Sozialgericht Stade
Urt. v. 14.12.2015, Az.: S 29 KR 131/14

Anspruch eines Krankenhauses auf Zahlung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c SGB V für den Aufwand der Mitwirkung an einer MDK-Prüfung ; Zahlung einer Aufwandspauschale trotz Fehlerhaftigkeit der Nebendiagnose

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
14.12.2015
Aktenzeichen
S 29 KR 131/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 33460
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:1214.S29KR131.14.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Berufung wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird endgültig auf 300,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zahlung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Die Klägerin ist Trägerin eines in den Krankenhausplan des Landes Niedersachsen aufgenommenen Krankenhauses. Sie behandelte den bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit versicherten I., geb. am 22. April 1955 (im Folgenden: Versicherter), in der Zeit vom 24. bis zum 26. Juni 2011 nach notfallmäßiger Aufnahme wegen einer offenen Fingerfraktur. Nach Rechnungstellung beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des Behandlungsfalles zu den Fragestellungen: - War die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer bzw. war das Erreichen der unteren Grenzverweildauer medizinisch begründet? - Ist die Diagnosis Related Group (DRG) korrekt? Der MDK stimmte unter Auswertung des von der Klägerin übermittelten Entlassungsberichts, des Operationsberichts, des Laborkumulativ-Ausdrucks und des E-Archivs in der Hauptdiagnose S 62.63 mit den Angaben in der Abrechnung überein. Nicht zu bestätigen sei demgegenüber die vom Krankenhaus gestellte Nebendiagnose S 61.87 (Weichteilschaden ersten Grades). Richtig sei vielmehr ein Weichteilschaden zweiten Grades zu kodieren gewesen (Nebendiagnose S 61.88). Auf den Abrechnungsbetrag habe sich die Fehlerhaftigkeit der Nebendiagnose dagegen nicht ausgewirkt. In ihre ergänzte Abrechnung vom 12. März 2013 nahm die Klägerin sodann die in § 275 Abs. 1 c SGB V für den Aufwand der Mitwirkung an einer MDK-Prüfung vorgesehene Pauschale in Höhe von 300,00 EUR auf. Der Gesamtbetrag belief sich auf 1.704,97 EUR. Die Beklagte, die den Rechnungsbetrag im Übrigen beglich, lehnte es mit ihrem Schreiben vom 23. März 2013 ab, den Anteil von 300,00 EUR für die Aufwandspauschale zu tragen. Sie berief sich darauf, jeder Fall einer nachweislich fehlerhaften Abrechnung schließe die Zahlung der Pauschale aus. Ob der Fehler ursächlich für die Einleitung des Prüfverfahrens geworden sei, spiele keine Rolle. Im Falle des Versicherten liege die Fehlerhaftigkeit in der Nebendiagnose S 61.87 anstelle richtigerweise S 61.88. Mit ihrer am 25. Juni 2014 beim erkennenden Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin den Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale gerichtlich weiter. Sie trägt vor, das Fehlen einer Nebendiagnose sei schon grundsätzlich als Gegenstand der Prüfung einer DRG-Fallpauschale nicht denkbar. Ausnahmsweise könne dies nur dann gelten, wenn die Kodierung für sich ohne die fehlende Nebendiagnose nicht plausibel gemacht werden könne. Die Beklagte habe lediglich ins Blaue hinein vorgetragen, die Fehlerhaftigkeit der Nebendiagnose habe die Prüfung veranlasst. Tatsächlich habe die Änderung von S 61.87 in S 61.88, also das Ausmaß des Weichteilschadens, keinen Einfluss auf die Frage der Verweildauer gehabt.

Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen im schriftlichen Verfahren,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Aufwandspauschale in Höhe von 300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27. März 2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte stellt das Kriterium der Plausibilität der Abrechnung in den Vordergrund. Selbst wenn sich die Schwere der Nebendiagnose nicht auf die Verweildauer auswirke, könne ihr Bedeutung für die Nachvollziehbarkeit der Abrechnung zukommen. Dies sei der Fall, weil bei einem - hier fehlerhaft kodierten - nur geringen Weichteilschaden (ersten Grades: Durchspießung der Haut mit einer unbedeutenden Kontamination) eine vollstationäre Behandlung über die untere Grenzverweildauer hinaus nicht nachvollziehbar gemacht werden könne. Demgegenüber sei die vorliegende, deutlich größere Verletzung (Weichteilschaden zweiten Grades: Durchtrennung der Haut mit einer umschriebenen Weichteilkontusion und einer mittelschweren Kontamination) eher geeignet, eine Überschreitung der unteren Grenzverweildauer zu rechtfertigen. Wenn die Klägerin die tatsächliche Schwere der Verletzung innerhalb der Rechnung kodiert hätte, wäre der MDK nicht beauftragt worden, eine Überprüfung durchzuführen. Mit ihren Schriftsätzen vom 21. Oktober und vom 4. November 2015 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass das Gericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise zuvor einverstanden erklärt hatten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin kann ihren Antrag ohne Durchführung eines Verwaltungsverfahrens als sogenannte echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG betreiben. Denn zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen besteht ein Gleichordnungsverhältnis, in dem Regelungen durch Verwaltungsakt nicht vorgesehen sind (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 1. Juli 2010, Az. L 5 KR 82/08). Die Klage war als in der Sache unbegründet abzuweisen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c SGB V. Die Zahlung einer Aufwandspauschale ist nach § 275 Abs. 1 c SGB V vorgesehen, wenn bei Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB V eine Abrechnungsprüfung durch den MDK stattfindet, die nicht zur Minderung des Abrechnungsbetrages führt. Die Aufwandspauschale, die die Krankenkasse in diesen Fällen dem Krankenhaus zu entrichten hat, beträgt 300,00 EUR. Als Voraussetzung für die Zahlung der Aufwandspauschale ergibt sich hiernach, dass die Krankenkasse eine Abrechnungsprüfung durch den MDK im Sinne des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eingeleitet hat (a), dem Krankenhaus durch eine Anforderung von Sozialdaten durch den MDK gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V ein Aufwand entstanden ist (b) und die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt hat (c). Als weitere negative Voraussetzung für den Anspruch auf die Aufwandspauschale ist in der Rechtsprechung ein Korrektiv entwickelt worden. Das Prüfverfahren darf danach nicht durch eine nachweislich fehlerhafte Abrechnung seitens des Krankenhauses veranlasst worden sein (d); vgl. BSG - Urteil vom 28. November 2013, Az. B 3 KR 4/13 R. Die Voraussetzungen nach a), b) und c) liegen vor. Die Beklagte hat eine Abrechnungsprüfung durch den MDK im Sinne des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eingeleitet. Der Beklagten ist ausweislich der Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 24. Juni 2014 durch die Übermittlung der Sozialdaten entsprechender Aufwand entstanden. Des Weiteren hat die MDK-Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Es fehlt im Falle der Klägerin allerdings an der Voraussetzung d): Über den Gesetzeswortlaut hinaus hat die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, die Krankenkasse dürfe nicht infolge einer nachweislich fehlerhaften Abrechnung des Krankenhauses veranlasst worden sein, das Prüfverfahren einzuleiten. Denn dann greife die zu § 275 Abs. 1 c) SGB V vorliegende Gesetzesbegründung nicht, wonach es um die Eindämmung des bürokratischen Aufwandes in den Fällen gehe, in denen die Beteiligten nur mittelbar, nämlich allein wegen der Aufwandspauschale, rechtliche Auseinandersetzungen über die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer Kodierung des Krankenhauses geführt hätten (vgl. BSG - Urteil vom 28. November 2013, bereits zitiert; BSG - Urteil vom 22. Juni 2010, Az. B 1 KR 1/10 R). Wenn dagegen die Abrechnung des Krankenhauses nachweislich fehlerhaft sei, gehe dieser Zweck ins Leere. Dann bestehe auch keine Rechtfertigung dafür, dem Krankenhaus seinen Aufwand pauschal zu vergüten. Die Kammer hält die Voraussetzung einer nachgewiesenen Fehlerhaftigkeit der Abrechnung, verbunden mit einem dadurch hervorgerufenen Anlass, den MDK einzuschalten, für gegeben. Die Beklagte hat nämlich ausreichend dargelegt, aus den von der Klägerin übersandten Abrechnungsunterlagen habe nicht ausreichend abgeleitet werden können, die untere Grenzverweildauer zu überschreiten. Die Hauptdiagnose S 62.63 in Kombination mit der Nebendiagnose S 61.87 habe die Notwendigkeit einer vollstationären Behandlung über die untere Grenzverweildauer hinaus nicht plausibel machen können. Dies sei erst mit der richtigen Nebendiagnose S 61.88 möglich gewesen. Erst ein Weichteilschaden zweiten Grades, also eine "Durchtrennung der Haut mit einer umschriebenen Weichteilkontusion und einer mittelschweren Kontamination" stelle sich als Verletzung dar, die die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer rechtfertige. Hätte die Klägerin die tatsächliche Schwere der Verletzung in ihrer Abrechnung zutreffend kodiert, so wäre die Beklagte nicht veranlasst gewesen, das Prüfverfahren aufzunehmen und den MDK einzuschalten. Das Gericht vermag nachzuvollziehen, dass die Notwendigkeit einer mehrtägigen, vollstationären Behandlung umso wahrscheinlicher zu machen ist, je gravierender sich der Nebenbefund darstellt. Die Auffassung des MDK und der Beklagten zur Nebendiagnose ist - soweit es der Kammer ersichtlich wird - im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens nicht entscheidend in Zweifel gezogen worden. Die Kammer konnte vielmehr zugrunde legen, dass zwischen den Beteiligten weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass die Nebendiagnose S 61.87 bereits in die Rechnung vom 12. März 2013 hätte aufgenommen werden müssen. Soweit die Klägerin im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens betont, die Änderung der Nebendiagnose seitens des MDK habe tatsächlich keinen Einfluss auf die Frage der Verweildauer und auch keinen Einfluss auf die Höhe des Abrechnungsbetrages gehabt, greift dieser Vortrag in Bezug auf die allein zu klärende Frage der Berechtigung, die Aufwandspauschale geltend zu machen, nicht durch. Denn es kommt in Bezug auf die Aufwandspauschale allein darauf an, ob von einer sich potentiell auf den Abrechnungsbetrag auswirkenden Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen Abrechnung auszugehen ist. Das ist hier der Fall, weil sich erst die Durchtrennung der Haut mit einer umschriebenen Weichteilkontusion und einer mittelschweren Kontamination als Verletzung darstellt, die eine Überschreitung der unteren Grenzverweildauer zu rechtfertigen geeignet ist und weil insoweit das Ergebnis der jeweiligen DRG-Grouper - Berechnung, also der Ermittlung des Abrechnungsbetrages durch das ökonomischmedizinische EDV-Programm, außer Betracht zu lassen ist. Angesichts des Unterliegens in der Hauptsache kam nicht in Betracht, der Klägerin die verlangten Zinsen für die Zeit ab dem 27. März 2013 zuzusprechen. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es bestand kein gesetzlicher Grund, die kraft Gesetzes nach § 144 SGG ausgeschlossene Berufung besonders zuzulassen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf der Anwendung des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 3 sowie 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).