Sozialgericht Stade
Urt. v. 28.09.2015, Az.: S 9 R 257/15

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
28.09.2015
Aktenzeichen
S 9 R 257/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 26610
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:0928.S9R257.15.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Zuschlages zu einer - zu Unrecht festgestellten - Kindererziehungszeit (sogenannte Mütterrente) auf den Antrag der Klägerin vom 19. Februar 2015. Die Klägerin wurde 1948 in Johannesburg (Südafrika) geboren und heiratete dort im April 1970 den aus Verden/Aller stammenden deutschen Staatsbürger Walter A ... Am 15. Juni 1970 gebar die Klägerin ihre Tochter G. (in Johannesburg, während die Hochzeit in Manzini/ Swaziland stattgefunden hatte). Vor dem Hintergrund des damaligen Apartheid-Regimes übersiedelten die Eheleute am 9. April 1972 aus Südafrika nach Deutschland. Am 10. Dezember 1991, eingegangen am 3. März 1992, stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag, eine Kindererziehungszeit für das Kind G. festzustellen. In dem Antrag gab sie an, das in Johannesburg, Südafrika, geborene Kind während der gesamten 10 Jahre bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr erzogen zu haben, wobei sie gleichzeitig auch durch entsprechendes Ankreuzen erklärte, die Erziehung sei nicht im Ausland erfolgt (obwohl dies bis zum 8. April 1972 der Fall war). Die Beklagte erkannte daraufhin in ihrem Vormerkungsbescheid vom 15. Mai 1992 eine Kindererziehungszeit für die Monate August 1970 bis Juli 1971 an, gleichzeitig eine Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den Zeitraum vom 15. Juli 1970 bis zum 14. Juli 1980. Eine Überprüfung des Kontos nebst Beiziehung der Anmelde- und Zuzugsbescheinigung führte zu dem Kontenklärungsbescheid vom 15. Dezember 2003. In diesem Bescheid stellte die Beklagte fest, der Bescheid vom 15. Mai 1992 sei rechtswidrig, weil die Erziehung zunächst (dort angegeben: bis zum 12. April 1972) nicht auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sei. Da der Bescheid vom 15. Mai 1992 allerdings aus Gründen des Fristablaufs nicht mehr zurückgenommen werden könne, fänden die rechtswidrig anerkannten Zeiten bei künftigen Leistungsansprüchen Berücksichtigung. Die Rentenzahlungen nähmen allerdings an den Rentenanpassungen solange nicht teil, bis der zum Vergleich dienende Zahlbetrag der Rente ohne die Zeit der Kindererziehung einschließlich der Rentenanpassungen den "eingefrorenen" Betrag erreicht habe. Unter Übernahme der Maßgaben vom 15. Dezember 2003 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit dem Bescheid vom 18. Januar 2008 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bzw nach Altersteilzeitarbeit. Sie zahlte für die Zeit ab dem 1. Februar 2008 monatlich laufend 792,05 EUR, wobei es in dem Bescheid unter anderem hieß, die rechtswidrig anerkannte Kindererziehungszeit sei bei der Rentenberechnung berücksichtigt worden und werde nur aus technischen Gründen nicht dargestellt. Nichts Anderes in Bezug auf die Kindererziehungszeit ergab sich in dem Bescheid vom 26. Februar 2009, der aufgrund einer geänderten Bewertung einer hier keine Rolle spielenden Beitragszeit vom 17. September bis zum 31. Dezember 2004 erging. Am 19. Februar 2015 ging bei der Beklagten der streitgegenständliche Antrag der Klägerin ein, ihr zu der für G. (ursprünglich) berücksichtigten Kindererziehungszeit einen Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunktes zu gewähren (Mütterrente) und dementsprechend höhere Rentenleistungen zu erbringen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch ihren Bescheid vom 31. März 2015 ab. Der Zuschlag sei lediglich für materiell-rechtlich zutreffend in den Versicherungsverlauf einbezogene Kindererziehungszeiten auszusprechen. Dem gegenüber sei die Anerkennung im Falle der Klägerin zu Unrecht erfolgt und lediglich in Anbetracht der nicht erfüllten Maßgaben des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufrechterhalten worden. Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, Anknüpfungspunkt für den streitigen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten sei lediglich der Tatbestand der angerechneten Kindererziehungszeit, nicht jedoch der Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit dieser Anrechnung. Die Beklagte wies den Widerspruch durch ihren Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2015 zurück. Die einschlägige Vorschrift des § 307d Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sei dahin zu verstehen, lediglich für tatsächlich zustehende Kindererziehungszeiten einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten anzuordnen. Dagegen richtet sich die am 30. Juni 2015 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung betont die Klägerin im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten vom 15. Dezember 2003 sowie im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Übersiedlung nach Deutschland, G. noch vor Vollendung von deren zweiten Lebensjahr im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erzogen zu haben. Abgesehen davon entspreche es dem Gerechtigkeitsgedanken, die Beklagte für die Folgen der von ihr zu verantwortenden Entscheidung vom 15. Mai 1992 in weitergehendem Umfang verantwortlich zu machen als bisher geschehen. Die Klägerin beantragt sinngemäß nach ihrem Vortrag im schriftlichen Verfahren, 1. den Bescheid vom 31. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2015 aufzuheben und 2. auf ihren am 19. Februar 2015 gestellten Antrag einen Zuschlag zur Kindererziehungszeit betreffend ihre am 15. Juni 1970 geborene Tochter Heidi in den Versicherungsverlauf aufzunehmen und ihr dementsprechend höhere Altersrente zu zahlen. Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für auch weiterhin zutreffend. Denn mit der vorübergehenden Einbeziehung der Kindererziehungszeit in den Versicherungsverlauf bis zur vollständigen Abschmelzung auf die Höhe der rechtmäßig zustehenden Rente einschließlich der Rentenanpassungen werde dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in genügender Weise Rechnung getragen. Als Grundlage für weitergehende Rechte könne die rechtswidrig zuerkannte Versicherungszeit nicht dienen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Rentenakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, zu der die Klägerin nicht erschienen ist, sowie Gegenstand der Beratung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2015 erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, in ihren Versicherungsverlauf einen Zuschlag von einem persönlichen Entgeltpunkt für ihre am 15. Juni 1970 geborene Tochter G. aufzunehmen und ihr dementsprechend höhere Rentenleistungen zu erbringen. Die als Anspruchsgrundlage einzig in Betracht zu ziehende, einschlägige Vorschrift des § 307d SGB VI gewährt denjenigen Versicherten den von der Klägerin begehrten Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für die Erziehung eines vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindes, bei denen 1. in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde (und) 2. kein Anspruch nach den §§ 294 und 294 a SGB VI besteht. Für die Beurteilung des Falles der Klägerin kommt es auf die Auslegung der Anspruchsvoraussetzung zu 1. an, also der Frage, ob hier im Sinne des § 307d Abs. 1 SGB VI in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde. Denn die weitere Voraussetzung des Fehlens eines Anspruchs nach den §§ 294 und 294 a SGB VI ist ohne weiteres erfüllt. Diese Vorschriften beziehen sich auf die Kindererziehungsleistung zugunsten der vor dem 1. Januar 1921 geborenen Mütter, zu denen die Klägerin nicht zählt. Die Kammer sieht die hier lediglich vorübergehend aus Gründen der Wahrung des Besitzstandes nach § 48 Abs. 3 SGB X erfolgenden Leistungen nicht als in der Rente im Sinne des § 307d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI angerechnete Kindererziehungszeit an. Bereits nach dem Wortlaut bestehen insoweit Zweifel, als der begünstigende Kontenklärungsbescheid vom 15. Mai 1992 zwar nicht nach § 45 SGB X aufgehoben worden ist, jedoch in der Phase der Abschmelzung nach § 48 Abs. 3 SGB X lediglich noch anteilig zur Anrechnung führt. Vor allem aber sollten Sinn und Zweck der Aussparungsregelung des § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X Anlass sein, für die "Anrechnung" des § 307d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI eine zu recht erfolgte Anrechnung zu verlangen. Wenn schon nach § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes durchbrochen werden kann, also der Sozialversicherungsträger trotz Unaufhebbarkeit eines Verwaltungsaktes die bereits zugesprochene Leistung einfrieren darf, muss es (erst recht) möglich sein, an den bestandskräftigen Verwaltungsakt anknüpfende neue Rechte zu versagen. Im Falle der Klägerin handelt es sich bei dem streitigen Zuschlag um ein derartiges neues Recht. Unabhängig von der Frage nach der Verantwortlichkeit für den rechtswidrigen Bescheid vom 15. Mai 1992 konnte die Klägerin bereits seit dem Kontenklärungsbescheid vom 15. Dezember 2003 nicht mehr darauf vertrauen, dass sich an die nur noch mit den Maßgaben der späteren Aussparung anerkannte Kindererziehungszeit weitergehende Vorteile anschließen könnten. Die Beklagte hatte bereits zum damaligen Zeitpunkt klargestellt, dass es an den Rechtsgrundlagen für die Aufnahme einer Kindererziehungszeit in den Versicherungsverlauf gefehlt hatte. Die Kammer hat bei alledem unterstellt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Februar 2015 der Vorgang der Aussparung noch nicht beendet war, also die Rentenanpassungen in ihrer Summe noch nicht die Differenz zwischen dem Brutto-Auszahlungsbetrag unter Ausklammerung der Kindererziehungszeit einerseits und unter Einbeziehung der Kindererziehungszeit andererseits erreicht hatten. Sofern der Zeitraum der Aussparung bereits abgelaufen gewesen sein sollte, würde es erst recht an einer Grundlage für die Einbeziehung des Zuschlages nach § 307d Abs. 1 SGB VI gefehlt haben. Keine Bedeutung hat der Vortrag der Klägerin, G. noch während einiger Tage des Jahres 1972 bis zu ihrem vollendeten zweiten Lebensjahr im Bundesgebiet erzogen zu haben. Denn der Zuschlag nach § 307d Abs. 1 SGB VI knüpft lediglich an den Tatbestand einer Kindererziehung während des zwölften Monats nach der Geburt an. Insoweit kommt es also auf die Verhältnisse im Juli 1971 an, nicht auf die Verhältnisse im Jahre 1972. Die Vergünstigung des § 307d Abs. 1 SGB VI wirkt sich zwar wie ein zweites Jahr Kindererziehungszeit aus, wird aber verwaltungstechnisch in Gestalt eines zusätzlichen persönlichen Entgeltpunktes umgesetzt, um die aufwendige Neuerstellung von Versicherungsverläufen zu vermeiden. Nach alledem musste die Klage vorliegend ohne Erfolg bleiben. Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und orientiert sich am Ergebnis der Hauptsache.