Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.10.2022, Az.: 7 B 829/21

Anordnungsgrund; Antragsänderung; Einseitige Erledigungserklärung; Feststellungsantrag

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
07.10.2022
Aktenzeichen
7 B 829/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59704
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Im Falle der einseitigen Erledigungserklärung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO tritt anstelle des ursprünglichen Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antrag, dass sich das Eilverfahren erledigt hat.
2. Ein solcher auf Feststellung gerichteter Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist vollumfänglich an den Voraussetzungen des § 123 VwGO zu messen.

Tenor:

1. Der Antrag auf Feststellung des Eintritts der Erledigung der Hauptsache wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1.

Der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung des Eintritts der Erledigung der Hauptsache bleibt ohne Erfolg.

Die Antragstellerin beantragte ursprünglich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer auf Aufhebung des Bescheides vom 9. Dezember 2020 gerichteten Klage (7 A 828/21). Im Güterichterrichterverfahren erklärte die Antragstellerin sowohl im Klage- als auch im Eilverfahren die Hauptsacheerledigung. Diesen Erklärungen schloss sich die Antragstellerin ausdrücklich nicht an. Auf den Hinweis des Gerichts vom 6. September 2022 hat die Antragstellerin ausdrücklich erklärt, an der Erledigungserklärung festzuhalten.

Für das Klageverfahren wirkt sich die einseitig gebliebene Erledigungserklärung dahingehend aus, dass statt der ursprünglich begehrten Aufhebung des Bescheides im Wege der Anfechtungsklage nunmehr die gerichtliche Feststellung begehrt wird, dass die Hauptsache erledigt sei. Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers ist eine besondere Form der Klageänderung. An die Stelle des bisherigen Streitgegenstandes tritt der Streit um die Behauptung des Klägers, seinem Klagebegehren sei durch ein nachträgliches Ereignis die Grundlage entzogen. Die geänderte Klage ist eine Feststellungsklage im Sinne des § 43 VwGO (NK-VwGO/Werner Neumann/Nils Schaks, 5. Aufl. 2018, VwGO § 161 Rn. 119, 120).

Da die Feststellungsklage – anders als die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage – jedoch keine aufschiebende Wirkung entfalten kann, ist für den ursprünglich auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kein Raum mehr. Auch eine mit der Feststellung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen faktischen Vollzugs vergleichbare Lage, die eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO ermöglicht oder gebietet, besteht hier nicht. Gegenstand des Verfahrens ist nicht (mehr) die sofortige Vollziehbarkeit und die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs; infolge der einseitigen Erledigungserklärung ist vielmehr eine vollständige Änderung des Streitgegenstandes eingetreten.

Anstelle des ursprünglichen Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage tritt im Falle der einseitigen Erledigungserklärung der Antrag, dass sich das Eilverfahren erledigt hat [Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1969 - VIII C 37.67 -, juris, Rn. 12 (für Klageverfahren); VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. März 1996- 1 S 2856/95 -, juris, Rn. 13, jeweils m. w. N.]. Diese Änderung des Streitgegenstandes stellt der Sache nach eine Antragsänderung sui generis dar, die nicht den Einschränkungen nach §§ 91, 142 VwGO unterworfen ist (Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. April 2001 - 2 C16.00 -, juris, Rn. 12, und vom 22. Januar 1998- 2 C 4.97 -, juris, Rn. 17; OVG Münster, Beschluss vom 6. August 2021 – 1 B 803/21 –, Rn. 4 - 7, juris).

Ein solcher auf Feststellung gerichteter Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist an den Voraussetzungen des § 123 VwGO zu messen.

Das Gericht verkennt nicht, dass – soweit ersichtlich – die veröffentlichten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zu einseitigen Erledigungserklärungen im Eilverfahren eine solche Einordnung des „Erledigungsfeststellungsantrags“ in das System der Antragsarten der VwGO nicht vornehmen, sondern sogleich – ohne weitere Prüfung antragsspezifischer Voraussetzungen – eine inhaltliche Prüfung der Frage, ob eine Erledigung eingetreten ist oder nicht, vornehmen. Da jedoch – soweit ersichtlich – keine der Entscheidungen Ausführungen dazu macht, um welche Antragsart der VwGO es sich hierbei handeln soll bzw. warum ein solcher Feststellungsantrag nicht nach dem bestehenden System der Antragsverfahren der VwGO behandelt werden sollte, folgt das Gericht diesem Prüfschema nicht, sondern behandelt den „Erledigungsfeststellungsantrags“ als Feststellungsantrag nach § 123 VwGO (so auch Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage, § 80, Rn. 181). Für diese systematische Einordnung spricht nach Auffassung des Gerichts, dass ein Antrag auf Feststellung des Eintritts der Erledigung auch im Rahmen eines Klageverfahrens nicht etwa als Klageverfahren sui generis o.ä. außerhalb des bestehenden Systems der Klagearten, sondern als „reguläre“ Feststellungsklage im Sinne des § 43 VwGO behandelt wird. Für das Gericht ist kein Grund ersichtlich, dies im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anders zu handhaben. Den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist ein Feststellungsbegehren auch durchaus nicht fremd.

Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann auch auf eine vorläufige Feststellung gerichtet sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15. Mai 2018 – 1 B 263/18 – juris Rn. 13; BayVGH, Beschluss vom 30. September 2013 – 10 CE 13.1802 – juris Rn. 11; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 42. EL, Februar 2022, § 123 VwGO Rn. 35). In diesem Fall muss zwischen den Beteiligten ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestehen und die Antragstellerin über ein Feststellungsinteresse verfügen (VG München, Beschluss vom 9. August 2022 – M 31 E 22.3815 –, Rn. 22, juris; mit Verweis auf: Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 36).

Da zwischen den Beteiligten ausdrücklich streitig ist, ob durch die von der Antragstellerin behauptete Änderung des Sachverhalts (endgültige Einstellung der Geschäftstätigkeit des Herstellens und Vertreibens von Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland; Ablauf der Mindesthaltbarkeitsdaten der Präparate, die Gegenstand des Bescheids waren; nachträgliche erhebliche Änderung des Regelungsgehalts des Bescheids durch die Antragsgegnerin) eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist, liegt ein ausreichend verdichtetes und damit feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor.

Die Antragstellerin verfügt über ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob die Erledigung eingetreten ist. In der Konstellation der einseitigen Erledigungserklärung hat der Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse daran, unter Freistellung der ihn bei einer Antragsrücknahme grds. treffenden Kostenlast (§ 155 Abs. 2 VwGO), das Verfahren gleichwohl zu beenden (OVG Münster, Beschluss vom 6. August 2021 – 1 B 803/21 –, Rn. 4, juris).

Der Feststellungsantrag ist danach zwar als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, er ist jedoch unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der diesen vorläufigen Rechtsschutz Begehrende muss gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund). Daran fehlt es hier. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Ein Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit einem spezifischen Interesse gerade an der begehrten vorläufigen Regelung. Dieses Interesse ergibt sich regelmäßig aus einer besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Oktober 2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4; Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2021, § 123 Rn. 81). Dabei ist einem die Hauptsache vorwegnehmenden Antrag im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2004 - 1 WDS-VR 2/04 -, juris Rn. 3) dann stattzugeben, wenn durch das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 14 ME 58/22 –, Rn. 12 - 13, juris)

Ein solches Interesse hat die Antragstellerin nicht dargelegt, obwohl das Gericht sie in seinem Hinweis vom 6. September 2022 explizit auf das Erfordernis eines Anordnungsgrundes hingewiesen hat.

Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, wegen der Besonderheiten eines „Erledigungsfeststellungsstreits“ sei es unbillig, den Erfolg dieses Antrags vom Bestehen eines Anordnungsgrundes abhängig zu machen, denn es könne der Antragstellerin nicht angelastet werden, wenn, ohne dass sie hierauf Einfluss habe, sich während des Eilverfahrens die Sach- und Rechtslage derartig verändere, dass sich das Eilverfahren erledige; die nach Erledigung für die Antragstellerin notwendige Antragsumstellung könne nicht dazu führen ihr negativ anzulasten, dass für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ein besonderes Eilbedürfnis vorausgesetzt werde, da dies die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Antragstellung naturgemäß nicht berücksichtigen konnte und musste, da für den damals zulässigen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ein bestimmtes Eilbedürfnis nicht notwendig war; es wäre der Antragsgegnerin so möglich durch Herbeiführung der Erledigung zu Lasten der Antragstellerin ihr weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen aufzubürden, die ursprünglich im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gerade nicht notwendig waren, folgt das Gericht dem nicht.

Zwar tritt für den Antragsteller durch den Wechsel vom ursprünglichen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hin zum Antrag nach § 123 VWGO eine gewisse Erschwernis dadurch ein, dass der Erfolg des Antrags nunmehr (erstmalig) ein Eilbedürfnis voraussetzt, allerdings rechtfertigt es dieser Umstand nicht, einfach von dieser Voraussetzung abzusehen. Dass z.B. durch Änderungen der Sach- und Rechtslage oder Prozesserklärungen Änderungen der Prozesslage eintreten, durch die sich für die Beteiligten die rechtlichen Hürden eines Prozesserfolgs verschieben, ist durchaus nicht ungewöhnlich und liegt in der Natur der Sache.

Dies hat auch nicht etwa zur Folge, dass die Antragstellerin im Falle einer einseitig gebliebenen Erledigungserklärung vollkommen alternativlos einer kostenbelasteten Antragsablehnung ausgesetzt wäre, da sich ein Eilbedürfnis für die begehrte Erledigungsfeststellung schlechterdings nicht begründen ließe. So wäre ein Anordnungsgrund für die begehrte Feststellung des Eintritts der Erledigung etwa in solchen Fällen ohne Weiteres denkbar, in denen ohne die begehrte Feststellung der Erledigung im einstweiligen Rechtsschutz der Vollzug des streitgegenständlichen Bescheides oder die Anordnung von Zwangsmaßnahmen konkret drohen würden.

Eine solche – einen Anordnungsgrund begründende – Lage hat die Antragstellerin jedoch nicht dargetan.