahrt worden, z.B. in einer versiegelten Wahlurne, zumindest bis zur ihrer Registrierung in verschlossenen Postboxen unter Wahrung des Vieraugenprinzips, hätte dies verhindert werden können.

c)

Auf die weiteren, von den Beteiligten zu 1) bis 9) geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe kam es demnach nicht an, weshalb es einer Entscheidung des Gerichts zur Rechtmäßigkeit der Anordnung von Kurzarbeit für alle Mitarbeiter in mobiler Arbeit mit Ausnahme der business essentials und für alle Beschäftigten in Kurzarbeit Null ebenso wenig bedurfte wie einer Überprüfung, ob die Freiumschläge durchleuchtbar waren und dem Grundsatz der geheimen Wahl Genüge getan war.

Ebenso wenig bedurfte es einer Entscheidung des Gerichts, ob die Liste der I.M. das haus-eigene Intranet bevorzugt für Wahlwerbung hat nutzen können und die Beteiligte zu 11) so gegen das Gebot der Chancengleichheit verstoßen hat. Auch konnte offengelassen werden, ob durch das Überkleben, Zerstören und Entfernen von Wahlwerbemitteln der Listen 1, 2, 6, und 8 eine Wahlbeeinflussung oder Wahlbehinderung vorlag und die Verkürzung der Redezeit des Beteiligten zu 6) während der digitalen Betriebsversammlung zur Anfechtung der Wahl berechtigte.