Sozialgericht Stade
Urt. v. 24.08.2015, Az.: S 29 KR 28/15
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 24.08.2015
- Aktenzeichen
- S 29 KR 28/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 26616
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2015:0824.S29KR28.15.0A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit einer Unterschenkelprothese samt Proprio-Fuß im Wege einer Genehmigungsfiktion unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Anpassung eines Prothesenschaftes. Der 1940 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit versichert. Vor dem Hintergrund einer Durchblutungsstörung musste ihm im Dezember 2010 der rechte Unterschenkel abgenommen werden. Bisher ist er mit einem sogenannten 1C40-Fuß versorgt. Diese Prothese weist zwischenzeitlich erhebliche Gebrauchsspuren auf. Nach seinen Angaben anlässlich des vorliegenden Verfahrens trägt der Kläger die Prothese etwa 14 Stunden pro Tag, legt zu ebener Erde und auf unebenem Untergrund täglich ca. drei bis vier Kilometer zurück, bewältigt bis zu 50 Treppenstufen, fährt täglich mit dem Auto, nutzt häufig das Fahrrad und gelegentlich öffentliche Verkehrsmittel. Er kümmert sich um den mit seiner Ehefrau gemeinsam geführten Haushalt. In Anbetracht des Verschleißes des 1C40-Fußes, wegen Unsicherheiten im Gebrauch dieses Modells und angesichts der Wünsche des Klägers nach Verbesserungen beim Gehen auf unebenem Untergrund, auf Treppen, an Schrägen, im hügeligen Gelände und nach Verbesserungen beim Fahrradfahren verschrieb der behandelnde Hausarzt und Facharzt für Innere Medizin Dr. H. am 25. August 2014 eine "neue Unterschenkelprothese mit einem Proprio-Fuß rechts". Am 8. September 2014 stellte der Kläger unter Beifügung der Verschreibung des Dr. H. den streitgegenständlichen Antrag bei der Beklagten. Dem Antrag war neben der Verschreibung der Kostenvoranschlag nebst Anpassbericht des Sanitätshauses Müller in Verden vom selben Tag beigefügt betreffend das Proprio-Modell Össur mit Liner, Strukturteilen, Prothesenfüßen und Stumpfstrümpfen über einen Gesamtbetrag von 12.869,44 EUR. Mit Schreiben vom 11. September 2014 informierte die Beklagte den Kläger darüber, den Vorgang dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung vorgelegt zu haben. Es werde noch um etwas Geduld gebeten. Sobald eine abschließende Beurteilung möglich sei, werde der Kläger benachrichtigt. Unter dem 2. Oktober 2014 wies die Beklagte auf eine Verzögerung hin, die zu erwarten sei, "da der MDK etwas mehr Zeit benötige". Sodann erstattete Dr. I. für den MDK am 13. Oktober 2014 zunächst ein Gutachten nach Aktenlage. Dr. I. hielt abschließend die Durchführung einer körperlichen Untersuchung für sinnvoll. Daraufhin übermittelte die Beklagte unter dem 23. Oktober 2014 das Gutachten vom 13. Oktober 2014 an den Kläger nebst Aussicht auf einen Untersuchungstermin. Gleichzeitig forderte sie den MDK auf, nunmehr das anvisierte Gutachten mit körperlicher Untersuchung zu erstellen. Der MDK beraumte als Termin zur körperlichen Begutachtung den 20. November 2014 an. Unter Einbeziehung der Orthopädietechnischen Stellungnahme des Sachverständigen im Fachbereich Consulting und Orthopädietechnikermeisters Endres vom 4. Dezember 2014 fertigte der Gutachter Götzen des MDK unter dem 5. Dezember 2014 das von der Beklagten erbetene Gutachten. Der Gutachter J. führte aus, die beantragte Versorgung mit der Proprio-Prothese der Firma Össur sei nicht indiziert. Geboten sei es vielmehr, dem hohen Mobilitätsgrad des Klägers im Wege der Versorgung mit einem höherwertigen Fußpassteil (zu der vorhandenen Prothese) Rechnung zu tragen. In Betracht zu ziehen seien der Prothesenfuß "Echelon" des Herstellers Endolite oder aber das Modell "Kinthera" des Herstellers Freedom Innovations. Am 19. Dezember 2014 überreichte die Beklagte dem Kläger die Ausführungen des MDK vom 4. und vom 5. Dezember 2014. In dem Anschreiben verwies sie den Kläger auf die von dem Gutachter Götzen genannten Alternativen sowie darauf, zeitnah für Ersatz zu sorgen, wenn sich der in dem Schaft festgestellte Riss vergrößern sollte. Am 29. Januar 2015 ging die hier zu beurteilende Klageschrift ein, wonach sich ein Anspruch auf Versorgung mit dem Proprio-Fuß Össur bereits aus dem Umstand einer nicht rechtzeitigen Bescheidung ergebe. Die Beklagte habe einen solchen Bescheid binnen 5 Wochen nach Antragstellung erteilen müssen. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, unter dem 2. Oktober 2014 auf den Umstand einer zuvor erforderlichen Begutachtung hingewiesen zu haben. Aus dem Inhalt des Schreibens sei kein hinreichender Grund für eine Verzögerung zu entnehmen. Unter dem 18. Februar 2015 beschied die Beklagte den Kläger ausdrücklich dahingehend, die Kosten gemäß dem Voranschlag vom 8. September 2014 nicht zu übernehmen, demgegenüber allerdings alternativ die vom MDK genannten Prothesen-Füße. Der Kläger beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
- 2.
ihn mit einer Unterschenkelprothese mit Proprio-Fuß gemäß dem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses Müller vom 08. September 2014 (unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Belieferung mit einem neuen Prothesenschaft) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die Klage für insoweit unzulässig, als sie im Sinne eines Begehrens auf Feststellung gerichtet sei. Soweit der Kläger weitergehend die Übernahme der Kosten für den Prothesen-Fuß Össur verlange, scheitere der Weg über die sogenannte Genehmigungsfiktion bereits an dem Mangel, sich den Gegenstand zuvor nicht selbst beschafft zu haben. Im Übrigen sei der Kläger jeweils zeitnah über den Stand der Sache informiert worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage war zunächst als allgemeine Leistungsklage zulässig. Rechtsgrundlage dafür ist § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann die Verurteilung zu einer Leistung (auch dann) begehrt werden, wenn zuvor ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Zwar ist grundsätzlich über Leistungsanträge der Versicherten, hier auf Neuversorgung mit einer Prothese, durch einen Verwaltungsakt nach § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu entscheiden und vor Erhebung der Klage, dann in Form der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, ein mit der Erhebung des Widerspruchs beginnendes Vorverfahren durchzuführen, §§ 78 ff. SGG. Aufgrund der Sonderregelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) besteht für den Kläger jedoch die durch den Gesetzgeber seit dem 26. Februar 2013 eingeführte, besondere Prozesssituation, in der allein durch Zeitablauf ein Rechtsanspruch auf eine Leistung fingiert wird, ohne dass darüber ein Bescheid des Sozialversicherungsträgers zu ergehen hätte oder weitergehend - wie sonst allgemein vorgesehen - das Widerspruchsverfahren abzuwarten wäre. Zutreffend weist die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 26. Februar 2015 auf die Subsidiarität der Feststellungsklage hin. Im hier anhängigen Fall versteht die Kammer das Begehren des Klägers allerdings auch nicht im Sinne eines Feststellungsbegehrens. Die somit von vornherein zulässige Klage, zunächst als reine Leistungsklage, im Anschluss an den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2015 als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, ist in der Sache allerdings nicht begründet. Das Ergebnis der Klagabweisung folgt nicht schon aus dem Umstand der hier noch offenen Sachleistung. § 13 Abs. 3a SGB V beschränkt den Anspruch der Versicherten nämlich nicht auf die der Konstellation des Sachleistungsanspruchs, § 2 Abs. 2 SGB V, nachgehenden Fälle der Selbstbeschaffung und anschließend geltend gemachten Kostenerstattung. Nach dem Wortlaut der Sätze 6 und 7 des § 13 Abs. 3a SGB V betrifft die Genehmigungsfiktion vielmehr sowohl den Sachleistungs- als auch den Kostenerstattungsanspruch. Die vom Gesetzgeber zunächst durchaus intendierte Beschränkung auf den Kostenerstattungsanspruch ist nicht umgesetzt worden. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3a SGB V tatsächlich auf die Sachlagen der Selbstbeschaffung und anschließenden Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs beschränkt, so käme Satz 6 der Vorschrift kein eigener Regelungsgehalt zu. Darüber hinaus müsste man sich über Bedenken aus dem Gesichtspunkt einer gegen Art 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoßenden Ungleichbehandlung hinwegsetzen. Denn die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verbesserung der Position der Versicherten würde sich auf diejenigen beschränken, die mit ihren finanziellen Mitteln jeweils in der Lage sind, sich die begehrte Leistung im Vorwege selbst zu beschaffen (vgl. näher: Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. Mai 2014, Az.: L 8 KR 222/14 B ER). Zwar hat die Beklagte die vom Gesetzgeber vorgesehene Frist für die Bearbeitung des Antrags des Kläger überschritten, das Ergebnis der Klagabweisung folgt jedoch aus dem Umstand der Mitteilung eines hinreichenden Grundes, über die Gewährung erst mit Verzögerung zu entscheiden: Nach § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragstellung bzw. in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten darüber zu informieren. Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse die nach Satz 1 oder Satz 4 in § 13 Abs. 3a vorgesehenen Fristen nicht einhalten, so hat sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig auf schriftlichem Wege mitzuteilen. Sofern keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Die Beklagte hat den Kläger über die Verzögerung ausreichend informiert. Die Kammer brauchte dabei nicht auf das bei der Beklagten aktenkundige Informationsschreiben vom 11. September 2014 zurückzugreifen, dessen Erhalt der Kläger mit seinem Schriftsatz vom 22. Juni 2015 bestritten hat. Da im Falle des Klägers die Einschaltung des MDK zwingend war und da die in derartigen Fällen vorgesehene fünfwöchige Bearbeitungsfrist gleichzeitig auch als Frist für die Mitteilung eines hinreichenden Grundes anzunehmen ist, genügte die Benachrichtigung durch das spätere Schreiben vom 2. Oktober 2014. Entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung sieht die Kammer die Mitteilung vom 2. Oktober 2014 als inhaltlich ausreichend an. Die Kammer vermag keine näheren Erläuterungen zu fordern, etwa über die Daten des Auftragseingangs beim MDK, über eventuelle Anforderungen von Berichten seitens der behandelnden Ärzte oder Krankenhäuser, über Organisation und Ablaufplanung beim MDK oder über die Reihenfolge der Terminvergabe. Es dürfte angemessen sein, die Anforderungen an die Darlegungen in einem Informationsschreiben vom absehbaren Ausmaß der jeweiligen Verzögerung abhängig zu machen. Da das Ausmaß der Verzögerung im Falle des Klägers offenbar überschaubar war, außerdem der erste Termin der Begutachtung nach Aktenlage ebenso wie nachfolgend der zweite Termin mit Befragung und Untersuchung jeweils unmittelbar bevorstanden, genügte die hier von der Beklagen gewählte Formulierung mit dem allgemein gehaltenen Hinweis auf die Phase der Bearbeitung durch den MDK. Weitergehendes im Sinne einer umfassenden MDK-Zwischennachricht zu allen Details des Untersuchungsablaufs zu fordern, würde den bürokratischen Aufwand vermehren, ohne einen ersichtlichen Nutzen im Sinne des durch § 13 Abs. 3a SGB V intendierten Beschleunigungsgebots zu erzielen. Abgesehen von dem zeitlich und inhaltlich den Maßgaben des § 13 Abs. 3a SGB V genügenden Schreiben der Beklagten vom 2. Oktober 2014 ergibt sich aber auch aus dem nachfolgenden Ablauf kein Anhaltspunkt für einen Eintritt der Genehmigungsfiktion. Vielmehr ist der Kläger am 23. Oktober 2014 zeitnah über das erste Gutachten des MDK vom 13. Oktober 2014 informiert worden. Das im zweiten Schritt mit körperlicher Untersuchung am 5. Dezember 2014 gefertigte MDK-Gutachten ist am 19. Dezember 2014 an den Kläger abgegangen. Den Ausführungen des MDK war das Ergebnis, das sich im Ablehnungsbescheid vom 18. Februar 2015 niedergeschlagen hat, bereits mit ausreichender Sicherheit zu entnehmen. Bevor er das MDK-Gutachten vom 5. Dezember 2014 übermittelt bekam, ist der Kläger durch die am 20. November 2014 stattgehabte körperliche Untersuchung sowie die Einladung zu diesem Termin in genügender Weise über den jeweiligen Verfahrensstand in Kenntnis gesetzt worden und informiert gewesen. Der Kläger kann sich nicht erfolgreich auf die Ausführungen des Sozialgerichts (SG) Augsburg vom 3. Juni 2014 (Urteil zum Az: S 6 KR 339/13) berufen. Zwar hat das SG Augsburg in seinem Fall des Antrages auf Versorgung mit einem Genium-Kniegelenk eine Fiktion der Genehmigung zugrundegelegt und die dortige Beklagte zur Leistung verurteilt. Dem lag allerdings die Konstellation einer ohne zwischenzeitlichen Kontakt unbearbeitet gebliebenen Antragstellung zugrunde. In den dortigen Entscheidungsgründen heißt es ua, die (dortige) Beklagte habe dem Kläger nicht mitgeteilt, dass sie die Fristen nach Satz 1 des § 13 Abs. 3a SGB V nicht einhalten könne. Demgegenüber dürfte sich im Falle des hiesigen Klägers aus der Formulierung vom 2. Oktober 2014, die Entscheidung über den Kostenübernahmeantrag "verzögere sich leider" die sinngemäße Mitteilung herauslesen lassen, die Fünf-Wochen-Frist könne nicht eingehalten werden. Nach alledem ist kein Anspruch aus einer zu fingierenden Genehmigung abzuleiten. Es wird vielmehr das Widerspruchsverfahren durchzuführen sein. Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 SGG.