Sozialgericht Stade
Beschl. v. 15.05.2015, Az.: S 29 KR 10/15 ER

Berücksichtigung einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Gewährung von Krankengeld

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
15.05.2015
Aktenzeichen
S 29 KR 10/15 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 15965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:0515.S29KR10.15ER.0A

Redaktioneller Leitsatz

1.

Soweit sich aus den gesetzlichen Vorgaben in § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V die Notwendigkeit ergibt, für einen Krankengeldanspruch die Arbeitsunfähigkeit (AU) am letzten Tag eines endenden Versicherungsverhältnisses feststellen zu lassen, ist dies zwar streng, aber rechtlich nicht zu beanstanden.

2.

Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) sind grundsätzlich vom Versicherten zu tragen.

3.

Der nachgehende Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 S. 1 SGB V verdrängt eine ansonsten regelmäßig vorrangige Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nur dann, wenn bei einer prognostischen Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass der Versicherte innerhalb eines Monats eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen wird.

Tenor:

Der Antrag, die Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, Kranken- geld ab dem 15. Januar 2015 zu gewähren, wird abgelehnt. Kosten des Antragsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Frage, ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin Krankengeld ab dem 15. Januar 2015 zahlen muss. Die 1982 geborene und bei der Antragsgegnerin gegen das Risiko der Krankheit versicherte Antragstellerin war ab dem 28. Oktober 2013 Teilnehmerin einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, die von der Deutschen Rentenversicherung Bund getragen wurde. Ab dem 24. November 2014 erkrankte die Antragstellerin bei der Diagnose F 41.2 G (später G 54.2) arbeitsunfähig (au). Die Arbeitsunfähigkeit (AU) wurde der Antragstellerin bis zum 9. Januar 2015 fortlaufend attestiert. Für die Zeit vom 24. November bis zum 28. Dezember 2014 zahlte die Deutsche Rentenversicherung Bund das der Antragstellerin während der Maßnahme zu- stehende Übergangsgeld fort. Die Antragsgegnerin bewilligte sodann Krankengeld für die Zeit vom 29. Dezember 2014 bis zum 9. Januar 2015. Am 12. Januar 2015 unternahm die Antragstellerin den Versuch, die Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben wieder aufzunehmen. Bereits am 14. Januar 2015 musste sie den Versuch abbrechen. Am Folgetag, also am 15. Januar 2015, stellte der Facharzt für Allgemeinmedizin D. der Antragstellerin eine neuerliche AU-Bescheinigung aus, nunmehr aufgrund der Diagnose J 06.9 G. Am 16. Januar 2015 teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund der Antrags- gegnerin mit, die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben habe schon mit dem 28. Dezember 2014 geendet. Die Antragsgegnerin zahlte der Antragstellerin aufgrund der Krankschreibung vom 15. Januar 2015 kein Krankengeld mehr. Sie verwies vorläufig darauf, den Tatbestand einer fortbeste- henden Versicherungspflicht gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund abzuklären. Mit ihrem am 21. April 2015 eingegangenen Antrag verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren, Krankengeld für die Zeit ab dem 15. Januar 2015 zu erhalten, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beim erkennenden Gericht weiter. Sie trägt vor, zur Bestreitung ihres Le- bensunterhalts dringend auf die Zahlung des Krankengeldes angewiesen zu sein. Sie verweist auf ihre Erkrankung G 54.2 sowie auf ihre Schwangerschaft mit einem durch den Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe E. am 12. März 2015 für die Zeit ab diesem Tag bestätigten, absoluten Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG).

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß nach ihrem Vortrag im schriftlichen Verfahren,

die Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, Krankengeld für die Zeit ab dem 15. Januar 2015 zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzuweisen.

Die Antragsgegnerin stellt nunmehr auf eine fehlende Mitgliedschaft der Antragstellerin zum Zeitpunkt der erneuten Krankschreibung am 15. Januar 2015 ab. Selbst wenn die Maßnahme der Deutschen Rentenversicherung Bund nicht schon zum 28. Dezember 2014 geendet habe, sondern erst am 14. Januar 2015, habe am 16. Januar 2015 keine Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden. Auf diesen Tag komme es an, weil der Anspruch auf Krankengeld erst von dem Tag an entstehe, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folge. Da bei prognostischer Betrachtung vom Fortbestand der AU auszugehen (gewesen) sei, komme ein nachgehender Leistungsanspruch nach § 19 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II. Der bereits vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens zulässige Antrag ist nicht begründet. Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache - sofern, wie hier, ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift nicht vorliegt - eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn 1. im Hinblick auf die Aussichten, mit dem materiell geltend gemachten Recht in der Hauptsache zu obsiegen, ein Anordnungsanspruch und wenn 2. im Hinblick auf eine durch eine Notlage bedingte Eilbedürftigkeit ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht beziehungslos nebeneinander. Vielmehr bilden beide Aspekte ein bewegliches System in dem Sinne, dass sich die Anforderungen an die Darlegung der drohenden Notlage umso mehr verringern, je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache einzuschätzen sind. Hohe Erfolgsaussichten, die die Anforderungen an die Darlegung einer drohenden Notlage entscheidend mindern würden, sind nicht zu bejahen. Vielmehr stellt sich ein Erfolg für die Antragstellerin in einem noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren als eher unwahrscheinlich dar. Ein Anspruch auf Krankengeld setzt nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V voraus, dass eine Krankheit den Versicherten au macht. Der Krankengeldanspruch entsteht von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt, § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Da die hier maßgebliche Feststellung der AU seitens des F. vom 15. Januar 2015 datiert, könnte der Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich am 16. Januar 2015 beginnen. Zu diesem Zeitpunkt dürfte es allerdings an der in § 44 Abs. 1 SGB V vorausgesetzten Versicherteneigenschaft fehlen. Anspruch auf Krankengeld haben nach dieser Vorschrift nämlich lediglich "Versicherte", und die Antragstellerin ist am 16. Januar 2015 gemäß den aktenkundigen Umständen offenbar nicht mehr in diesem Sinne versichert gewesen. Denn die Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 SGB V für Teilnehmer an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die im Falle des Anspruchs auf Übergangsgeld - wie hier - einen Anspruch auf Krankengeld beinhaltet, § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits geendet. Das gilt unabhängig davon, ob die Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Bund über die Beendigung der Maßnahme bereits zum 28. Dezember 2014 zugrunde gelegt wird oder aber eine Fortdauer, ggf. nach Unterbrechung, bis zum 14. Januar 2015. Der Versicherungspflicht aufgrund Fortbestehens der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V stand die Lücke von einem Tag entgegen. Die Antragsgegnerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin weitergehende Rechte auch nicht aus § 19 SGB V herleiten kann. Zwar sieht § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V einen sog. nachgehenden Leistungsanspruch vor, hier ggf. in Gestalt des Anspruchs auf Krankengeld über einen bestimmten Leistungszeitraum hinaus. Die Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V eröffnet den zusätzlichen Leistungsanspruch allerdings nicht voraussetzungslos. Vielmehr ist der Anspruch aus dieser Bestimmung auf Fälle von vornherein absehbar kurzfristiger Überbrückungszeiten bis zum Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses zu begrenzen (vgl. BSG-Urteil vom 10. Mai 2012, Az.: B 1 KR 19/11 R). Der nachgehende Leistungsanspruch aus § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V verdrängt die ansonsten vorrangige Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nur dann, wenn bei einer prognostischen Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass der Versicherte innerhalb eines Monats eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen wird. Um den Status des Versicherten nach Möglichkeit nicht im Ungewissen zu lassen, ist für die Beurteilung an den Zeitpunkt des Endes der Versicherungspflicht anzuknüpfen, hier also an das Ende der Maßnahme zur Teilhabe spätestens am 14. Januar 2015. Die Anwendung auf den Fall der Antragstellerin führt somit zur Ablehnung eines Anspruchs aus § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Denn an die Aufnahme eines Versicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnisses war nicht zu denken. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die zur AU führenden Diagnosen, vielmehr in besonderer Weise auch im Hinblick auf die Schwangerschaft mit dem für die Zeit ab dem 12. März 2015 ausgesprochenen, absoluten Beschäftigungsverbot. Die für die Antragstellerin nachteiligen Folgen ergeben sich aus der Strenge der gesetzlichen Vorgaben in § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Um ihren Anspruch auf Krankengeld zu sichern, hätte sich die Antragstellerin bereits am letzten Tag der die Versicherungspflicht begründenden Maßnahme erneut au schreiben lassen müssen, also am 14. Januar 2015. Die AU-Schreibung erst am Folgetag, also am 15. Januar 2015 konnte den - erneuten - Anspruch auf Krankengeld nicht mehr begründen. Am 15. Januar 2015 befand sich die Antragstellerin schon nicht mehr in einem für den Krankengeldanspruch vorausgesetzten Versicherungsverhältnis. Die Kammer vermag die Kritik der Antragstellerin an den gesetzlichen Vorgaben und der diese Vorgaben betonenden Rechtsprechung des BSG nachzuvollziehen. Allerdings betrifft diese Kritik in erster Linie die Anforderungen bei Folgebescheinigungen während laufender, abschnittsweiser Krankengeldgewährung (vgl. Knispel, zur ärztlichen Feststellung des Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit bei abschnittsweiser Krankengeldgewährung in: NZS 2014, Seiten 561 ff.). Demgegenüber geht es im Falle der Antragstellerin um das Sonderproblem der Notwendigkeit, die AU am letzten Tag eines endenden Versicherungsverhältnisses feststellen zu lassen. Für diesen Sonderfall erscheint es der Kammer allerdings eher einsehbar, ein Tätigwerden des Versicherten noch innerhalb der Zeit des bestehenden Versicherungsverhältnisses zu verlangen als in den Fällen der bereits laufenden Krankengeldzahlung. Mit ihrer Wiederaufnahme der Maßnahme der Deutschen Rentenversicherung Bund war die Antragstellerin in höherem Maße veranlasst, für den Fall eines Scheiterns und des Eintritts erneuter AU vorzusorgen, als es im Rahmen der laufenden Krankengeldgewährung, hier bis zum 9. Januar 2015, der Fall gewesen wäre. Inwieweit zusätzlich die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund, die Maßnahme bereits am 28. Dezember 2014 zu beenden, dem von der Antragstellerin geltend gemachten Begehren entgegensteht, konnte bei alledem offen bleiben. Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der AU sind grundsätzlich vom Versicherten zu tragen, hier von der Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens. Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, bei dem die Feststellung der AU ausnahmsweise mit Geltung für den letzten Tag des Versicherungsverhältnisses bzw. Krankengeldbezugs hätte nachgeholt werden können (vgl. dazu: BSG-Urteil vom 8. November 2005, Az.: B 1 KR 30/04 R), liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen könnten, dass das Unterbleiben einer ärztlichen Feststellung der AU bis spätestens am 14. Januar 2015 durch Umstände verhindert bzw. verzögert worden sein könnte, die nicht ihrem, sondern dem Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin zuzurechnen sind. Die Kammer lässt offen, ob auch der Mangel einer bescheinigten AU über den 19. Januar 2015 hinaus dem geltend gemachten Anspruch entgegensteht. Soweit ersichtlich wurde der Antragstellerin AU erst wieder am 27. Januar 2015 (bis zum 6. Februar 2015) ärztlich attestiert. Für die Zeit bis zur Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim erkennenden Gericht, also für die Zeit bis zum 20. April 2015, dürfte es im Übrigen am Vorliegen eines Anordnungsgrundes fehlen. Denn das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dient der Behebung einer gegenwärtigen Notlage. Eine solche gegenwärtige Notlage muss für Zeiten in der Vergangenheit zwangsläufig ausscheiden. Die Kammer unterstellt bei alledem den Vortrag vom 21. April 2015 als zutreffend, die Antragstellerin sei einkommens- und vermögenslos und werde von ihren Eltern nicht länger unterstützt. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).