Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 06.04.2018, Az.: 1 B 90/17

Anordnungsgrund; Arzneimittelmissbrauch; Fahrerlaubnis; Neuerteilung Fahrerlaubnis; erhebliche Straftat

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
06.04.2018
Aktenzeichen
1 B 90/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74120
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Anforderungen der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach Entzug der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht.

Zu den Anforderung der Ermessensausübung bei der Gutachtenanforderung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, Nr. 9 Buchst. b FeV.

Zum Verhältnis von § 11 Abs. 3 FeV zu §§ 13, 14 FeV (Eignungszweifel Alkohol-, Drogen- und Arzneimittelproblematik).

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis.

Der im C. 1953 geborenen Antragstellerin war ihre im September 1973 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3 (nunmehr C1E) durch das Urteil des Amtsgerichts D. vom 18. Mai 2017 - E. - (rechtkräftig seit dem 27. Mai 2017) entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von drei Monaten angeordnet worden. Mit dem vorstehenden Urteil wurde die Antragstellerin wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen nach § 142 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5, § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und Abs. 3 Nr. 1, § 316 Abs. 1 und 2, §§ 42, 52, 53, 69, 69a StGB verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass die Antragstellerin am 14. Juli 2016 ein Fahrzeug im Verkehr führte, obwohl sie zuvor so viel berauschende Mittel zu sich genommen hatte, dass die ihr entnommene Blutprobe ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Oxazepam mit einer Konzentration von 1.400 ng/ml im Blut enthielt, und sie dabei mehrfach mit ihrem Fahrzeug gegen die Mittelschutzleitplanke und gegen mehrere Baustellenbaken geriet und hieran einen Schaden von 2.416 EUR verursachte. Ferner verließ sie die Unfallstellen, ohne der Wartepflicht zu genügen. Nachfolgend überholte sie einen PKW mit Wohnanhänger und fuhr dabei gegen die hintere Seite des Anhängers, wodurch der PKW mit Wohnanhänger ins Schleudern geriet. Das Amtsgericht führte unter Bezugnahme auf die Anklageschrift (Bl. 5 der Beiakten) aus, dass die Antragstellerin bei Fahrtantritt hätte erkennen können, dass sie infolge der Einnahme der Substanz Oxazepam fahruntüchtig war und aufgrund des Unfallgeschehens sodann wusste, dass sie fahruntüchtig war. Weiter hätte sie erkennen können, dass sie andere Personen und fremde Sachen gefährden könnte.

Im Juli 2017 beantragte die Antragstellerin die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis, ohne eine bestimmte Fahrerlaubnisklasse anzugeben. Nach den von ihr eingereichten ärztlichen Bescheinigungen bestehen keine Beeinträchtigungen ihres körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens, die Bedenken gegen ihre Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen oder Anlass für weitergehende Untersuchungen geben. Nachdem der Antragsgegner zur Frage eines etwaigen Medikamentenmissbrauchs den ärztlichen Dienst seines Gesundheitsamtes beteiligt und eine Stellungnahme der Apothekerin F. vom 17. Oktober 2017 eingeholt hatte, teilte er der Antragstellerin unter dem 20. Oktober 2017 mit, dass die Angaben zur Medikamenteneinnahme nachvollziehbar seien. Damit sei die Eignungsüberprüfung zur Medikamenteneinnahme abgeschlossen, so dass das Verfahren mit der verkehrsrechtlichen Überprüfung nach § 11 Abs. 3 Nr. 5 Fahrerlaubnis-Verordnung fortgesetzt werden könne.

Vor Erlass der angekündigten Gutachtenanforderung hat die Antragstellerin am 24. Oktober 2017 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung trägt sie vor: Sie sei mehr als 40 Jahre im Besitz einer Fahrerlaubnis gewesen. In dieser Zeit hätte sie beanstandungsfrei am Verkehr teilgenommen. Sie habe einen Anspruch auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, weil die vom Amtsgericht verfügte Fahrerlaubnissperre abgelaufen sei. Für weitere Ermittlungen hinsichtlich ihrer Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehe kein Anlass. Sie habe einmalig eine Schlaftablette eingenommen. Weder habe sie eine Überdosis genommen noch sei sie tablettenabhängig. Die festgestellte Menge des Schlafmittels habe noch im therapeutischen Bereich gelegen. Der Sachverhalt sei damit medizinisch abschließend geklärt, einer weiteren Begutachtung - wie vom Antragsgegner angekündigt - bedürfe es nicht. Der Antragsgegner könne eine Gutachtenanforderung nicht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV (missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln) stützen, weil sie solche Substanzen nicht missbräuchlich eingenommen habe. Ebenso wenig komme eine Gutachtenanforderung nach § 11 FeV in Betracht, weil § 14 FeV als speziellere Regelung einen Rückgriff auf die vorgenannte Vorschrift sperre. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Sie sei anerkannte Schwerbehinderte. Aufgrund umfangreicher Leiden, u.a. Colitis ulcerosa, einer Schwächung ihres Immunsystems sowie Osteoporose, sei sie berufsunfähig. Ihr Wohnort liege am äußeren Rand von G.. Geschäfte, Ärzte etc. seien von dort aus nicht fußläufig zu erreichen. Einkäufe könne sie wegen ihrer Erkrankung nicht zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln tätigen. Außerdem sei im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu berücksichtigen, dass seit Antragstellung mehr als sechs Monate vergangen seien.

Die Antragstellerin beantragt,

ihr bis zu einer Entscheidung über ihren Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom 29. Juli 2017 die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1E, M und L vorläufig zu erteilen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

II.

Der zulässige Antrag, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig zur Erteilung einer Fahrerlaubnis zu verpflichten, bleibt ohne Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung u.a. zur Vermeidung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Der Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit einem spezifischen Interesse gerade an der begehrten vorläufigen Regelung. Dieses Interesse ergibt sich regelmäßig aus einer besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. Niedersächsisches. OVG, Beschl. v. 19.10.2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4). Dabei ist einem die Hauptsache ganz oder teilweise vorwegnehmenden Antrag im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: BVerwG, Beschl. v. 27.5.2004 - BVerwG 1 WES-VR 2.04 -, juris Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.7.1962 - I B 57/62 -, OVGE MüLü 18, 387, 388 f.) dann stattzugeben, wenn durch ein Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes ist Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2008 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, 74; BVerwG, Beschl. v. 29.04.2010 - 1 WDS VR 2.10 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 28; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.5.2010 - 8 ME 109/10 -, juris Rn. 14; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 193 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Da mit der Durchsetzung eines Anspruchs auf Erteilung einer Fahrerlaubnis im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hauptsache teilweise vorweggenommen wird, kann nach Maßgabe des Vorstehenden eine - hier allein in Betracht kommende - Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur ergehen, wenn die Antragstellerin in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat (Anordnungsanspruch) und sie weiterhin schlechthin unzumutbaren, anders nicht abzuwendenden Nachteilen ausgesetzt wäre, sollte sie auf den Abschluss des vom Antragsgegner noch nicht beendeten Verwaltungsverfahrens verwiesen werden (Anordnungsgrund, vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 7.5.2015 - 12 ME 67/15 -, n.v.; vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 191 ff.). Dieser strenge Maßstab gilt im Fahrerlaubnisrecht auch angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene ungeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 17.8.2017 - 11 CE 17.1437 -, juris Rn. 10).

Nach Maßgabe dessen hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch (1.) noch einen Anordnungsgrund (2.) hinreichend glaubhaft gemacht:

1. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts kann die Antragstellerin nicht die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis beanspruchen. Nach § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis die Vorschriften über die Ersterteilung. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Dies ist nach §§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, 11 Abs. 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn sie die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Davon kann nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt. Außerdem dürfen die Bewerber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, so dass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 3 FeV). Gibt es hinreichende Anhaltspunkte, die die körperliche, geistige oder charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV berechtigt, in näher bestimmten Fällen verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei (mehreren) Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) anordnen, § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV. Wenn sich der Bewerber weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Hiernach hat die Antragstellerin erst dann einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie nicht die körperliche, geistige oder charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt, so dass der Antragsgegner als Fahrerlaubnisbehörde nicht berechtigt ist, nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV Maßnahmen zur Aufklärung von Fahreignungszweifel zu ergreifen. Dass solche Anhaltspunkte hier nicht vorliegen und der Antragsgegner nicht berechtigt ist, weitere Aufklärungsmaßnahmen anzuordnen, hat die Antragstellerin aber nicht glaubhaft gemacht.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner eine Gutachtenanforderung auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 oder Nr. 9 Buchst. b FeV stützen kann, weil die Antragstellerin zumindest eine erhebliche Straftat begangen hat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, und auf der der Entzug der Fahrerlaubnis beruhte.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der Antragsgegner nicht darauf beschränkt, allein Maßnahmen auf Grundlage des § 14 FeV anzuordnen. Insoweit vertritt die Antragstellerin die Auffassung, dass in Fällen von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel die speziellere Regelung in § 14 FeV die Vorschrift des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV verdränge. Hier beschränke sich der dem Strafurteil zugrunde liegende Sachverhalt auf eine Verursachung durch die Einnahme der Substanz Oxazepam. Da aber eine Gutachtenanforderung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 FeV mangels missbräuchlicher Einnahme des Arzneimittels ausscheide, könne eine solche nicht nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV ergehen.

Zwar wird allgemein angenommen, dass sowohl § 13 FeV als auch § 14 FeV eine Spezialvorschrift gegenüber § 11 FeV darstellt (vgl.BR-Drs. 443/98 S. 219, 260 f.), so dass sich die von der Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Maßnahmen zur Klärung von Eignungszweifeln wegen einer Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneiproblematik in erster Linie nach den Bestimmungen der §§ 13, 14 FeV richten (vgl. im Falle einer Alkoholproblematik: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.2017 - 10 S 746/17 -, juris Rn. 32 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 9.2.2009 - 11 CE 08.3028 -, juris Rn. 15, 17). Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass im Fall der Begehung von Straftaten mit Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimittelbezug der Zugriff auf § 11 Abs. 3 FeV stets gesperrt wäre. Gegen diese Annahme spricht schon der grundsätzlich unterschiedliche - sich in einer entsprechenden Fragestellung niederschlagende - Untersuchungsgegenstand einer auf § 11 Abs. 3 FeV gestützten Gutachtenanordnung im Vergleich zu einer auf Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV oder § 14 Abs. 2 FeV ergangenen Anordnung. So kann (und muss unter Umständen) die Behörde in Fällen, in denen sowohl (nicht im Zusammenhang mit einer Trunkenheitstat stehende) Zweifel an der charakterlichen Fahreignung vorliegen als auch der Verdacht einer Alkohol-, Drogen- oder Arzneimittelproblematik aufzuklären ist, eine Gutachtenanordnung sowohl auf § 11 Abs. 3 FeV als auch auf § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV im Falle einer Alkoholproblematik oder § 14 Abs. 2 FeV im Falle einer Drogen- oder Arzneimittelproblematik stützen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.2017, a.a.O., Rn. 32). Hier machte sich die Antragstellerin nicht allein eines Trunkenheitsdelikts nach § 316 StGB und einer Straßenverkehrsgefährdung infolge des Genusses anderer berauschender Mittel (§ 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB) schuldig, sondern machte sich daneben wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB) strafbar.

Allerdings darf bei der Auslegung gerade der Vorschriften des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 FeV nicht übersehen werden, dass zwischen den grundsätzlich verschiedenen Untersuchungsgegenständen des § 11 Abs. 3 FeV und der §§ 13 Satz 1 Nr. 2, 14 Abs. 2 FeV trotzdem - je nach Fallkonstellation nicht immer gleiche - Schnittmengen existieren. So lässt sich das im Rahmen eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu klärende Trennungsvermögen auch als Frage der charakterlichen Eignung im Sinne der Einhaltung des Verbots, ein Kraftfahrzeug in einem Zustand der alkohol-, drogen- oder arzneimittelbedingten Fahruntüchtigkeit zu führen, begreifen. Umgekehrt wird ein Gutachter bei einer auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gestützten Untersuchung bei der Prognostizierung zukünftiger Verstöße gegen die Vorschriften des § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB oder des § 316 Abs. 1 StGB zumindest die Frage des Trennungsvermögens ebenfalls in den Blick nehmen dürfen. Dementsprechend wird man gerade die Vorschriften des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 FeV nicht so auslegen dürfen, dass hierdurch die Wertung des Verordnungsgebers, bei bestimmten alkohol-, drogen- oder arzneimittelbedingten Verstößen gegen Verkehrsvorschriften von der (zwingenden) Einholung eines medizinisch-psychologischen Sachverständigengutachtens abzusehen, umgangen wird. Zu berücksichtigen sind diese Gesichtspunkte im Rahmen des von der Behörde nach § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV auszuübenden Ermessens (vgl. im Falle des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.2017, a.a.O., Rn. 32).

Das Ermessen des Antragsgegners ist auch nicht derart eingeengt, dass seine Entscheidung, ob ein Gutachten anzufordern ist, nur dahin ergehen kann, von einer Anordnung abzusehen. Im Rahmen des durch § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 oder Nr. 9 Buchst. b FeV eröffneten Ermessens muss die Fahrerlaubnisbehörde anhand aller Umstände des konkreten Falls prüfen, ob die sich aus der begangenen (Anlass-)Straftat (sowie ggf. weiteren Umständen) ergebenden Eignungszweifel hinreichend gewichtig sind, um (trotz den mit einer medizinisch-psychologischen Begutachtung verbundenen nicht unbeträchtlichen Belastungen für den Betroffenen) die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu rechtfertigen, und ihre diesbezüglichen Erwägungen auch offenlegen (vgl. zu § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV: BVerwG, Urt. v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 -, juris Rn. 36; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.2017, a.a.O., Rn. 38; Urt. v. 3.9.2015 - 10 S 778/14 -, juris Rn. 38; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 25.2.2016 - 3 L 204/15 -, juris Rn. 17 f.).

Bei der Beantwortung der Frage, ob die bestehenden Eignungszweifel ein hinreichendes, die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigendes Gewicht aufweisen, muss die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung zudem Wertungswidersprüche zu anderen die Fahreignung bzw. die Möglichkeiten einer Begutachtung betreffenden Vorschriften vermeiden. So darf sie im Fall einer - hier allerdings nicht vorliegenden - Vorbereitung einer Fahrerlaubnisentziehung (also im Fall einer bestehenden Fahrerlaubnis) nicht außer Acht lassen, dass nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem mit Punkten bewertete Verkehrsverstöße grundsätzlich noch keine Eignungsüberprüfung auslösen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG). Darüber hinaus hat die Fahrerlaubnisbehörde in Fällen, in denen - wie vorliegend - die Fahreignung des Fahrerlaubnisbewerbers aufgrund der Begehung von Alkoholdelikten in Frage steht, im Rahmen ihres Ermessens grundsätzlich auch zu berücksichtigen, dass mit einer Gutachtenanordnung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, Nr. 9 Buchst. b FeV nicht die Wertungen der Vorschrift des § 14 Abs. 2 FeV umgangen werden dürfen (vgl. zu § 13 FeV im Falle der Neuerteilung: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.2017, a.a.O., Rn. 38 f.; im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.11.2014 - 10 S 1883/14 -, juris Rn. 5; Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.8.2014 - 11 CS 14.352 -, juris Rn. 26).

2. Daneben hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Sie hat nicht dargetan, dass sie weiterhin schlechthin unzumutbaren, anders nicht abzuwendenden Nachteilen ausgesetzt wäre, sollte sie auf den Abschluss des vom Antragsgegner noch nicht beendeten Verwaltungsverfahrens verwiesen werden. Dabei ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Verwaltungsverfahren auf Erteilung einer Fahrerlaubnis - selbst im Falle der Notwendigkeit, ein Gutachten beizubringen - nur einige Monate in Anspruch nimmt. Auch im Fall der Antragstellerin dürfte, da das Verfahren bereits fortgeschritten ist, der Zeitraum bis zu einer abschließenden Entscheidung des Antragsgegners über ihren Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis drei Monate nicht überschreiten, zumal das gerichtliche Verfahren den Antragsteller nicht hindert, das Verwaltungsverfahren weiter zu fördern. Für diesen vergleichsweise kurzen Zeitraum ist ein Abwarten auch für die Antragstellerin nicht schlechthin unzumutbar. Allein die mit einer selbstständigen Benutzung von Kraftfahrzeugen verbundene Mobilität, die in der heutigen Gesellschaft und speziell im modernen Arbeits- und Wirtschaftsleben erwartet wird, vermag eine besondere Dringlichkeit nicht zu begründen. Vielmehr muss ein besonderes, über das allgemeine Mobilitätsinteresse hinausgehendes Angewiesensein auf die ständige Benutzbarkeit eines Kraftfahrzeugs gegeben sein (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.1.2018 - 16 B 1465/17 -, juris Rn. 5). So können zwingende berufliche Gründe im Einzelfall zu wesentlichen Nachteilen im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO führen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 6.10.2003 - 12 ME 401/03 -, juris Rn. 5). Ein solches besonderes Angewiesensein auf ständige Benutzbarkeit eines Kraftfahrzeugs vermag das Gericht für die Antragstellerin aber nicht darin zu sehen, dass sie langjährig an einer Autoimmunerkrankung leidet und dadurch geschwächt ist, infolgedessen berufsunfähig und mit einem GdB von 50 schwerbehindert (allerdings ohne Merkzeichen) ist. Sie macht geltend, dass sie wegen ihrer Erkrankung Geschäfte, Ärzte etc. nicht fußläufig erreichen könne. Daher könne sie auch Einkäufe nicht zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln tätigen. Insoweit verweist sie zur Glaubhaftmachung auf eine fachärztliche Bescheinigung von Dr. med. H. vom 16. Januar 2018 (Bl. 31 der Gerichtsakte). Die fehlende Möglichkeit, Arztbesuche, Einkäufe etc. per PKW zu erledigen, ist für die Antragstellerin sicherlich mit Schwierigkeiten und gewissen Härten verbunden. Es mag sein, dass sie insoweit auf Hilfe angewiesen ist. Insoweit unterscheidet sich ihre Situation aber nicht wesentlich von der zahlreicher älterer und geschwächten Menschen, denen etwa aus finanziellen oder anderen Gründen ein Kraftfahrzeug nicht zur Verfügung steht. In Anbetracht der zu erwartenden Kürze des Zeitraums bis zur Entscheidung über den Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis sieht das Gericht solche Schwierigkeiten als noch zumutbar an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG in Anlehnung an Nr. 46.5 in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).