Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.01.2022, Az.: 14 ME 58/22

Anordnungsgrund; Baadern baadern; Separatorenfleisch baadern; Vorwegnahme der Hauptsache

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.01.2022
Aktenzeichen
14 ME 58/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59479
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 03.11.2021 - AZ: 7 B 3221/21

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Vorwegnahme der Hauptsache kann ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die berufliche oder wirtschaftliche Existenzgrundlage des jeweiligen Antragstellers gefährdet ist und dies seine Grundrechte aus Art. 12, 14 GG berührt (hier verneint).
2. Im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO sind Antragsänderungen grundsätzlich unzulässig.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 3. November 2021 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 100.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob von der Antragstellerin im Rahmen der Schlachtung gewonnenes sogenanntes Gabelbeinfleisch (Furculafleisch) als Separatorenfleisch im Sinne der einschlägigen EU-rechtlichen Vorschriften mit der Folge entsprechender Kennzeichnungspflichten zu qualifizieren ist.

Die Antragstellerin ist Herstellerin von Putenfleisch und Putenfleischprodukten. Die Produkte sind sowohl für Endverbraucher als auch für weiterverarbeitende Betriebe bestimmt. Jedenfalls bis Ende Oktober 2021 brachte die Antragstellerin ausschließlich Putengabelbeinfleisch in den Verkehr, das sie in manueller Verarbeitung (Abschneiden des dem Gabelbeinknochen anhaftenden Fleisches von Hand) gewonnen hatte. Beim Gabelbein handelt es sich um einen dem Schlüsselbein von Säugetieren vergleichbaren, in der Mitte zusammengewachsenen V-förmigen Knochen des Schultergürtels der Pute.

In der Absicht, im Zuge einer Rationalisierung auf die maschinelle Gewinnung von Putengabelbeinfleisch (sogenanntes Baadern) umzustellen, wandte sich die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. März 2021 (Gerichtsakte, Bl. 13) an den Antragsgegner. Sie informierte über die geplante Umstellung und führte weiter aus, sie beabsichtige, das maschinell gewonnene Endprodukt - Putengabelbeinfleisch - als frisches Geflügelfleisch für die Herstellung von Fleischerzeugnissen, auch für Fleischerzeugnisse mit hervorhebenden Hinweisen zur Spitzenqualität, einzusetzen. Es sei bekannt, dass in Niedersachsen bis zu einer anderslautenden Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in dem Verfahren 13 LB 266/19 das Gabelbeinfleisch von Hähnchen als Verarbeitungsfleisch und nicht als Separatorenfleisch anzusehen sei. Da ihr Verarbeitungsbetrieb in Niedersachsen ansässig sei, gehe sie derzeit davon aus, dass Putengabelbeinfleisch ebenfalls als Verarbeitungsfleisch angesehen werde. Aus Gründen der Rechtssicherheit bitte sie um eine schriftliche Bestätigung, dass das unter den genannten Bedingungen gewonnene Fleisch als Verarbeitungsfleisch in den Verkehr gebracht werden könne und nicht als Separatorenfleisch eingestuft werde. Mit E-Mail vom 19. Mai 2021 (Gerichtsakte, Bl. 14) teilte der Antragsgegner mit, dass er nach Abstimmung mit dem Niedersächsischen Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz die gewünschte schriftliche Bestätigung nicht erteilen könne. Er schließe sich der Empfehlung des Ministeriums an, das anhängige Verfahren vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht abzuwarten.

Nachdem der Antragsgegner auf ein weiteres Schreiben der Antragstellerin vom 8. September 2021 (Gerichtsakte, Bl. 16) nicht reagiert hatte, hat die Antragstellerin unter dem 8. Oktober 2021 Klage erhoben, mit der sie die Feststellung begehrt, „dass für Putengabelbeinfleisch, welches gewonnen wird durch das Herausschneiden des Gabelbeins mit anhaftender Muskulatur als Ganzes und anschließendem Lösen des Gabelbeinfleisches vom Gabelbein mittels Baadermaschine, keine Rechtspflicht zur Kennzeichnung als bzw. Information über Separatorenfleisch gemäß Artikel 1 Abs. 3 VO (EU) 1169/2011 (LMIV“) i.V.m. Anhang I. Nr. 1.14 der VO (EG) Nr. 853/2004 besteht“. Sie hat außerdem den Antrag gestellt, „gemäß dem Feststellungsantrag vorab im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu erkennen“.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe mit Beschluss vom 27. Oktober 2015 (13 ME 115/15) sowie mit Beschluss vom 7. August 2019 (13 LA 298/17) festgestellt, dass beim Hähnchen auf die beschriebene Weise gewonnenes Gabelbeinfleisch kein Separatorenfleisch sei. In Niedersachsen werde daher entsprechend der Rechtsauffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts das bei hähnchenverarbeitenden Betrieben maschinell gewonnene Furculafleisch nicht als Separatorenfleisch qualifiziert. Hähnchenfleisch und Putenfleisch müssten gleichbehandelt werden, weil diese beiden Fleischarten untereinander funktionell austauschbar seien und zwischen ihnen auch eine unmittelbare Konkurrenzsituation in der Weise bestehe, dass aus Konsumentensicht Putenfleisch und Hähnchenfleisch austauschbar seien. Sie erleide jeden Monat einen immensen finanziellen Wettbewerbsnachteil. Der Antragsgegner hat dem entgegengehalten, die Antragstellerin erleide aktuell keine Nachteile, da sie derzeit das Putengabelbeinfleisch manuell verwerte und eine maschinelle Verwertung lediglich anstrebe. Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 (Gerichtsakte, Bl. 47) angekündigt, ab dem 8. November 2021 maschinell gewonnenes Putengabelbeinfleisch als Verarbeitungsfleisch ohne Kennzeichnung als Separatorenfleisch in den Verkehr zu bringen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. November 2021 (Gerichtsakte, Bl. 51) abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es fehle an dem erforderlichen Anordnungsgrund. Hiergegen richtet sich die von der Antragstellerin erhobene Beschwerde, mit der sie geltend macht, ihr entstünden Tag für Tag erhebliche wirtschaftliche Nachteile, solange sie, anders als ihre Wettbewerber aus der Hähnchenbranche, gebaadertes Putengabelbeinfleisch als Separatorenfleisch in den Verkehr bringen müsse. Es sei ihr nicht zuzumuten, auf etwaige bußgeld- bzw. strafrechtliche Schritte des Antragsgegners zu warten und dagegen Rechtsschutz zu suchen. Angesichts des Verhaltens des Antragsgegners im Nachgang zu ihrer Ankündigung, nunmehr maschinell gewonnenes Putengabelbeinfleisch als Verarbeitungsfleisch ohne Kennzeichnung als Separatorenfleisch in den Verkehr zu bringen, beantragt sie ergänzend,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Absatz 1 Satz 2 VwGO aufzugeben, es bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren 7 A 3220/21 zu unterlassen,

1. gegenüber der Beschwerdeführerin und ihren Abnehmern einen Warenrückruf anzuordnen bei Putengabelbeinfleisch, welches gewonnen wird durch das Herausschneiden das Gabelbeins mit anhaftender Muskulatur als Ganzes und anschließendem Lösen des Gabelbeinfleisches vom Gabelbein mittels Baadermaschine und welches als Verarbeitungsfleisch ohne Kennzeichnung als Separatorenfleisch in Verkehr gebracht wird,

2. Abnehmer der Beschwerdeführerin dazu aufzufordern, von der Beschwerdeführerin die Bestätigung zu verlangen, dass es sich bei Putengabelbeinfleisch nicht um Separatorenfleisch handelt, dass es nicht maschinell gewonnen wurde und die Unterzeichnung einer solchen Bestätigung durch einen amtlichen Tierarzt zu fordern,

3. Geschäftsführern und Abnehmern der Beschwerdeführerin damit zu drohen, sie bei der für die Zulassung als Lebensmittelunternehmer zuständigen Behörde als unzuverlässig „anzuschwärzen“, wenn diese sich beim Inverkehrbringen von gebaadertem Putengabelbeinfleisch gemäß der Rechtsprechung des OVG Niedersachsen (13 ME 115/15) verhalten.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt (dazu unter 1.). Die Voraussetzungen für den Erlass der erstmals im Beschwerdeverfahren begehrten, auf die vorläufige Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen gerichteten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor (dazu unter 2.).

1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der diesen vorläufigen Rechtsschutz Begehrende muss gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund). Daran fehlt es hier. Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsgrund (a) noch einen Anordnungsanspruch (b) glaubhaft gemacht.

a) Ein Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit einem spezifischen Interesse gerade an der begehrten vorläufigen Regelung. Dieses Interesse ergibt sich regelmäßig aus einer besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19.10.2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4; Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2021, § 123 Rn. 81). Dabei ist einem die Hauptsache vorwegnehmenden Antrag im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: BVerwG, Beschl. v. 27.5.2004 - 1 WDS-VR 2/04 -, juris Rn. 3) dann stattzugeben, wenn durch das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes ist Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2008 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, juris Rn. 17; BVerwG, Beschl. v. 10.2.2011 - 7 VR 6/11 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Beschl. v. 12.5.2010 - 8 ME 109/10 -, juris Rn. 14).

Die Antragstellerin erstrebt eine solche Vorwegnahme der Hauptsache. Denn das Ziel der von ihr begehrten Regelungsanordnung ist mit dem Ziel des Klageverfahrens identisch. Dem steht nicht entgegen, dass die im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Rechtsstellung unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Klageverfahrens stünde. Denn auch die bloße vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem jeweiligen Antragsteller die mit dem Klageverfahren verfolgte Rechtsposition und stellt ihn - ohne dass diese Rechtsstellung rückwirkend wieder beseitigt werden könnte - vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris Rn. 3; Nds. OVG, Beschl. v. 8.10.2003 - 13 ME 342/03 -, juris Rn. 29 u. v. 12.3.2012 - 8 ME 159/11 - juris Rn. 13; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.10.1987 - 12 B 109/87 -, NVwZ-RR 1988, 19).

Der danach nur ausnahmsweise mögliche Erlass einer solchen, die Hauptsache vorwegnehmenden Regelungsanordnung kommt hier nicht in Betracht. Denn die Antragstellerin hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

Ein solcher die Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise rechtfertigender schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer Nachteil kann zwar dann gegeben sein, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die soziale, berufliche oder wirtschaftliche Existenzgrundlage des jeweiligen Antragstellers gefährdet ist und dies seine Grundrechte aus Art. 12, 14 GG berührt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 12.3.2012 - 8 ME 159/11 - juris Rn. 13; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.10.1987 - 12 B 109/87 -, NVwZ-RR 1988, 19, Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66c). Eine wirtschaftliche Existenzgefährdung ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin, das im Übrigen nicht den formalen Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO einer genügenden Glaubhaftmachung entspricht, indessen nicht.

Die Antragstellerin hat jedenfalls bis Ende Oktober 2021 ausschließlich Putengabelbeinfleisch produziert und in den Verkehr gebracht, das sie aus manueller Verarbeitung gewonnen hat. Die Entscheidung für diesen Produktionsweg stellt ebenso wie die erwogene Umstellung der Produktion auf maschinelle Verarbeitung eine unternehmerische Entscheidung dar, an die tatsächliche und rechtliche Folgen geknüpft sind. Die von der Antragstellerin erstinstanzlich mittels einer vergleichenden Berechnung geltend gemachten erheblichen wirtschaftlichen Nachteile gegenüber (niedersächsischen) Produzenten von Hähnchengabelbeinfleisch rechtfertigen jedoch weder die Annahme einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung noch sind dadurch Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 12, 14 GG derart nachhaltig beeinträchtigt, dass eine vorläufige Regelung im beantragten Sinne geboten wäre. Das folgt bereits daraus, dass die Antragstellerin auch in Ansehung der von ihr angeführten Rechtsprechung des 13. Senats des beschließenden Gerichts aus dem Jahre 2015 und in Kenntnis derer - vorläufigen - Umsetzung durch die niedersächsischen Behörden seit Jahren daran festgehalten hat, das von ihr gewonnene Putengabelbeinfleisch im Wege der manuellen Verarbeitung zu produzieren. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen es der Antragstellerin unzumutbar sein sollte, damit verbundene wirtschaftliche und wettbewerbsbezogene Nachteile bis zu einer Entscheidung des Senats in dem Hauptsacheverfahren 14 LB 2/22 (vormaliges Aktenzeichen: 13 LB 266/19) oder ggf. auch in dem von ihr betriebenen Klageverfahren in Kauf zu nehmen. Im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin ebenfalls nichts Vertiefendes vorgetragen, was auf eine Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage schließen ließe. Der verbleibende etwaige Verlust wirtschaftlicher Vorteile für die Dauer des Hauptsacheverfahrens rechtfertigt die Vorwegnahme der Hauptsache nicht.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, es sei unzumutbar, die Verwirklichung von Bußgeld- oder Straftatbeständen in Kauf zu nehmen, wenn sie - bei ungeklärter Rechtslage - das von ihr maschinell gewonnene Putengabelbeinfleisch ohne Kennzeichnung als Separatorenfleisch in den Verkehr bringe, handelt es sich nicht um unzumutbare, sondern um für die Antragstellerin vorhersehbare Nachteile, die sie ohne Weiteres abwenden kann. Der Antragstellerin ist es nämlich - wie sich aus den vorhergehenden Darlegungen ergibt - zuzumuten, eine klärende Entscheidung im Verfahren 14 LB 2/22 bzw. in dem von ihr betriebenen Klageverfahren abzuwarten und keine Handlungen zu unternehmen, mit denen sie sich der Gefahr der Verwirklichung von Bußgeld- oder Straftatbeständen aussetzt. Auf der Grundlage des derzeitigen Sach- und Streitstandes besteht der Eindruck, dass die Antragstellerin das Inverkehrbringen von gebaadertem Putengabelbeinfleisch im November 2021 nur mit Blick auf die Hinweise des Verwaltungsgerichts zum Fehlen eines Anordnungsgrundes in der Verfügung vom 13. Oktober 2021 (Gerichtsakte, Bl. 28) aufgenommen hat bzw. - es ist unklar, ob es zur Auslieferung gekommen ist - aufnehmen wollte. Auf eine solche Weise lässt sich aber kein Anordnungsgrund herbeiführen.

b) Unabhängig davon hat die Antragsgegnerin auch das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Denn eine hohe, mithin weit überwiegende Erfolgswahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren (vgl. zu diesem strengen Maßstab bei einer vorläufigen Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Anordnungsverfahren: BVerwG, Beschl. v. 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris Rn. 3; Nds. OVG, Beschl. v. 7.12.2011 - 8 ME 184/11 -, juris Rn. 12, u. v. 2.2.2007 - 13 ME 362/06 -, juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.3.2008 - 13 S 418/08 -, juris Rn. 7; Hessischer VGH, Beschl. v. 29. 8. 2000 - 5 TG 2641/00 -, juris Rn. 6) besteht nicht.

Die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren sind lediglich offen. Unbeantwortet bleibt auf der Grundlage des derzeitigen Sach- und Streitstandes schon die Frage, inwieweit Putengabelbeinfleisch einerseits und Hähnchengabelbeinfleisch andererseits tatsächlich im Rahmen der sich stellenden rechtlichen und tatsächlichen Fragen gleich zu behandeln sind. Mit ihren bisherigen Ausführungen hat die Antragstellerin das nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Hinzu kommt Folgendes: Gegenstand des von der Antragstellerin angeführten Beschlusses des 13. Senats des beschließenden Gerichts vom 27. Oktober 2015 (13 ME 115/15), aus dem die Antragstellerin letztlich das Recht ableitet, gebaadertes Putengabelbeinfleisch nicht als Separatorenfleisch kennzeichnen zu müssen, sind komplexe Rechts- und Tatsachenfragen, die im Hauptsacheverfahren 14 LB 2/22 - in anderer richterlicher Besetzung als in den Verfahren 13 ME 115/15 und 13 LA 298/17 - zu klären sein werden. Die Antragstellerin weist selbst darauf hin, dass diese Entscheidung „durchaus auf Widerspruch gestoßen“ ist. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht Osnabrück in dem dem nunmehrigen Verfahren 14 LB 2/22 zugrundeliegenden Urteil vom 5. September 2017 (3 A 109/16) eine abweichende Entscheidung getroffen und diese dezidiert begründet. Die Klärung, welcher der divergierenden Auffassungen der Vorzug zu geben ist, ist im Rahmen dieses Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aufgrund einer Interessenabwägung (vgl. hierzu Dombert in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 137 m.w.N.), bei der die unmittelbar berührten öffentlichen und privaten Interessen sowie die Folgen einer stattgebenden oder ablehnenden Entscheidung berücksichtigt werden. Eine solche Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Die öffentlichen Interessen liegen hier in dem umfassenden Schutz der Gesundheit und Interessen der Verbraucher; Endverbrauchern soll eine Grundlage für eine fundierte Wahl und die sichere Verwendung von Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung von gesundheitlichen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen, sozialen und ethischen Gesichtspunkten geboten werden (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011). Diese Interessen würden erheblich beeinträchtigt, wenn es der Antragstellerin bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ermöglicht würde, ihre Produkte ohne Kennzeichnung in den Verkehr zu bringen, sich aber nachträglich herausstellte, dass sie den bestehenden Kennzeichnungspflichten nicht genügen. Gemessen daran kommt den oben bereits dargestellten wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin aus den zum Anordnungsgrund dargestellten Erwägungen ein geringeres Gewicht zu.

2.Die Voraussetzungen für den Erlass der auf die vorläufige Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen gerichteten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

Dieses erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Begehren stellt eine Antragserweiterung um einen neuen Streitgegenstand und mithin eine Antragsänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO dar. Im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO sind diese grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen können in Betracht kommen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich geändert hat oder andernfalls effektiver Rechtsschutz nicht zu erlangen ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.7.2013 - 8 ME 110/13 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 19.3.2013 - 8 ME 44/13 -, juris Rn. 2; Beschl. v. 15.3.2011 - 11 ME 59/11, juris Rn. 7; Beschl. v. 4.8.10 - 11 ME 279/10 -, NVwZ-RR 2010, 902; Beschl. v. 15.10.2009 - 2 ME 307/09 -, juris Rn. 28; Hess. VGH, Beschl. v. 12.7.2011 - 1 B 1046/11 -, juris Rn. 32; OVG B-Stadt-Brandenburg, Beschl. v. 11.5.2009 - OVG 11 S 24.09 -, juris Rn. 5). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Für die Annahme einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage reicht es nicht, dass der Antragsgegner die beanstandeten Äußerungen erst nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung gemacht hat. Es handelt sich dabei zwar um einen neuen Lebenssachverhalt, der neuen Streitstoff und damit neue zu prüfende rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte mit sich bringt. Der Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bleibt davon aber unberührt, er wird mithin gerade nicht geändert. Die Antragstellerin ist auch nicht gehindert, den in erster Instanz nicht gestellten, nicht fristgebundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht zu stellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).