Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.01.2010, Az.: 11 LA 23/09
Tatsächliche Durchführung einer Abschiebung als Voraussetzung für die Pflicht zur Kostentragung der Abschiebung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.01.2010
- Aktenzeichen
- 11 LA 23/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 10600
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0120.11LA23.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 27.11.2008 - AZ: 1 A 4615/07
Rechtsgrundlagen
- § 66 Abs. 1 AufenthG
- § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Die Pflicht, die Abschiebungskosten zu tragen, setzt nicht voraus, dss die Abschiebung tatsächlich durchgeführt worden ist.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil hat keinen Erfolg.
Der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 Rn. 30; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 124 Rn. 10). Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nicht in Betracht, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne weiteres eindeutig beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.12.1985 - BVerwG 1 B 136.85 -, Buchholz 130 § 22 RuStAG) oder sie in der Rechtsprechung - namentlich des Bundesverwaltungsgerichts oder des beschließenden Senats - geklärt ist.
Der Kläger sieht als grundsätzlich klärungsbedürftig an, ob ein Ausländer, der sein Heimatland wegen einer konkreten Gefahr für Leib und Leben und wegen politischer Verfolgung verlassen hat, im Bundesgebiet die Kosten der Abschiebungshaft zu tragen hat. Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil sie sich, soweit sie einer grundsätzlichen Klärung überhaupt zugänglich ist, nach dem Gesetzeswortlaut und der dazu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AufenthG werden für Amtshandlungen nach diesem Gesetz und den zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen Gebühren und Auslagen erhoben. Das Verwaltungskostengesetz findet Anwendung, soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält (§ 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Nach § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer Kosten zu tragen, die durch die Durchsetzung einer Abschiebung entstehen. Diese Kosten umfassen nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG die Beförderungs- und sonstigen Reisekosten für den Ausländer im Bundesgebiet und die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft und der Übersetzungs- und Dolmetscherkosten und die Ausgaben für die Unterbringung, Verpflegung und sonstige Versorgung des Ausländers.
Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der erhobenen Kosten für eine Abschiebungshaft die Verwaltungsgerichte inzident auch die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaft zu überprüfen haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.6.2005 - BVerwG 1 C 15.04 -, BVerwGE 124, 1 = NVwZ 2005, 1433 einerseits und Urt. d. Sen. v. 22.2.2007 - 11 LB 304/05 - andererseits). Denn das Verwaltungsgericht ist zu Recht von der Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaft ausgegangen. Der Kläger hat im Zulassungsverfahren auch nicht geltend gemacht, dass Anordnung und Dauer der Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen seien.
Entgegen der Auffassung des Klägers steht einer Kostentragungspflicht nicht entgegen, dass es letztlich nicht zu einer Abschiebung gekommen ist. Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 66 Abs. 1 AufenthG, der lediglich voraussetzt, dass Kosten in Folge der "Durchsetzung" einer Abschiebung entstanden sind, und keine Beschränkung auf die erfolgreiche und abgeschlossene Abschiebung gebietet (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Komm., Stand: November 2009, § 66 Rn. 1 e). Zudem umfassen die Abschiebungskosten nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich die bei der Vorbereitung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft. Auch Sinn und Zweck des § 66 AufenthG stehen einer Beschränkung der Kostentragungspflicht auf die Fälle, in denen es tatsächlich zu einer Abschiebung gekommen ist, entgegen. Wie das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Juni 2005 (- 1 BVerwG 1 C 15.04 -, InfAuslR 2005, 480 [BVerwG 14.06.2005 - 1 C 15.04]) entschieden hat, dient § 66 AufenthG der Präzisierung und Erweiterung der fortbestehenden Veranlasserhaftung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG, nicht hingegen deren Begrenzung. Die Anordnung der Abschiebungshaft zur Sicherung der Abschiebung eines aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers dient ausschließlich der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht und ist daher von ihm im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG veranlasst. Dass es aufgrund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände nicht zur Abschiebung kommt, ändert nichts daran, dass der Ausländer seine Inhaftierung und die dadurch entstandenen Kosten veranlasst hat und die Kosten daher von ihm zu tragen sind (so auch: Nds. OVG, Beschl. v. 18.3.2009 - 7 LA 145/08 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 27.7.2006 - 7 A 11671/05 -, AuAS 2007, 17; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 19.10.2005 - 11 S 646/04 -, [...]; BayVGH, Urt. v. 15.12.2003 - 24 B 03.1049 -, InfAuslR 2004, 252; Hailbronner, a.a.O., § 66 Rn. 1 e; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: November 2009, § 66 Rn. 9).
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass es für die Kostentragungspflicht unerheblich ist, aus welchen Gründen die Abschiebung unterblieben ist. Da es sich hier um die Pflicht handelt, für bestimmte Amtshandlungen Kosten zu tragen, und nicht um die Auferlegung einer Strafe, steht der Geltendmachung der Abschiebungskosten auch nicht Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention entgegen. Insofern bedarf die von dem Kläger aufgeworfene Frage keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Zu berücksichtigen ist auch, dass § 66 Abs. 1 AufenthG bei Vorliegen der Voraussetzungen die Anforderung der Kosten zwingend vorsieht. Ob nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der individuellen Leistungsfähigkeit Besonderheiten bestehen, die es im Ermessenswege gebieten könnten, ganz oder teilweise von der Heranziehung zu den Abschiebungskosten abzusehen, ist eine Frage des Einzelfalls, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.