Landgericht Osnabrück
Urt. v. 10.05.2004, Az.: 1 O 49/04

Anspruch auf Schadensersatz wegen Tropfeisbildung auf dem Gehweg; Umfang der winterlichen Streupflicht

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
10.05.2004
Aktenzeichen
1 O 49/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 36232
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2004:0510.1O49.04.0A

Fundstelle

  • JWO-VerkehrsR 2004, 404

Amtlicher Leitsatz

Kein Schadensersatz nach Sturz wegen Tropfeisbildung auf dem Gehweg

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner aus einem Vorfall in Anspruch, der sich am 1.1.2002 in Osnabrück ereignet haben soll und durch den die Klägerin schwer verletzt worden sein will. Die Beklagte zu 3) ist Nießbraucherin des Hauses, welches von den Beklagten zu 1) und zu 2) gemietet wurde.

2

Die Klägerin behauptet, am 1.1.2002 gemeinsam mit ihrem Ehemann sowie Frau B. in Osnabrück unterwegs gewesen zu sein. Hierbei habe sie den Gehweg, der u.a. vor dem Grundstück des Hauses entlang führte, benutzt. Beim Passieren dieses Hauses sei sie auf dem dort befindlichen Eis ausgerutscht und zu Boden gefallen, da sich auf dem Gehweg vor dem Grundstück großflächig Eis gebildet habe, welches nicht abgestreut oder anderweitig beseitigt worden sei.

3

Für diesen Sturz seien die Beklagten verantwortlich und ihr dementsprechend zum Schadensersatz verpflichtet. Die Beklagten zu 1) und zu 2) hätten nämlich ihre Streu- und Räumpflicht verletzt, die ihnen - unstreitig - in dem mit der Beklagten zu 3) geschlossenen Mietvertrag übertragen worden war. Zum einen hätten die Beklagten zu 1) und zu 2) den nachts gefallenen Schneegriesel nicht ordnungsgemäß vom Gehweg entfernt, wodurch dieser getaut sei und sich demzufolge eine Eisfläche gebildet habe. Zum anderen sei die Eisfläche darauf zurückzuführen, dass der auf dem Vordach des Hauses befindliche Schnee infolge Sonneneinstrahlung geschmolzen und das Schmelzwasser sodann den gesamten Tag über auf den Bürgersteig getropft sei, um dort zu gefrieren. Dieser Umstand sei den Beklagten auch bekannt gewesen. Mithin seien sie dazu verpflichtet gewesen, auf die Tropfeisbildung zu achten und den Gehweg abzustreuen, um ihn verkehrssicher zu halten.

4

Die Haftung der Beklagten zu 3) ergebe sich daraus, dass diese nicht ordnungsgemäß überwacht habe, dass die Beklagten zu 1) und 2) der Räum- und Streupflicht nachkommen.

5

Die Klägerin behauptet, durch den Sturz eine Sprunggelenkfraktur rechts, eine Außenknöchelfraktur Typ Weber B sowie eine interligamentäre Ruptur der vorderen Syndesmose erlitten zu haben. Am 1.1.2002 sei ein operativer Eingriff zur Behandlung der Verletzungsfolgen vorgenommen worden. Bis zum 10.1.2002 habe sie sich im Klinikum Osnabrück aufgehalten. Bei Entlassung aus dem Krankenhaus sei sie nicht in der Lage gewesen, sich über längere Stecken mit Unterarmgehstützen fortzubewegen, sondern habe einen Rollstuhl nutzen müssen. Am 14. postoperativen Tag sei das Nahtmaterial entfernt worden. Darüber hinaus sei ein zweiter operativer Eingriff erfolgt, bei dem die zunächst eingesetzten Schrauben entfernt worden seien. Der Heilungsverlauf habe sich dadurch verzögert, dass Wundheilstörungen aufgetreten seien. Zudem sei am eine Thrombose infolge der Sprunggelenksfraktur diagnostiziert worden. Insgesamt sei der Heilungsverlauf äußerst schleppend gewesen. Über 6 Wochen sei sie für die Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen, da sie das rechte Sprunggelenk nach der Operation nicht habe belasten dürfen. Sie habe krankengymnastische Übungen durchgeführt. Die Verletzungen seien immer noch nicht vollständig abgeklungen. Sie werde zeitlebens ihr rechtes Sprunggelenk nicht mehr vollständig belasten können. Sie sei nicht mehr in der Lage, länger als 40 Minuten schmerzfrei zu gehen. Darüber hinaus sei auch die eingebrachte 6-Loch-Drittelrohrplatte bisher nicht aus dem Sprunggelenk entfernt worden. Auf Grund dessen stehe der Klägerin noch ein weiterer operativer Eingriff bevor.

6

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 20.000,-- EUR liegen sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszins seit dem 14. 6. 2002 zu zahlen;

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle weiteren materiellen Ansprüche im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen vom 1. 1. 2002 zu ersetzen.

7

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

8

Sie behaupten, der Beklagte zu 2 ) habe den in der Nacht zum 1.1.2002 gefallenen Schneegriesel am 1.1.2002 ordnungsgemäß geräumt. Darüber hinaus trägt die Beklagte zu 3) vor, die Beklagten hätten ihre Räum- und Streupflicht stets zuverlässig und sorgfältig erfüllt. Sie bestreiten, dass die von der Klägerin behauptete Eisfläche auf dem Gehweg vor dem Hause auf Tropfwasser vom Vordach des vorgenannten Hauses zurückzuführen ist. Sie weist darauf hin, dass die Eisfläche noch nicht vorhanden gewesen sei, als die Beklagten zu 1) und zu 2) gegen 15.00 Uhr bei Sonnenschein und Temperaturen um - 2 ° C zu einem Spaziergang aufgebrochen seien. Sie vermuten, dass die behauptete Eisfläche darauf zurückzuführen ist, dass Jugendliche vor dem Hause ein Getränk verschüttet haben und diese Flüssigkeit sodann zu Eis gefroren ist. Zum Beleg dieser Tatsache verweist der Beklagte zu 2) darauf, am Folgetag in unmittelbarer Nähe der in Rede stehenden Unfallstelle eine leere Alkoholflasche gefunden zu haben.

9

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A. - D. sowie durch Inaugenscheinnahme der Lichtbilder.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Schadenersatzanspruch zu. Die Voraussetzungen des allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 52 NStrG liegen nicht vor. Es kann nämlich keine für den Unfall ursächliche Streupflichtverletzung festgestellt werden:

11

Im Rahmen ihrer gemäß § 141 ZPO zur Aufklärung des Sachverhalts im Termin vom 26. 4. 2004 erfolgten Anhörung hat die Klägerin mitgeteilt, dass der Bürgersteig vor dem Hause zum Zeitpunkt ihres Sturzes frei von Schnee gewesen ist. Dies haben die Zeugen A. und B. bestätigt. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2) - wie von ihm vorgetragen - den Bürgersteig ordnungsgemäß von Schneegriesel gesäubert hat. Eine Haftung der Beklagten käme mithin nur noch dann in Betracht, wenn jeder Streupflichtige rund um die Uhr ohne Einschränkung dafür einzustehen hätte, dass der in seinem Verantwortungsbereich liegende Straßen- bzw. Gehwegteil völlig gefahrlos zu betreten ist. Nach ständiger Rechtsprechung geht die Streupflicht jedoch nicht soweit, dass schlechthin jede Gefahr des Ausgleitens verhindert werden muss; vielmehr müssen die Gehwege nur so gestreut werden, dass sie von Fußgängern bei Anwendung der im Winter zu erwartenden Sorgfalt benutzt werden können (OLG Schleswig VersR 1973, 677; OLG Hamm NJWE-VHR 1996, 44). Diese Beschränkung der Streupflicht auf das zumutbare Maß führt auch dazu, dass bei ansonsten trockenem Wetter keine fortlaufende Beseitigung bloßer Tropfeisbildung verlangt werden kann (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1976, 346; OLG Hamm NJWE-VHR 1996, 44). Hierdurch werden die Straßenbenutzer auch nicht in unzulässigem Maße belastet. Das Abtropfen oder Abrinnen von Tauwasser und die daraus entstehenden Glättestellen sind typische winterliche Erscheinungen, auf die sich jeder Fußgänger bei der im Winter üblichen Sorgfalt einstellen kann und muss. Damit scheidet eine Haftung der Beklagten selbst dann aus, wenn die in Rede stehende Glättestelle tatsächlich auf Tropfeisbildung vom Vordach des Hauses zurückzuführen sein sollte.

12

Im übrigen ist auch noch auf Folgendes hinzuweisen: Selbst wenn eine Überprüfung der Gehwege auf vereinzelte Glättestellen gefordert werden könnte, müsste diese allenfalls in gewissen - nicht zu kurzen - Zeitabständen vorgenommen werden. Da die von der Klägerin als Unfallursache angegebene Glättestelle aber möglicherweise erst kurze Zeit vor dem Sturz entstanden ist, ließe sich keinesfalls feststellen, dass die Gefahrenlage für den Sicherungspflichtigen zum Zeitpunkt der gebotenen Kontrolle bereits erkennbar gewesen wäre. Daher wäre auch die Ursächlichkeit einer - einmal unterstellten - Streupflichtverletzung für den Sturz der Klägerin nicht zu beweisen gewesen.