Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.01.2010, Az.: 5 ME 255/09
Erfordernis der Beteiligung des Personalrates i.R.d. Entlassung eines Beamten auf Widerruf wegen Dienstunfähigkeit; Zulässigkeit einer ärztlichen Begutachtung als alleiniges Beweismittel für die Klärung der Dienstunfähigkeit eines Beamten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.01.2010
- Aktenzeichen
- 5 ME 255/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 10579
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0127.5ME255.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 09.09.2009 - AZ: 2 B 3096/09
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BeamtStG
- § 23 Abs. 3 BeamtStG
- § 23 Abs. 4 BeamtStG
- § 26 Abs. 1 S. 1, 2 BeamtStG
- § 30 Abs. 2 BeamtStG
- § 43 Abs. 2 NBG
- § 64 Abs. 3 S. 2 NPersVG
- § 65 Abs. 1 Nr. 11, 13 NPersVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zur Frage, ob der Personalrat bei der Entlassung eines Beamten auf Widerruf wegen Dienstunfähigkeit zu beteiligen ist.
- 2.
Ärztliche Begutachtungen sind nicht das einzige und allein ausschlaggebende Beweismittel für die Klärung der Frage der Dienstunfähigkeit.
Entscheidungsgründe
Die Antragsgegnerin hat den am geborenen Antragsteller, der mit Wirkung vom 1. November 2007 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Studienreferendar des Lehramts an Gymnasien ernannt worden war, mit Verfügung vom 26. Mai 2009 gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BeamtStG wegen dauernder Dienstunfähigkeit aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen. Der Antragsteller war vom 2007 bis zum 2007 dienstunfähig erkrankt und ist seit dem 2008 durchgehend dienstunfähig erkrankt. Gegen die Verfügung vom 26. Mai 2009 hat der Antragsteller am 25. Juni 2009 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Am 13. Juli 2009 hat die Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung vom 26. Mai 2009 angeordnet. Den daraufhin am 6. August 2009 seitens des Antragstellers gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. September 2009 abgelehnt. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen, die gemäߧ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen sind, ergibt sich nicht, dass der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern ist.
Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Erfolgsaussichten der von dem Antragsteller erhobenen Klage allenfalls als offen angesehen werden können.
Es ist sehr zweifelhaft, ob die angegriffene Entlassungsverfügung im Hauptsacheverfahren aus formellen Gründen aufzuheben sein wird. Der beschließende Senat hat schon in seinem Beschluss vom 3. Juni 2009 (5 ME 76/09) zum Ausdruck gebracht, dass angesichts der Regelungen in § 64 Abs. 3 Satz 2 NPersVG und in § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG, letztere Vorschrift in der bis zum 31. März 2009 maßgeblich gewesenen Fassung, zweifelhaft erscheint, ob im Falle der Entlassung eines Beamten auf Widerruf wegen Dienstunfähigkeit im Wege einer "erweiternden Auslegung" des § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG von einem Beteiligungserfordernis des Personalrats auf entsprechenden Antrag des Widerrufsbeamten und einer diesbezüglichen Hinweispflicht der Dienststelle ausgegangen werden kann (vgl. zum Meinungsstand Nds. OVG, Beschluss vom 3.6.2009 - 5 ME 76/09 -). Gegen die Annahme, dass es sich insoweit um eine unbeabsichtigte Regelungslücke handelt, spricht - wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat - dass der niedersächsische Landesgesetzgeber bei der Anpassung des § 65 NPersVG an das Beamtenstatusgesetz die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Nr. 11 NPersVG nicht geändert und in der Neufassung des § 65 Abs. 1 Nr. 13 NPersVG nur einen Verweis auf § 23 Absätze 3 und 4 BeamtStG und § 30 Abs. 2 BeamtStG, nicht jedoch auch einen Verweis auf § 23 Abs. 1 BeamtStG, insbesondere nicht auf dessen Satz 1 Nr. 3, vorgenommen hat (vgl. Art. 8 Nr. 5 des Gesetzes zur Modernisierung des niedersächsischen Beamtenrechts vom 25.3.2009, Nds. GVBl. S. 72).
Es ist darüber hinaus auch sehr zweifelhaft, ob die angegriffene Entlassungsverfügung im Hauptsacheverfahren aus materiellen Gründen aufzuheben sein wird. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, warum die Annahme der Antragsgegnerin, der Antragsteller sei im Sinne der §§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 26 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BeamtStG und des § 43 Abs. 2 NBG als dienstunfähig anzusehen, keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Soweit der Antragsteller demgegenüber rügt, das Verwaltungsgericht habe sich in unzulässiger Weise über die Feststellungen des amtsärztlichen Gutachtens vom 7. April 2009 und das fachpsychiatrische Zusatzgutachten vom 30. März 2009 hinweggesetzt, muss er sich entgegenhalten lassen, das in der Rechtsprechung geklärt ist, dass ärztliche Begutachtungen nicht das einzige und allein ausschlaggebende Beweismittel für die Klärung der Frage der Dienstunfähigkeit sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1997 - 2 C 7.97 -, BVerwGE 105, 267; Beschluss vom 25.10.1988 - 2 B 145.88 -, Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 17; Nds. OVG, Beschluss vom 2.10.2007 - 5 ME 121/07 -, NVwZ-RR 2008, 483).
Da die Erfolgsaussichten der von dem Antragsteller erhobenen Klage aus den vorgenannten Gründen allenfalls als offen angesehen werden können, ist die gerichtliche Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer Interessenabwägung unter Außerachtlassung der Erfolgsaussichten des zur Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs zu treffen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 3.6.2009 - 5 ME 76/09 -). Auf eine solche Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung selbständig tragend gestützt (vgl. S. 12 des Beschlussabdrucks). Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller mit seiner Beschwerde nicht angegriffen. Dies wäre indes geboten gewesen. Da im Beschwerdeverfahren allein die dargelegten Beschwerdegründe zu prüfen sind und der Antragsteller die Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts nicht als rechtsfehlerhaft in Zweifel gezogen hat, kommt die begehrte Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts erfolgt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG sowie - für den zweiten Rechtszug - auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG (6,5 x 1.103,39 EUR [Anwärtergrundbetrag des Einstiegsamtes A 13] = 7.172,04 EUR : 2 = 3.586,02 EUR).