Landgericht Osnabrück
Urt. v. 28.06.2004, Az.: 1 O 1077/04
Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Straßen; Gebotene Sicherheitsvorkehrung im öffentlichen Verkehr
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 28.06.2004
- Aktenzeichen
- 1 O 1077/04
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2004, 36243
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2004:0628.1O1077.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 839 BGB
- Art. 34 GG
- § 10 NStrG
- § 32 Abs. 1 S. 2 StVZO
Fundstelle
- JWO-VerkehrsR 2004, 259
Amtlicher Leitsatz
Kein Schadensersatz wegen Unfalls durch hereinragenden Ast in Straße mit geringer Verkehrsdichte.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die beklagte Gemeinde wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
Sie behauptet, Herr Z. habe am 05.11.2003 gegen 17.00 Uhr mit dem Silo-Lkw-Gespann der Klägerin, amtliche Kennzeichen xxx/yyy (Anhänger) in Werlte-Wehm die Straße "Im Eichenkamp" befahren. Die Geschwindigkeit des Zeuges habe ca. 30 - 40 km/h betragen. Dort befindet sich - unstreitig - rechtsseitig direkt am Fahrbahnrand eine über 15 m hohe Eiche, die auf einer Höhe von ca. 3 m in das Lichtraumprofil oberhalb der Fahrbahn hineinragt. Die Straße "Im Eichenkamp" ist - ebenfalls unstreitig - unbeschränkt befahrbar; es gibt keine Tonnenbegrenzung, keine Höhenbegrenzung und auch kein Warnschild.
Als sich Herr Z. der "Engstelle" in Höhe der in das Lichtraumprofil hineinragenden Eiche bis auf wenige Meter genähert habe, sei ihm ein Pkw entgegengekommen. Ein weiteres Ausweichen sei nicht möglich gewesen; die beiden auf dem Anhänger des Zuges befindlichen Silos hätten rechtsseitig oben den Straßenbaum gestreift. Hierdurch sei der Klägerin ein Schaden in Höhe von 10.051,-- EUR entstanden, von dem sie von der Beklagten 50%, mithin 5.025,50 EUR, ersetzt verlangt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.025,50 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01. März 2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass es dem Fahrer Gerhard Z. unter Beachtung normaler Sorgfalt ein Leichtes gewesen wäre, den behaupteten Schaden zu vermeiden. Bei Anwendung genügender Aufmerksamkeit sei ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Baum in den Lichtraum geragt habe. Darüber hinaus sei zu beachten, dass es sich bei der Straße "Im Eichenkamp" um eine innerörtliche Straße handele. Auf einer solchen mit einem seitlichen Baumbestand müsse aber der Fahrer eines Fahrzeuges mit einem 3,5 m hohen Aufbau seine Fahrweise entsprechend einrichten und Ausschau nach oben halten. Der Fahrer habe seine Geschwindigkeit soweit anzupassen, dass er einem im Luftraum befindlichen Hindernis jederzeit ausweichen könne. Lasse der Gegenverkehr ein solches Ausweichen nicht zu, habe er ggf. kurzfristig anzuhalten und eine Ausweichmöglichkeit abzuwarten. Komme ein Fahrzeugführer diesen Pflichten nicht nach, so müsse er unabhängig von einer eventuellen Verkehrssicherungspflichtverletzung des Unterhaltspflichtigen gemäß § 254 BGB den Schaden in voller Höhe selbst tragen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme des Lichtbildes Bl. 9 d.A
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Eine Haftung der Beklagten nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, § 10 NStrG als der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage besteht nicht. Zwar umfasst die Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Straßen grundsätzlich auch den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, deren Stämme oder Äste in den Luftraum über die Fahrbahn ragen und zu Beschädigungen an Fahrzeugen mit hohen Aufbauten führen können (BGH VersR 1965, 475, OLG Hamm VersR 1995, 1206 [OLG Hamm 17.05.1994 - 9 U 30/94]). Dabei sind jedoch die an den Sicherungspflichtigen zu stellenden Anforderungen nicht für alle Straßen gleich hoch bemessen. Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus § 32 Abs. 1 S. 2 StVZO. Die in dieser Regelung festgesetzte Höhenbegrenzung der Fahrzeuge auf 4 m betrifft eine zulassungsrechtliche Bauvorschrift und besagt nicht, dass der Luftraum über einer Straße in jedem Fall bis zu dieser Höhe frei von Hinternissen - und damit auch von Baumstämmen und Ästen - gehalten werden muss (BGH VersR 1968, 72; OLG Schleswig VersR 1994, 359 [OLG Schleswig 07.04.1993 - 9 U 35/92]; OLG Naumburg, VRS 100, 261[OLG Naumburg 23.11.1999 - 9 U 19/99]; OLG Köln VersR 1991, 1265 [OLG Köln 01.08.1991 - 7 U 53/91]; OLG Brandenburg VersR 1995, 1951; OLG Dresden VersR 1997, 336 [OLG Dresden 02.10.1996 - 6 U 321/96]; OLG Naumburg DAR 1998, 18 [OLG Naumburg 05.02.1997 - 5 U 235/96]).
Der Umfang der gebotenen Sicherungsmaßnahmen hängt vielmehr - wie auch in den sonstigen Fällen der Verkehrssicherungspflicht - maßgebend von der Sicherheitserwartung der Verkehrsteilnehmer ab, soweit diese sich im Rahmen des Vernünftigen hält. Die Erwartung ist aber nicht auf lückenlose Gefahrlosigkeit gerichtet, da ein solcher Zustand auch nach der Einsicht der durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer praktisch nicht erreicht werden kann. Der Sicherungspflichtige muss daher auch in diesem Bereich nur diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für einen durchschnittlich sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag.
Auf Grund dieser notwendigen Begrenzung der gebotenen Sicherheitsvorkehrungen kann von den Führern hoher Fahrzeuge auf Straßen von geringerer Verkehrsbedeutung erwartet werden, dass sie ihre Aufmerksamkeit auch auf den "Luftraum" der von ihnen befahrenen Strecke richten und vorsorglich einen seitlichen Seitenabstand zu den am Straßenrand stehenden Bäumen einhalten. Daher dürfen die Fahrer solcher Fahrzeuge nur bei verkehrswichtigen Straßen davon ausgehen, dass keine Straßenbäume mit ihrem Stamm oder einem Ast in das Lichtraumprofil der Fahrbahn hineinragen oder dass sie vor derartigen Hindernissen zumindest besonders gewarnt werden. Eine solche Differenzierung ist auch sachgerecht, da die Konzentration der Kraftfahrer auf verkehrsärmeren Straßen nicht in dem selben Maß durch das Verkehrsgeschehen beansprucht wird, wie dies auf Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen der Fall ist. Daher haben die Gerichte der Funktion und Verkehrsbedeutung der jeweiligen Straße auch bei der Freihaltung des Lichtraumprofils von Hindernissen seit langem eine wesentliche Bedeutung beigemessen (vgl. OLG Schleswig VersR 1994, 359 [OLG Schleswig 07.04.1993 - 9 U 35/92] m.w.N.; OLG Hamm VersR 1995, 1206 [OLG Hamm 17.05.1994 - 9 U 30/94]).
In dem vorliegenden Fall sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Straße "Im Eichenkamp" als verkehrswichtige Straße zu bewerten ist. Das zu den Akten gereichte Lichtbild von der Unfallörtlichkeit lässt vielmehr eine Straße zu Gehöften ohne besonderes Verkehrsaufkommen erkennen. Unter diesen Umständen durfte die Beklagte davon ausgehen, dass ein geringfügig in den Lichtraum der Fahrbahn ragender Baumstamm für den ganz überwiegenden Verkehr überhaupt keine Gefahr darstellen würden und von den Fahrern höherer Fahrzeuge bei angemessener Aufmerksamkeit rechtzeitig erkannt werden konnte. Es war ferner zu erwarten, dass die Führer höherer Fahrzeuge bei Zweifeln über einen ausreichenden Lichtraum den fraglichen Baum in einem angemessenen Sicherheitsabstand passieren und bei etwaiger Hinderung durch Gegenverkehr notfalls anhalten würden. Daher war die Beklagte weder zur Beseitigung des besagten Baumes noch zur Absperrung der Straße für Lkw, noch zur Aufstellung besonderer Warntafeln verpflichtet.
Mithin war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.