Landgericht Osnabrück
Urt. v. 11.02.2004, Az.: 2 S 841/03
Voraussetzungen des Vorliegens eines Anspruchs auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch Nichtabwendung einer einem in einem Tierpark ausgestellten Leiterwagen anhaftenden Gefahr
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 11.02.2004
- Aktenzeichen
- 2 S 841/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 38217
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2004:0211.2S841.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Nordhorn - 21.10.2003 - AZ: 3 C 1225/03
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 847 BGB
In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück
auf die mündliche Verhandlung vom 28.01.2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Rickers,
den Richter am Landgericht Kalscher und
den Richter am Landgericht Sporré
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.)
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 21.10.2003 (Az.: 3 C 1225/03) teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.031,79 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2003 zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
- 2.)
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, mit Ausnahme der Kosten der Streitverkündeten, die diese selbst trägt.
- 3.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 4.)
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- EUR gemäß §§ 823 Abs. 1,847 BGB.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass die Beklagte hinsichtlich des Leiterwagens, welchen sie in dem von ihr betriebenen Tierpark in ... ausgestellt hat, ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft und unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schütze anderer Personen zu treffen (vgl. BGHZ 103, Seite 338 (340)). Dabei wird die Nichtabwendung einer Gefahr jedoch erst dann haftungsbegründend, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. BGH MDR 1990, S. 611; OLG Karlsruhe VersR 1968, Seite 457). Nach sachkundigem Urteil bestand bei dem ausgestellten Leiterwagen die naheliegende Möglichkeit, dass Rechtsgüter, insbesondere der Körper und die Gesundheit, anderer Personen verletzt werden können. Ausweislich der in der Akte befindlichen Bilder weist der Leiterwagen vorne zwei schwer gearbeitete Metallhaken auf, auf denen sich Kettenglieder befinden. Dabei ist ein Metallhaken nach oben offen, so dass dieser - wie ein Dorn - nach oben weist. Hier besteht ein erhebliches Verletzungsrisiko für Personen, die sich auf diesem Leiterwagen aufhalten. Denn es ist nicht fernliegend anzunehmen, dass Personen, insbesondere Kinder, beim Aufenthalt auf diesem Leiterwagen abrutschen und sich an diesem Metallhaken, der nach oben weist, schwer verletzen. Dieses hätte der Beklagten - auch aus einer ex ante Sicht - bewusst sein müssen. Sie hätte, wie nach dem Unfall geschehen, durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen, z.B. ein Holzbrett, dafür sorgen müssen, dass Personen nicht in Kontakt mit diesem Metallhaken geraten. Dabei musste die Beklagte auch damit rechnen, dass Personen, insbesondere Kinder, diesen Leiterwagen besteigen. Denn der Leiterwagen befand sich nicht in einem abgezäunten, sondern in einem frei zugänglichen Bereich des Tierparkes. Wie sich aus der Aussage der vernommenen Zeugin ... ergibt, ist dieser seit geraumer Zeit bereits eine "typische Anlaufstelle" für Kinder, die auf diesen Leiterwagen spielen. Insofern hat die Zeugin darauf hingewiesen, dass sowohl ihre eigenen Kinder als auch dem Kläger bereits vor dem hier in Rede stehenden Besuch des Tierparks diese Kutsche bekannt gewesen sei und sie schon oft bei Besuchen des Tierparks beobachtet habe, dass andere Kinder auf den Leiterwagen geklettert seien. Es kann nicht angenommen werden, dass den Betreibern des Tierparkes ohne Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht es verborgen geblieben ist, dass diese Kutsche von Kindern als Kletterspielzeug benutzt worden ist. Darüber hinaus musste die Beklagte als Betreiberin des Tierparks auch damit rechnen, dass dieser u.a. von kleinen Kindern frequentiert wird und auch aus diesem Grunde hinsichtlich der dortigen Ausstellungsstücke besondere Sicherheitsvorkehrungen ergreifen. In diesem Zusammenhang kann es nicht darauf ankommen, ob durch Sicherungsmaßnahmen der Charakter der lebensnahen Ausstellung verloren gegangen wäre. Denn die Sicherung von Gesundheit und Körper von Menschen, insbesondere von kleinen Kindern, geht eindeutig der Wahrung des Charakters einer Ausstellung vor.
Diese oben dargestellte Sicherungspflicht hat die Beklagte nicht erfüllt, wodurch dem Kläger letztlich ein Schaden entstanden ist. Nach der Aussage der Zeugin ... hat die Kammer auch keinen Zweifel daran, dass sich der Unfall, wie von dem Kläger geschildert, ereignet hat. Die Aussage der Zeugin ... war glaubhaft; die Zeugin selbst glaubwürdig. Anhaltspunkte dahingehend, der Zeugin nicht zu glauben, hat das Gericht nicht gewonnen. Der Kläger hat durch den Unfall eine schwere Verletzung in Form einer Schnitt- und Quetschwunde des Scrotums mit Blutungen erlitten. Außerdem fehlte ein Stück der Größe von 2 × 2 cm des Scrotums. Der Kläger musste notfallmäßig am 09.04.2003 operiert werden, wobei sich intraoperativ keine Hodenbeteiligung zeigte. Die Wunde wurde desinfiziert und die Wundränder aufgefrischt. Aufgrund einer Scrotumschwellung sowie leichtes Fieber konnte der Kläger erst am nächsten Tag aus der stationären Behandlung entlassen werden.
In Anbetracht der von dem Kläger oben dargestellten Verletzungen, den erlittenen Schmerzen sowie der damit einhergehenden entgangenen Lebensfreude hält die Kammer unter Anwendung ihres Ermessens gemäß § 287 ZPO ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- Euro für angemessen und erforderlich. Dabei ist insbesondere darauf abzustellen, dass es sich um eine sehr schmerzhafte Verletzung gehandelt hat, die darüber hinaus durch eine Operation versorgt werden musste. Weiterhin war zu bedenken, dass bei dem Kläger nach der Operation durch eine Scrotumschwellung mit Fieber leichte Komplikationen aufgetreten sind. Letzlich ist die Behauptung des Klägers, er habe noch in den darauf folgenden Wochen unter Schmerzen und Beschwerden gelitten, nachvollziehbar und bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen.
Der Kläger muss keine Schmerzensgeldkürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB i.V.m. § 278 BGB hinnehmen, wobei § 278 BGB auch auf § 254 Abs. 1 und nicht nur auf § 254 Abs. 2 BGB Anwendung findet (vgl. Palandt-Heinrichs, § 254, Rdnr. 60). Der Streitverkündeten ..., die den 5jährigen Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls beaufsichtigte, kann keine Verletzung ihrer Pflichten vorgeworfen werden. Denn die Streitverkündete durfte aufgrund des Standortes des alten Leitenwagens und der Tatsache, dass auch andere Kinder diesen Leiterwagen zum Spielen häufig frequentieren, davon ausgehen, dass dieser Leiterwagen keine besonderen Gefahren, insbesondere nicht den hier in Rede stehenden gefährlichen nach oben offen stehenden Metallhaken, aufweisen. Eine Aufsichtspflichtige darf nämlich, wenn sie mit Kindern einen Tierpark betritt, zunächst davon ausgehen, dass der Betreiber des Tierparks alle erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Kinder ergriffen hat. Nach Auffassung der Kammer ist die Aufsichtsperson nicht dazu verpflichtet, noch einmal im Einzelnen nachzuprüfen, ob die dort stehenden Ausstellungsstücke insbesondere versteckte Gefahren aufweisen. Selbst wenn die Aufsichtspflichtige in einer solchen Situation eine Überprüfungspflicht hinsichtlich des Leiterwagens gehabt hätte, kann diese sich nur auf eine generelle Überprüfung des Geräts beschränken. Denn einer Aufsichtspflichtigen ist es in einem Tierpark nicht zuzumuten, dass sie jedes Gerät in allen Einzelheiten überprüft und dabei einen verhältnismäßig versteckt liegenden nach oben offenen Metallhaken entdeckt. Dies würde der natürlichen Lebensanschauung widersprechen und im Übrigen eine Beaufsichtigung von Kindern in einem Tierpark, ohne Verletzung der Aufsichtspflicht, unmöglich machen.
Des Weiteren hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der von ihm erlittenen materiellen Schäden in Höhe von 31,79 Euro gemäß § 823 Abs. 1 BGB.
Es ist oben dargestellt worden, dass der Kläger durch die ungenügende Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten an seinem Körper verletzt worden ist. Die nunmehr geltend gemachten materiellen Schäden sind durch die Verletzung des Körpers bedingt und durch entsprechende Belege nachgewiesen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Der Kläger kann jedoch für den Zeitraum vor dem 24.07.2003 - Verweigerung der Zahlung durch die Beklagte - keine Zinsen verlangen, da erst mit dem vorgenannten Datum Verzug eingetreten ist. § 849 BGB bezieht sich lediglich auf den Fall, dass eine Sache entzogen oder beschädigt worden ist, nicht jedoch auf eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2, 101 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO (analog).
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf §§ 543 ZPO.
Kalscher
Sporré