Sozialgericht Stade
Urt. v. 12.03.2015, Az.: S 29 KR 7/14

Gewährung von Krankengeld an einen abhängig beschäftigten Kraftfahrer

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
12.03.2015
Aktenzeichen
S 29 KR 7/14
Entscheidungsform
Verzichtsurteil
Referenz
WKRS 2015, 12727
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2015:0312.S29KR7.14.0A

Redaktioneller Leitsatz

Der Erhaltungstatbestand des fortdauernden Krankengeldbezuges nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V kann grundsätzlich nur dann fortgesetzt werden, wenn eine erneute Feststellung der Arbeitsunfähigkeit spätestens am letzten Tag der zuvor festgestellten Arbeitsunfähigkeit erfolgt.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld über den 9. September 2013 hinaus sowie über das Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses. Der D. geborene Kläger war bei der Beklagten aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses als Kraftfahrer bei dem Unternehmen E., F., seit Februar 2013 gesetzlich gegen das Risiko der Krankheit versichert. Die Höhe des Arbeitslohnes steigerte sich von 1.700,00 EUR auf 1.900,00 EUR ab Juni 2013. Am 11. Juli 2013 schrieben die Fachärzte Dres. G. den Kläger für die Zeit ab diesem Tag aufgrund der Diagnose M51.2 G (sonstige, näher bezeichnete Bandscheibenverlagerung) arbeitsunfähig (au) krank. Parallel zur laufenden AU-Schreibung sprach die Firma DH. am 16. Juli 2013 eine außerordentliche fristlose Kündigung mit sofortiger Wirkung aus, also mit Wirkung ab dem 16. Juli 2013. Im Nachgang zu dieser außerordentlichen Kündigung schlossen der Kläger und die Firma E. vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Verden später am 12. November 2013 einen Vergleich mit dem wesentlichen Inhalt, das Arbeitsverhältnis habe durch fristgerechte Kündigung vom 16. Juli 2013 mit Ablauf des 31. August 2013 geendet. Die Beklagte gewährte dem Kläger, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund des Vergleichs vom 12. November 2013 erst nachträglich bis zum 31. August 2013 weitergehend abgerechnet werden konnte, zunächst laufend für die Zeit ab dem 17. Juli 2013 Krankengeld. Aufgrund der Vorstellung des Klägers am 12. August 2013 schrieben die Dres. G. den Kläger am 19. August 2013 weiterhin au für die Zeit bis voraussichtlich zum 9. September 2013. In der Zeit vom 20. August bis zum 6. September 2013 (ursprüngliche Planung gemäß den Angaben des Klägers auf dem Zahlschein vom 13. August 2013: bis zum 10. September 2013) befand sich der Kläger in einer Heilmaßnahme zur Rehabilitation im Reha-Zentrum I ... Auf der an die Beklagte gerichteten Entlassungsmitteilung erfolgte keine Angabe zum Status der Arbeitsfähigkeit. In Anbetracht der von der Beklagten ua in dem Krankengeld-Bewilligungsbescheid vom 13. August 2013 erteilten Information, die AU zur Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld vor Ablauf der bisher bescheinigten AU verlängern lassen zu müssen, nahm der Kläger noch am Tag der Entlassung aus der Reha-Maßnahme, also am 6. September 2013, Kontakt zu den Dres. G. auf. Er erhielt - gemäß seinen späteren Angaben vom 19. September 2013 - die Information, die für ihn zuständige Ärztin Frau J. sei am 9. September 2013, einem Montag, nicht im Hause. Es genüge, sich am 10. September 2013 bei Frau J. vorzustellen. Dieser Auskunft folgte der Kläger mit dem Ergebnis einer weitergehenden AU-Schreibung voraussichtlich bis zum 8. Oktober 2013 (später aktenkundig noch verlängert bis zum 5. November 2013, nochmals am 10. Januar 2014 bis zum 24. Januar 2014). Vor dem Hintergrund der erst am 10. September 2013 erfolgten Wiedervorstellung lehnte es die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 23. September 2013 ab, über den 9. September 2013 hinaus Krankengeld zu gewähren. Spätestens am 9. September 2013, dem letzten Tag, auf den die vorangegangene Bescheinigung vom 19. August 2013 zu beziehen sei, habe sich der Kläger zur Weiterbescheinigung seiner AU vorstellen müssen. Da er dies nicht getan habe und da das Beschäftigungsverhältnis zwischenzeitlich nicht mehr bestehe, sei zum einen der Anspruch auf Krankengeld erloschen, zu anderen habe auch das durch das Beschäftigungsverhältnis begründete und mit dem laufenden Leistungsbezug aufrechterhaltene Versicherungsverhältnis geendet. Der Kläger erhob Widerspruch, bezog sich auf (nachträgliche) Erklärungen der K. zur durchgehend begründeten AU und verwies darauf, das in seiner Macht Stehende zur Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs getan zu haben. Die Beklagte wies den Widerspruch durch ihren Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2013 zurück. Sie stellte ergänzend die Regelung des § 46 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) in den Vordergrund, wonach der Anspruch auf Krankengeld erst am Tag nach der ärztlichen Feststellung beginne. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Rechtsprechung den Zielsetzungen des Gesetzgebers Rechnung getragen, Schwierigkeiten im Umgang mit erst nachträglich erstellten ärztlichen Bescheinigungen zu vermeiden und Leistungsmissbrauch beim Bezug von Krankengeld zu verhindern (Bezugnahme auf Urteile vom 8. November 2005, Az: B 1 KR 30/04 R, sowie vom 26. Juni 2007, Az: B 1 KR 37/06 R und 8/07 R). Ausnahmen seien lediglich für solche Konstellationen anerkannt, in denen die ärztliche Feststellung oder die Meldung der AU durch Umstände verhindert oder verzögert worden sei, die dem Verantwortungsbereich der Krankenversicherung und nicht dem des Versicherten zuzurechnen seien. Zu den der Krankenkasse zuzurechnenden Umständen zähle die Vergabe eines verspäteten Termins nicht. Dagegen richtet sich die am 9. Januar 2014 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage. Zu deren Begründung vertieft der Kläger seinen Vortrag dazu, kein Verschulden an der erst verspätet erfolgten Feststellung zu tragen. Die K. seien von ihrer Auffassung, es genüge eine Wiedervorstellung am Folgetag, zwischenzeitlich abgerückt. Das lasse sich an dem Umstand einer später undatiert ausgestellten AU-Bescheinigung mit dem - unzutreffenden - Wiedervorstellungsdatum 9. September 2013 entnehmen. In Anbetracht des weiterhin bestehenden Krankheitszustandes müsse die Beklagte das Krankengeld (kalendertägliche Höhe ab dem 17. Juli 2013 37,18 EUR) durchgehend fortzahlen. Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem Vortrag im schriftlichen Verfahren, 1. den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 aufzuheben und 2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld auch über den 9. September 2013 hinaus in gesetzlicher Höhe und in gesetzlichem Umfang unter gleichzeitiger Anerkennung des fortdauernden Versicherungsverhältnisses zu gewähren. Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen. Die Beklagte weist ergänzend auf das BSG-Urteil vom 10. Mai 2012 hin (Az: B 1 KR 19/11 R), wonach unzutreffende rechtliche Ratschläge ggf Ansprüche gegen die Auskunftsperson begründen könnten, nicht jedoch Krankengeldansprüche gegen die gesetzlichen Krankenkassen. Die Kammer hat die Beteiligten mit dem Gerichtsschreiben vom 27. Oktober 2014 zusätzlich auf das am 4. März 2014 (nicht: 2013) ergangene BSG-Urteil zum Az: B 1 KR 17/13 hingewiesen, ferner auf die Absicht, den Rechtsstreit im Wege des Gerichtsbescheides abzuschließen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer sieht sich als berechtigt an, die Instanz im schriftlichen Verfahren ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter auf der Grundlage des § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abzuschließen. Denn bei - soweit erforderlich - geklärtem Sachverhalt wirft die Beurteilung der Sach- und Rechtslage keine besonderen Schwierigkeiten auf. Die formale Voraussetzung eines vorhergehenden ausdrücklichen Hinweises auf diese Verfahrensweise liegt in Gestalt des Gerichtsschreibens vom 27. Oktober 2014 vor. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist statthaft und zulässig. Die Klage ist in der Sache nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, Krankengeld über den 9. September 2013 hinaus zu zahlen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen seinem Klageantrag entsprechenden, weitergehenden Anspruch auf Gewährung von Krankengeld. Nach der für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 44 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) haben Versicherte ua dann Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie au macht. In Anbetracht des langfristigen Verlaufs der Erkrankung M51.2 G (bzw LG) kann die Kammer von einer über den 9. September 2013 hinaus möglicherweise bis zum Ende des streitigen Zeitraumes (5. November 2013/24. Januar 2014/Erreichen der Höchstdauer von 546 Tagen) bestehenden AU ausgehen. Da die AU jedoch nicht spätestens am letzten Tag der bisher bescheinigten AU erneut festgestellt worden ist, fehlt es für die erst am 10. September 2013 erfolgte Feststellung bereits an dem für den Krankengeldanspruch notwendigen Versichertenstatus. Anspruch auf Krankengeld haben nämlich gemäß dem bereits zitierten Wortlaut der §§ 44 ff SGB V lediglich "Versicherte". Versicherter iSd § 44 Abs 1 Satz 1 SGB V ist der Kläger jedoch seit dem 10. September 2013 nicht mehr gewesen. Seine Mitgliedschaft hat nämlich mit dem letzten Tag der bisher bescheinigten AU geendet, also am 9. September 2013. Die Mitgliedschaft hatte bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses bei der Firma E. auf der Grundlage des § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V bestanden. Im Anschluss an den Vergleich vor dem ArbG Verden vom 12. November 2013 war vom Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. August 2013 auszugehen. Für die Dauer des sich anschließenden Bezuges von Krankengeld war die Mitgliedschaft in den Erhaltungstatbestand aufgrund des fortdauernden Krankengeldbezuges übergegangen, § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V. Dieser Erhaltungstatbestand des § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V hatte am 9. September 2013 mit dem letzten Tag des Krankengeldanspruchs aufgrund der zuvor nach § 46 Satz 1 Nr 2 festgestellten AU sein Ende gefunden. Die Mitgliedschaft ist auch nicht aufgrund der Sonderregelung des § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V fortgesetzt worden. Diese Norm vermag zwar nach ihrem Wortlaut einen Anspruch auf Krankengeld für einen zusätzlichen Monat zu begründen, ist aber als Ausnahmevorschrift auf den begrenzten Zweck beschränkt, Ansprüche bei kurzzeitigen Beschäftigungslücken zu sichern, also in Fällen, in denen bereits begründete Aussicht besteht, ein neues Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen (vgl BSG - Urteil vom 26. Juni 2007, Az: B 1 KR 8/07 R). Die Krankschreibung durch die Dres. Krüger und Kunz am 10. September 2013 musste in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ins Leere gehen. Denn mit ihr wurde zwar der sozialmedizinische Tatbestand der AU bekundet mit der grundsätzlichen Eignung, einen Anspruch auf Krankengeld ab dem 11. September 2013 auszulösen, an diesem Tag fehlte es aber bereits an der Versicherteneigenschaft iSd § 44 SGB V. Rückwirkend konnte die Versicherteneigenschaft nicht begründet werden, weil § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V einen Anspruch auf Krankengeld erst ab dem Tag vorsieht, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt. Nur über eine solche Rückwirkung hätte der Erhaltungstatbestand des fortdauernden Krankengeldbezuges nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V nahtlos über den 9. September 2013 fortgesetzt werden können. Eine eventuelle, ab dem 10. September 2013 kraft Gesetzes oder freiwilligen Beitritts begründete Mitgliedschaft bei der Beklagten konnte - soweit ersichtlich - keinen Anspruch auf Krankengeld vermitteln, vgl insbesondere § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V und § 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V. Die nachträglich eine Vorstellung des Klägers am 9. September 2013 bekundende ärztliche Bescheinigung ändert an dem Mangel der ärztliche Feststellung iSd § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V nichts. Auf die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Bekundung kommt es nicht an. Vielmehr ist allein das Ausstellungsdatum maßgebend. Ein Ausstellungsdatum fehlt jedoch, die nachträgliche ärztliche Bescheinigung ist undatiert geblieben. Die Kammer vermag den Vortrag des Klägers zur Begründung seines Widerspruchs vom 19. September 2013 ohne weiteres nachzuvollziehen. Die Auskunft eine Vorstellung erst am Folgetag sei ausreichend zur Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs, hat offenbar ein entsprechendes Vertrauen ausgelöst. Allerdings muss sich der Kläger auch entgegenhalten lassen, die Belehrung der Beklagten vom 13. August 2013 nicht hinreichend beachtet zu haben. Der Hinweis vom 13. August 2013 hätte Zweifel aufkommen lassen müssen, die wiederum Anlass zur Nachfrage bei der Beklagten hätten geben können. An der Konsequenz, mit einer Vorstellung erst am 10. September 2013 den weiteren Krankengeldanspruch nicht mehr aufrechterhalten bzw neu begründen zu können, ändert all dies aber ohnehin nichts. Der Kläger hätten sich ggf bei einem anderen Arzt vorstellen müssen. Auch vermag die Kammer die Kritik des Klägers an der strengen Handhabung der gesetzlichen Vorgaben in Fällen wie dem vorliegenden nachzuvollziehen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist allerdings keine Tendenz erkennbar, die Vorgaben zu modifizieren bzw die Versicherten von bestimmten Risiken zu entlasten. Im Gegenteil findet sich der ausdrückliche Hinweis, fehlerhaftes Verhalten bzw Unterbleiben von sachdienlichen Hinweisen könne in derartigen Fällen der Krankenkasse nicht zugerechnet werden (vgl aktuell BSG - Urteil vom 4. März 2014, Az. B 1 KR 17/13 R).

Der Beklagten selbst dürfte im Übrigen kein Fehlverhalten vorzuwerfen sein. Vielmehr hat sie in dem (nicht streitgegenständlichen) Bescheid vom 13. August 2013 ausdrücklich ausgeführt, der Kläger müsse die AU vor Ablauf der bisher bescheinigten Zeit erneut feststellen lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Die Kammer sieht die Berufung als auf der Grundlage des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG zulässig an. Der Wert des Beschwerdegegenstandes dürfte 750,00 EUR ohne weiteres übersteigen. Die Höhe des kalendertäglichen Krankengeldes betrug ab dem 17. Juli 2013 37,18 EUR. Der Antrag des Klägers kann dem Sinne nach zumindest bis auf einen über den Tag der Klageerhebung hinausgehenden Zeitraum ausgedehnt werden.