Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.01.2010, Az.: 4 ME 2/10

Zur Finanzierung selbstgenutzten Wohnungseigentums eingegangene Schuldverpflichtungen als Belastungen i.S.d. § 93 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII); Mietkosten als abzugsfähige Belastungen i.S.d. § 93 Abs. 3 SGB VIII

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.01.2010
Aktenzeichen
4 ME 2/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12978
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0126.4ME2.10.0A

Fundstellen

  • DÖV 2010, 531
  • Jugendhilfe 2010, 358
  • ZfF 2011, 165

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Mietkosten gehören nicht zu den nach § 93 Abs. 3 SGB VIII abzugsfähigen Belastungen.

  2. 2.

    Schuldverpflichtungen, die zur Finanzierung selbstgenutzten Wohnungseigentums eingegangen worden sind, stellen nur insoweit Belastungen im Sinne des § 93 Abs. 3 SGB VIII dar, als sie über den Betrag hinausgehen, der für den durch die Nutzung des Eigentums erzielten Wohnwert anzusetzen ist.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Kostenbeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 18. August 2009 nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass der Kostenbeitragsbescheid sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist.

2

Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Entscheidung.

3

Der Antragsteller hat gegen den erstinstanzlichen Beschluss eingewandt, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die von ihm nachgewiesenen Schuldverpflichtungen im Zusammenhang mit der Finanzierung seines Eigenheims in Höhe von insgesamt 830,18 EUR um einen Wohnwert von 350,-- EUR zu kürzen seien. Für diese Kürzung gebe es keine Ermächtigungsgrundlage. § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII berechtigte den Jugendhilfeträger zu einer Kürzung von Schuldverpflichtungen im Sinne des § 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII nur, soweit diese entweder dem Grunde oder der Höhe nach nicht angemessen seien oder die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung verletzten. Diese Voraussetzungen habe das Verwaltungsgericht aber ausdrücklich verneint. Daher seien seine den pauschalen Abzug nach § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII übersteigenden Schuldverpflichtungen in vollem Umfang von seinem Einkommen abzuziehen.

4

Diese Rechtsauffassung des Antragstellers ist unzutreffend.

5

Nach § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sind von dem nach § 93 Abs. 1 und 2 SGB VIII errechneten Einkommen des Kostenbeitragspflichtigen dessen Belastungen abzuziehen; in Betracht kommen insbesondere Schuldverpflichtungen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII). Der Abzug erfolgt gemäß § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII durch eine Kürzung des nach § 93 Abs. 1 und 2 SGB VIII errechneten Betrags um pauschal 25 vom Hundert. Sind die Belastungen höher als der pauschale Abzug, so können sie nach § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII von dem Einkommen abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen.

6

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass Mietkosten nicht zu den nach § 93 Abs. 3 SGB VIII abzugsfähigen Belastungen gehören, weil angemessene Unterkunftskosten als typischer Bedarf der allgemeinen Lebensführung schon bei der Festsetzung der Einkommensgruppen und der diesen zugeordneten Kostenbeiträge in derKostenbeitragsverordnung berücksichtigt worden sind (vgl. Senatsbeschl. v. 12.1.2010 - 4 PA 219/09 -, v. 28.10.2009 - 4 PA 122/09 - u. v. 23.9.2009 - 4 PA 85/09 -). Diese Rechtsprechung stimmt mit der zahlreicher Verwaltungsgerichte und der herrschenden Meinung in der Literatur überein (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 31.3.2008 - 13 A 5469/05 -; VG Ansbach, Urt. v. 29.11.2007 - AN 14 K 07.00014 -; VG Stuttgart, Urt. v. 5.6.2007 - 9 K 2738/06 -; VG Schleswig, Beschl. v. 12.6.2006 - 15 B 24/06 -; Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl., § 93 Rn. 24; Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 6. Aufl., § 93 Rn. 29; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., § 93 Rn. 20, 27).

7

Sind die Einkommensgruppen und die entsprechenden Kostenbeiträge aber schon unter Berücksichtigung angemessener Unterkunftskosten festgesetzt worden, stellen Schuldverpflichtungen, die zur Finanzierung selbstgenutzten Wohnungseigentums eingegangen worden sind, nur insoweit Belastungen im Sinne des § 93 Abs. 3 SGB VIII dar, als sie über den Betrag hinausgehen, der für den durch die Nutzung des Eigentums erzielten Wohnwert anzusetzen ist (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.12.2008 - 12 E 1458/08 -). Diese Auslegung des Begriffs der Belastungen ist im Hinblick auf die gesetzliche Systematik zwingend geboten. Für sie spricht aber auch, dass es sachlich nicht gerechtfertigt und daher mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar wäre, die angemessenen Unterkunftskosten bei Eigentümern selbstgenutzter Wohnungen anders als bei Mietern nicht nur einmal, sondern zweimal zu berücksichtigen, nämlich im Rahmen der Festsetzung der Einkommensgruppen und der entsprechenden Kostenbeiträge in derKostenbeitragsverordnung und durch einen vollständigen Abzug der Schuldverpflichtungen zur Finanzierung selbstgenutzten Wohnungseigentums vom Einkommen.

8

Sind derartige Schuldverpflichtungen demzufolge nur in dem oben beschriebenen eingeschränkten Umfang als Belastungen im Sinne des§ 93 Abs. 3 SGB VIII anzusehen, so können sie auch allenfalls insoweit nach § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII vom Einkommen des Kostenbeitragspflichtigen abgezogen werden (im Ergebnis ebenso: VG Oldenburg, Urt. v. 31.3.2008 - 13 A 5469/05 -; VG Ansbach, Urt. v. 29.11.2007 - AN 14 K 07.00014 -; VG Stuttgart, Urt. v. 5.6.2007 - 9 K 2738/06 -; VG Schleswig, Beschl. v. 12.6.2006 - 15 B 24/06 -; Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 6. Aufl., § 93 Rn. 29; Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl., § 93 Rn. 24). Daher kann der Antragsteller einen vollständigen Abzug seiner Schuldverpflichtungen von seinem Einkommen nicht verlangen.