Sozialgericht Stade
Urt. v. 07.07.2015, Az.: S 29 KR 61/14

Gewährung von Krankengeld bzgl. Feststellung fortbestehender Arbeitsunfähigkeit

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
07.07.2015
Aktenzeichen
S 29 KR 61/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 21737
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:0707.S29KR61.14.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld über den 10. September 2013 hinaus bis zum 10. November 2013. Es geht vor allem um die Frage der rechtzeitigen Feststellung fortbestehender Arbeitsunfähigkeit. Die 1966 geborene Klägerin war bei der Beklagten aufgrund der Ausübung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bis einschließlich August 2012 gesetzlich gegen das Risiko der Krankheit versichert. Bereits am 25. Juni 2012 erkrankte sie arbeitsunfähig (Diagnosen F32.2 und F33.1). Gemäß dem Bewilligungsbescheid vom 10. Juni 2012 betrug die Höhe des kalendertäglich ausgezahlten Krankengeldes zunächst 27,18 EUR. In dem Bescheid vom 10. Juli 2012 findet sich der rückseitige Hinweis, die Arbeitsunfähigkeit müsse - um einen fortdauernden Anspruch auf Krankengeld zu begründen - nahtlos nachgewiesen werden. Das bedeute, dass sich der Versicherte spätestens am letzten Tag eines zuvor bescheinigten Zeitraums das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit von seinem Arzt bestätigen lassen müsse. Nachdem im Falle der Klägerin Frau F. zuletzt am 23. Juli 2013 das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit für die Zeit bis zum 10. September 2013 erklärt hatte, stellte diese Ärztin die nächste Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit erst wieder am 12. September 2013 aus - aufgrund einer Vorstellung der Klägerin an diesem Tage. Die Beklagte erließ daraufhin den Bescheid vom 13. September 2013, mit dem sie die Zahlung von Krankengeld über den 10. September 2013 hinaus ablehnte. Mit dem 10. September 2013 habe der Anspruch auf Krankengeld geendet. Gleichzeitig sei das allein aufgrund des Bezuges des Krankengeldes fortbestehende Versicherungsverhältnis in Wegfall geraten. Ein neuer Anspruch auf Krankengeld könne im Anschluss an den 10. September 2013 erst dann wieder entstehen, wenn die Klägerin ein neues Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeldleistungen begründe. Die Klägerin erhob Widerspruch. Gemäß Telefonnotizen der Beklagten vom 17. und vom 18. September 2013 schilderte sie zunächst, tatsächlich doch schon am 10. September 2013 in der Praxis der Frau F. vorstellig gewesen zu sein. In der zweiten Notiz heiß es dagegen, sie habe diesen Termin leider verpasst. Ihr sei es nicht gut gegangen. Sie habe zunächst am Telefon "etwas geflunkert". Des Weiteren ging nachträglich am 18. September 2013 eine nunmehr mit dem Ausstellungsdatum "10. September 2013" versehene Bescheinigung der Frau F. ein, ferner später die Ärztliche Stellungnahme dieser Ärztin vom 25. September 2013.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin gleichwohl durch ihren Widerspruchsbescheid vom 13. März 2014 zurück. Ungeachtet der im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens eingegangenen Auskunft und Einschätzung der Frau F. bleibe der Umstand der erst verspätet erfolgten Wiedervorstellung am 12. September 2013 maßgebend. Der Gesetzgeber habe den Nachweis fortbestehender Arbeitsunfähigkeit als nicht ausreichend zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes angesehen. Er habe es für nötig befunden, zusätzlich die Vorlage einer bestimmte Kriterien erfüllenden, ärztlichen Bescheinigung zu fordern. Dagegen richtet sich die am 14. April 2014 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung trägt die Klägerin ergänzend vor, sich angesichts ihrer schweren, chronisch rezidivierenden Depressionen bereits in der Vergangenheit nur unter Mühen verlässlich bei Frau F. vorgestellt haben zu können. Stets habe die Krankenkasse die Pflicht, alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Letztlich habe sie sich am 10. September 2013 in einer Situation der Handlungsunfähigkeit befunden. Dieser Zustand sei allein ihrer schweren depressiven Erkrankung zuzuschreiben. Sie sei nicht in der Lage gewesen, kurzfristig Abhilfe zu schaffen. Abgesehen davon habe die Beklagte nicht ausreichend über die weitgehenden Konsequenzen einer verspätetet erfolgenden Wiedervorstellung belehrt. Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

  2. 2.

    ihr Krankengeld über den 10. September 2013 hinaus bis zum 10. November 2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide ungeachtet des Vortrages der Klägerin für weiterhin zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, Krankengeld über den 10. September 2013 hinaus zu gewähren. Rechtsgrundlage für die Bewilligung bzw Fortzahlung des streitigen Krankengeldes über den 10. September 2013 hinaus ist § 44 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Danach haben Versicherte ua dann Anspruch auf Krankengeld, wenn sie infolge einer Erkrankung arbeitsunfähig sind. Auf die Frage nach dem sozialmedizinischen Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit braucht die Kammer nicht näher einzugehen, denn dieser Tatbestand ist durch die fast den gesamten streitigen Zeitraum umfassenden Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit der Frau F. und durch die spätere Ärztliche Stellungnahme der Frau F. vom 25. September 2013 ausreichend erwiesen. Die Kammer sieht die aus den Bescheinigungen und der Ärztlichen Stellungnahme der Frau F. zu entnehmenden Indizien als für den gesamten streitigen Zeitraum plausibel an, also auch für die Lücke in der Reihe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Denn zum einen handelt es sich hier um ein chronisches Krankheitsbild, zum anderen bestand von Seiten der Beklagten auch kein ausnahmsweiser Anlass, das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit während des gesamten streitigen Zeitraums bis zum 10. November 2013, dem Zeitpunkt der Aussteuerung, in Frage zu stellen. Nicht erfüllt ist demgegenüber die weitere - formale - Voraussetzung der rechtzeitigen Bestätigung der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit durch eine entsprechende ärztliche Feststellung. § 46 Abs 1 Nr 2 SGB V lässt den Anspruch auf Krankengeld erst von dem Tag an entstehen, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Diese formale Voraussetzung gilt nicht nur für die erstmalige Inanspruchnahme, sondern auch für alle Ansprüche auf Weitergewährung des nicht als Dauerleistung, sondern als zeitabschnittsweise Leistung vorgesehenen Krankengeldes. Sie ist vor dem Hintergrund der jeweils der Krankenkasse zu ermöglichenden Überprüfungen der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu sehen sowie vor dem Hintergrund der ebenfalls jederzeit zur eröffnenden Möglichkeiten, Maßnahmen zur Rehabilitation anzubieten oder aber auf die Einleitung eines Berentungsverfahrens hinzuwirken. Als Tag der hier maßgeblichen ärztlichen Feststellung konnte die Kammer lediglich den 12. September 2013 zugrundelegen. Der gemäß der Telefonnotiz der Beklagten zunächst aufgestellten Behauptung, tatsächlich bereits am 10. September 2013 vorstellig gewesen zu sein, konnte die Kammer nicht folgen. Das ergibt aus dem Inhalt der nachfolgenden Gespräche in der Gestalt, in der sie durch die entsprechenden Notizen der Beklagten aktenkundig geworden sind. Ebensowenig war von der offenbar nachträglich erstellten und gleichwohl mit dem Ausstellungsdatum "10. September 2013" versehenen Bescheinigung der Frau F. auszugehen. In der späteren Stellungnahme vom 25. September 2013 hat Frau F. zu den sich widersprechenden Bescheinigungen klargestellt, die Klägerin sei tatsächlich am 10. September 2013 nicht vorstellig gewesen. Als Ärztin müsse sie sich (nur grundsätzlich) das Recht vorbehalten, zum Schutze ihrer Patienten Bescheinigungen rückwirkend zu datieren. Da im Falle der Klägerin der 12. September 2013 als maßgeblicher Tag der ärztlichen Feststellung heranzuziehen war, konnte der Anspruch auf Krankengeld erst mit dem 13. September 2013 erneut entstehen. Dazu ist es dann tatsächlich nicht gekommen, weil die Klägerin am 13. September 2013 bereits nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert war. Vielmehr hatte ihr vorangegangenes, zunächst durch die abhängige Beschäftigung nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V begründetes und durch die Zahlung des Krankengeldes nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V lediglich aufrechterhaltenes Versicherungsverhältnis geendet. Eine Fortdauer des Versicherungsverhältnisses nach § 19 Abs 2 SGB V anzunehmen, scheidet aus. Denn diese Vorschrift zielt lediglich auf Fälle von vornherein absehbar kurzfristiger Überbrückungen bis zum Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses ab (vgl Bundessozialgericht - BSG - ,Urteil vom 10. Mai 2012, Az. B 1 KR 19/11 R). Es kam nicht in Betracht, im Sinne des Vortrages der Klägerin, am 10. September 2013 zu planvollem Handeln nicht in der Lage gewesen zu sein, das Tatbestandsmerkmal der "Feststellung am letzten Tag der bisher bescheinigten Arbeitsunfähigkeit" im Wege der Rechtsfortbildung zu ersetzen und eine erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende Feststellung genügen zu lassen. Das BSG hat dies zwar in eng zu begrenzenden Konstellationen für möglich gehalten, wenn etwa ein Versicherter wegen Geisteskrankheit geschäftsunfähig und ein gesetzlicher Vertreter nicht vorhanden war und wenn darüber hinaus der Versicherte aufgrund dieses Umstandes nicht in der Lage gewesen war, die für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit obligatorischen Handlungen vorzunehmen (vgl BSG - Urteil vom 22. Juni 1966, Az. 3 RK 14/64). Eine mit dem Fall des BSG vergleichbare Situation müsste so außergewöhnlich und dringlich sein, dass sie den Versicherten tatsächlich handlungsunfähig macht. Als Beispiele werden Unfälle in unwirtlichen Gegenden mit Rettungsmaßnahmen erst nach Ablauf einiger Tage oder Ohnmachtsanfälle Alleinstehender mit Auffindung erst im Tagesabstand genannt (vgl Meyerhoff, Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 4. März 2014, Az. B 1 KR 17/13 R in: Die Sozialgerichtsbarkeit 2015, Seiten 279, 283 mwN). Die Kammer konnte die Situation der Klägerin einer derartigen Ausnahmekonstellation nicht zuordnen. Von einer Handlungsunfähigkeit war schon deshalb nicht auszugehen, weil die Klägerin ungeachtet ihrer depressiven Entwicklung mit von Frau F. bestätigten Krisen in der Vergangenheit in der Lage war, sich regelmäßig und verlässlich vorzustellen. Mangels entgegenstehender tatsächlicher Anhaltspunkte muss die Kammer des Weiteren zugrunde legen, die Klägerin habe ggf Vorsorge treffen und eine andere Person mit der Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber der Krankenversicherung beauftragen können. In Bezug auf die konkrete Situation am 10. September 2013 spricht zudem die Angabe in der Ärztlichen Stellungnahme vom 25. September 2013 gegen die Annahme von Handlungsunfähigkeit, die Klägerin habe sich über den ganzen Tag um einen Anruf bemüht und sei lediglich am Fehlen einer freien Leistung gescheitert. Die Klägerin vermag den geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld auch nicht auf ihren Vortrag zu stützen, die Beklagte habe nicht ausreichend über die strengen Voraussetzungen für die Erlangung von Krankengeld aufgeklärt. Das BSG hat die Krankenkassen im vorliegend in Rede stehenden Zusammenhang schon nicht als gehalten angesehen, Hinweise auf den gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf erneut erforderlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung zu geben oder aber, solche Hinweise in den Formularen zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit vorzusehen (vgl Urteil vom 4. März 2014, bereits zitiert). Ungeachtet dessen hat die Beklagte hier bereits mit ihrer Bewilligung vom 10. Juli 2012 auf das formale Kriterium der rechtzeitigen Wiedervorstellung ausdrücklich aufmerksam gemacht. Nach dem Gesamtzusammenhang dürfte schließlich eine etwaige, nicht ausreichende Belehrung für den konkreten Verlust des Krankengeldanspruchs über den 10. September 2013 hinaus gar nicht kausal geworden sein. Denn die Klägerin hatte die strengen Voraussetzungen der rechtzeitigen Wiedervorstellung - in deren Bewusstsein - über längere Zeit eingehalten. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist zulässig, weil das zunächst kalendertäglich 27,18 EUR betragende - und zwischenzeitlich erhöhte - Krankengeld für einen Zeitraum von zwei Monaten im Streit steht und damit die Grenze für die Berufungsfähigkeit von mehr als 750,00 EUR nach § 144 SGG erreicht ist.