Sozialgericht Stade
Urt. v. 09.11.2015, Az.: S 29 KR 5/14

Versorgung mit einem Therapiedreirad als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung; Erforderlichkeit eines Dreirades aufgrund durchgehend vorhandener Schwindelgefühle

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
09.11.2015
Aktenzeichen
S 29 KR 5/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 31904
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:1109.S29KR5.14.0A

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 13. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2013 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Rahmen eines persönlichen Budgets unter Berücksichtigung eines Eigenanteils von 100,00 EUR und einer Zuzahlung von 10,00 EUR ein Therapiedreirad zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu übernehmen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen des von der Klägerin am 14. Oktober 2013 beantragten persönlichen Budgets um die Versorgung mit einem Therapiedreirad als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung.

Bei der 1953 geborenen Klägerin bestehen nach ihren Angaben seit Mai 2011 - bei medikamentös behandelten Depressionen und Angststörungen - Müdigkeit, Kräftemangel, Schwindel, Schlafstörungen und Gehbehinderungen. Sie führt aus, ein Kfz stehe ihr nicht zur Verfügung. Fußwege endeten schon nach wenigen -zig Metern. Aufgrund ihrer Zitter- und Schwindelanfälle sei sie nicht in der Lage, ein handelsübliches Fahrrad zu fahren. Sie benötige das Therapiedreirad, um ihre Gesundheit zu verbessern und um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Unter dem 27. August 2013 erstellten die behandelnden Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr. E. und F. die zum vorliegenden Rechtsstreit führende Verordnung über ein Therapiefahrrad (gemeint: Therapiedreirad) in Anbetracht der Diagnosen rezidivierender depressiver Episoden, Osteochondrosen und einer Bandscheibenprotrusion. Zu den Verwaltungsakten gelangte der Kostenvoranschlag der Firma G. vom 29. August 2013 betreffend ein gebrauchtes therapeutisches Dreirad Draisin Trici zu einem Gesamtpreis von 1.000,00 EUR.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit dem Bescheid vom 21. November 2013 ab. Die Gewährung eines Therapiedreirades komme zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich bei Kindern als Mobilitätshilfe in Betracht. Im Jugendlichen- und Erwachsenenalter seien Therapiedreiräder dagegen nicht geeignet, die hohen Anforderungen an Behandlungswege und Behandlungsziele zu erfüllen. Es stünden zielgerichtetere und wirtschaftlichere Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung wie etwa Physiotherapie oder Ergotherapie. Ein gesteigertes Bedürfnis nach Fortbewegung über längere Strecken sowie nach schnellerer Fortbewegung könne die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründen.

Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2013 zurück. Sie hob hervor, bei dem persönlichen Budget nach § 17 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) handele es sich lediglich um eine zusätzliche Form der Leistungsgewährung. Sie komme etwa in Betracht bei alltäglichen und regelmäßig wiederkehrenden Bedarfen, bei denen alternativ Gutscheine oder Geldleistungen erbracht werden könnten. Das von der Klägerin gewünschte Therapiefahrrad komme von vornherein als Gegenstand der Leistungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Betracht, so dass es auch als Gegenstand eines persönlichen Budgets ausscheide. Im Übrigen bezog sich die Beklagte auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der zufolge die gesetzliche Krankenversicherung bei einem Verlust der Gehfähigkeit lediglich für einen Basisausgleich zu sorgen habe. Die Ausgleichspflicht beziehe sich damit lediglich auf die Möglichkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen, die Wohnung zu verlassen, im Rahmen eines kurzen Spaziergangs an die frische Luft zu kommen oder Ämter, Ärzte und Läden zu erreichen, um behördliche Pflichten zu erledigen, die medizinische Grundversorgung zu erhalten und Einkäufe zu tätigen. Ein therapeutischer Effekt könne nur dann die Leistungspflicht begründen, wenn Vergleichbares weder durch ärztliche noch durch krankengymnastische Maßnahmen erreichbar sei.

Dagegen richtet sich die am 6. Januar 2014 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung führt die Klägerin ergänzend aus, aufgrund ihrer Schwindelerscheinungen ein handelsübliches Fahrrad nicht benutzen zu können. Sie sei auf ein sturzsicheres Dreirad angewiesen. Die durchgehend vorhandenen Schwindelgefühle bewirkten im Übrigen, dass sie sich auch zu Fuß nur sehr mühsam und langsam fortbewegen könne und sich ständig festhalten müsse, innerhalb der Wohnung an den vorhandenen Möbelstücken. Ihre Angstzustände und immer wieder auftauchenden Suizidgedanken hinderten sie daran, in normaler Weise am sozialen Leben teilzunehmen. Das Therapiedreirad ermögliche es ihr, aktiv am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und nicht auf das Sitzen vor dem Fernseher beschränkt zu sein. Abgesehen davon sei das Therapiedreirad besser als ein feststehender Hometrainer geeignet, die angesichts ihrer orthopädischen Probleme und Gangstörungen notwendigen Bewegungsübungen zu ermöglichen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß nach ihrem Vortrag im schriftlichen Verfahren,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 13. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

  2. 2.

    ihr im Rahmen eines persönlichen Budgets ein Therapiedreirad zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens sind zahlreiche medizinische Unterlagen zu den Akten gelangt. Gemäß dem Teil-Abhilfebescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 23. Juli 2012 ist der Klägerin für die Zeit ab dem 2. November 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt worden. Die Entscheidung hat das Landesamt auf 1. eine seelische Störung Einzel-GdB 40 und 2. Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule nach Halswirbelsäulen-Luxationsfraktur und Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule sowie einen Bandscheibenschaden Einzel-GdB 30 gestützt.

Der Arzt für Orthopädie Dr. C. hat am 22. Juli 2015 ein Gutachten erstattet. Die Beteiligten haben sich dazu in ihren Schriftsätzen vom 7. August und vom 2. September 2015 ergänzend geäußert. Mit ihren weiteren Schriftsätzen vom 14. und vom 18. September 2015 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist statthaft und zulässig.

In der Sache war die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß zu verurteilen. Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin Anspruch auf Versorgung mit einem Therapiedreirad als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Das von der Klägerin beantragte Hilfsmittel dient sowohl dem Behinderungsausgleich als auch der Sicherung des Erfolges der bei ihr zur Anwendung kommenden Krankenbehandlungen. Die Verurteilung war in zweifacher Hinsicht einzuschränken. Zum einen hat die Klägerin mit einem Eigenanteil im Hinblick auf die auch bei gesunden Versicherten anfallenden Kosten für die Mobilität mit einem tretkraftbetriebenen Fortbewegungsmittel beizutragen, zum anderen ist eine gesetzlich vorgesehene Zuzahlung zu leisten.

Als Anspruchsgrundlage hatte die Kammer die Voraussetzungen der §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3., 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu prüfen. Danach haben Versicherte u.a. Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V wegen geringen oder umstrittenen therapeutischen Nutzens oder geringen Abgabepreises ausgeschlossen sind. Auch wenn die Tatbestandsvariante des Behinderungsausgleichs erst an zweiter Stelle erwähnt wird, nämlich in zweiter Linie nach dem Zweck, den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, steht der Ausgleich einer ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion doch regelmäßig im Vordergrund der Prüfung. Insoweit folgt die Kammer der üblichen Prüfungsreihenfolge in vergleichbaren Fällen, ohne dass dies Auswirkungen auf den Inhalt der Entscheidung hat. Im Prüfungspunkt des Behinderungsausgleichs hat die Rechtsprechung eine Differenzierung nach der jeweiligen Wirkungsweise entwickelt. Wirkt das Hilfsmittel unmittelbar in Gestalt eines Ersatzes für die ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktion, z. B. in Form einer Arm- oder Beinprothese, so gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, nämlich unter Berücksichtigung des jeweils aktuellen Standes des medizinischen und technischen Fortschritts. Der gesetzlichen Krankenkasse obliegt es, den Versicherten mit demjenigen Hilfsmittel auszustatten, das es diesem ermöglicht, annähernd mit einem Gesunden gleichzuziehen. Da die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Körperfunktion bereits als solche ein Grundbedürfnis darstellt, entfällt die Prüfung, ob auch mit der Verwendung des Hilfsmittels ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens erfüllt wird. Dient ein Hilfsmittel demgegenüber (lediglich) dem Zweck, direkte oder indirekte Folgen einer Behinderung auszugleichen, beschränkt sich die Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Auswirkungen der Behinderung auf die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, also die Bedürfnisse des Gehens, Stehens, Sitzens, Liegens, Greifens, Sehens, Hörens, der Nahrungsaufnahme und des Ausscheidens der Nahrung, der elementaren Körperpflege, des selbständigen Wohnens sowie der Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Demgegenüber obliegt es anderen Sozialleistungssystemen, eine ggf. darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation sicherzustellen (vgl. zum Ganzen BSG - Urteil vom 7. Oktober 2010, Az. B 3 KR 13/09 R sowie BSG - Urteil vom 18. Mai 2011, Az. B 3 KR 12/10 R). Nach Maßgabe dieser Grundsätze geht es im Falle der Klägerin nur um den mittelbaren Behinderungsausgleich und damit um die Frage, ob ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Denn das Therapiedreirad ersetzt nicht die Körperfunktion des Laufens wie eine Beinprothese, vielmehr verschafft sie der Klägerin lediglich mittelbar einen Teil des mit der Körperfunktion des Gehens verbundenen Freiraums. Der gewisse körperliche und geistige Freiraum ist für die hier in Rede stehende Mobilität zu konkretisieren auf den sogenannten Nahbereich. Es gilt dabei ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab. Es geht um die Möglichkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen, die Wohnung für einen kurzen Spaziergang an der frischen Luft zu verlassen und ggf. Alltagsgeschäfte zu erledigen. Dagegen umfasst der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährende Basisausgleich nicht die Möglichkeiten eines Radfahrers, Joggers oder Wanderers. Eine Mindestwegstrecke ist schon vor dem Hintergrund des sich wandelnden Mobilitätsverhaltens nicht zu definieren. Jedoch soll angenommen werden, dass sich schon derjenige den Nahbereich zumutbar erschließen kann, der gesundheitlich in der Lage ist, eine Wegstrecke von etwa 500 Metern bis zu einem Kilometer am Stück zurückzulegen und nach einer kurzen Pause wiederum eine entsprechende Strecke zu bewältigen (vgl. näher das bereits zitierte BSG-Urteil vom 18. Mai 2011, ferner das Urteil des BSG vom 7. Oktober 2010, Az. B 3 KR 5/10 R nebst Anmerkung von Borner, PR-SozR 17/2011 Anmerkung 4). Unter Zugrundelegung der vorgenannten Rechtsprechung, der sich die Kammer aus eigener Überzeugung, aber auch mit Rücksicht auf die Wahrung der Rechtseinheit anschließt, ist eine Versorgung der Klägerin zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung unter dem Aspekt des Behinderungsausgleichs zu rechtfertigen: Die Kammer sieht das durch die Fachärzte H. und F. am 27. August 2013 verordnete Therapiedreirad als erforderliches Hilfsmittel zur Erweiterung des Bewegungsradius an. Denn die Klägerin kann gemäß den Ausführungen des Dr. C. mit dem ihr zur Verfügung stehenden Rollator Wegstrecken von maximal 300 m ohne entsprechende Ruhepause zurücklegen. Die Fortbewegung mit dem Rollator ist erschwert durch eine deutliche Unsicherheit und Angst vor Stürzen und Verletzungen. Mit dem Therapiedreirad könnte die Klägerin dagegen Strecken von bis zu etwa 5 km zurücklegen. Bei genügender Kippsicherheit sind Ängste vor den Folgen von Schwindelanfällen und vor einer allgemeinen Stand- und Gangunsicherheit zu begrenzen. Gemäß den Ausführungen des Dr. C. tritt zu der Einschränkung der Wegefähigkeit mit dem Rollator eine bei der Benutzung dieses Hilfsmittels auftretende, deutliche Unsicherheit hinzu. Durch die Angst vor etwaigen Stürzen und Verletzungen werde diese Unsicherheit noch verstärkt. Demgegenüber sei die Klägerin in der Lage, auf einem Therapiedreirad sicher zu sitzen. Die Angst vor Stürzen und die Stand- und Gangunsicherheit seien in Sitzhaltung nicht mehr vorhanden, zumindest aber wesentlich begrenzt. Dr. C. konnte bei diesen Ausführungen auf Angaben der Klägerin zurückgreifen, die Nutzung eines Therapiedreirades zur Fortbewegung bereits erprobt zu haben. Zur Begründung ihres Antrages gegenüber der Beklagten hatte die Klägerin am 9. September 2013 ua erklärt, Probefahrten mit Seniorendreirädern aus vier verschiedenen Angeboten in ihrer Umgebung hätten ihr Hoffnung gemacht, sich trotz der Gleichgewichtsstörungen und ihrer Wirbelsäulenschäden wieder fortzubewegen zu können.

Abgesehen von der Funktion des Behinderungsausgleichs erfüllt eine Versorgung der Klägerin mit einem Therapiedreirad gleichzeitig aber auch eine therapeutische Funktion, insbesondere auch eine Funktion zur Sicherung des Erfolges der bei ihr zur Anwendung kommenden Krankenbehandlungen im Sinne der ersten Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Das BSG hat zur Konkretisierung dieser Tatbestandsvoraussetzung erklärt, die von der Krankenkasse zu fördernden Maßnahmen und Hilfen zur Fortbewegung seien vom - nicht durch die Krankenkassen zu unterstützenden - Sport abzugrenzen, der lediglich allgemein der Erhaltung und Förderung der Gesundheit diene und bei dem der medizinische Zweck nur im Hintergrund stehe. Aus der Zusammenschau der §§ 20 ff SGB V und des § 44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ergebe sich die Wertung, für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einen engen Zusammenhang mit auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlungen zu fordern. Bei Hilfen zur körperlichen Betätigung sei davon dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere seiner Erkrankung dauerhaft physikalischer Therapie bedürfe, die wiederum durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützt werden könne und deren Frequenz infolge eigener Betätigung mit dem Hilfsmittel geringer ausfallen könne (vgl. wiederum das BSG-Urteil vom 7. Oktober 2010, bereits zitiert, mit der Anmerkung Borner).

Im Sinne der vom BSG aufgestellten Kriterien hat Dr. C. in seinem Gutachten vom 22. Juli 2015 positive Auswirkungen der Nutzung des Therapiedreirades auf die orthopädische Gesundheit hervorgehoben. Vor allem sei die Verbesserung der Mobilität im Wege der Nutzung des Therapiedreirades geeignet, der Depression und den Suizidgedanken entgegenzuwirken. Die Klägerin werde Zutrauen in ihre eigenen körperlichen Möglichkeiten finden und Mut fassen, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und zu erweitern und vermehrt am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen. Möglicherweise könnten sonst erforderliche Physiotherapien in ihrem Umfang eingeschränkt werden. Die Kammer würdigt in diesem Zusammenhang die in der ärztlichen Verordnung des Dr. E. und des Facharztes Diez erwähnten Diagnosen der Osteochondrose und der Bandscheibenprotrusion, auch wenn die Einbindung in ein bestimmtes, physiotherapeutisches Konzept nicht zu Tage tritt. Ausreichend dürfte in diesem Zusammenhang sein, mit dem Therapiedreirad die eigene körperliche Betätigung zu unterstützen und wesentlich zu fördern, so dass die Behandlungsfrequenz einer von Dr. C. angesprochenen Physiotherapie in Folge dieser eigenen Betätigung geringer ausfallen könnte und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeiten des Versicherten als wirtschaftlich darstellt (vgl. §§ 33 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I - und 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX; im Übrigen Urteil des SG Frankfurt vom 3. November 2014, Az. S 14 KR 563/10).

Die Kammer ist sich bewusst, im Hinblick auf die Einschätzung des therapeutischen Nutzens prognostische Erwägungen anzustellen. Sie sieht diese Unsicherheit jedoch nicht als Hinderungsgrund dafür an, die Verurteilung auf dieses Kriterium zu stützen. Zum einen ist die Unsicherheit nämlich der Schwierigkeit im Umgang mit dem Krankheitsbild und dessen vielfältigen Bezügen zu allen Lebensbereichen geschuldet. Zum anderen hat Dr. C. für den Fall der Klägerin Verbindungen zwischen den somatischen und den psychischen Krankheitserscheinungen aufgezeigt. Gerade im Hinblick darauf erscheint die Nutzung des Therapiedreirades sachgerecht. Soweit die Kammer Dr. C. in der Einschätzung folgt, ein Teil der somatischen Beschwerden des Zitterns und der Kribbelmissempfindungen, der Schwindelsymptome und der Schmerzen unterschiedlicher Ausprägung sei ursächlich auf die vorliegende depressive Erkrankung zurückzuführen, würde sich die Nutzung des beantragten Hilfsmittels in beiderlei Richtung auswirken. Über die Verbesserung der psychosozialen Umfeldsituation könnten sich positive Therapieeffekte im Rahmen der somatischen Beschwerden zeigen.

Die Kammer hat der Klägerin einen Eigenanteil an der Anschaffung des Therapiedreirades auferlegt. Denn das Therapiedreirad ersetzt von seiner Funktion her anteilig ein Fahrrad. Ein Fahrrad wiederum stellt sich als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar, den jeder Versicherte unabhängig von günstigen Effekten auf die Gesunderhaltung auf eigene Kosten anschaffen muss. Unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles, nicht zuletzt der Gewichtung des Kriteriums der Erschließung des Nahbereichs einerseits und des Therapieeffekts andererseits, hat die Kammer einen Betrag von 100,00 EUR als angemessen erachtet.

Bei der Versorgung der Klägerin mit dem beantragten Therapiedreirad fällt zusätzlich zu dem Eigenanteil eine Zuzahlung in Höhe von 10,00 EUR an, §§ 33 Abs. 8, 61 SGB V. Die Zuzahlungspflicht würde unter den Voraussetzungen des § 62 SGB V entfallen, wenn also niedrige Einkünfte der Klägerin zu einer Belastung über die im Einzelnen festgesetzte Grenze führen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Kammer sah es als geboten an, der Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerseite in vollem Umfang ungeachtet des nur mit Einschränkungen erfolgreichen Klageantrags aufzuerlegen. Denn die Begrenzung des Klageerfolgs tritt gegenüber der Verurteilung maßgebend in den Hintergrund.