Landgericht Osnabrück
Beschl. v. 26.01.2004, Az.: 1 S 924/03
Sittenwidrigkeit und Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Zusage eines ehemaligen Arbeitgebers über die Erstattung von Geldbußen für Verstöße gegen Lenkzeiten eines Fahrers von Güterfahrzeugen; Verpflichtung eines Arbeitgebers zum Schadensersatz gegenüber dem Arbeitnehmer nach § 826 BGB wegen durch entsprechende Anordnungen bewusst in Kauf genommene Verstöße gegen Lenkzeiten; Zulässigkeit der Erstattung einer vom Sanktionierten selbst bezahlten Geldbuße durch einen Dritten
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 26.01.2004
- Aktenzeichen
- 1 S 924/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 36229
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2004:0126.1S924.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 138 BGB
- § 826 BGB
- § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO
- § 2 Nr. 1 FPersG
- § 6 Abs. 5 FPersV
- § 8 Abs. 1 Nr. 2 FPersG
- Art. 6 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3820/85
- Art. 8 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3820/85
Amtlicher Leitsatz
Sittenwidrigkeit der Zusage eines Arbeitgebers, Bußgelder wegen Überschreitens der Lenk- und Ruhezeiten durch Arbeitnehmer zu zahlen
Tenor:
Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherheit einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert.
Gründe
Unter Zugrundelegung der für das Berufungsgericht getroffenen Feststellung des Amtsgerichts, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sind Rechtsfehler, die der Berufung des Klägers zum Erfolg verhelfen könnten, nicht ersichtlich.
Unabhängig davon, ob der Beklagte den Kläger ausdrücklich auf die Ziffer 4 des am 7.8.2003 im Verfahren 2 Ca 374/02 vor dem Arbeitsgericht Lingen geschlossenen Vergleiches hätte hinweisen müssen, scheitert ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten jedenfalls daran, dass der Kläger durch die behauptete Nachlässigkeit des Beklagten keinen Schaden erlitten hat. Nach seiner eigenen Darstellung hätte der Kläger den vorbezeichneten Vergleich widerrufen, wenn er davon Kenntnis gehabt hätte, dass mit der Erfüllung des Vergleiches und des Teil-Anerkenntnisurteils sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien des Arbeitsgerichtsverfahrens und damit auch der von ihm behauptete Anspruch gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auf Erstattung des Bußgeldes in Höhe von 705,92 EUR abgegolten sein würden. Damit wäre eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Lingen über die Frage der Erstattungsfähigkeit des in Rede stehenden Bußgeldes erforderlich gewesen. Diese wäre jedoch zu Ungunsten des Klägers ausgefallen.
I.
Ein vertraglicher Erstattungsanspruch des Klägers bestand nicht, weil die in Rede stehende arbeitsvertragliche Zusage seines ehemaligen Arbeitgebers über die Erstattung von Geldbußen für Verstöße des Klägers gegen Lenkzeiten sittenwidrig und daher unwirksam war (§ 138 BGB).
Die Verpflichtung eines Fahrers von Güterfahrzeugen zur Einhaltung bestimmter Lenk-und Ruhezeiten ergibt sich aus den Artikeln 6 - 8 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 (Verordnung des Rates über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr vom 20. Dezember 1985, Abl. EG Nr. 1 370 vom 31. Dezember 1985, S. 1). Gemäß § 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen (Fahrpersonalgesetz - FPersG - ) vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 277) i.d.F. der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 640) i. V. mit § 6 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes (Fahrpersonalverordnung - FPersV) vom 22. August 1969 (BGBl. I S. 1307, 1791) haben die Fahrer selbst die in der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 geregelten Lenkzeiten, Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten einzuhalten. Zwar hat gemäß § 2 Nr. 1 FPersG i. V. mit § 6 Abs. 5 FPersV auch der Unternehmer dafür zu sorgen, dass die Vorschriften über die Lenkzeiten, Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten eingehalten werden. Dies ändert aber nichts daran, dass der Fahrer des Fahrzeugs selbst für die Einhaltung der Lenkzeiten persönlich einzustehen hat, zumal der Kraftfahrzeugführer unabhängig von den vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten die Pflicht hat, das Fahrzeug nur zu lenken, solange er in der Lage ist, es sicher zu führen (vgl. § 6 Abs. 9 FPersV). Überschreitet der Fahrer die zulässigen täglichen Lenkzeiten und verkürzt er die vorgeschriebenen täglichen Ruhezeiten, so werden diese Verstöße gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 FPersG i. V. mit Artikel 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet.
Wer eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, muss grundsätzlich die gegen ihn verhängte Sanktion nach deren Sinn und Zweck in eigener Person tragen und damit auch eine ihm auferlegte Geldstrafe oder Geldbuße aus seinem eigenen Vermögen aufbringen. Die Erstattung einer vom Täter schon bezahlten Geldstrafe oder Geldbuße ist indes nicht verboten. Selbst derjenige, der dem Täter im Voraus die zur Zahlung der Strafe oder Geldbuße erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellt, macht sich, wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, nicht strafbar (BGH 7. November 1990 - 2 StR 439/90 - BGHSt 37, 126 [BGH 26.06.1990 - 2 StR 549/89]). Auch ein Anspruch des Täters auf Erstattung des Bußgelds ist nicht ausgeschlossen, soweit sich ein solcher Anspruch aus den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts ergibt (vgl. BGH 14. November 1996 - IX ZR 215/95 - NJW 1997, 518, 519).
Zusagen des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer bei der Arbeitsausübung auferlegte Geldstrafen oder Geldbußen zu übernehmen, sind jedoch regelmäßig als Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB nichtig, weil sie jedenfalls dem Zweck von Straf- und Bußgeldvorschriften zuwiderlaufen und geeignet sind, die Hemmschwelle des Arbeitnehmers, Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu begehen, herabzusetzen (vgl. BAG, NJW 2001, 1962 ff.; LAG Hamm, BuW 2001, 478 = JURIS-Dokument Nr. KARE 600001749; Holly/Friedhofen NZA 1992, 145, 148 ff., 153). Auch wenn die Strafrechtsordnung darauf verzichtet, die Übernahme Dritten auferlegter Geldstrafen oder Geldbußen unter Strafe zu stellen, bedeutet dies nicht, dass die Zivilrechtsordnung bereit ist, dieses Verhalten zu billigen, indem sie derartige Absprachen für rechtswirksam erklärt. Ein Arbeitgeber, der im eigenen wirtschaftlichen Interesse seine Arbeitnehmer zur Vernachlässigung von Verkehrsvorschriften verleitet, indem er von vornherein die Übernahme etwaiger Geldstrafen und Geldbußen zusagt, handelt unverantwortlich nicht nur gegenüber seinen Arbeitnehmern, deren Gesundheit er gefährdet, sondern auch gegenüber der allgemeinen Verkehrssicherheit. Deshalb kann es die Rechtsordnung nicht hinnehmen, wenn ein Transportunternehmer gegenüber seinen Kraftfahrern die Übernahme von Geldbußen wegen Lenkzeitüberschreitung vertraglich zusagt und damit in Kauf nimmt, dass es zum Verstoß des Arbeitnehmers gegen Vorschriften über Lenkzeiten kommt, so dass die übermüdeten Fahrer sich selbst und die übrigen Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr gefährden.
Ein vertraglicher Anspruch des Klägers auf Erstattung der Geldbuße scheitert damit bereits an der Unwirksamkeit der Zusage seines ehemaligen Arbeitgebers.
II.
Der Kläger konnte die Erstattung der Geldbuße auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung gemäß § 826 BGB verlangen.
Ein Arbeitgeber, der durch entsprechende Anordnungen bewusst in Kauf nimmt, dass es zum Verstoß des Arbeitnehmers gegen Vorschriften über Lenkzeiten kommt, handelt sittenwidrig und ist nach § 826 BGB gegenüber dem Arbeitnehmer zum Schadensersatz verpflichtet. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Anordnung des Arbeitgebers sich konkret auf die zum Schaden führende Lenkzeitüberschreitung bezog und der Arbeitgeber diesen Schaden im Sinne des bedingten Vorsatzes mindestens billigend in Kauf nahm. Dabei genügt es, wenn der Arbeitgeber die Lenkzeitüberschreitung zwar nicht direkt vorgeschrieben, jedoch bewusst eine Fahrt mit bestimmten vorgeschriebenen Terminen angeordnet hat, die zwangsläufig zu unzulässigen Lenkzeitüberscheitungen führen musste.
Im Streitfall wäre ein Ersatzanspruch des Klägers nach § 826 BGB entfallen, weil der Kläger keine konkrete Anordnung seines ehemaligen Arbeitgebers dargelegt hat, die zwangsläufig zu den unzulässigen Lenkzeitüberschreitungen bei den betreffenden Fahrten führen musste.
Da ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 826 BGB schon dem Grunde nach nicht vorgelegen hätte, kann offen bleiben, ob der in der Geldbuße liegende Vermögensnachteil überhaupt als Schaden nach § 826 BGB von dem ehemaligen Arbeitgeber des Klägers zu ersetzen gewesen wäre. Als Fahrer war der Kläger persönlich für die Einhaltung der vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten verantwortlich und musste etwaige Geldbußen wegen entsprechender Verstöße grundsätzlich persönlich aus dem eigenen Vermögen tragen. Entgegenstehende Anordnung seines Arbeitgebers entlasten den Arbeitnehmer grundsätzlich nicht und führen daher auch nicht zu einem Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Erstattung der verhängten Geldbuße. Nur in Ausnahmefällen kann auch eine Geldbuße zu dem nach § 826 BGB zu ersetzenden Schaden gehören. Eine solche Ausnahme läge nur dann vor, wenn es dem Arbeitnehmer trotz seiner rechtlichen Verpflichtung als Lkw-Fahrer im Einzelfall nicht zumutbar gewesen wäre, sich den Anordnungen seines Arbeitgebers zu widersetzen. Auch insoweit hat der darlegungs- und beweispflichtige Kläger nichts vorgetragen, was einen Anspruch auf Erstattung der Geldbuße hätte rechtfertigen können.
III.
Hatte der Kläger mithin keinen Anspruch auf Erstattung der betreffenden Geldbuße, den er nach Widerruf des Vergleiches erfolgreich hätte durchsetzen können, so hat sich der Abschluss des Vergleiches bzw. die unterbliebene ausdrückliche Belehrung über die große Abgeltungsklausel nicht nachteilig für den Kläger ausgewirkt. Damit aber scheidet der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus.
Die Berufung wird mithin durch einstimmigen, nicht anfechtbaren Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen sein. Um unnötige Kosten zu vermeiden, dürfte sich für den Kläger die Rücknahme des Rechtsmittels empfehlen. Falls die Kammer anderenfalls durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheiden muss, belaufen sich die von ihm zu tragenden Gerichtsgebühren auf das Mehrfache der bei einer Zurücknahme der Berufung entstehenden Gebühr (Kostenverzeichnis zum GKG Nr. 1220, 1226 bzw. Nr. 1221).