Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.10.2010, Az.: 13 OA 130/10

Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr i.R.d. Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung; Ermittlung der anzurechnenden Geschäftsgebühr bei der Vergütungsfestsetzung; Beiordnung eines Rechtsanwalts nach bisherigem Recht als sogenannter Altfall; Vorschuss ohne Anrechnung einer Geschäftsgebühr; Erinnerung gegen einen Vergütungsfestsetzungsbeschluss

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.10.2010
Aktenzeichen
13 OA 130/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 26861
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:1019.13OA130.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 17.06.2010 - AZ: 5 A 273/08

Fundstelle

  • JurBüro 2011, 23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass sich die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung aufgrund der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nach bisherigem Recht bestimmt, wenn ein Rechtsanwalt bereits vor Inkrafttreten des § 15a RVG ("Altfall") beigeordnet worden ist.

  2. 2.

    Für die Ermittlung der anzurechnenden Geschäftsgebühr ist bei der Vergütungsfestsetzung nicht auf die Tabelle in § 49 RVG abzustellen, sondern auf diejenige in § 13 RVG, wenn der Rechtsanwalt vorprozessual außerhalb der Beratungshilfe als Wahlanwalt tätig geworden ist und daher die entsprechende Geschäftsgebühr rechtlich entstanden ist.

Gründe

1

I.

Den Klägern wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Februar 2009 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Stahmann, Berlin, zur Vertretung beigeordnet. Unter dem 17. Februar 2009 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger einen Vorschuss auf die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung. Im Festsetzungsantrag wurde eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) - VV-RVG - mit einem 1,3-fachen Gebührensatz nach einem Streitwert von 25.000,00 EUR aus der Tabelle in § 49 RVG i. H. v. 413,40 EUR in Ansatz gebracht. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte einen Vorschuss auf die Rechtsanwaltsvergütung i. H. v. insgesamt 37,70 EUR fest. Dabei wurde die Hälfte einer Geschäftsgebühr mit einem 1,3-fachen Gebührensatzes (= 0,65-Gebühr) nach der Tabelle in § 13 Abs. 1 RVG (= 445,90 EUR) gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV-RVG angerechnet und unter Bezugnahme auf § 13 Abs. 2 RVG eine Mindestgebühr in Höhe von 10,00 EUR angesetzt.

2

Auf die dagegen gerichtete Erinnerung gewährte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. September 2009 einen höheren Vorschuss ohne Anrechnung einer Geschäftsgebühr. Zur Begründung wurde auf § 15a RVG Bezug genommen. Die durch diese Regelung erfolgte Klarstellung, dass eine Anrechnung nicht erfolgen solle, sei auch auf Altfälle anwendbar. Dem trat der Bezirksrevisor mit einer Beschwerde entgegen, mit der er sich inhaltlich gegen die Anwendung des § 15a RVG auf Altfälle aussprach. Zur Berechnung der Höhe des Vorschusses wollte der Bezirksrevisor - anders als der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle - eine Anrechnung lediglich mit der Hälfte einer Geschäftsgebühr mit einem 1,3-fachen Gebührensatz (= 0,65-Gebühr) nach der Tabelle in § 49 RVG vorgenommen wissen, so dass die Verfahrensgebühr nicht "aufgezehrt", sondern nur auf 206,70 EUR gekürzt werden sollte. Nach dieser Berechnung sollte sich aus Sicht des Bezirksrevisors ein Vorschuss i. H. v. insgesamt 281,77 EUR ergeben. Im Rahmen dieses hinsichtlich der Höhe des Vorschusses beschränkten Beschwerdegegenstandes hob der Senat mit Beschluss vom 27. Oktober 2009 den auf die Erinnerung ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts auf, soweit als Vorschuss ein höherer Betrag als 281,77 EUR gewährt worden war.

3

Nach Abschluss des Klageverfahrens durch gerichtlichen Vergleich hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung mit Beschluss vom 18. März 2010 auf die 1,3-Verfahrensgebühr nach der Tabelle in § 49 RVG (= 413,40 EUR) wiederum eine 0,65-Geschäftsgebühr nach der Tabelle in § 13 RVG (= 445,90 EUR) angerechnet und nur die Mindestgebühr angesetzt. Die dagegen gerichtete Erinnerung der Kläger hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Juni 2010 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit der am 8. Juli 2010 eingelegten Beschwerde.

4

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss zu Recht zurückgewiesen. Bei der Vergütungsfestsetzung nach § 55 Abs. 1 RVG ist die Regelung des § 15a RVG zutreffend nicht berücksichtigt worden, so dass eine Anrechnung dem Grunde nach zu Recht erfolgt ist (dazu unten 1.). Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts hat zutreffend bei der Vergütungsfestsetzung eine Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr nach der Tabelle des§ 13 Abs. 1 RVG auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr nach der Tabelle des § 49 RVG vorgenommen (dazu unten 2.).

5

1.

Die vorgenommene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG ist dem Grunde nach nicht zu beanstanden; § 15a RVG findet vorliegend keine Anwendung. Der Senat hält an seiner bisherigen Auffassung fest, dass sich aufgrund der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach bisherigem Recht bestimmt, wenn ein Rechtsanwalt - wie hier - bereits vor Inkrafttreten des § 15a RVG am 5. August 2009 beigeordnet worden ist.

6

a)

Maßgeblich dafür ist nach Auffassung des Senats, dass nicht von einem bloß klarstellenden Charakter des § 15a RVG ausgegangen werden kann, so dass er auch für "Altfälle" Anwendung finden würde. Die Frage, welche rechtlichen Regelungen desRechtsanwaltsvergütungsgesetzes bei Rechtsänderungen anwendbar sind, ist vielmehr im Falle des Fehlens anderweitiger Übergangsbestimmungen nach§ 60 RVG in formalisierter Weise zu beantworten. Eine andere Sichtweise, die im Falle einer Änderung desRechtsanwaltsvergütungsgesetzes danach fragt, ob der Gesetzgeber eine Änderung der Rechtslage oder aber nur eine Klarstellung bewirken wollte, lässt zu Unrecht den sich aus der Übergangsbestimmung des§ 60 Abs. 1 RVG ergebenden Rechtsanwendungsbefehl außer Acht (vgl. dazu ausführlich: Beschl. v. 27.10.2009 - 13 OA 134/09 -, [...] Rdnrn. 5 ff.).

7

b)

Diese Sichtweise entspricht in Anknüpfung an den entsprechenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2009 (- 9 KSt 4/08 -, [...]) - soweit ersichtlich - der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. etwa: 10. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 08.09.2010 - 10 OA 99/10 -; Bayer. VGH, Beschl. v. 16.08.2010 - 19 C 10.1667 -; OVG NRW, Beschl. v. 10.06.2010 - 18 E 1722/09 -; jeweils zit. nach [...]). Demgegenüber ist in der Zivilgerichtsbarkeit ein Meinungswandel festzustellen: Der ursprünglich (nur) vom 2. Senat des Bundesgerichtshofs vertretenen Auffassung,§ 15a RVG finde auch auf "Altfälle" Anwendung (Beschl. v. 02.09. 2009 - II ZB 35/07 -, [...] Rdnr. 8), haben sich mittlerweile mehrere Zivilsenate angeschlossen (vgl. zuletzt unter Darstellung der Entwicklung in der Rechtsprechung des BGH: 8. Senat des BGH, Beschl. v. 10.08.2010 - VIII ZB 15/10 -, [...]). Dem sind die Obergerichte überwiegend gefolgt (vgl. etwa:OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.02.2010 - 6 W 17/10 -, Nds. Rpfl. 9/2010, 332; OLG Celle, Beschl. v. 06.04.2010 - 2 W 79/10 -, a.a.O.). Das mittlerweile erfolgte "Umschwenken" in der Rechtssprechung verschiedener Senate des Bundesgerichtshofs und dem folgend der Obergerichte beruht nach Einschätzung des Senats indes nicht auf gänzlich neuen, bislang noch nicht diskutierten Argumenten, sondern wird zumindest teilweise von einem gewissen Pragmatismus getragen. So hat der 8. Senat des Bundesgerichtshofs sich nicht erneut mit den verschiedenen Argumenten auseinandergesetzt, sondern ausdrücklich darauf abgehoben, dass er sich "zur Vermeidung eines der Sache nicht angemessenen Vorgehens nach § 132 GVG" - also der Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen - der eine Anwendung des§ 15a RVG auch für Altfälle befürwortenden Rechtsprechung anderer Zivilsenate anschließe. Vor diesem Hintergrund und auch in Anbetracht der eindeutigen Positionierung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Senat der Auffassung, dass der Meinungsstand in der Zivilgerichtsbarkeit für die Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Abweichung von der vom Senat bislang vertretenen Auffassung zur Frage der Anwendbarkeit des § 15a RVG auf Altfälle gebietet (vgl. dazu auch: Bayer. VGH, Beschl. v. 16.08.2010 - 19 C 10.1667 -, [...] Rdnr. 11; OVG NRW, Beschl. v. 10.06.2010 - 18 E 1722/09 -, [...]).

8

2.

Dass die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung ausgehend von einem Streitwert von 25.000,00 EUR auf die 1,3-Verfahrensgebühr nach der Tabelle in § 49 RVG (= 413,40 EUR) eine 0,65-Geschäftsgebühr nach der Tabelle in§ 13 RVG (= 445,90 EUR) angerechnet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

9

a)

Der Senat hat sich zu der Frage, auf welche Tabelle zur Ermittlung der (anzurechenden) Geschäftsgebühr im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG abzustellen ist, bereits mit Beschluss vom 27. November 2008 (- 13 OA 190/08 -, [...] Rdnr. 6) positioniert. Er hat ausgeführt:

"Zur Höhe der Anrechnung hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach§ 55 RVG bei vorprozessualer Tätigkeit des Rechtsanwalts außerhalb der Beratungshilfe die dann nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV anzurechnende hälftige Geschäftsgebühr nach der Tabelle in § 13 Abs. 1 RVG zu ermitteln ist und nicht nach derjenigen in § 49 RVG und dass es insoweit auf die Frage der Realisierbarkeit der Geschäftsgebühr gegenüber dem Mandanten nicht ankommt. Auch hat es zutreffend ausgeführt, dass bei einer vorprozessualen Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen der Beratungshilfe die speziellere Anrechnungsbestimmung der Nr. 2503 Abs. 2 VV zur Anwendung käme, was die Anrechnung nur der Hälfte der geringeren Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV zur Folge hätte.

Wenn ein Rechtsanwalt seine vorprozessualen Tätigkeiten nicht im Rahmen der Beratungshilfe vornimmt, obwohl dies nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen seines Mandanten möglich wäre, kann er im späteren Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG nicht mit Erfolg auf die fehlende Realisierbarkeit der dann entstandenen regulären Geschäftsgebühr verweisen. Er hätte vielmehr seinen Mandanten auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Beratungshilfe hinweisen müssen, um die Anwendbarkeit von Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV und damit die hälftige Anwendung der regulären Geschäftsgebühr zu verhindern. Der Mandant hat bei vorprozessualer Tätigkeit dann grundsätzlich lediglich die Beratungshilfegebühr nach Nr. 2500 VV zu tragen, während der Rechtsanwalt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV in Höhe von 70,-- EUR aus der Staatskasse erhält (§ 44 RVG). Im späteren Vergütungsfestsetzungsverfahren nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem der vorprozessualen Tätigkeit unmittelbar nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren werden dann nach der gegenüber Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV spezielleren Anrechnungsbestimmung der Nr. 2503 Abs. 2 nur 35,-- EUR auf die Verfahrensgebühr angerechnet. In dieser Konstellation ist ausgeschlossen, dass die anzurechnende hälftige Geschäftsgebühr die Verfahrensgebühr bereits übersteigt.

Für den vom Prozessbevollmächtigten der Kläger genannten Personenkreis der zwar prozesskostenhilfeberechtigten Personen, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht beratungshilfeberechtigt sind (vgl. dazu § 1 Abs. 2 BerHG), sehen die gesetzlichen Bestimmungen keine Sonderregelungen vor. In diesen Fällen bleibt es bei der Anwendbarkeit der Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV, wobei auf die reguläre Geschäftsgebühr nach der Tabelle in § 13 Abs. 1 RVG abzustellen ist. Die dem Prozessbevollmächtigten der Kläger vorschwebende Anwendung der Tabelle in § 49 RVG in Fällen der fehlenden Realisierbarkeit der regulären Geschäftsgebühr kommt demgegenüber nicht in Betracht. Die Tabelle in § 49 RVG ist nämlich gerade nur die für die Ermittlung der Gebühren bei beigeordneten und bestellten Anwälten im Sinne des § 45 RVG oder bei anwaltlicher Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe (§ 44 RVG) einschlägig. Eine andere Sichtweise hätte zur Folge, dass das Ausfallrisiko bei einer entstandenen regulären Geschäftsgebühr (teilweise) der Staatskasse aufgebürdet würde. Zudem würde dann über die Prozesskostenhilfe mittelbar - nämlich infolge einer geringeren Anrechnung - die vorprozessuale Tätigkeit des Anwalts aus der Staatskasse finanziert, obwohl gerade keine Beratungshilfeberechtigung besteht."

10

Diese Auffassung, nach der für die Ermittlung der anzurechnenden Geschäftsgebühr bei der Vergütungsfestsetzung auf die Tabelle in § 13 RVG abzustellen ist, wenn der Rechtsanwalt vorprozessual außerhalb der Beratungshilfe als Wahlanwalt tätig geworden ist, spiegelt sich in der Rechtsprechung diverser Gerichte wider (ohne nähere Begründung Anwendung der Tabelle in § 13 RVG etwa: Bayer. VGH, Beschl. v. 21.10.2009 - 19 C 09.2395 -, [...] Rdnr. 2;FG Düsseldorf, Beschl. v. 27.11.2009 - 10 Ko 862/09 KF - [...] Rdnrn. 9, 36; mit Begründung etwa: OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.02.2010 - 18 W 3/10 -, [...] Rdnrn. 20 ff; OLG Hamm, Beschl v. 25.09.2009 - I-25 W 333/09 u.a. -, [...] Rdnrn. 29 ff.; OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2009 - 17 WF 192/08 -, [...] Rdnr. 16; OVG Hamburg, Beschl. v. 04.11.2008 - 4 So 134/08 -, [...]). Die Anrechnungsmethode hat zur Folge, dass bei höheren Streitwerten die Verfahrensgebühr (des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalts) durch die anzurechnende Geschäftsgebühr (des vorprozessual nicht im Rahmen der Beratungshilfe tätig gewordenen Wahlanwalts) gänzlich "aufgezehrt" wird. In der diesen Zusammenhang darstellenden nachfolgenden tabellarischen Übersicht wird der der "Standardgebührensatz" für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG von 1,3 zugrunde gelegt. Zum Vergleich sind jeweils die Beträge angegeben, die sich ergeben würden, wenn man auch die anzurechnende Geschäftsgebühr anhand der Tabelle des§ 49 RVG ermitteln würde:

Streitwert bis1,3-Gebühr nach Tabelle§ 49 RVGAnrechnungsbetrag einer 0,65-Gebühr nach Tabelle verbleibende Vergütung bei Anrechnung nach Tabelle
§ 49 RVG§ 13 RVG§ 49 RVG§ 13 RVG
300,00 EUR32,50 EUR16,25 EUR 16,25 EUR 16,25 EUR 16,25 EUR
600,00 EUR 58,50 EUR 29,25 EUR 29,25 EUR 29,25 EUR 29,25 EUR
900,00 EUR 84,50 EUR 42,25 EUR 42,25 EUR 42,25 EUR 42,25 EUR
1.200,00 EUR 110,50 EUR 55,25 EUR 55,25 EUR 55,25 EUR 55,25 EUR
1.500,00 EUR 136,50 EUR 68,25 EUR 68,25 EUR 68,25 EUR 68,25 EUR
2.000,00 EUR172,90 EUR86,45 EUR86,45 EUR86,45 EUR86,45 EUR
2.500,00 EUR209,30 EUR104,65 EUR104,65 EUR104,65 EUR104,65 EUR
3.000,00 EUR245,70 EUR122,85 EUR122,85 EUR122,85 EUR122,85 EUR
3.500,00 EUR253,50 EUR126,75 EUR141,05 EUR126,75 EUR112,45 EUR
4.000,00 EUR265,20 EUR132,60 EUR159,25 EUR132,60 EUR105,95 EUR
4.500,00 EUR275,60 EUR137,80 EUR177,45 EUR137,80 EUR98,15 EUR
5.000,00 EUR284,70 EUR142,35 EUR195,65 EUR142,35 EUR89,05 EUR
6.000,00 EUR292,50 EUR146,25 EUR219,70 EUR146,25 EUR72,80 EUR
7.000,00 EUR299,00 EUR149,50 EUR243,75 EUR149,50 EUR55,25 EUR
8.000,00 EUR304,20 EUR152,10 EUR267,80 EUR152,10 EUR36,40 EUR
9.000,00 EUR309,40 EUR154,70 EUR291,85 EUR154,70 EUR17,55 EUR
10.000,00 EUR314,60 EUR157,30 EUR315,90 EUR157,30 EUR-1,30 EUR
13.000,00 EUR319,80 EUR159,90 EUR341,90 EUR159,90 EUR-22,10 EUR
16.000,00 EUR334,10 EUR167,05 EUR367,90 EUR167,05 EUR-33,80 EUR
19.000,00 EUR353,60 EUR176,80 EUR393,90 EUR176,80 EUR-40,30 EUR
22.000,00 EUR380,90 EUR190,45 EUR419,90 EUR190,45 EUR-39,00 EUR
25.000,00 EUR413,40 EUR206,70 EUR445,90 EUR206,70 EUR-32,50 EUR
30.000,00 EUR460,20 EUR230,10 EUR492,70 EUR230,10 EUR-32,50 EUR
35.000,00 EUR508,30 EUR254,15 EUR539,50 EUR254,15 EUR-31,20 EUR
40.000,00 EUR508,30 EUR254,15 EUR586,30 EUR254,15 EUR-78,00 EUR
45.000,00 EUR508,30 EUR254,15 EUR633,10 EUR254,15 EUR-124,80 EUR
50.000,00 EUR508,30 EUR254,15 EUR679,90 EUR254,15 EUR-171,60 EUR
11

b)

Demgegenüber werden in der Rechtsprechung verschiedene andere Anrechnungsmodelle vertreten, bei denen es zu einer "Aufzehrung" der Verfahrensgebühr durch die anzurechnende Geschäftsgebühr nicht kommt. Die verschiedenen Modelle haben jeweils eine unterschiedliche Vergütungshöhe zur Folge: Teilweise wird vertreten, dass die Geschäftsgebühr gemäß § 58 Abs. 2 RVG oder jedenfalls nach dem Rechtsgedanken dieser Bestimmung zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Vergütung für den beigeordneten Rechtsanwalt zu verrechnen sei (so etwa: OLG Schleswig, Beschl. v. 03.03.2008 - 15 WF 9/08 -, [...] Rdnr. 14). Teilweise wird vertreten, dass auch dann, wenn der Rechtsanwalt vorprozessual nicht im Wege der Beratungshilfe tätig geworden ist, lediglich eine hälftige (streitwertunabhängige) Beratungshilfe-Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV-RVG i. H. v. 35,00 EUR anzurechnen sei, wenn die Voraussetzungen für eine Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen und damit für die Bewilligung von Beratungshilfe vorliegen (so etwa: OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.06.2008 - 5 W 34/08 -, [...] Rdnr. 5). Nach einer verbreiteten Auffassung soll die anzurechnende Geschäftsgebühr bei der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG wie die Verfahrensgebühr ebenfalls der Tabelle des § 49 RVG zu entnehmen sein, was bei einer 1,3-Verfahrensgebühr und einer ("standardmäßigen") 1,3-Geschäftsgebühr mit einer Halbierung der Verfahrensgebühr identisch ist (so etwa: OLG Celle, Beschl v. 13.11.2008 - 10 WF 312/08 -, [...] Rdnrn. 11 ff; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08.2008 - 13 Ta 185/08 -, [...] Rdnrn. 5 ff). Zum gleichen Ergebnis kommt die Auffassung, nach der die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG um den hälftigen Gebühren satz der Geschäftsgebühr zu mindern sein soll, nicht aber um deren hälftigen Betrag (so: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.01.2009 - I-10 W 120/08 u.a. -, [...] Rdnrn. 17 - 18).

12

c)

Der Senat hält an seiner unter a) skizzierten Auffassung fest. Die unter b) dargestellten Auffassungen widersprechen letztlich sämtlich dem Wortlaut der maßgeblichen Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG, die durch andere Normen auch nicht etwa modifiziert wird.

13

aa)

So betrifft die teilweise herangezogene Bestimmung des § 58 Abs. 2 RVG die Frage, in welcher Weise eine nicht durch die Staatskasse erfolgte Zahlung an den beigeordneten Rechtsanwalt zu berücksichtigen ist. Sie verändert aber weder die Tatbestände zu Entstehung und Höhe der jeweiligen Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.02.2010 - 18 W 3/10 -, [...] Rdnr. 19; OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2009 - 17 WF 192/08 -, [...] Rdnr. 9).

14

bb)

Auch die Anwendung der Anrechnungsbestimmung in Nr. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV-RVG, nach der die Geschäftsgebühr in Höhe von 70,00 EUR auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren zur Hälfte anzurechnen ist, überzeugt nicht. Diese Anrechnungsbestimmung ist nur einschlägig, wenn die vorprozessuale Anwaltstätigkeit die Beratungshilfe-Geschäftsgebühr ausgelöst hat, der Rechtsanwalt also gerade im Rahmen der Beratungshilfe bzw. auf Grund eines Beratungshilfescheins tätig gewesen ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.02.2010 - 18 W 3/10 -, [...] Rdnr. 21).

15

cc)

Für die vielfach vertretene durchgängige Anwendbarkeit der Tabelle des § 49 RVG sowohl für die Ermittlung der Verfahrensgebühr als auch der anzurechnenden Geschäftsgebühr spricht vordergründig das Argument einer konsequenten Vorgehensweise. Das Vergütungsverzeichnis selbst ist bei den einzelnen Gebührentatbeständen offensichtlich auf eine durchgängige Anwendung der Tabelle des § 13 RVG "zugeschnitten" (vgl. die Formulierung in der Überschrift der rechten Spalte "Gebühr oder Satz der Gebühr nach § 13 RVG "). Bleibt man jeweils durchgängig innerhalb der Tabelle des§ 13 RVG - also etwa beim Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO - kann es ebenso wenig zu einer "Aufzehrung" einer später entstandenen vollen Gebühr durch eine früher entstandene hälftige Gebühr kommen, wie bei einer durchgängigen Anwendung der Tabelle des § 49 RVG. Es ließe sich also argumentieren, dass bei der Vergütungsfestsetzung nicht nur die Tabelle des § 49 RVG an die Stelle derjenigen in § 13 RVG tritt, sondern das gesamte Vergütungsverzeichnis im Lichte dieses "Tabellenwechsels" gelesen werden muss. Auch der Begriff der "Anrechnung" als solcher deutet eher darauf hin, dass ein Rechnungsposten durch einen anderen Rechnungsposten nur vermindert, nicht aber überstiegen werden soll. Der Senat hält diesen Argumentationsgang aber letztlich nicht für tragfähig. Die rechtlich nach der Tabelle in § 13 RVG entstandene Geschäftsgebühr für die Vergütungsfestsetzung nach der Tabelle in § 49 RVG zu berechnen, hieße nichts anderes, als für Anrechnungszwecke nicht auf die tatsächlich entstandene, sondern auf eine rein fiktive (geringere) Geschäftsgebühr abzustellen. Diese Auffassung ist ebenso abzulehnen, wie die Anrechnung einer hälftigen fiktiven Beratungshilfe-Geschäftsgebühr.

16

dd)

Zum gleichen Ergebnis wie bei der durchgängigen Anwendbarkeit der Tabelle des § 49 RVG kommt man, wenn man die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG von vornherein gebühren satz bezogen versteht: Angerechnet wird nach dieser Auffassung nicht ein sich aus den Tabellen ergebender konkreter Gebührenbetrag in Euro, sondern der hälftige Gebührensatz. Es soll also vom Satz der Verfahrensgebühr (1,3) der hälftige Satz der Geschäftsgebühr (nachNr. 2300 VV-RVG 0,5 bis 2,5, "standardmäßig" also 0,65, weil eine Gebühr mit einem Satz von über 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war) abgezogen und erst anschließend anhand der sich ergebenden Differenz der konkrete Gebührenbetrag anhand der Tabelle des § 49 RVG ermittelt werden. Für diese Sichtweise lässt sich ins Feld führen, dass der Gesetzgeber selbst im Vergütungsverzeichnis keine konsequente begriffliche Trennung von "Gebühr" und "Gebührensatz" durchgehalten hat. So ist etwa in Nr. 2300 VV-RVG von einer "Gebühr von mehr als 1,3" die Rede, obwohl ersichtlich der Gebührensatz gemeint ist. Diese Argumentation vermag indessen nach Auffassung des Senats nicht darüber hinwegzutäuschen, dass gerade in der vorliegend maßgeblichen Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV-RVG im Wortlaut ausdrücklich zwischen Gebühr und Gebührensatz differenziert wird: Anzurechnen sein soll die Hälfte der Gebühr, womit offenbar ein konkreter Euro-Betrag gemeint ist, während sich die Begrenzung auf einen Gebührensatz von 0,75 auf Konstellationen bezieht, in denen der Rechtsanwalt bei der Geschäftsgebühr einen höheren Satz als 1,5 in Ansatz gebracht hat.

17

d)

Eine andere Art der Anrechnung, als sie vom Senat vertreten wird, bedürfte nach seiner Auffassung mithin einer gesetzlichen Änderung. Unter Geltung des § 15a Abs. 1 RVG tritt die skizzierte Problematik nicht mehr auf, wenn auf die rechtlich entstandene Geschäftsgebühr keine Zahlung erfolgt ist, weil dann bei einer "Deckelung" der Forderungen des Anwalts auf den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren der Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr aus der Staatskasse in voller Höhe erhalten kann. Anders stellt es sich dar, wenn die Geschäftsgebühr entrichtet worden ist. Da sich die Staatskasse mangels Eigenschaft als "Dritter" i.S.d.§ 15a Abs. 2 RVG uneingeschränkt auf die Bestimmung des § 15a Abs. 1 RVG berufen können dürfte (vgl. dazu: Beschl. d. Senats v. 27.10.2009 - 13 OA 134/09 -, [...] Rdnr. 3), wird nach wie vor bei höheren Streitwerten die Verfahrensgebühr durch die hälftige Geschäftsgebühr "aufgezehrt", wenn man die Verfahrensgebühr nach der Tabelle in § 49 RVG berechnet und die Geschäftsgebühr nach derjenigen in § 13 RVG (bspw. beträgt bei einem Streitwert von 25.000,00 EUR der um den Anrechnungsbetrag verminderte Gesamtbetrag der beiden Gebühren 413,40 EUR (1,3-Verfahrensgebühr) + 891,80 EUR (1,3-Geschäftsgebühr) - 445,90 EUR (Anrechnungsbetrag) = 859,30 EUR, der hinter den (schon gezahlten) 891,80 EUR zurückbleibt, so dass bei der Vergütungsfestsetzung nach§ 55 RVG keine Verfahrensgebühr mehr gefordert werden kann).

18

e)

Abgesehen von den vorstehenden Fragen der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nimmt der Senat eine weitere Überprüfung der Vergütungsfestsetzung nicht vor, weil sie nicht Gegenstand der Beschwerde ist. So lässt der Senat unentschieden, ob bei der Anrechung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei einer "Aufzehrung" jedenfalls die Mindestgebühr nach § 13 Abs. 2 RVG verbleibt. Eine weitere Verminderung der anwaltlichen Vergütung ist nicht Zielrichtung der Beschwerde. Indessen vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Mindestgebühr nach§ 13 Abs. 2 RVG gleichsam "anrechnungsfest" wäre. Dies hat er auch nicht etwa in seinem Beschluss vom 27. November 2008 - 13 OA 190/08 - entschieden; dort wurde lediglich in der Sachverhaltsdarstellung auf die entsprechende Vorgehensweise des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle hingewiesen, Gegenstand der Beschwerde war der Ansatz der Mindestgebühr in dem Verfahren aber nicht.

19

f)

Da die Frage einer weiteren Vorschussminderung nicht Gegenstand der Beschwerde des Bezirksrevisors im Verfahren 13 OA 134/09 gewesen ist, kann sich der Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er eine Verfahrensgebühr erhalten müsse, die bei dem Vorschuss Berücksichtigung gefunden hat. Beschwerdegegenstand des Verfahrens 13 OA 134/09 war allein die Frage der Anwendbarkeit des § 15a RVG in Altfällen; der Bezirksrevisor wollte hingegen keine Absenkung der festgesetzten Vergütung infolge der Ermittlung des Anrechungsbetrags der Geschäftsgebühr nach der Tabelle in§ 13 RVG erreichen.

20

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

21

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).