Sozialgericht Stade
Urt. v. 22.01.2015, Az.: S 33 SO 31/14

Anspruch einer Sozialhilfeempfängerin auf Übernahme der Bestattungskosten ihres Ehemanns

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
22.01.2015
Aktenzeichen
S 33 SO 31/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 10885
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:0122.S33SO31.14.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Anspruch aus § 74 SGB XII auf Übernahme der Bestattungskosten kann im Einzelfall auch dann nicht verwirkt sein, wenn er erst mehr als 13 Monate nach Anfall der Bestattungskosten beantragt wird.

  2. 2.

    Regelmäßig bestehen Zweifel an der Unzumutbarkeit der Kostentragung i.S.d. § 74 SGB XII, wenn die Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt wird. Als angemessener Zeitrahmen ist ein Zeitraum von ein bis zwei Monaten nach dem Todesfall anzusehen. Ausnahmsweise ist eine abweichende Beurteilung zulässig unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt.

  3. 3.

    Ein solcher atypischer Sachverhalt liegt vor, wenn die als Betreuerin eingesetzten Tochter der Erbin sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Angelegenheiten ihrer Mutter gekümmert und eine rechtzeitige Antragstellung schlicht und einfach vergessen hat.

  4. 4.

    Nicht zu übernehmen im Wege des § 74 SGB XII sind Mahnkosten sowie die Kosten des Zivilrechtsstreits über die Beitreibung der Bestattungskosten durch das Bestattungsunternehmen. Denn die Kosten wären ohne weiteres vermeidbar gewesen. Die zivilrechtliche Zahlungspflicht gegenüber dem Bestattungsunternehmen ist unstreitig. Durch die frühzeitige Anerkennung der Forderung z.B. in Form eines notariellen Schuldanerkenntnisses hätten die weiteren Schritte des Bestattungsunternehmens vermieden werden können. Zwar ist auch insoweit anzunehmen, dass nicht die Klägerin selbst die Handelnde war, sondern die Tochter als ihre Betreuerin. Es erscheint jedoch nicht gerechtfertigt, diese vermeidbaren Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen.

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2014 verurteilt, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.293,96 EUR als Leistung gemäß § 74 SGB XII auszuzahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme von Bestattungskosten auf Grundlage von § 74 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die Klägerin, geboren im August 1933, lebt in H. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten in einem Wohn- und Pflegezentrum und bezieht von diesem laufend Hilfe zur Pflege nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und eine Alters- und eine Witwenrente. Am 22. August 2012 verstarb ihr Ehemann. Ausweislich der an die Klägerin adressierten Rechnungen des beauftragten Bestattungsunternehmens I. fielen für die Beerdigung Kosten in Höhe von 2.293,96 EUR an. Aus einem Vermerk im Verwaltungsvorgang des Beklagten geht hervor, dass sich am 10. September 2012 die Tochter und Betreuerin der Klägerin beim Beklagten meldete und sich bezüglich einer eventuellen Übernahme der Bestattungskosten erkundigte. Ein förmlicher Antrag wurde in der Folgezeit nach Aktenlage jedoch nicht gestellt.

Die Rechnung des Bestattungsunternehmens wurde nicht beglichen, so dass das Unternehmen die Klägerin mit Schreiben vom 03. Juli 2013 anmahnte und eine Frist bis zum 14. Juli 2013 setzte. Da diese erfolglos blieb, erwirkte das Bestattungsunternehmen einen Mahnbescheid und erhob, nachdem die Klägerin gegen diesen Widerspruch einlegte, schließlich mit Schriftsatz vom 02. Juli 2014 Klage zum Amtsgericht J., die dort unter dem Aktenzeichen K. geführt wird. Dem Gericht ist nicht bekannt, ob dieses zivilgerichtliche Verfahren mittlerweile abgeschlossen ist.

Am 01. Oktober 2013 meldete sich die Tochter der Klägerin beim Beklagten und fragte nach dem Stand der Bearbeitung ihres Antrags. Nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass ein Antrag nicht vorliege, stellte die Klägerin am 14. November 2013 auf dem vorgesehenen Formblatt einen Antrag auf Übernahme der Kosten der Bestattung ihres Ehemannes im August 2012. Mit dem hier klagegegenständlichen Bescheid vom 20. November 2013 lehnte der Beklagte eine Übernahme mit der Begründung ab, der Antrag sei zu spät gestellt worden und der Anspruch aus § 74 SGB XII verwirkt. Bei verspäteter Antragstellung könne nach der Rechtsprechung regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Kostentragung doch zumutbar sei. Nachdem der Beklagte den am 19. Dezember 2013 eingelegten Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2014 als unbegründet zurückgewiesen hatte, hat die Klägerin am 14. März 2014 Klage erhoben.

Sie trägt vor, ihre Tochter habe einen Antrag schon im Jahr 2012 gestellt und es sei ihr unverständlich, dass beim Beklagten ein ursprünglicher Antrag nicht vorliege. Mindestens sei der Antrag aber im Telefonat am 10. September 2012 mündlich fristgerecht geltend gemacht worden. Die Rechnung des Bestattungsunternehmens sei weiterhin offen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2014 zu verurteilen, die Bestattungskosten für den verstorbenen Ehemann in Höhe von 2.293,96 EUR sowie die durch die Verzögerung entstandenen weiteren Kosten zu übernehmen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bleibt dabei, dass eine Kostenübernahme nicht in Betracht komme, da die Kostenübernahme nicht binnen einer angemessenen Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt worden sei, so dass grundsätzlich Zweifel an der Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt seien. Im Telefonat vom 10. September 2012, in dem sich die Klägerin allgemein erkundigte, könne kein mündlicher Antrag gesehen werden, denn es sei in der Sozialhilfepraxis nicht unüblich, dass zunächst Anfragen gestellt würden und dann tatsächlich keine Antragstellung vorgenommen würde.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2015 war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage hat in Bezug auf die eigentlichen Bestattungskosten Erfolg.

Die angegriffene Ablehnungsentscheidung des Beklagten erweist sich als rechtswidrig und beschwert daher die Klägerin im Sinne des § 54 Abs 2 SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf Übernahme der für die Beerdigung ihres Ehemannes im August 2012 angefallenen Bestattungskosten auf Grundlage des § 74 SGB XII. Sie hat jedoch keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten, die durch das Mahnverfahren und das Klageverfahren des Bestattungsunternehmers gegen sie entstanden sind. Gemäß § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Klägerin ist als Ehefrau auf Grundlage der §§ 1360 ff BGB zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet. Die Kostentragung ist ihr unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und der Fälligkeit der weiterhin offenen Rechnungen nicht zuzumuten. Ihr Renteneinkommen aus Alters- und Witwenrenten reicht schon zur Deckung ihres eigenen Lebensunterhalts nicht aus. Sie bezieht Hilfe zur Pflege vom Beklagten. Vermögen, insbesondere in Gestalt eines Bestattungsvorsorgevertrags, ist nicht vorhanden.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Anspruch nach § 74 SGB XII auch nicht durch die verspätete Antragstellung verwirkt. Zwar ist dem Beklagten darin zuzustimmen, dass ein förmlicher Antrag nach Aktenlage tatsächlich erst am 14. November 2013 und damit mehr als 13 Monate nach Anfall der Beerdigungskosten gestellt worden. Dies führt jedoch unter Berücksichtigung der Umstände dieses Falls nicht zu einer Verwirkung des Anspruchs. Maßgeblich für diese Bewertung ist, dass seitens der Klägerin durchgängig Bedürftigkeit bestand und die Rechnung des Bestattungsunternehmens weiterhin offen ist. Eine Kostentragung ist ihr heute nicht eher zumutbar als im August 2012. Aus der späten Antragstellung kann nicht schematisch abgeleitet werden, dass allein wegen des Zeitablaufs die Kostentragung nunmehr zumutbar sei, zumal der Anspruch nach § 74 XII nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht fristgebunden ist. Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, dass ein Leistungsantrag, nicht nur im Rahmen des § 74 SGB XII, grundsätzlich innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens gestellt werden muss, schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität. Das Gericht teilt daher mit dem Beklagten die Auffassung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein, die der Beklagte zur Begründung seiner Rechtsauffassung heranführt. Das besagte Landessozialgericht führt im Beschluss vom 21. Juli 2008 - L 9 SO 10/07 PKH unter Randnummer 10 (.de) zutreffend aus, dass regelmäßig Zweifel an der Unzumutbarkeit der Kostentragung im Sinne des § 74 SGB XII angezeigt seien, wenn die Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt würde. Aus der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass sich als angemessener Zeitrahmen ein Zeitraum von ein bis zwei Monaten nach dem Todesfall darstellen würde (vgl dortige Rn 11; kritisch dazu Greiser in: jurisPK-SGB XII, § 74, Rn 15). Die Formulierung, dass regelmäßig Zweifel angezeigt seien, erlaubt allerdings eine abweichende Beurteilung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalls, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt. Der Sachverhalt, über den hier zu entscheiden war, bietet Anlass für die Abweichung vom Regelfall und macht deutlich, dass eine schematischen Betrachtungsweise in Bezug die Frist im Rahmen des § 74 SGB XII nicht durchgängig angezeigt ist. Maßgeblich ist für die Einschätzung für das Gericht, dass sich im vorliegenden Fall ein Handeln Dritter, hier ihrer als Betreuerin eingesetzten Tochter, für die Klägerin nachteilig auswirkt und die Klägerin selbst - obwohl ihr freilich das Handeln ihrer Vertreterin rechtlich zugeordnet werden muss - sich altersbedingt vermutlich gar nicht um die Kostenregelung kümmern konnte. Offenbar hat sich die Tochter der Klägerin allerdings nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Angelegenheiten ihrer Mutter gekümmert und eine rechtzeitige Antragstellung schlicht und einfach vergessen. Erst als das Bestattungsunternehmen anfing, seine Forderungen durchsetzen zu wollen, ist die Tochter wieder aktiv geworden. Die "Quittung" für das Verhalten der Tochter würde jedoch die Klägerin tragen müssen, wenn die Bestattungskosten von ihr getragen werden müssen, obwohl sie dazu objektiv wirtschaftlich nicht in der Lage war und auch weiterhin nicht ist. Der Fall wäre anders und schematischer zu beurteilen, wenn die späte Antragstellung allein auf Verschulden der Klägerin persönlich zurückzuführen wäre und die Rechnung des Bestattungsunternehmens in der Zwischenzeit durch eigene Anstrengung zB in Raten hätte abgetragen werden können. Beides ist hier nicht der Fall. Die Kostentragung war damals und ist aktuell für die Klägerin unzumutbar.

Soweit die Klägerin auch die Übernahme der entstandenen weiteren Kosten, dh der Mahnkosten und Kosten des Zivilrechtsstreits aufgrund der Beitreibung durch das Bestattungsunternehmen, geltend macht, kann das Gericht indessen keine Grundlage für eine Übernahme durch den Beklagten erkennen. Denn die Kosten wären für die Klägerin ohne weiteres vermeidbar gewesen. Sie hätte es nicht bis zum Erlass eines Mahnbescheids und nach Widerspruchseinlegung eines zivilgerichtlichen Verfahrens ankommen lassen müssen, da ihre zivilrechtliche Zahlungspflicht gegenüber dem Bestattungsunternehmen aus Sicht des erkennenden Gerichts unstreitig ist. Durch die frühzeitige Anerkennung der Forderung zB in Form eines notariellen Schuldanerkenntnisses hätte die Klägerin die weiteren Schritte des Bestattungsunternehmens vermeiden und allen Beteiligten ersparen können. Es handelt sich nicht um Kosten, die unmittelbar in Folge der Weigerung des Beklagten entstanden sind, die Bestattungskosten zu übernehmen. Zwar ist auch insoweit anzunehmen, dass nicht die Klägerin selbst die Handelnde war, sondern die Tochter als ihre Betreuerin. Es erscheint jedoch nicht gerechtfertigt, diese vermeidbaren Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Es ist Sache der Klägerin und ihrer Tochter untereinander, wie mit diesen weiteren Kosten umgegangen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Obwohl die Klage teilweise verloren wurde, erscheint es billig und gerecht, aus Veranlassungsgesichtspunkten heraus eine vollumfängliche Kostenerstattung durch den Beklagten vorzusehen.