Sozialgericht Stade
Urt. v. 29.06.2015, Az.: S 1 KR 252/14
Anspruch auf Kostenübernahme für eine Kopforthese gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 29.06.2015
- Aktenzeichen
- S 1 KR 252/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 19891
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2015:0629.S1KR252.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs 3 S. 1 Var. 2 SGB V
- § 27 Abs 1 S. 1 SGB V
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für eine Kopforthese nach den Vorschriften des Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Der im Oktober 2013 geborene Kläger wies eine Schädeldeformation im Sinne eines Plagiocephalus mit Abflachung occipital auf. Die im Rahmen einer Schädelvermessung bestimmten Diagonalen wiesen Werte von 144,5 mm bzw 143,1 mm, somit eine Differenz von 1,4 mm, auf.
Der Kläger beantragte am 11. April 2014 unter Vorlage einer Verordnung von H. vom 4. April 2014 die Kostenübernahme für Kopforthese und die damit verbundene Behandlung. Beigefügt war ein Kostenvoranschlag der Firma I. vom 11. April 2014 über einen Betrag von EUR 1.965,34. Ebenfalls beigefügt waren Fotos vom Schädel des Klägers.
Der von der Beklagten befragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam im Gutachten vom 24. April 2014 zu dem Ergebnis, dass die Messdaten der Diagonalen keine wesentliche Plagiocephalie begründen könnten. Alternativ sei eine Seitenlagerung des Kopfes zu empfehlen.
Unter Verweis auf das Gutachten des MDK wies die Beklagte mit Bescheid vom 29. April 2014 den Antrag des Klägers zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 6. Mai 2014 Widerspruch. Darin führten die Eltern des Klägers aus, dass sie ihren Sohn von Anfang an fachgerecht gelagert hätten, zumal beide in der Pflege tätig seien. Drei verschiedene Ärzte hätten die Therapie empfohlen. Zu befürchten seien physische und psychische Spätfolgen, wenn eine Behandlung mit der Kopforthese unterbleibe. Zur Untermauerung des Widerspruchs reichte der Kläger Bescheinigungen von J. vom 2. Mai 2014 sowie der behandelnden Ärztin K. vom gleichen Tage ein, die jeweils die Erforderlichkeit einer Kopforthese bestätigten.
Der von der Beklagten erneut befragte MDK kam im Gutachten vom 23. Mai 2014 zu dem Ergebnis, dass eine Kostenübernahme nicht empfohlen werden könne. Bei der Versorgung mit einer Kopforthese handele es sich um eine sogenannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sei. Zudem habe eine randomisierte und kontrollierte Studie, veröffentlicht im British Medical Journal (BMJ) 2014, 348, ergeben, dass ein kausaler Einfluss der Helmtherapie auf Schädeldeformationen im Vergleich mit der Entwicklung von Schädeldeformationen bei nicht versorgten Kontrollgruppen nicht erkannt worden sei.
In einem von der Klägerseite eingereichten Attest von H. vom 25. Juli 2014 wies dieser auf die seiner Ansicht nach bestehenden Schwächen der im BMJ veröffentlichten Studie hin. Es sei moralisch und ethisch nicht vertretbar, Studien mit nichtbehandelten Kontrollgruppen durchzuführen. Außerdem werde er nicht die Verantwortung für die fehlende Behandlung übernehmen.
Nachdem die Beklagte den MDK erneut befragt hatte (Gutachten vom 14. August 2014) wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2014 den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verwies auf die Stellungnahmen des MDK. Hiergegen erhob der Kläger am 30. Oktober 2014 Klage zu dem Sozialgericht Stade.
Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Vorverfahren und trägt vor, dass die Schädeldeformation ein sofortiges Handeln erfordert habe. Um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode könne es sich schon deshalb nicht handeln, da bereits aus dem Altertum bekannt sei, dass es Behandlungen von Schädeldeformationen mit Helmen bzw Umwicklungen gegeben habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2014 zu verpflichten, die Kosten für die Helmtherapie zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ihre Bescheide seien nicht zu beanstanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungs- findung geworden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für die Behandlung mittels der Helmtherapie gegen die Beklagte.
Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V sind nicht gegeben. Danach hat die Krankenkasse Kosten einer Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit diese medizinisch notwendig war und die Krankenkasse sie zu Unrecht abgelehnt hat.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V kann nicht weiter reichen als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f [BSG 24.09.1996 - 1 RK 33/95] = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 10: Visudyne; SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 3: Künstliche Befruchtung mittels ICSI; BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R - RdNr 8: Restless-Legs-Syndrom).
Dies ist nicht der Fall. Die Helmtherapie gehört nicht zu den Sachleistungen, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten sind. Gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit Hilfsmitteln (Satz 2 Nr 3). Geschuldet ist eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) und der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nach § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V. Nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Die Behandlung mit der Kopforthese stellt eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar. Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine ärztliche Untersuchungs- oder Behandlungsmethode "neu", wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) aufgeführt wird (BSGE 81, 54, 58 [BSG 16.09.1997 - 1 RK 28/95] = SozR 3-2500 § 135 Nr 4; BSGE 81, 73, 75 f [BSG 16.09.1997 - 1 RK 32/95] = SozR 3-2500 § 92 Nr 7; BSGE 94, 221 [BSG 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R] RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25 mwN).
Die Helmtherapie unterliegt den Vorgaben für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Zu beurteilen ist nicht etwa ausschließlich der Anspruch auf ein Hilfsmittel (der Kopforthese), wofür andere rechtliche Bestimmungen gelten und insbesondere die Einschränkungen der §§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5, 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nicht anzuwenden sind. Denn maßgeblich ist hier, dass die Kopforthese den Erfolg der Krankenbehandlung im Sinne des § 33 Abs 1 Satz 1 Fall 2 SGB V sichern soll. Soll ein Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V) deren "Erfolg sichern" (§ 33 Abs 1 SGB V), ist seine Verwendung nach der Rechtsprechung des BSG - anders als etwa bei Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich - nicht von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach §§ 2 Abs 1 Satz 3, 12 Abs 1 SGB V i.V.m. § 135 Abs 1 SGB V zu trennen. Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten "Methode" (stRspr seit BSGE 82, 233, 237 [BSG 23.07.1998 - B 1 KR 19/96 R], zusammenfassend BSG, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 10/07 R). Diesen Zusammenhang hat das BSG auch ausdrücklich für die Helmtherapie bestätigt (BSG, Beschluss vom 19. September 2012, B 3 KR 14/12 B).
Es handelt sich um eine im Rechtssinne "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Die Behandlung mit der Kopforthese ist bis zum heutigen Tage nicht im EBM gelistet. Ob die Methode bereits im Altertum Verwendung fand, ist vor diesem Hintergrund nicht von Belang. Ein positiver Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Aufnahme der Helmtherapie in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung liegt nicht vor. Die Behandlungsmethode kann daher nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Dies entspricht der einheitlichen Rechtsprechung der Landessozialgerichte (vgl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Februar 2015, L 11 KR 3297/14, , mwN).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.