Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.01.2010, Az.: 4 ME 14/10
Sozial-familiäre Beziehung zwischen einem biologischem Vater und seinem Kind als durch Grundrechte geschützte Familie
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.01.2010
- Aktenzeichen
- 4 ME 14/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 12985
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0113.4ME14.10.0A
Rechtsgrundlage
- Art. 6 Abs. 1 GG
Fundstellen
- AUAS 2010, 187-188
- InfAuslR 2010, 239
Amtlicher Leitsatz
Auch der biologische Vater bildet mit seinem Kind eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst das Interesse am Erhalt dieser Beziehung.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist begründet. Denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, seine Abschiebung auszusetzen, bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Unrecht abgelehnt.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass seine Abschiebung nach Italien wegen einer durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten familiären Lebensgemeinschaft mit der am 2. November 2009 geborenen B. im Sinne des§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG rechtlich unmöglich und daher bis zum Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung der Antragsgegnerin über die vom Antragsteller beantragte Duldung auszusetzen ist.
Aufgrund des im Beschwerdeverfahren vorgelegten genetischen Abstammungsgutachtens vom 13. Januar 2010 ist praktisch erwiesen, dass der Antragsteller der biologische Vater des vorstehend genannten Kindes ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bildet auch der biologische Vater mit seinem Kind eine von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Grundrechtsschutz umfasst das Interesse am Erhalt dieser Beziehung (BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 - 1 BvR 1493/96 u.a. -). Folglich steht einem Anordnungsanspruch - anders als vom Verwaltungsgericht angenommen - keineswegs entgegen, dass der Antragsteller nicht der rechtliche Vater des Kindes ist.
Der Antragsteller hat auch glaubhaft gemacht, dass eine sozial-familiäre Beziehung bzw. Lebensgemeinschaft zwischen ihm und dem Kind besteht.
Der von der Mutter des Kindes abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vom 6. Januar 2010 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller auch nach der Geburt des Kindes am 2. November 2009 mit ihr und dem Kind zusammen gewohnt hat und dass er sie und ihre Tochter seit dem 9. Dezember 2009 nur deshalb nicht besuchen kann, weil die Antragsgegnerin derartige Besuche verhindert. Ferner ist belegt, dass der Antragsteller durch notarielle Urkunde vom 1. Dezember 2009 mit Zustimmung der Kindesmutter die Vaterschaft anerkannt und sich am 4. Januar 2010 der Untersuchung zur Erstellung des genetischen Abstammungsgutachtens unterzogen hat, was auch für eine tatsächliche Verbundenheit des Antragstellers mit dem Kind spricht.
Bei summarischer Prüfung bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die eidesstattliche Versicherung der Mutter des Kindes unrichtig ist. Die Antragsgegnerin hat zwar vorgetragen, dass eine häusliche Gemeinschaft des Antragstellers mit der Mutter des Kindes zu keinem Zeitpunkt bestanden habe, und zur Begründung ausgeführt, der Antragsteller habe im Rahmen der Ausreisebefragung erklärt, in der Zeit seines Untertauchens bei einem Freund in C. gelebt zu haben. Die zum Beleg dafür vorgelegte Niederschrift vom 16. Dezember 2009 ist aber vom Antragsteller nicht unterschrieben worden; dieser hat die Unterschrift sogar verweigert. Außerdem heißt es in der Niederschrift lediglich, der Antragsteller habe "die ganze Zeit" bei einem Freund in C. gelebt, ohne dass klargestellt ist, welcher konkrete Zeitraum damit gemeint ist. Folglich bietet die Niederschrift keine genügenden Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der von der Mutter des Kindes abgegebenen eidesstattlichen Versicherung. Dass der Antragsteller nach den Angaben der Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren am 3. und 5. April 2009 am Bahnhof in C. und am 9. September 2009 in dem zwischen D. und E. verkehrenden Zug aufgegriffen worden ist, spricht ebenfalls nicht gegen die Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung, da das Kind erst am 2. November 2009 geboren ist.
Der Antragsteller kann bei summarischer Prüfung entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht darauf verwiesen werden, dass eine vorübergehende Unterbrechung der sozial-familiären Beziehung zu dem Kind für die Dauer eines in Italien zu betreibenden Visumverfahrens zumutbar sei, da eine Trennungszeit von mehreren Monaten, die im vorliegenden Fall wahrscheinlich ist, bei einem kaum mehr als zwei Monate alten Kind im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG unzumutbar lang erscheint.
Da die Abschiebung des Antragstellers bereits am 14. Januar 2010 erfolgen soll, besteht schließlich auch der erforderliche Anordnungsgrund.