Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 24.03.2023, Az.: 1 B 63/23

Spielhalle; Vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz; Zertifizierung; Altersbeschränkung des Zutritts zu Spielhallen ab 01. April 203 - unzulässiger Antrag auf vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
24.03.2023
Aktenzeichen
1 B 63/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 14475
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0324.1B63.23.00

[Gründe]

Die Anträge der Antragstellerin,

festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, den Zutritt zu der Spielhalle am Standort E. in F. über den 31.3.2023 hinaus ab Vollendung des 21. Lebensjahres zu gestatten,

hilfsweise der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro zu unterlassen, gegen die Antragstellerin ein Bußgeld zu verhängen, soweit diese nach dem 31.3.2023 Personen vor Vollendung des 21. Lebensjahres den Zutritt zu der Spielhalle am Standort E. in F. gewährt,

werden zunächst nach dem Begehren der Antragstellerin (vgl. § 88 VwGO) so ausgelegt, dass die Antragstellerin ausschließlich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Form der einstweiligen Anordnung begehrt. Darauf lässt sowohl die Überschrift der Antragsschrift vom 24.2.2023 (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO) als auch der Inhalt der Antragsbegründung, der sich ausschließlich mit den Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO auseinandersetzt, schließen.

Der wie vorstehend ausgelegte Antrag hat keinen Erfolg. Er ist sowohl unzulässig (hierzu unter Ziffer 1.) als auch unbegründet (hierzu unter Ziffer 2.).

1.

Der Antrag der Antragstellerin zielt auf die Gewährung vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes, da es durch die Antragsgegnerin bisher noch nicht zu der Verhängung eines Bußgeldes gegenüber der Antragstellerin gekommen ist. Die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes kommt vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und des reaktiv konzipierten Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) nur ausnahmsweise in Betracht und setzt ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse voraus. Dieses liegt vor, wenn der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Im Falle des vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes muss zudem die Gefahr bestehen, dass selbst bei nur kurzfristiger Hinnahme des befürchteten Verwaltungshandelns irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch schwerwiegende, nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen können (vgl. Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2022, § 123, Rn. 45 f.).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes dringt die Antragstellerin mit ihrem Vortrag nicht durch, es sei ihr unzumutbar, die Einleitung eines Bußgeldverfahrens nach § 17 Abs. 2 NSpielhG abzuwarten, da der Bußgeldrahmen bis 500.000 Euro reiche und ihre Zuverlässigkeit in Folge eines Bußgeldverfahrens zur Disposition stehe. Schwerwiegende Nachteile drohen der Antragstellerin vorliegend nicht.

Die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens hinsichtlich einer etwaigen Unzuverlässigkeit der Antragstellerin, das zum Verlust ihrer glücksspielrechtlichen bzw. gewerberechtlichen Erlaubnis führen könnte, ist bisher nur eine Befürchtung der Antragstellerin. Konkrete Hinweise darauf, dass ihr ein solches Verfahren bevorsteht, liegen nicht vor. Darüber hinaus sind die Hürden für eine solche Unzuverlässigkeitsentscheidung hoch, sodass das Ergehen eines Bußgeldbescheides nicht ohne weiteres ausreichen dürfte, um eine solche Entscheidung zu rechtfertigen. So besitzt nach § 3 Nr. 1 NSpielhG vom 26.1.2022 in der Regel eine Person nicht die glücksspielrechtliche Zuverlässigkeit, die in den letzten drei Jahren vor Stellung des Antrags wegen eines Verbrechens, wegen Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung, Hehlerei, Geldwäsche, Verschleierung unrechtmäßiger Vermögenswerte, Betrugs, Untreue, unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels, Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel oder wegen eines Vergehens nach § 27 JuSchG rechtskräftig verurteilt worden ist. Ein Bußgeld erreicht diese Schwelle wohl kaum. Für die Entscheidung, ob eine Person im Sinne des Gewerberechts die für eine Erteilung einer Erlaubnis zum Betreiben einer Spielhalle nach § 33i GewO erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, kommt es auf die Anforderungen an das ordnungsgemäße Betreiben einer Spielhalle an. Die sich aus dem Landesrecht der Spielhallen ergebenden Anforderungen an den ordnungsgemäßen Betrieb einer Spielhalle bestimmen die Auslegung der Zuverlässigkeitserfordernisse für Spielhallen mit. Mitunter ist eine Prognose der künftigen Bereitschaft, an der Umsetzung des neuen Landesrechts der Spielhallen mitzuwirken, zu treffen. Die Unzuverlässigkeit kann sich aus der Beschäftigung einer ungeeigneten Aufsichtsperson ergeben, ferner wegen Duldung des Rauschgifthandels in der Spielhalle oder wegen Betriebes der Spielhalle ohne Erlaubnis, wegen einer Fülle von Rechtsverstößen, verspäteten oder unterlassenen Steueranmeldungen und letztlich erheblichen oder anwachsenden Steuerausfällen, außerdem wegen wiederholter Verletzung von Rechtsvorschriften zum Betrieb einer Spielhalle, wegen beharrlichen Stellens des betrieblichen Gewinnstrebens über die Einhaltung verschiedener spielerschützender Vorschriften über mehrere Jahre hinweg, wegen einer Vielzahl für sich genommen nicht gravierender Gesetzesverletzungen, wenn sie einen Hang zur Nichtbeachtung der für die Gewerbeausübung einschlägigen Regelungen erkennen lassen, oder wegen Steuerschulden (Reeckmann in: BeckOK GewO, 58. Ed. 1.12.2022, § 33i Rn. 30a m.w.N.). Auch im Vergleich hierzu hat ein Bußgeld ein wesentlich geringeres Gewicht.

Darüber hinaus ist es der Antragstellerin für den Fall, dass die Antragsgegnerin einen Bußgeldbescheid nach § 17 NSpielhG erlässt, möglich und auch zumutbar, den Schuldvorwurf in einem rechtsstaatlich ausgestalteten Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen.

Vorläufiger vorbeugender Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten mit dem Ziel, den Erlass eines Bußgeldbescheides zu verhindern, ist regelmäßig nicht zu erlangen. Hierdurch würde die Zuständigkeit der Strafgerichte für die repressive Rechtmäßigkeitskontrolle behördlicher Bußgeldbescheide nach § 68 OWiG umgangen, ohne dass dem Betroffenen allein durch den Erlass des Bußgeldbescheides wesentliche Nachteile treffen würden. Denn ein Bußgeldbescheid ist gemäß § 89 OWiG erst nach Eintritt der Bestandskraft vollstreckbar; eine sofortige Vollziehbarkeit kraft Gesetzes oder kraft besonderer behördlicher Anordnung kennt das Ordnungswidrigkeitengesetz nicht. Nur dann, wenn die Ahndung im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren von der Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen abhängt, kann es dem Betroffenen nicht zuzumuten sein, diese Klärung "auf der Anklagebank" erleben zu müssen. Hierzu muss allerdings ein konkretes Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet oder die Durchführung eines solchen konkret angekündigt oder angedroht worden sein. Nur unter diesen Voraussetzungen verdichten sich abstrakte Handlungsmöglichkeiten einer Verwaltungsbehörde gegenüber den generell Rechtsunterworfenen aber zu einem überhaupt feststellungsfähigen Rechtsverhältnis und vermögen die konkrete Gefahr der Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen "auf der Anklagebank" und die damit verbundene Notwendigkeit der Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes zu begründen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 4.4.2012 - 8 ME 49/12 -, juris Rn. 28 m. w. N.)

Vorliegend kann offen bleiben, ob es sich bei der Frage, ob die Antragstellerin als Inhaberin einer am 16.2.2017 erteilten Erlaubnis zum Betrieb einer Spielhalle nach § 24 Abs. 1 GlüStV vom 15. Dezember 2011 an die Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 Satz Nr. 5 NSpielhG vom 26.1.2022 gebunden ist oder nicht, um eine verwaltungsrechtliche Zweifelsfrage handelt. Denn bisher hat die Antragsgegnerin unstreitig weder ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 17 NSpielhG eingeleitet noch die Einleitung eines solchen angekündigt. Lediglich in dem Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung vom 2.2.2023 ist ein Anhaltspunkt auf die Möglichkeit der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu finden. Hierin weist das Ministerium darauf hin, dass ab dem 1.4.2023 die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NSpielhG über die Zutrittsgewährung erst ab der Vollendung des 21. Lebensjahres für alle Spielhallen Anwendung findet und ein Verstoß gegen diese Regelung nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 NSpielhG bußgeldbewehrt ist. Eine konkrete Aufforderung an die vollziehenden Behörden, Bußgeldverfahren auch tatsächlich einzuleiten, enthält der Erlass nicht. Ob und wann es tatsächlich zu einer Einleitung eines Bußgeldverfahrens durch die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin kommen wird, ist derzeit vollkommen offen.

2.

Darüber hinaus ist der Antrag auch unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn die begehrte Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie die Gründe, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund).

Vorliegend fehlt es der Antragstellerin bereits an einem Anordnungsgrund.

Ein Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit einem spezifischen Interesse gerade an der begehrten vorläufigen Regelung. Dieses Interesse ergibt sich regelmäßig aus einer besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (Nds. OVG, Beschluss vom 19.10.2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4). Dabei entspricht es dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO, dass das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen trifft und nicht schon das gewährt, was Ziel eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens wäre. Wird die Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17.10.2017 - 3 S 84.17 und 3 M 105.17 -, juris Rn. 2, sowie vom 28.4.2017 - 3 S 23.17 u.a. -, juris Rn. 1).

Im vorliegenden Fall erstrebt die Antragstellerin eine Vorwegnahme der Hauptsache. Denn das Ziel der von ihr begehrten Feststellungsanordnung ist mit dem Ziel einer möglichen Feststellungsklage identisch. Dem steht nicht entgegen, dass die im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Feststellung unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Klageverfahrens stünde. Denn entgegen der Auffassung der Antragstellerin vermittelt auch die bloße vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache die mit dem Klageverfahren erstrebte Rechtsposition und stellt sie - ohne, dass diese Rechtsstellung rückwirkend wieder beseitigt werden könnte - vorweg so, als wenn sie im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (Nds. OVG, Beschluss vom 4.4.2012, a.a.o., juris Rn. 31). Damit gelten im vorliegenden Fall die oben aufgezeigten strengeren Voraussetzungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Dies berücksichtigt, hat die Antragstellerin schon nicht glaubhaft gemacht, dass ihr ohne eine Entscheidung in dem Eilverfahren schwere und unzumutbare Nachteile entstehen werden. Die Antragstellerin gibt an, dass die Erhöhung des Zutrittsalters in ihrer Spielhalle von 18 auf 21 Jahren mit Umsatzeinbußen in Höhe von 8 bis 10 % einhergehe. Diese Angaben zugrunde gelegt, geht die Kammer davon aus, dass die genannten Umsatzeinbußen noch keinen schweren und unzumutbaren Nachteil darstellen, der vorliegend ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde. Denn die Umsatzeinbußen liegen noch in einem überschaubaren Rahmen und sind nicht existenzgefährdend. Darüber hinaus nimmt die Kammer auf ihre Ausführungen zu den hier nicht vorliegenden Voraussetzungen des vorläufig vorbeugenden Rechtsschutzes unter Ziffer 1. Bezug, die sich mit den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes überschneiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei der Auffangstreitwert angesichts der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu halbieren war (vgl. Ziff. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, abrufbar unter www.bverwg.de).