Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.01.2010, Az.: 2 NB 400/09

Erforderlichkeit einer Überprüfung des von einer Büroangestellten notierten Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist durch den prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.01.2010
Aktenzeichen
2 NB 400/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 10570
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0120.2NB400.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 05.11.2009 - AZ: 8 C 1486/09

Fundstellen

  • AnwBl 2010, 294
  • NJW 2010, 1391-1392

Amtlicher Leitsatz

Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt hat den von einer Büroangestellten notierten Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist jedenfalls dann eigenverantwortlich auf seine Richtigkeit zu überprüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden.

Entscheidungsgründe

1

Die Beschwerden der Antragsteller gegen die sie betreffenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 5. November 2009 sind nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, da die Antragsteller ihre Beschwerden entgegen§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht innerhalb eines Monats begründet haben und ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist nicht zu gewähren ist.

2

1.

Die Antragsteller haben zwar mit den am 23. November 2009 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Rechtsmittelschriften vom selben Tag die zweiwöchige Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Einlegung der Beschwerden gegen die ihnen am 10. November 2009 zugestellten und mit ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungen versehenen Beschlüsse gewahrt, die erst am 11. Dezember 2009 vorab per Fax bei dem Senat eingegangenen Schriftsätze vom 10. Dezember 2009, mit denen die Antragsteller ihre Beschwerden begründet haben, wahren hingegen nicht die einmonatige Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO, die hier am Donnerstag, den 10. Dezember 2009 abgelaufen war.

3

2.

Den Antragstellern kann auf der Grundlage des Vortrages ihrer Prozessbevollmächtigten und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der bei diesen seit dem 1. Februar 2004 tätigen Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten W. X. vom 4. Januar 2010 sowie des ebenfalls in Kopie vorgelegten Auszugs aus dem Fristenkalender nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Begründungsfrist für ihre Beschwerden gewährt werden. Denn die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, deren Verschulden sich diese gemäß §§ 173 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müssen, trifft ein Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO an der Versäumung der Begründungsfrist. Die Antragsteller haben Tatsachen, die den Schluss rechtfertigen, sie seien ohne eigenes oder ohne Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gehindert gewesen, die versäumte Frist einzuhalten, weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich aus Folgendem:

4

Die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller machen unter eidesstattlicher Versicherung ihrer Angestellten X. geltend, diese sei für die Notierung der Beschwerdefrist sowie die gleichzeitige Notierung der Begründungsfrist verantwortlich gewesen. Die Angestellte X. habe die Beschwerdefristen richtig, jedoch die Begründungsfristen statt auf den 10. Dezember auf den 11. Dezember 2009 und damit falsch notiert. Warum die Beschwerdebegründungsfristen falsch notiert worden seien, könne nicht mehr aufgeklärt werden. Offensichtlich sei dies von Seiten der Angestellten X. versehentlich erfolgt. Die Begründungsschriftsätze vom 10. Dezember 2009 seien von der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten Y. Z. geschrieben worden, die sich bezüglich der Fristen auf die notierte Frist des 11. Dezember 2009 verlassen habe, sodass die Begründungsschriftsätze erst am 11. Dezember 2009 vorab per Fax abgesandt worden seien. Die sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte der Antragsteller habe lediglich fristgerecht den Begründungsschriftsatz diktiert und sich im Übrigen darauf verlassen, dass die Fristen ordnungsgemäß notiert seien und von dem geschulten Personal ordnungsgemäß eingehalten würden.

5

Mit diesem Vorbringen ist eine unverschuldete Fristversäumung nicht schlüssig dargetan. Aus dem Vorbringen zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ergibt sich nicht, wer für die Berechnung der Rechtsmittelfristen in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller allgemein zuständig ist und diese in den Beschwerdeverfahren der Antragsteller durchgeführt hat. Angeführt wird hier lediglich, dass die Angestellte X. für die Notierung sowohl der Beschwerdefrist als auch der Beschwerdebegründungsfrist zuständig ist. Sollte die sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte der Antragsteller die falsche Begründungsfrist des 11. Dezember 2009 selbst errechnet haben, so würde dieser Fehler über §§ 173 VwGO, 85 Abs. 2 ZPO den Antragstellern unmittelbar anzulasten sein.

6

Wenn hingegen die Angestellte X. für die Berechnung der Rechtsmittelbegründungsfristen zuständig gewesen sein sollte und den Berechnungsfehler begangen hätte, wäre dieser Berechnungsfehler aufgrund eines eigenen (Organisations-)Verschuldens auf Seiten der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller diesen ebenfalls zuzurechnen.

7

Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Wahrung prozessualer Fristen zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört, der er besondere Sorgfalt widmen muss. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich überwacht. Zwar darf er die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen (BVerwG, Beschl. v. 7.3.1995 - BVerwG 9 C 390.94 -, NJW 1995, 2122, 2123 [BVerwG 07.03.1995 - 9 C 390/94]; Beschl. v. 28.2.2002 - BVerwG 6 C 23.01 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 243; OVG Berlin, Beschl. v. 14.1.2005 - 5 N 78.04 -, [...] Langtext Rdnr. 5). Abgesehen davon, dass jeglicher Vortrag dazu fehlt, ob die Angestellte X. gut ausgebildet sowie sorgfältig beaufsichtigt worden ist, ist zweifelhaft, ob zu diesen Fristen die einmonatige Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zur Begründung einer Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO regelmäßig zählt. Ihr Berechnungsmodus weicht vom übrigen Prozessrecht teilweise ab, kann - anders als die Berufungsbegründungsfrist - nicht verlängert werden und ist insbesondere wegen der Änderung der gesetzlichen Grundlagen in der Vergangenheit besonders fehleranfällig. Während nach heutiger Rechtslage die Beschwerdebegründungsfrist in diesen Rechtssachen einen Monat beträgt, war sie nach § 146 Abs. 5 Satz 1 VwGO a.F. im Fall des Antrages auf Zulassung der Beschwerde auf zwei Wochen befristet. Im Ergebnis kann aber offen bleiben, ob bereits der Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller die eigenverantwortliche Berechnung und Notierung der Beschwerdebegründungsfrist einer Angestellten überlassen haben, der begehrten Wiedereinsetzung entgegensteht.

8

Denn selbst wenn ein Rechtsanwalt die Berechnung, Notierung und Überwachung der üblichen und in seiner Praxis häufig vorkommenden Fristen in Rechtsmittelsachen in zulässiger Weise seinem Büropersonal überlässt, hat er in jedem Fall den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen dann eigenverantwortlich zu überprüfen, wenn ihm die Akten vorgelegt werden. Ob diese Verpflichtung bereits dann entsteht, wenn die Akten ihm im normalen Kanzleibetrieb - etwa anlässlich der Einsicht in die angeforderten Verwaltungsvorgänge (so Senat, Beschl. v. 25.8.2003 - 2 LA 52/02 -, NJW 2003, 3362) - zugänglich werden, kann dahinstehen. Jedenfalls gilt dies, wenn die Akten ihm im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden. Von dieser Verpflichtung können auch Anweisungen an das Büropersonal bezüglich der Fristwahrung nicht befreien (BVerwG, Beschl. v. 7.3.1995 - BVerwG 9 C 390.94 -, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 31.1.1990 - VIII ZB 44/89 -, NJW-RR 1990, 830 = [...] Langtext Rdnr. 7; Senat, Beschl. v. 25.8.2003 - 2 LA 52/02 -, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 19.11.2003 - 7 LA 191/03 -, NVwZ-RR 2004, 227 = [...] Langtext Rdnr. 11; OVG Berlin, Beschl. v. 14.1.2005 - 5 N 78.04 -, [...] Langtext Rdnr. 6, jeweils m.w.N.). Diese selbständige Verpflichtung zur eigenverantwortlichen Prüfung des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist bei Vorlage der Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung hat die sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte der Antragsteller weder ausreichend wahrgenommen, als ihr die Vorgänge im November 2009 zur Fertigung der isolierten Beschwerdeschriften vom 23. November 2009 vorgelegt worden waren, noch als diese ihr im Dezember 2009 zur Abfassung der Beschwerdebegründungen zugänglich gemacht wurden. Wenn sie die gebotene Fristenkontrolle zu diesen Zeitpunkten durchgeführt hätte, so hätte sie noch im November 2009, spätestens aber noch am 10. Dezember 2009 und damit vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ohne Weiteres erkennen können, dass die Beschwerdebegründungsfrist bereits am 10. Dezember 2009 ablief und daher falsch notiert war. Bei der gebotenen Überprüfung hätten die Beschwerdebegründungen noch fristgerecht eingereicht werden können.