Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.10.2010, Az.: 8 ME 221/10

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen einer eingegangenen Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen trotz Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ohne erforderliches Visum; Wirkung eines Hinweises auf bestehende Ausreisepflicht und das Fehlen eines Rechts zur Einreise in einem der Grenzübertrittsbescheinigung beigefügten Anschreiben als eine mögliche zeitweise Legalisierung des Aufenthalts

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.10.2010
Aktenzeichen
8 ME 221/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25765
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:1019.8ME221.10.0A

Redaktioneller Leitsatz

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Einhaltung des Visumverfahrens den Regelfall bildet und dass allein die Verpflichtung, zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland vor der Einreise ein Visum einzuholen, Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletzt. Allenfalls in Ausnahmefällen, in denen besondere Umstände des Einzelfalls eine für die Dauer des Visumverfahrens bestehende Trennung der Eheleute als nicht zumutbar erscheinen lassen, kann auf die Nachholung des Visumverfahrens verzichtet werden. Allein der Umstand der Eheschließung und die Absicht, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, begründet eine solche Unzumutbarkeit nicht.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

2

Die Beschwerde ist bereits unzulässig. Nach § 146 Abs. 4 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde unzulässig. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Denn die mit Schriftsatz vom 16. August 2010 erhobene und zugleich begründete Beschwerde enthält keinen Antrag.

3

Geht man zugunsten des Antragstellers davon aus, dass er seinen im erstinstanzlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes im Schriftsatz vom 20. Juli 2010 gestellten Antrag mit der Beschwerde unverändert weiter verfolgt, ist die Beschwerde zudem unbegründet. Denn aus den vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen ergibt sich kein nach Maßgabe des § 123 VwGO sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsgrund (1.) noch einen Anordnungsanspruch (2.) in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht.

4

1.

Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung erfordert das Vorliegen besonderer Gründe, die es unzumutbar erscheinen lassen, die Antragsteller auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 8.10.1992 - 4 M 89/92 -, InfAuslR 1993, 18 m.w.N.). Der Anordnungsgrund ist folglich gleichzusetzen mit der Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl.BVerfG, Beschl. v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 -, NJW 1995, 2477, 2482 f.; Senatsbeschl. v. 28.5.2010 - 8 ME 101/10 -, [...] Rn. 3).

5

An einer solchen Dringlichkeit fehlt es hier. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass der Vollzug von den Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet beendenden Maßnahmen des Antragsgegners in absehbarer Zeit bevorsteht. Hierfür bestehen nach den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners auch keinerlei Anhaltspunkte. Ein Bedürfnis für den Erlass der vom Antragsteller begehrten einstweiligen Anordnung ist daher nicht zu erkennen.

6

2.

Der Antragsteller hat zudem keinen (Anordnungs-)Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der hier allein in Betracht zu ziehenden Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG glaubhaft gemacht.

7

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Hier ist der Antragsteller seit dem 23. Juni 2010 mit der im Bundesgebiet lebenden deutschen Staatsangehörigen Frau B., geb. C., verheiratet. Ob damit die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt sind oder dem der Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG entgegensteht, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn die Aufenthaltserlaubnis nach§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann schon mangels Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erteilt werden.

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#Der Antragsteller ist ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Welches Visum erforderlich ist, ergibt sich aus § 6 AufenthG. Hier war der Antragsteller zwar nach Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Anhang II Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. EG L 81 v. 21.3.2001, S. 1), zuletzt geändert durchVerordnung (EG) Nr. 1244/2009 des Rates vom 30. November 2009 (ABl. EG L 336 v. 18.12.2009, S. 1), aufgrund des offenbar vorliegenden biometrischen Reisepasses (vgl. Bl. 232 Beiakte A) für einen kurzfristigen Aufenthalt, der insgesamt drei Monate nicht überschreitet, von der Visumpflicht nach § 6 Abs. 1 AufenthG befreit. Der Antragsteller ist aber offensichtlich nicht zu einem solchen kurzfristigen Aufenthalt in das Bundesgebiet eingereist, sondern hat von vorneherein die Absicht gehabt, im Bundesgebiet die deutsche Staatsangehörige Frau B., geb. C., zu heiraten und sodann eine Aufenthaltserlaubnis für einen längerfristigen Aufenthalt zu beantragen. Für diesen von vorneherein beabsichtigten längerfristigen Aufenthalt bedurfte der Antragsteller - trotz der Möglichkeit einer visumfreien Einreise für einen kurzfristigen Aufenthalt - eines nationalen Visums nach § 6 Abs. 4 AufenthG. Denn die Vorschrift zur Erforderlichkeit des Visums orientiert sich am aktuellen Aufenthaltszweck bzw. demjenigen Aufenthaltstitel, dessen Erteilung der Ausländer aktuell beantragt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.8.2008 - 13 ME 131/08 -, [...] Rn. 6; Beschl. v. 26.11.2009 - 11 ME 491/09 -; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.3.2006 - 13 S 389/06 - InfAuslR 2006, 323, 324 f.; GK-AufenthG, Stand: September 2010, § 5 Rn. 140, 143 jeweils m.w.N.). Über das danach erforderliche Visum verfügt der Antragsteller nicht; er ist ohne Visum in das Bundesgebiet eingereist.

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Entgegen der Auffassung des Antragstellers besteht im vorliegenden auch keine Ausnahme von der Visumpflicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV. Nach dieser Bestimmung kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller nicht. Er ist zwar Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates. Er besitzt aber kein gültiges Schengen-Visum und hält sich auch nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Ausführungen des Antragstellers, der Antragsgegner habe mit der bis zum 30. Juni 2010 verlängerten Grenzübertrittsbescheinigung zugleich einen rechtmäßigen Aufenthalt herbeigeführt, so dass mit der Heirat am 23. Juni 2010 auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG während eines rechtmäßigen Aufenthalts herbeigeführt worden seien, vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Der Antragsteller hat schon nicht erklärt, in welcher Weise der Antragsgegner die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts begründet haben sollte. Die insoweit allein in Betracht kommende Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis durch den Antragsgegner (vgl. zur abweichenden Zuständigkeit in Visumangelegenheiten: Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. EG L 243 v. 15.9.2009, S. 1)) ist selbst vom Antragsteller nicht behauptet worden. Seine mit einer eidesstattlichen Versicherung seiner Ehefrau vom 15. August 2010 unterlegten Einlassungen, der Antragsgegner haben seinen Aufenthalt verlängert, so dass er davon ausgehen musste, sich weiter legal im Bundesgebiet aufzuhalten, sind äußerst vage. Die Umstände deuten viel eher darauf hin, dass der Antragsgegner mit Ausstellung der Grenzübertrittsbescheinigung lediglich für eine kurze Zeit vom Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen abgesehen hat, um dem Antragsteller die Heirat im Bundesgebiet zu ermöglichen. Eine auch nur zeitweise Legalisierung seines Aufenthalts ist indes nicht erkennbar. Dies ergibt sich auch deutlich aus dem der Grenzübertrittsbescheinigung beigefügten Anschreiben an den Antragsteller vom 17. Juni 2010, wo auf die bestehende Ausreisepflicht und das Fehlen eines Rechts zur Einreise oder zum Aufenthalt ausdrücklich hingewiesen wird.

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Von der danach zu erfüllenden Visumpflicht kann hier auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, der als Ausnahmeregelung restriktiv anzuwenden ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.10.2006 - 18 B 1767/06 -, InfAuslR 2007, 56; GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 159), abgesehen werden. Denn der Antragsteller hat aus nachstehenden Gründen weder glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind, noch es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

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Zum einen hat der Antragsteller - ungeachtet der Frage, ob die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hier erfüllt sind oder dem der Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG entgegensteht - bisher das Vorliegen der weiteren besonderen Erteilungsvoraussetzung nach§ 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bzw. die Verpflichtung des Antragsgegners, von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abzusehen, weder dargetan noch in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ergibt sich auch nicht aus den dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners (Beiakte A). Der Antragsteller hat daher nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind.

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Zum anderen bestehen nach dem Vorbringen des Antragstellers keine Anhaltspunkte dafür, dass es ihm nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Einhaltung des Visumverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass allein die Verpflichtung, zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland vor der Einreise ein Visum einzuholen, Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.12.2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239; BVerwG, Beschl. v. 19.3.1990 - 1 B 32/90 -, [...] Rn. 3; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.6.2007 - 10 PA 65/07 -, [...] Rn. 7; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.10.2006, a.a.O., S. 56 f.). Allenfalls in Ausnahmefällen, in denen besondere Umstände des Einzelfalls eine für die Dauer des Visumverfahrens bestehende Trennung der Eheleute als nicht zumutbar erscheinen lassen, kann auf die Nachholung des Visumverfahrens verzichtet werden. Der Antragsteller hat solche Umstände aber nicht dargetan. Allein der Umstand der Eheschließung und die Absicht, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, begründet eine Unzumutbarkeit nicht (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 31.3.2006 - 24 C 06.402 -, [...] Rn. 21).