Sozialgericht Stade
Urt. v. 21.07.2015, Az.: S 29 KR 291/14

Maßgeblichkeit des Zeitraums der festgestellten Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Gewährung von Krankengeld

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
21.07.2015
Aktenzeichen
S 29 KR 291/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 21828
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:0721.S29KR291.14.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld über den 31. August 2014 hinaus. Die 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit versichert. In der Vergangenheit war dies der Fall aufgrund einer Bürotätigkeit in der Firma ihres Ehemannes bis Juli 2010. Während der nachfolgend eingetretenen Arbeitslosigkeit erkrankte die Klägerin am 11. November 2013 arbeitsunfähig. Da die Arbeitsunfähigkeit in der Folgezeit durch ärztliche Bescheinigungen ohne Unterbrechung nachgewiesen wurde, zahlte die Beklagte Krankengeld bis zum 31. August 2014. Die behandelnden Fachärzte für Allgemeinmedizin G. und H. hatten zuletzt am 25. Juli 2014 das Weiterbestehen der Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 31. August 2014 bescheinigt, einem Sonntag. Da sich die Klägerin erst wieder am Folgetag, also am Montag, dem 1. September 2014, bei den genannten Fachärzten vorstellte, wo wiederum Arbeitsunfähigkeit - für die Zeit bis zum 30. September 2014 - festgestellt wurde, lehnte es die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 12. September 2014 ab, das Krankengeld fortzuzahlen. Die Klägerin habe sich spätestens am letzten Tag der attestierten Arbeitsunfähigkeit vorstellen müssen, also am 31. August 2014. Die Klägerin erhob Widerspruch und bezog sich auf eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie I. vom 18. September 2014. In dieser Bescheinigung heißt es ua, die Klägerin habe die Praxis zuvor schon am 25. August 2014 aufgesucht (ohne dass an diesem Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt worden sei). Es habe sich bei dem Besuch der Eindruck einer gegenwärtigen und nicht kurzfristig zu beendenden Arbeitsunfähigkeit ergeben. Anhaltspunkte dafür, die Arbeitsunfähigkeit bereits mit dem 31. August 2014 zu beenden, seien nicht zu Tage getreten. Die Beklagte wies den Widerspruch gleichwohl mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 13. November 2014 zurück. Zusätzlich zum Vorliegen des Tatbestandes der Arbeitsunfähigkeit komme es für die Erfüllung des Anspruchs auf Krankengeld auf die Rechtzeitigkeit der jeweiligen ärztlichen Feststellung an. Am Fehlen einer solchen ärztlichen Feststellung - entweder am 31. August 2014 oder an einem diesem Datum vorangegangenen Tag - fehle es ungeachtet der Bescheinigung des Facharztes I. und ungeachtet der am 1. September 2014 nachgeholten Feststellung der Fachärzte G. und H ... Unter dem 8. Mai 2014 sei die Klägerin auf die Bedeutung des nahtlosen Nachweises der Arbeitsunfähigkeit und auf die Folgen einer Versäumnis hingewiesen worden. Die seit dem 1. September 2014 bestehende Pflichtversicherung als Bezieherin einer Witwenrente beinhalte keinen Anspruch auf Krankengeld. Dagegen richtet sich die am 11. Dezember 2014 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung vertritt die Klägerin die Auffassung, die Tatsache des Arztbesuchs bei dem Psychiater und Psychotherapeuten I. am 25. August 2014, verbunden mit der Bescheinigung darüber vom 18. September 2014 müsse für die Annahme nahtloser Feststellungen genügen. Die Klägerin beantragt sinngemäß nach ihrem Vortrag im schriftlichen Verfahren,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

  2. 2.

    ihr Krankengeld auch über den 31. August 2014 hinaus in gesetzlicher Höhe und im gesetzlichen Umfang zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für ungeachtet des Vortrags der Klägerseite weiterhin zutreffend. Sie hat ergänzend mitgeteilt, für die Zeit ab dem 11. November 2013 sei Krankengeld in kalendertäglicher Höhe von 37,30 EUR (brutto) zur Auszahlung gekommen. Die Höchstanspruchsdauer für den Fall nahtlos bescheinigter Arbeitsunfähigkeit würde mit dem 10. Mai 2015 erreicht sein (nach 546 Tagen). Die Beteiligten haben sich mit ihren Schriftsätzen vom 9. und vom 16. Juli 2015 mit einer Entscheidung nach Aktenlage einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Aktenlage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise in ihren Schriftsätzen vom 9. und vom 16. Juli 2015 ausdrücklich einverstanden erklärt hatten. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fortzahlung von Krankengeld über den 31. August 2014 hinaus. Rechtgrundlage für die Bewilligung bzw. Fortzahlung des streitigen Krankengeldes über den 31. August 2014 hinaus ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Danach haben Versicherte unter anderem dann Anspruch auf Krankengeld, wenn sie infolge einer Erkrankung arbeitsunfähig sind. Auf die Frage nach dem sozialmedizinischen Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit braucht die Kammer nicht näher einzugehen, denn dieser Tatbestand ist durch entsprechende Bescheinigungen der Praxis G. und H. sowie durch die Bescheinigung des Facharztes I. vom 18. September 2014 für die streitige Zeit nachgewiesen - aktenkundig für einen bis zum 3. Februar 2015 andauernden Zeitraum. Nicht erfüllt ist demgegenüber die weitere - formale - Voraussetzung der rechtzeitigen Bestätigung der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit durch eine entsprechende ärztliche Feststellung. § 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V lässt den Anspruch auf Krankengeld erst von dem Tag an entstehen, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Diese formale Voraussetzung gilt nicht nur für die erstmalige Inanspruchnahme, sondern auch für alle Ansprüche auf Weitergewährung des nicht als Dauerleistung, sondern als zeitabschnittsweise Leistung vorgesehenen Krankengeldes. Und diese formale Voraussetzung ist ungeachtet eines nachvollziehbaren Abstellens der Klägerseite auf die im Vordergrund stehenden Zwecke des Gesetzes einzuhalten: Da im Falle der Klägerin der 1. September 2014 als maßgeblicher Tag der ärztlichen Feststellung heranzuziehen ist, hätte der Anspruch auf Krankengeld erst mit dem 2. September 2014 erneut entstehen können. Tatsächlich ist es dazu jedoch nicht gekommen, weil die Klägerin am 2. September 2014 bereits nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert war. Vielmehr war sie nunmehr als Bezieherin einer Witwenrente nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V versichert. Diese Versicherung beinhaltet keinen Anspruch auf Krankengeld, § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V. In Anbetracht dieses - aufgelebten - Versicherungsverhältnisses als Bezieherin der Witwenrente kommt ein nachgehender Leistungsanspruch - mit Erhaltung der Mitgliedschaft - nicht in Betracht. Zwar sehen die §§ 19 Abs. 2, 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V einen Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende einer Mitgliedschaft vor. Im Fall der Klägerin ist jedoch das aufgelebte Versicherungsverhältnis als Rentenbezieherin vorrangig. Es liegt kein Fall einer absehbar kurzfristig erforderlichen Überbrückung bis zum Beginn eines neuen Versicherungsverhältnisses vor (vgl. Bundessozialgericht-BSG-, Urteil vom 10. Mai 2012, Az. B 1 KR 19/11 R).

Nicht folgen konnte die Kammer der Argumentation der Klägerin, die Bescheinigung des Facharztes I. vom 18. September 2014 führe im Zusammenhang mit den von der Praxis G. und H. bereits vorliegenden Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit zur Annahme einer nahtlosen Feststellung über den 31. August 2014 hinaus. Denn § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V knüpft ausdrücklich an den Tag der ärztlichen Feststellung an. Dieser Tag war gerade nicht der 25. August 2014, vielmehr war es der Tag der Ausstellung der Bescheinigung, also der 18. September 2014. Aus den Maßgaben über die Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), insbesondere § 275 Abs. 1a Satz 2 SGB V, geht die Notwendigkeit einer schriftlichen Bekundung am Feststellungstag hervor. Insoweit genügte es für die Begründung des weiteren Anspruchs auf Krankengeld nicht, wenn der Facharzt I. am 25. August 2014 gegenüber der Klägerin mündlich das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit bekundet haben mag. Die stark formalisierten Maßgaben des Gesetzgebers sind zu verstehen unter der Prämisse, einerseits Maßnahmen zur Rehabilitation zeitnah einleiten zu können, andererseits Prüfungen durch den MDK zu erleichtern.

Die Kammer kann die Kritik der Klägerin an der strengen Handhabung der gesetzlichen Vorgaben in Fällen wie dem vorliegenden nachvollziehen, in denen der letzte Tag der bisher bescheinigten AU auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt. Indessen sieht sich die Kammer aus Gründen der Gleichbehandlung an die diesbezügliche Rechtsprechung des BSG gebunden. Zuletzt in seinem Urteil vom 4. März 2014 (Az. B 1 KR 17/13 R) hat das BSG formuliert, die (dortige) Klägerin habe die Möglichkeit gehabt, bereits am vorangegangenen Freitag erneut einen Arzt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufzusuchen oder aber, den hausärztlichen Notfalldienst in Anspruch zu nehmen. Soweit sich der Arzt fehlerhaft verhalten habe, sei dies in derartigen Fällen nicht der Krankenkasse zuzurechnen.

Nach der vorstehend genannten Entscheidung des BSG scheidet ein Klageerfolg auch auf der Grundlage des richterrechtlich entwickelten Instituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aus. Es müsste dann insbesondere der bei der Klägerin eingetretene Schaden in Gestalt des ausgebliebenen Krankengeldes auf eine (Beratungs-) Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen sein. Es fehlt hier aber an der Möglichkeit, eine Beratungspflichtverletzung hinreichend sicher festzustellen. Denn das BSG hat die Krankenkassen schon nicht als gehalten angesehen, Hinweise auf den gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf. erneut erforderlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung zu geben und in den Formularen zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit vorzusehen. Es bestehe keine Pflicht zur Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten. Dessen ungeachtet hat die Beklagte mit Schreiben vom 8. Mai 2014 und ausweislich der Krankengeld-Auszahlungsscheine genügend deutlich auf das Erfordernis einer lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 SGG.