Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.10.2010, Az.: 2 NB 355/09

Betreuung eines Kleinkindes als Härtefall für die Zulassung zu einem gewünschten Studiengang

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.10.2010
Aktenzeichen
2 NB 355/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25561
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:1014.2NB355.09.0A

Fundstellen

  • DÖV 2011, 40
  • NVwZ-RR 2011, 108-110

Amtlicher Leitsatz

Die Betreuung eines Kleinkindes begründet keinen Härtefall für die Zulassung zu einem gewünschten Studiengang

Gründe

1

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Ferner ist gemäß §§ 173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog die Unwirksamkeit des angefochtenen Beschlusses erster Instanz festzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu befinden. Diesem Ermessen entspricht es, die Verfahrenskosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Dies rechtfertigt sich aus folgenden Erwägungen.

2

Der Umstand, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin zum Sommersemester 2010 endgültig im zweiten Fachsemester des Studiengangs Germanistik 2-Fächer-Bachelor zugelassen hat, kann sich mit Blick auf die Kostenlast für die Hochschule nicht nachteilig auswirken. Denn die endgültige Zulassung der Antragstellerin zu ihrem Wunschstudium erfolgte nicht in Anerkennung der vom Verwaltungsgericht als gegeben angesehenen Voraussetzungen der § 8 Hochschul-Vergabeverordnung, sondern als Reaktion auf die im zweiten Fachsemester nicht ausgeschöpfte Ausbildungskapazität. Angesichts der Tatsache, dass die für das zweite Fachsemester festgesetzte Zulassungszahl von 78 Studierenden nicht ausgeschöpft war, hat die Antragsgegnerin auf Vorschlag des Beschwerdegerichts die Antragstellerin als Quereinsteigerin behandelt und gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 Hochschul-Vergabeverordnung zum zweiten Fachsemester zugelassen. Durch diese Handlungsweise hat sie sich im Hinblick auf die durch die endgültige Zulassung zum Studium bewirkte Erledigung des Rechtsstreits nicht in die Position des unterlegenden Beteiligten begeben.

3

Die kostenrechtliche Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts orientiert sich daher daran, dass die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Denn es bestehen durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von dem Verwaltungsgericht ausgesprochenen einstweiligen Anordnung. Soweit dieses bei der Vergabe der Studienplätze in dem Studiengang Germanistik 2-Fächer-Bachelor die Antragstellerin aufgrund der Härtefallklausel des § 8 Sätze 1 und 2 Hochschul-Vergabeverordnung als bevorrechtigt angesehen hat, vermag das Beschwerdegericht der Vorinstanz nur mit Blick auf die Definition eines Härtetatbestands, nicht aber bei der Würdigung der Einzelheiten des vorliegenden Sachverhalts unter den herausgearbeiteten Härtebegriff zu folgen.

4

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hochschul-Vergabeverordnung werden von der Zulassungszahl eines Studiengangs für die zu vergebenden Studienplätze vorab als Sonderquote zwei vom Hundert für Fälle außergewöhnlicher Härte abgezogen. Diese Studienplätze werden gemäß § 8 Hochschul-Vergabeverordnung auf Antrag an deutsche Bewerberinnen und Bewerber vergeben, für die die Nichtzulassung in dem genannten Studiengang eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Nach der Definition des § 8 Satz 2 Hochschul-Vergabeverordnung liegt eine solche dann vor, wenn in der Person der Studienbewerberin besondere soziale oder familiäre Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erfordern. Diese Härtefallklausel hat die Funktion, innerhalb eines sonst notwendig schematisierenden Auswahlsystems für Massenverfahren einen Ausgleich für die mit dem System selbst verbundenen Unbilligkeiten im Einzelfall zu schaffen (vgl. BVerwGE 43, 291, 378 [BVerwG 02.12.1971 - I WB 121/71]). Sie soll die Chancengleichheit unter den Bewerbern wahren, nach der nach Möglichkeit niemand infolge wirtschaftlicher, gesundheitlicher, familiärer oder sonstiger sozialer Benachteiligungen an der Erreichung seines Berufszieles gehindert und niemandem dieser Weg in unzumutbarer oder unbilligender Weise erschwert werden soll. Daraus folgt aber auch, dass die Härtefallklausel nicht anderen Zwecken dienen soll und darf. Nachteile, die keine, nur unwesentliche oder noch zumutbare Erschwernisse auf dem Weg der Verwirklichung der Berufsentscheidung darstellen, können nicht durch eine vergaberechtliche Bevorzugung ausgeglichen werden. Die Zulassung kann daher nicht als Ausgleich für aus sonstigen Gründen anzurechnende Lebenserschwernisse erfolgen. Bei der Beurteilung vergaberechtlicher Härtefälle muss wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift somit ein besonders strenger Maßstab angelegt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.3.1991 - 6 B 3/91 -, [...], Rn. 8; BayVGH, Beschl. v. 31.1.2005 - 7 CE 04.3255 -, [...], Rn. 11). Dieser besonders strenge Maßstab ist nicht zuletzt deshalb anzulegen, weil die Zulassung über den Härtefallweg nach dem System des § 5 Abs. 7 Hochschul-Vergabeverordnung zur Zurückweisung eines anderen, noch nicht zugelassenen Studienbewerbers führt. Wenn ein auf die Härtefallquote fallender Studienplatz nicht vergeben wird, führt dies nicht dazu, dass der verfügbare Studienplatz unbesetzt bleibt und eine Verdrängung anderer Studierwilliger nicht eintreten kann. Wenn nicht alle Plätze an Härtefallbewerber vergeben werden, die Quote von zwei vom Hundert für Fälle außergewöhnlicher Härte also nicht ausgeschöpft wird, werden nämlich die verfügbar gebliebenen Studienplätze nach § 5 Abs. 7 Satz 2 Hochschul-Vergabeverordnung der Quote für das Auswahlverfahren hinzugerechnet und kommen demnach anderen Studienbewerbern zugute. Anders gewendet bedeutet dies, dass die Inanspruchnahme eines auf die Härtefallquote fallenden Studienplatzes anderen Studierwilligen die Möglichkeit nimmt, einen Studienplatz zu erhalten. Demnach müssen in der Person oder in den Lebensumständen des sich auf die Härtefallklausel berufenden Studienbewerbers außerordentlich schwerwiegende Umstände vorliegen, die bei einer Verzögerung der Aufnahme des Studiums den endgültigen Ausschluss von der gewünschten Ausbildung zur Folge haben; die sofortige Aufnahme des Studiums muss also zwingend erforderlich sein.

5

Nach diesen Maßstäben begründen ein Kind oder mehrere Kinder einer Studienbewerberin oder -bewerbers grundsätzlich keine Härtefallzulassung zum Studium (dazu OVG NRW, Beschl. v. 3.2.2009 - 13 E 1694/08 -, [...], Rn. 22 unter Hinweis auf die Härtevergaberichtlinien der ZVS). Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls und rechtfertigt sich zunächst nicht mit Blick auf die Überlegung, ob die Antragstellerin, die ihr Kind während der letzten Jahrgangsstufe ihres Schulbesuchs zur Welt gebracht hat, ohne dieses familiäre Ereignis eine bessere Durchschnittsnote erreicht und dadurch ihre Chancen für einen schnelleren Hochschulzugang verbessert hätte. Diesem Umstand hat die Antragsgegnerin dadurch Rechnung getragen, dass sie im Rahmen eines Nachteilsausgleichs die Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses angehoben hat.

6

Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen ist auch nicht erkennbar, dass die besondere durch die Betreuung ihres Kleinkindes begründete familiäre Situation der Antragstellerin die sofortige Aufnahme des Studiums - wie in § 8 Satz 2 Hochschul-Vergabeverordnung vorausgesetzt - zwingend erfordert hätte, wobei sich diese Feststellung auch dann rechtfertigt, wenn man dem Verwaltungsgericht in seiner dieser Überlegung vorangestellten Erwägung folgen würde, die Antragstellerin unterliege für ihre Ausbildung einer Ortsbindung und ihr sei es wegen der Erziehung ihres Kindes nicht zumutbar gewesen, sich an einer anderen Hochschule zu bewerben. Die in § 8 Satz 2 Hochschul-Vergabeverordnung geregelte Maßgabe, dass bei Vorliegen der besonderen Gründe die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend erforderlich sein muss, soll Umständen oder Erkenntnissen entgegenwirken, die darauf schließen lassen, dass ein Studium, wird es nicht umgehend begonnen, nicht mehr ordnungsgemäß abgeschlossen werden kann, sei es dass sich der Gesundheitszustand eines Studienbewerbers erkennbar verschlechtern könnte, sei es dass die Ausbildung als Maßnahme einer einer Behinderung begegnenden Rehabilitation zu würdigen ist, sei es aus vergleichbaren familiären und sozialen Umständen. Es müssen also Gründe vorliegen, die im Falle der Verzögerung der Aufnahme des Studiums einen Erfolg der Ausbildung von vornherein verhindern und den Ausschluss des Studierenden vom Studium bewirken würden. Zu diesen Gründen gehört die Erziehung eines Kleinkindes grundsätzlich nicht, da nicht erkennbar ist, dass der Ausbildungserfolg des alleinerziehenden Elternteils im Falle der Inanspruchnahme einer Wartezeit gefährdet sein könnte. Es mag sein - wie das Verwaltungsgericht meint -, dass eine alleinerziehende Studienbewerberin eine längere Ausbildungszeit auf sich nehmen muss als ihre Mitstudierenden. Zwingend ist dies jedoch nicht. Auch sind zahlreiche weitere Konstellationen denkbar, in denen sich Studienzeiten verlängern, weil die Studierenden neben ihrer Ausbildung noch weitere Aufgaben und Pflichten zu erfüllen haben wie etwa die Erwirtschaftung des eigenen Lebensunterhalts durch eine (neben)berufliche Tätigkeit, die Pflege von Familienangehörigen oder vergleichbare Gründe. Würde man daraus schließen, dass unter Zugrundelegung besonderer persönlicher, familiärer wirtschaftlicher oder sozialer Situationen bereits die Möglichkeit einer zeitlichen Verlängerung des Studiums einen Härtefall begründet, der - unter Zurückdrängung anderer besser qualifizierter Studienbewerber - die sofortige Aufnahme des Studiums als zwingend geboten erscheinen lässt, würde § 8 Hochschul-Vergabeverordnung den Charakter einer streng zu handhabenden Ausnahmevorschrift verlieren. Auch unter Würdigung der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere der Rolle der Antragstellerin als Alleinerziehende ist es für sie nicht unzumutbar gewesen, sich auf eine Wartezeit für die Aufnahme des von ihr begehrten Studiums verweisen zu lassen mit der prozessualen Folge, dass das Beschwerdegericht dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung voraussichtlich nicht entsprochen hätte.