Landgericht Osnabrück
v. 17.03.2004, Az.: 2 O 3113/01
Schadensersatz für Nervenschädigung nach zahnärztlicher Wurzelbehandlung; Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt bei einer Abszesseröffnung zur Vorbeugung einer Entzündungsausbreitung im Sinne eines Logenabszesses; Partielle Empfindungsstörung mit herabgesetzter Empfindung von Sinnesreizen und Missempfindung realer Reize als Folge eines kieferchirurgischen Eingriffs; Ursachenzusammenhang zwischen ärztlichem Fehlverhalten bei der im Rahmen des Notdienstes durchgeführten Behandlung und der irreparablen Nervenschädigung; Darlegung der persönlichen Entscheidungssituation bei vollständiger ordnungsgemäßer Aufklärung über die Gefahren einer Injektion
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 17.03.2004
- Aktenzeichen
- 2 O 3113/01
- Entscheidungsform
- Entscheidung
- Referenz
- WKRS 2004, 35680
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2004:0317.2O3113.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 847 BGB a.F.
- Art. 229 Abs. 1 EGBGB
- Art. 229 § 5 EGBGB
- Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie um die Feststellung der Ersatzverpflichtung für zukünftige materielle und immaterielle Schäden aus Anlass einer zahnärztlichen Behandlung.
Die Klägerin war in den zurückliegenden Jahren in zahnärztlicher Behandlung bei ihrem Zahnarzt Dr. D..... in Lingen.
Am 18.03.2000 begab sich die Klägerin in die Notfallbehandlung des Beklagten, da sie unter heftigen Schmerzen am Zahn 44 litt. Vor der Behandlung hatte die Klägerin ein Aufklärungsformular nicht unterzeichnet. Auf ausdrückliche Bitte der Klägerin hatte der Beklagte vor dem zahnärztlichen Eingriff eine örtliche Betäubung vorgenommen, nach einer Vitalitätsüberprüfung des Zahnes hat er diesen trepaniert, mit einem Medikament versehen und offen gelassen, damit sich die im Zahn befindlichen Bakterien nicht weiter vermehren konnten. Der von der Klägerin geklagte Schmerz ließ zunächst nach und die Wirkungen der Betäubung gingen zurück.
Der Beklagte hatte im Rahmen des zahnärztlichen Notdienstes die Klägerin für den nächsten Tag bestellt und am 19.03.2000 die vorbeschriebene Behandlung in vollem Umfang wiederholt. Im Verlaufe des 20/21.03. nahmen die Schmerzen bei der Klägerin wieder zu, so dass sie sich erneut beim Beklagten vorstellte. Im Rahmen dieser Behandlung hatte er den Wurzelkanal des Zahnes 44 gereinigt und ferner erstmals festgestellt, dass sich oberflächlich am Zahnfleisch direkt unter dem Zahn 44 ein etwa erbsengroßer Eiterabszess gebildet hatte. Er riet darauf hin der Klägerin zur Entfernung dieses Abszesses.
Nach Einverständniserklärung der Klägerin und Durchführung der Anästhesie hat der Beklagte sodann den Abszess gespalten, dabei durch einen kleinen, oberflächlichen Schnitt vom Zahnfleisch getrennt und die Blutung mit einem Tampon gestillt.
Mit der Klage begehrt die Klägerin vor allem die Zahlung eines Schmerzensgeldes, welches sie sich mit einem Betrag von mindestens 20.000,00 DM vorstellt.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die zahnärztliche Behandlung fehlerhaft ausgeführt. Bei der zweiten Behandlung am 19.03.2000 habe der Beklagte - entgegen der Vorgehensweise am Vortage - den Zahn nicht offen gelassen, sondern vielmehr verschlossen. Die am 20.03./21.03.2000 durchgeführten Maßnahmen hätten keinerlei Erfolg gehabt, die Schmerzen seien nicht zurückgegangen, die rechte Gesichtshälfte sei vielmehr angeschwollen und sie habe das Gefühl gehabt, dass auch die Betäubung nicht zurückginge. Sie sei deshalb bei ihrem Zahnarzt Dr. D..... vorstellig geworden, der die zunächst eingebrachte Tamponade entfernte und sie an Dr. F..... - insoweit unstreitig - verwies, und zwar zum Zwecke der Wurzelresektion. Diese wurde durch Dr. F..... - insoweit unstreitig - durchgeführt, gleichwohl sei bei ihr im unteren rechten Kieferbereich ein Taubheitsgefühl verblieben. Nachdem der betroffene Zahn - insoweit unstreitig - nach etwa 3 Monaten extrahiert worden sei, weil eine Besserung nicht eingetreten war, sei das Taubheitsgefühl gleichwohl verblieben. Man habe ihr in einer Klinik schließlich mitgeteilt, es sei eine irreversible Schädigung eingetreten, entweder sei ein Nerv durchtrennt worden, zumindest aber irreparabel beschädigt worden.
Die Klägerin behauptet weiter, der Beklagte habe - mutmaßlich mittels des durchgeführten Schnittes im Zahnfleisch im Bereich des betroffenen Zahnes - einen Nerv durchtrennt, zumindest aber irreparabel beschädigt. Diese Durchtrennung bzw. irreparable Beschädigung des Nervs sei bei Anwendung der notwendigen medizinischen Sorgfalt vermeidbar gewesen. Sie sei nunmehr dauerhaft geschädigt, die untere rechte Gesichtshälfte sei taub. Sie habe keinerlei Gefühl und die Taubheit wirke sich beim Sprechen nachteilig aus. Bestimmte Silben oder Laute könne sie nicht mehr wie gewohnt aussprechen, eine weitere Beeinträchtigung bestehe darin, dass sie beim Essen kleckere. Sie müsse nunmehr zeit ihres Lebens mit diesen Beeinträchtigungen leben. Des Weiteren könnten in der Folgezeit weiter gehende körperliche Beeinträchtigungen und Schäden entstehen, wie etwa Herabhängen der Unterlippe, Beeinträchtigung des Geschmacksvermögens, äußerlich erkennbare Lähmungsanzeichen. Schließlich sei sie von dem Beklagten vor den Behandlungen über Risiken und Gefahren nicht aufgeklärt worden.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5% Zinsen über dem Diskontsatz gemäß § 1 DÜG seit dem 18.12.2001 zu zahlen;
- 2.
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der zahnärztlichen Behandlung durch den Beklagten am 18.03., 19.03. und 21.03.2000 noch entsteht, soweit er nicht auf die Träger der Sozialversicherung übergegangen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, er habe bei der zahnärztlichen Behandlung am 19.03.2000 den Zahn nicht verschlossen, sondern vielmehr entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst selbstverständlich offen gelassen.
Mit Nichtwissen bestreitet der Beklagte die von der Klägerin behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Anschwellen der Gesichtshälfte, Taubheitsgefühl noch mehr als ein halbes Jahr nach dem Eingriff, Dauerhaftigkeit der Taubheit in der unteren rechten Gesichtshälfte etc.).
Schließlich behauptet der Beklagte, die Verursachung der behaupteten Beeinträchtigungen durch den kleinen Abszessschnitt sei medizinisch undenkbar, weil die Nervenbahnen, die für die Motorik und das Gefühl in der rechten unteren Gesichtshälfte zuständig seien, sämtlich nicht im Bereich des Zahnfleisches verlaufen, sondern deutlich tiefer im unteren Kieferbereich unterhalb der Zahnwurzelspitzen. Der Nervus mentalis könne deshalb bei einem oberflächlichen Schnitt am Zahnfleisch nicht getroffen worden sein. Eine Schädigung dieses Nerves sei nur dadurch möglich, dass etwa bei einer Wurzelspitzenresektion oder bei einem Ziehen eines Zahnes nicht sorgfältig vorgegangen werde und die darunter liegenden Nervenbahnen beschädigt werden. Sobald der Nervus mentalis tatsächlich durch ihn durchtrennt worden sei, hätten die Lähmungserscheinungen bereits unmittelbar nach dem Eingriff am 21.03.2000 auftreten müssen. Schließlich behauptet der Beklagte, er habe die Klägerin mündlich über die möglichen Folgen einer Abszesseröffnung unter Leitungsanästhesie und einer damit eventuell einhergehenden Nervschädigung aufgeklärt. Die Klägerin hätte im Übrigen der getroffenen Maßnahme der Abszesseröffnung unter Leitungsanästhesie zugestimmt, wenn sie (unterstellt, eine Aufklärung hätte nicht stattgefunden) über die möglichen Folgen einer Schädigung des nervus mentalis aufgeklärt worden wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen und gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Kammer hat gemäß Beweisbeschluss vom 05.02.2002 Beweis erhoben durch Einholung eines fachärztlichen mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. X..... vom 17. März 2003 sowie den ergänzenden Gutachten vom 15. September 2003 und vom 27.10.2003 verwiesen. Ferner hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X..... das Gutachten mündlich erläutern lassen sowie die Parteien gemäß § 141 ZPO angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung der Parteien sowie der Erläuterung des Gutachtens wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.02.2004 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die (zulässige) Klage ist unbegründet.
Der Klägerin stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die mit ihrem Klagebegehren verfolgten Ansprüche zu. Dabei finden gemäß Art. 229 Abs. 1 §§ 5, 8 Abs. 1 EGBGB auf den Rechtsstreit die Bestimmungen des Schadensersatzrechts in der bis zum 31.07.2002 geltenden Fassung bzw. - soweit überhaupt Ansprüche aus dem geschlossenen Behandlungsvertrag in Betracht kommen - die auf ein Vertragsverhältnis bis zum 31.12.2001 geltenden Bestimmungen (vor Erlass des so genannten Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes) Anwendung.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe der von ihr geäußerten Mindestvorstellung von 20.000,- DM (10.225,84 EUR.) gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB. Der Feststellungsantrag hinsichtlich der Ersatzverpflichtung für zukünftige materielle und immaterielle Schäden bleibt demgemäß (folgerichtig) ebenfalls ohne Erfolg.
Der Klägerin ist der ihr obliegende Nachweis einer dem Beklagten bei Durchführung der zahnärztlichen Maßnahmen anzulastenden Nervschädigung, mithin ein fehlerhaftes ärztliches Vorgehen, nicht gelungen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme haben sich die von der Klägerin erhobenen Vorwürfe gerade nicht bestätigt, ein fehlerhaftes Vorgehen und auch die erforderliche Kausalität zwischen ärztlicher Behandlung und eingetretenem Gesundheitsschaden (Taubheitsgefühl) kann nicht angenommen werden.
Zunächst ist festzustellen, dass bei der Behandlung durch den Notdienst habenden Beklagten an dem Zahn 44 zahnärztliche Maßnahmen ausgeführt wurden, und nicht etwa am Zahn 43, der am 24.09.1996 mit einer Wurzel heute noch symptomlos in das Gebiss - wie der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X..... festgestellt hat - integriert ist. Der Sachverständige hat unter Auswertung der ihm überlassenen Krankenunterlagen, insbesondere der radiologischen Untersuchungsbefunde - auch der nachbehandelnden Zahnärzte - auf die Unklarheit in der Aktenlage hingewiesen und klargestellt, dass in den Dokumentationen des Hauszahnarztes Dr. D..... sowie des mitbehandelnden Kieferchirurgen Dr. F... als Ursache für die Nervschädigung eine krankhafte Veränderung am Zahn 44 dokumentiert sei. Anlässlich der Erörterung in der mündlichen Verhandlung haben die Parteien übereinstimmend erklärt, dass - entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X..... tatsächlich der Zahn 44 betroffen sei.
Bei dem von dem Sachverständigen erhobenen speziellen mund-, kiefer- und gesichtschirurgischem Befund hat dieser bei der Überprüfung der Sensibilität eine Störung im Bereich der rechten Unterlippe mit einer Ausdehnung von 16 mm in der Horizontalen, beginnend im rechten Mundwinkel und 2/3 des rechtsseitigen Lippenrotes umfassend und 34 mm in der Vertikalen bogenförmig bis zur Kinnspitze ziehend festgestellt. Dabei hat er in dem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass im oberen Anteil eine partielle Empfindungsstörung im Sinne einer Hypästhesie (= herabgesetzte Empfindung von Sinnesreizen im Sinne Berührungsreizen), im unteren Anteil eine Missempfindung realer Reize im Sinne einer Dysästhesie (=Form der Sensibilitätsstörungen mit spontanen oder provozierten abnormen, unangenehmen Sinneswahrnehmungen) überwiege. Dies hat ihn zu der mund-kiefer-gesichtschirurgischen Diagnose einer milden Sensibilitätsstörung der Unterlippe rechts mit Hypästhesie kranial und Dysästhesie kaudal veranlasst.
In seinem schriftlichen Gutachten vom 17.03.2003 hat er festgestellt, dass eine Beschädigung trotz medizinisch korrekt durchgeführter Behandlung der chronologischen Koinzidenz zu den durchgeführten zahnärztlichen Maßnahmen angenommen werden könne, bei seiner Anhörung und mündlichen Erläuterung des schriftlichen Gutachtens sowie in dem Ergänzungsgutachten vom 27.10.2003 hat er dann weitergehend klargestellt, dass er einen eindeutigen Ursachenzusammenhang zwischen der Nervschädigung und der vom Beklagten durchgeführten Behandlung nicht herstellen könne.
Im Einzelnen:
In dem schriftlichen Gutachten vom 17.03.2003 hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X..... klargestellt, dass die von der Klägerin am 10.03.2000 im Bereich des rechten Unterkiefers beklagten ersten Schmerzen, die sie veranlassten, sich bei ihrem Hauszahnarzt vorzustellen, an eine beginnende Pulpitis (Zahnmarkentzündung) denken ließen. Die Zunahme der Beschwerden habe dann - medizinisch korrekt - zur Eröffnung des Zahnes und Vornahme einer Medikamenteneinlage durch den Beklagten geführt. Nach der Ausbildung eines submukösen Abszesses im Bereich des Zahnfleisches an Zahn 44 sei dann kurz darauf eine Abszesseröffnung in örtlicher Betäubung mittels Leitungsanästhesie durchgeführt worden. Dabei hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Abszesseröffnung medizinisch dringend indiziert gewesen sei und diese müsse einer weiteren Entzündungsausbreitung im Sinne eines Logenabszesses vorbeugen. Deshalb habe sie durchgeführt werden müssen. Darauf hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 15.09.2003 sowie auch bei seiner mündlichen Erläuterung nochmals hingewiesen und im Einzelnen dargestellt, dass es eine medizinische Alternative zu der Eröffnung des Abszesses nicht gegeben habe. Postoperativ ist es dann bei der Klägerin zu einer nicht näher quantifizierbaren Sensibilitätsstörung im Sinne eines Taubheitsgefühls der rechten Unterlippe gekommen, wobei dies auf den Angaben der Klägerin beruht. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X..... in seinem schriftlichen Gutachten vom 17.03.2000 festgestellt, dass bei der vorgenommenen Abszesseröffnung durch den Beklagten eine Durchtrennung des Nervus mentalis eindeutig nicht eingetreten sei. Insoweit hat er darauf verwiesen, dass eine am 01.09.2000 von dem mitbehandelnden Kieferchirurgen Dr. Dr. X vorgenommene Verlagerung des Nervus mentalis eine Durchtrennung des Nerven nicht ergeben habe. Weiter hat er ausgeführt, dass eine vollständige Gefühllosigkeit im Versorgungsgebiet des Nervus alveolaris inferior nicht angenommen werden könne, wenn auch eine Hypästhesie im Bereich der rechten Unterlippe - so von allen behandelnden Zahnärzten dokumentiert - bestehe. Weiter hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, eine Beschädigung des Nerven könne aufgrund der chronologischen Koinzidenz zu den durchgeführten ärztlichen Maßnahmen angenommen werden. Da eine Durchtrennung des Nervus mentalis jedoch nicht vorliege, seien folgende Schädigungsmöglichkeiten medizinisch denkbar:
- Schädigung des Nervus alveolaris inferior durch eine Leitungsanästhesie, wobei diese Schädigungsart in der Literatur als extrem selten eingeschätzt wird.
- Traumatische Schädigung des Nervus mentalis ohne Nervdurchtrennung (auch ohne Durchtrennung des Nerven sei eine traumatisch-mechanische Schädigung denkbar). Das Risiko einer Nervverletzung bei weichteilchirurgischen Eingriffen in Prämolarenhöhe sei auch bei bekannter anatomischer Variabilität im Nervverlauf eher gering einzuschätzen.
- Denkbar seien auch Schädigungen des Nervus mentalis bzw. des distalen Nervus alveolaris inferior durch Infektionen des Knochens, periapikale Läsionen oder Weichteilinfektionen.
Weitere Ursachen für Gefühlsstörungen des Nervus alveolaris inferior könnten weitgehend ausgeschlossen werden.
In Weiterentwicklung der dargestellten Ausführungen hat der Sachverständige ausgeführt, die eingetretene Schädigung im Bereich der rechten Unterlippe sei entsprechend der medizinischen Diagnose durch eine Einschränkung der Sensibilität im Sinne einer Hypästhesie in Kombination mit einer Dysästhesie zu sehen, eine Gefühllosigkeit im Sinne einer Anästhesie sei nicht mehr feststellbar. Nachteilige Auswirkungen auf das Sprechen der Klägerin seien bei der Untersuchung nicht objektivierbar gewesen und mögen allenfalls subjektiv von der Klägerin empfunden werden. Unter Ausschluss einer von der Klägerin behaupteten Nervdurchtrennung des Nervus mentalis hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten vom 15.09.2003 nochmals ausdrücklich klargestellt, dass die möglichen Schädigungsmechanismen auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt als nicht vermeidbar anzusehen sind. Bei der mündlichen Erläuterung der Gutachten hat Prof. Dr. Dr. X..... unter Erörterung der Seite 9 seines Gutachtens sich dahin festgelegt, dass eindeutig keine Verletzung der Sorgfaltspflicht vorliegt. Mithin kann von einem dem Beklagten anzulastenden Behandlungsfehler nicht ausgegangen werden. Gegen diese Feststellungen hat die Klägerin Einwendungen nicht mehr erhoben, sondern vielmehr in der mündlichen Verhandlung durch ihren Prozessbevollmächtigten erklären lassen, dass sie die Ausführungen des Sachverständigen zu einem Behandlungsfehlervorwurf als eindeutig betrachte.
Unabhängig von einem durch die Klägerin nicht nachgewiesenen ärztlichen Fehlverhalten des Beklagten bei der im Rahmen des Notdienstes durchgeführten Behandlung kann ferner ein Ursachenzusammenhang zu der eingetretenen und festgestellten Nervschädigung nicht als nachgewiesen betrachtet werden. Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X..... hat bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens unter Hinweis auf das erstattete Ergänzungsgutachten vom 15.09.2003 ausgeführt, dass die Nervschädigung wahrscheinlich auf die Behandlungssituation beim Beklagten zurückzuführen sei, diese Annahme beruhe jedoch auf den Angaben der Klägerin zum Zeitpunkt des Auftretens der Schädigung des Nervens. Diese Angaben der Klägerin kann die Kammer aber nicht ohne Weiteres zugrunde legen, die Richtigkeit der Angaben der Klägerin ist nicht im Einzelnen belegt. Bei der mündlichen Erläuterung der Gutachten hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X..... weiter darauf hingewiesen, dass er einen eindeutigen Ursachenzusammenhang nicht herstellen könne. In diesem Zusammenhang hat Prof. Dr. Dr. X..... deutlich herausgestellt, dass im Hinblick auf die medizinisch dringend indizierte Abszesseröffnung zwecks Vorbeugung einer weiteren Entzündungsausbreitung im Sinne eines Logen-Abszesses, zu der es eine medizinische Alternative nicht gegeben habe, bei einer wissenschaftlichen Recherche und Literaturüberprüfung keine Literaturstelle aufgefunden worden sei, aus der sich ergebe, wie häufig bei einer Abszesseröffnung derartige Nervschädigungen vorkommen. Er selbst halte die Entzündung als Ursache für die Nervschädigung auch für wenig wahrscheinlich. Ferner hat der Sachverständige klargestellt, dass letztlich nicht geklärt werden könne, wodurch die Nervschädigung bei der Klägerin eingetreten ist. Insoweit hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass diese Schädigung auch unabhängig von einer Injektion durch einen Druck auf den Nerven bei der von dem Beklagten vorgenommenen Manipulation bei der Eröffnung des Abzesses - ohne dass dieses vorwerfbar sei - entstanden sein könne. Letztlich ist mithin auch die Kausalität trotz sachverständiger Beratung ungeklärt geblieben. Nach den mündlichen Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X..... ist mithin der notwendige Ursachenzusammenhang zwischen einem (tatsächlich nicht anzunehmenden) ärztlichem Behandlungsfehler und eingetretenem Gesundheitsschaden (Nervschädigung und Taubheitsgefühl, das nach dem Urteil des Sachverständigen einen Endzustand darstellt) nicht nachgewiesen.
Die Kammer hat keine Bedenken, den umfassenden, in sich schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. X..... zu folgen. Dieser hat sich im Hinblick auf die abzugebende Beurteilung und Einschätzung mit sämtlichen ihm überlassenen Unterlagen unter Einschluss der Röntgenaufnahmen eingehend auseinander gesetzt und sich darum bemüht, die Ursachen der von ihm festgestellten Nervschädigung im Einzelnen zu eruieren und eindeutig einem bestimmten Geschehen zuzuordnen. Die Ausführungen und Darlegungen des Sachverständigen sind in sich nachvollziehbar und plausibel sowie ohne weiteres eingängig, so dass die Kammer diese ihrer rechtlichen Bewertung zugrunde gelegt hat. Dabei hat der Sachverständige nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens sowohl in den beiden Ergänzungsgutachten als auch bei seiner mündlichen Anhörung stets an seiner Beurteilung im Hinblick auf einen vorgeworfenen Behandlungsfehler festgehalten und sich dahin festgelegt, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht auf ein fehlerhaftes Handeln des Beklagten zurückgehen.
Im Übrigen sind auch die von der Klägerin gerügten Aufklärungsversäumnisse nicht begründet.
Eine schriftlich dokumentierte Aufklärung liegt unstreitig nicht vor, ein in der ärztlichen Praxis üblicher und gebräuchlicher, formularmäßiger Aufklärungsbogen, in dem auf mit dem Eingriff verbundene mögliche Risiken normalerweise hingewiesen wird, wurde weder der Klägerin vorgelegt noch von ihr unterzeichnet. Nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 27.10.2003 sowie seiner Angaben anlässlich der mündlichen Erläuterung der schriftlich erstatteten Gutachten war eine Risikoaufklärung - und darin stimmt die Kammer in rechtlicher Bewertung überein - notwendig. Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. X..... hat insoweit deutlich gemacht, dass in der von ihm geleiteten Klinik regelmäßig die erforderlichen Risikoaufklärungen durchgeführt sowie schriftlich dokumentiert werden. Deshalb war der Beklagte gehalten, die Klägerin über die mit einer Injektion verbundenen Risiken und Gefahren umfassend zu informieren.
Der Beklagte hat bei seiner persönlichen Anhörung gem. § 141 ZPO angegeben, er habe die Klägerin über die mit einer Injektion verbundenen Gefahren und Risiken aufgeklärt. Er hat dabei für die Kammer plausibel und nachvollziehbar angegeben, im Rahmen der von ihm durchgeführten zahnärztlichen Notdienstbehandlung habe er die Klägerin gefragt, ob sie auch bei anderen Zahnärzten schon eine Spritze bekommen habe. Die Klägerin habe dies bejaht und ferner erklärt, ihr seien auch die Risiken bekannt. Er habe ihr dann erklärt, dass es in seltenen Fällen zu Taubheitserscheinungen im Bereich der Lippe oder der Zunge kommen könne. Der Sachverständige, der die Anhörung des Beklagten verfolgte, hat auf Befragen angegeben, die konkret vom Beklagten dargestellte Aufklärung sei - sollte sie so stattgefunden haben - aus zahnärztlicher Sicht sachgerecht erfolgt. Die Kammer hat aufgrund des persönlichen Eindrucks von dem Beklagten auch keine Zweifel, dass dieser die Klägerin über die mit einer Injektion verbundenen Risiken aufgeklärt hatte.
Dennoch weist die Kammer darauf hin, dass mangels Parteivernehmung des Beklagten sie nicht von einem durch den Beklagten zu erbringenden Beweis ausgeht, dass er die Klägerin über das - wenn auch äußerst geringe - Risiko einer Nervschädigung aufgeklärt hat, was im Hinblick auf eine wirksame Einwilligung in den ärztlichen Eingriff indes erforderlich war (BGH VersR 1991, 777; VersR 1994, 1302 [BGH 14.06.1994 - VI ZR 260/93]).
Der Beklagte kann sich jedoch mit Erfolg darauf berufen, dass die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen und ausreichenden Aufklärung über die Risiken einer Injektion die Einwilligung zu der (erfolgten) Injektion erteilt hätte.
Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung gemäß § 141 ZPO zur Überzeugung der Kammer nicht plausibel gemacht, dass sie, wären ihr die Risiken der Injektion durch den Beklagten verdeutlicht wurden, in einem wirklichen persönlichen Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Sie hat den Einwand des Beklagten, auch bei ausreichender Aufklärung die Einwilligung zur Injektion erteilt zu haben, nicht entkräftet. Denn die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, wozu sie jedoch nach dem von dem Beklagten erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung verpflichtet gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1992, 2351, NJW 1994, 2414, NJW 1996, 3074). Hinsichtlich des Entscheidungskonfliktes hätte die Klägerin mithin vortragen müssen, in welcher persönlichen Entscheidungssituation sie sich bei vollständiger ordnungsgemäßer Aufklärung befunden hätte und ob diese Aufklärung sie ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ihre Einwilligung zu erteilen oder nicht (vgl. OLG Oldenburg, VersRecht 2000, 232; OLG Stuttgart NJW-RR 2000, 904 [OLG Stuttgart 20.07.1999 - 14 U 1/99]). Eine diesen Voraussetzungen und Anforderungen genügende Darstellung ist durch die Klägerin jedoch nicht erfolgt, nach ihren Angaben während ihrer Anhörung gemäß § 141 ZPO sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden Krankenunterlagen ihres Hauszahnarztes Dr. D..... kann von einem etwaigen Entscheidungskonflikt nicht ausgegangen werden. .......
Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass die Klägerin durch frühere Behandlungen bei ihrem Zahnarzt Dr. D..... über die mit einer Injektion verbundenen Risiken ohnehin bereits aufgeklärt war. Ob man sogar annehmen kann, dass die mit einer Injektion verbundenen Risiken zum allgemeinen Wissen eines Patienten gehören und deshalb - auch im Hinblick auf frühere Injektionen - eine Aufklärung über damit verbundene Risiken und Gefahren ausnahmsweise entbehrlich war, bedarf letztlich keiner Entscheidung.
Aus den erfolgten Ausführungen erschließt sich ferner, dass auch der Feststellungsantrag keinen Erfolg haben konnte.