Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.01.2010, Az.: 8 ME 222/09
Rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung von Eltern eines Minderjährigen; Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); Zumutbarkeit der zumindest vorübergehenden Aufgabe einer familiären Lebensgemeinschaft
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.01.2010
- Aktenzeichen
- 8 ME 222/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 10536
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0118.8ME222.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 17.12.2009 - AZ: 4 B 48/09
Rechtsgrundlagen
- Art. 6 GG
- § 28 Abs. 1 S. 4 AufenthG
- § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG
Fundstellen
- DVBl 2010, 399
- DÖV 2010, 371
- FamFR 2010, 96
- InfAuslR 2010, 156-159
Amtlicher Leitsatz
Die Abschiebung von Eltern eines Minderjährigen, der Vater eines eigenen deutschen Kindes ist, voraussichtlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hat und die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Kind und der Kindesmutter zumutbar nur in Deutschland fortführen kann, ist zumindest bis zum Erreichen der Volljährigkeit rechtlich unmöglich im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wenn der Minderjährige mit seinen Eltern in einer nach Art. 6 GG schutzwürdigen familiären Beistandsgemeinschaft lebt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren Abschiebungsschutz.
Die Antragsteller sind Angehörige des Volkes der Roma und stammen aus dem Kosovo. Die Antragsteller zu 1. und 2. reisten 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein und halten sich seitdem hier auf. In Deutschland wurden ihre sechs gemeinsamen Kinder, die Antragsteller zu 3. bis 8., geboren. Sämtliche Familienmitglieder sind aus negativ abgeschlossenen Asylverfahren vollziehbar zur Ausreise verpflichtet.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 wies der Antragsgegner die Antragsteller gemäß § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG darauf hin, dass sie nach einer Frist von einem Monat nach Zustellung mit der Abschiebung in die Republik Kosovo oder einen anderen Staat, der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, rechnen müssten, diese Ankündigung aber nur formellen Charakter habe und nicht bedeute, dass sofort nach Fristablauf eine Abschiebung erfolgen werde.
Einen Antrag auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen lehnte der Antragsgegner zuletzt mit Bescheid vom 4. November 2009 ab.
Am 5. November 2009 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht und beantragt, es dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, sie aus der Bundesrepublik Deutschland in die Republik Kosovo abzuschieben. Zur Begründung haben sie ausgeführt: Der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung stünden sicherungsfähige Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, jedenfalls aber auf Aussetzung der Abschiebung entgegen. Der Antragsteller zu 3., ein 16jähriger, nach einer Hirnhautentzündung zu 70% schwerbehinderter Sohn der Antragsteller zu 1. und 2., sei am 7. April 2009 Vater eines Kindes geworden, und zwar der nach § 4 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes deutschen Staatsangehörigen I.. Mutter des Kindes sei die minderjährige J.. Kindesvater und -mutter hätten am 4. Juli 2008 nach deren Tradition als Roma geheiratet. Sie erzögen das Kind gemeinsam und würden dabei insbesondere durch die Antragsteller zu 1. und 2. unterstützt. Dem Antragsteller zu 3. stünde daher ein sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Da die Antragsteller zu 1. und 2. den Antragsteller zu 3. weiterhin betreuten und erzögen und dieser als Vater eines deutschen Kindes alternativlos in Deutschland leben müsse, stehe der Abschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. ein aus Art. 6 GG resultierendes gesetzliches Abschiebungsverbot entgegen. Dies gelte letztlich auch für die Antragsteller zu 4. bis 8., die nicht ohne ihre Eltern abgeschoben werden dürften. Unabhängig davon könnten die Antragsteller im Kosovo keinen Fuß fassen, da das frühere Roma-Zentrum in Pristina dem Erdboden gleich gemacht worden sei. Würden die Antragsteller in den Kosovo abgeschoben, gerieten sie dort angesichts der jahreszeitbedingten Witterung in Todesgefahr.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Bestehen eines Anordnungsgrundes durch Beschluss vom 17. November 2009, dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller zugestellt am 19. November 2009, abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die von den Antragstellern am 3. Dezember 2009 erhobene Beschwerde, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren weiter verfolgen. Zur Begründung vertiefen sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und führen weiter aus, dass angesichts der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung ein Anordnungsgrund bestehe.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 17. November 2009 zu ändern und es dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, sie aus der Bundesrepublik Deutschland in die Republik Kosovo abzuschieben.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Aufgrund der erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bekannt gewordenen Vaterschaft des Antragstellers zu 3. werde er diesem eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG erteilen, sobald dieser einen gültigen Pass vorlege. Bis dahin werde er den Antragsteller zu 3. zumindest dulden. Sollte dieser zur Registrierung oder Passbeschaffung ins Kosovo reisen müssen, werde er ihm einen Reiseausweis und eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Reise erteilen. Aus diesem neuen Sachverhalt erwachse den Antragstellern zu 1., 2. und 4. bis 8. aber kein Anspruch auf Duldung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels. Der Antragsteller zu 3. sei angesichts der Heirat mit der Kindesmutter J. nach Tradition der Roma, der Geburt des gemeinsamen Kindes und einer erneuten Schwangerschaft der Kindesmutter als Familienoberhaupt in der Lage, auch ohne die Hilfe seiner Familie zurecht zu kommen. Etwa notwendige Unterstützung könne auch die Familie der Mutter des Kindes leisten. Gegen die Notwendigkeit einer Unterstützung des Antragstellers zu 3. durch seine Eltern spreche auch, dass diesen durch Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 26. November 2009 - 14 F 350/09 SO - im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Erziehungsrecht für die Antragsteller zu 4. bis 6. entzogen und das Kreisjugendamt des Antragsgegners zum Ergänzungspfleger bestimmt worden sei. Diese Anordnungen seien mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 22. Dezember 2009 für die Dauer von zunächst sechs Monaten bestätigt worden. Zudem sei die Familie dem Jugendamt des Antragsgegners seit einigen Jahren bekannt. Nach den in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnissen übten die Antragsteller zu 1. und 2. auf den Antragsteller zu 3. keinen erzieherischen Einfluss mehr aus und unterstützten diesen auch nicht bei der Gestaltung seines Lebens. Der Antragsteller zu 3. lebe sein Leben vielmehr schon seit 2008 wie ein Erwachsener, treffe seine Entscheidungen allein und nehme keine Beratung an.
Im Hinblick auf die verbindliche Erklärung des Antragsgegners im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009, er werde dem Antragsteller zu 3. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG erteilen, sobald dieser einen gültigen Pass vorlege, zumindest werde er den Antragsteller bis dahin dulden, haben der Antragsteller zu 3. und der Antragsgegner mit Schriftsätzen vom 14. und 11. Januar 2010 das Beschwerdeverfahren des Antragstellers zu 3. übereinstimmend für erledigt erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Beiakten A bis K) verwiesen.
II.
Soweit der Antragsteller zu 3. und der Antragsgegner das Beschwerdeverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Beschwerdeverfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Die Beschwerde der Antragsteller zu 1., 2. und 4. bis 8. ist zulässig und begründet.
Die Antragsteller zu 1., 2. und 4. bis 8. haben gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Aussetzung ihrer Abschiebung nach§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Bestimmung ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Den Antragstellern zu 1., 2. und 4. bis 8. ist ausweislich des Bescheides des Antragsgegners vom 4. November 2009 keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Dass abweichend hiervon diese Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben, ist weder vorgetragen noch sonst für den Senat ersichtlich.
Die Abschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. ist im vorliegenden Fall allerdings rechtlich unmöglich. Eine rechtliche Unmöglichkeit besteht unter anderem dann, wenn Art. 6 Abs. 1 und 2 GG der (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers entgegensteht, weil es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192, 197; Senatsbeschl. v. 6.1.2010 - 8 ME 217/09 -).
Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Senatsbeschl. v. 27.7.2009 - 8 PA 106/09 -). Bei der Frage, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft tatsächlich gelebt wird, verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen. Maßgeblich ist vielmehr einerseits, ob die Eltern im Rahmen des individuell Möglichen die ihnen zugemessene Elternverantwortung wahrnehmen und eine Eltern-Kind-Gemeinschaft tatsächlich gelebt wird und andererseits welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387 f.; BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, DVBl. 2006, 247; GK-AufenthG, Stand: Mai 2009, § 60a Rn. 153 ff.).
Ausgehend von diesen Maßgaben besteht nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Antragsteller zu 3. und seinen Eltern, den Antragstellern zu 1. und 2., eine schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft. Der Antragsteller zu 3. lebt noch im Haushalt seiner Eltern. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Kindesmutter, J., unterstützen die Antragsteller zu 1. und 2. auch den Antragsteller zu 3. bei der Erziehung und Betreuung seines Kindes I.. Dass diese Unterstützung zwingend notwendig ist und bejahendenfalls auch durch andere Dritte geleistet werden könnte, ist im Rahmen des Art. 6 Abs. 1GG unerheblich. Entscheidend ist nur, ob eine familiäre Lebensgemeinschaft - wie offenbar hier - tatsächlich gelebt wird. Dass der Antragsteller zu 3. sich zeitweise auch im Haushalt der Eltern der Mutter des gemeinsamen Kindes I. aufhält, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft mit seinen Eltern nicht entgegen. Der Antragsteller zu 3. ist derzeit erst 16 Jahre alt. Auch wenn mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes sich sowohl Methoden und Ziele von Pflege und Erziehung der Kinder ändern als auch Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern nach und nach zurücktreten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81, 90 ; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl., Art. 6 Abs. 2 Rn. 159), ist der Antragsteller zu 3. schon wegen seiner Minderjährigkeit noch in besonderer Weise auf den Beistand und die Unterstützung seiner Eltern angewiesen. Denn die Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 -, FamRZ 2006, 187, 188). Desweiteren ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass den Antragstellern zu 1. und 2. nach § 1626 Abs. 1 BGB bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Antragstellers zu 3. umfassend die Ausübung der Personensorge - einschließlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1631 Abs. 1 BGB - und der Vermögenssorge obliegt. Diese elterliche Sorge wird durch den Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 26. November 2009 - 14 F 350/09 SO - nicht berührt, denn dieser betrifft ausschließlich die Ausübung von Teilen der elterlichen Sorge in Bezug auf die Antragsteller zu 4. bis 6. Zudem ist der Antragsteller zu 3. nach einem Hirninfarkt vor vier Jahren zu 70% schwerbehindert. Auch wenn offen ist, inwieweit diese Behinderung die Teilhabe des Antragstellers zu 3. am Leben konkret beeinträchtigt und er deshalb auf die besondere Unterstützung seiner Eltern angewiesen ist, ist hierin jedenfalls ein Umstand zu sehen, der das Bedürfnis des minderjährigen Antragstellers zu 3. nach Beistand und Unterstützung seiner Eltern noch verstärkt.
Wenn der Antragsgegner dem unter Bezugnahme auf Feststellungen seines Jugendamtes entgegenhält, die Antragsteller zu 1. und 2. übten keinen erzieherischen Einfluss mehr auf den Antragsteller zu 3. aus und unterstützten diesen auch nicht bei der Gestaltung seines Lebens, vielmehr lebe der Antragsteller zu 3. sein Leben schon seit 2008 wie ein Erwachsener und treffe seine Entscheidungen allein, stellt dies das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller zu 3. und seinen Eltern nicht zwingend in Frage. Denn allein ein ggf. schwieriges Verhältnis zwischen dem 16jährigen Antragsteller zu 3. und seinen Eltern und eine - bedingt durch sein Alter und seine Vaterschaft - gewachsene Selbständigkeit des Antragstellers zu 3. führen jedenfalls nicht dazu, dass dieser den Schutz des familiären Zusammenlebens nach Art. 6 Abs. 1 GG verliert. Denn gerade in einer solchen Entwicklung können sich die veränderte Elternverantwortung und der Wechsel von der Erziehungsgemeinschaft hin zur ebenfalls schutzwürdigen familiären Beistandsgemeinschaft zeigen. Auch der weitere Einwand des Antragsgegners, der Antragsteller zu 3. sei durch die Geburt seines Kindes und das Zusammenleben mit der Kindesmutter selbst zum Familienoberhaupt geworden, hat keinen Einfluss auf den Schutz des Familienverbundes der Antragsteller zu 1., 2. und 3. Denn der grundgesetzliche Schutz der von diesen gebildeten Familie endet nicht allein dadurch, dass der Antragsteller zu 3. mit weiteren Personen eine "eigene" Familie gründet.
Ob darüber hinaus auch eine etwaige Lebensgemeinschaft der Antragsteller zu 1. und 2. mit ihrem Enkelkind, I., dem Schutz des Art. 6 GG unterfällt (vgl. zum Begriff "Familie" in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl., Art. 6 Abs. 1 Rn. 86 ff.), bedarf hier keiner Entscheidung. Ob sich für den Schutz des familiären Zusammenlebens minderjähriger Kinder mit ihren Eltern nach Art. 6 GG zudem etwas anderes ergibt, wenn sich das minderjährige Kind vollständig von seinen Eltern und damit dem Familienverbund gelöst hat und zumindest tatsächlich deren Unterstützung und Beistand nicht mehr benötigt bzw. nicht mehr in Anspruch nimmt, kann der Senat hier ebenfalls dahinstehen lassen. Denn auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners ist für eine derartige Loslösung des Antragstellers zu 3. von seinen Eltern nichts ersichtlich.
Der damit eröffnete Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG begründet aber grundsätzlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt, sondern verpflichtet die Ausländerbehörde nur, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.5.2007 - 2 BvR 2483/06 -, InfAuslR 2007, 336, 337; BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1, 49 ff.). Für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist die Frage, ob es dem anderen Familienangehörigen, hier dem Antragsteller zu 3., zumutbar ist, seine Eltern in ihr Herkunftsland zu begleiten, von erheblicher Bedeutung. Denn wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81, 95). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen fern, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann. Denn Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar möglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.4.2009 - 1 C 3/08 -, NVwZ 2009, 1239, 1240).
In Anwendung dieser Grundsätze ist es nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dem Antragsteller zu 3. derzeit nicht zumutbar, seine Eltern, die Antragsteller zu 1. und 2., in ihr Heimatland zu begleiten, um dort die mit ihnen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft fortzuführen. Denn der Antragsteller zu 3. hat glaubhaft gemacht, Vater des deutschen, am 7. April 2009 geborenen Kindes, I., zu sein und mit diesem und der Kindesmutter, J., tatsächlich in familiärer Lebensgemeinschaft in Deutschland zusammen zu leben. Im Hinblick hierauf hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 auch erklärt, er werde dem Antragsteller zu 3. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG erteilen, sobald dieser einen gültigen Pass vorlege, zumindest werde er den Antragsteller bis dahin dulden. Da keine Gründe ersichtlich sind, dass es dem deutschen Kind, I., zuzumuten wäre, Deutschland zu verlassen, kann der Antragsteller zu 3. seine ebenfalls von Art. 6 GG geschützte familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Kind, I., nur in Deutschland fortführen. Da auch insoweit - insbesondere unter Berücksichtigung der noch nicht einmal ein Jahr alten Tochter des Antragstellers zu 3. (vgl. zu den geringen Anforderungen an das Bestehen einer schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft und an die Unzumutbarkeit der vorübergehenden Trennung: BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682, 683) - keine Gründe ersichtlich sind, dass es dem Antragsteller zu 3. zuzumuten wäre, diese familiäre Lebensgemeinschaft zumindest vorübergehend aufzugeben, ist es diesem ebenso nicht zumutbar, seine Eltern in ihr Herkunftsland zu begleiten, um dort die mit ihnen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft fortzuführen. Mangels hinreichend gewichtiger entgegenstehender Belange drängt die Pflicht des Staates, die Familie zwischen den Antragstellern zu 1., 2. und 3. zu schützen, daher entgegenstehende einwanderungspolitische Belange zurück. Die Abschiebung der Antragsteller zu 1. und 2. ist daher zumindest solange aus rechtlichen Gründen unmöglich, wie der Antragsteller zu 3. als Minderjähriger des besonderen Beistands und der besonderen Unterstützung durch seine Eltern, die Antragsteller zu 1. und 2., bedarf. Dieses Bedürfnis besteht nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Antragstellers zu 3. am 17. Juli 2011.
In gleicher Weise ist bis zu diesem Zeitpunkt auch die Abschiebung der Antragsteller zu 4. bis 8., der jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt noch minderjährigen Kinder der Antragsteller zu 1. und 2., rechtlich unmöglich, da es ihnen nicht zuzumuten ist, die bestehende und derzeit nur in Deutschland zu führende familiäre Lebensgemeinschaft mit ihren Eltern auch nur zeitweise zu unterbrechen. Dem steht nicht entgegen, dass den Antragstellern zu 1. und 2. durch Beschluss des Amtsgerichts Tostedt vom 26. November 2009 - 14 F 350/09 SO - im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Erziehungsrecht für die Antragsteller zu 4. bis 6. entzogen und das Kreisjugendamt des Antragsgegners zum Ergänzungspfleger bestimmt worden ist. Denn diese Anordnungen betreffen nur einen Teilbereich der elterlichen Sorge und haben auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners keinen Einfluss auf das Fortbestehen der den Schutz des Art. 6 GG vermittelnden familiären Lebensgemeinschaft zwischen den Antragstellern zu 4. bis 6. und deren Eltern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Nach teilweiser Einstellung des Beschwerdeverfahrens entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens insoweit, hier zu 1/8, dem Antragsteller zu 3. aufzuerlegen. Denn dieser hat auch das ihn betreffende Beschwerdeverfahren maßgeblich dadurch veranlasst, dass er den nunmehr zumindest seine Duldung tragenden Sachverhalt, die bereits am 7. April 2009 eingetretene Vaterschaft der deutschen Staatsangehörigen J., nicht bereits im behördlichen Verfahren dem Antragsgegner, sondern ohne erkennbaren Grund erst im gerichtlichen Verfahren offenbart hat. Daneben trägt der Antragsteller zu 3. auch die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu 1/8. Denn nach Erledigung des Beschwerdeverfahrens bleibt insoweit die gegen den Antragsteller zu 3. gerichtete Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschluss des Verwaltungsgerichts bestehen. Im Übrigen trägt der unterliegende Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.