Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.10.2010, Az.: 11 ME 347/10

Sicherstellung eines deutschen Kinderreisepasses bei wirksamer Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft des Kindes durch einen deutschen Staatsangehörigen von der zuständigen Behörde

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.10.2010
Aktenzeichen
11 ME 347/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:1012.11ME347.10.0A

Fundstellen

  • AUAS 2010, 274-275
  • DVBl 2010, 1519
  • DÖV 2011, 41
  • FStBay 2011, 680
  • FamRZ 2011, 1622
  • NVwZ-RR 2011, 37
  • NdsVBl 2011, 204

Amtlicher Leitsatz

Ein (deutscher) Kinderreisepass kann sichergestellt (und nachfolgend auch eingezogen) werden, wenn die (allein statusbegründende) Anerkennung der Vaterschaft des Kindes durch einen deutschen Staatsangehörigen von der zuständigen Behörde nach§ 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 BGB wirksam angefochten worden ist

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

2

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob der im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag, unter Aufhebung des angegriffenen Beschlusses "dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz" zu gewähren, den nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an die Bestimmtheit eines solchen Antrages zu stellenden Anforderungen genügt. Erhebliche Bedenken ergeben sich insoweit, als es sich um zwei Antragsteller handelt und der umstrittene Bescheid der Antragsgegnerin mit der von Gesetzes wegen (§ 14 PassG) sofort vollziehbaren Sicherstellung (als vorübergehende Sicherungsmassnahme) nach § 13 PassG sowie der (endgültigen und deshalb nicht sofort vollziehbaren) Einziehung nach§ 12 PassG zwei unterschiedliche Regelungen enthält, nach dem Wortlaut und der Begründung des o. a. Antrages aber nicht eindeutig ist, gegen welche der beiden Regelungen sich die von beiden Antragstellern eingelegte Beschwerde richten soll. Unter Zurückstellung dieser Bedenken wird zu Gunsten der Antragsteller davon ausgegangen, dass sie den auf der Grundlage ihrer Begründung sachgerechten und hinreichend bestimmten Antrag stellen (wollen), jeweils die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Sicherstellung des dem Antragsteller ursprünglich ausgestellten Kinderreisepasses anzuordnen. Die so verstandene Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

3

Dabei kann offen bleiben, ob auch der Antragstellerin zu 2) als vermeintlicher Adressatin des umstrittenen Bescheides vom 2. August 2010 oder als Mutter des Antragstellers zu 1) eine aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitete (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 42, Rn. 132, m.w.N.) Antrags- und Klagebefugnis gegen die umstrittene Sicherstellung des Kinderreiseausweises durch den angefochtenen Bescheid zusteht. Selbst wenn man hiervon zu Gunsten der Antragstellerin ausgeht, ist ihr Antrag ebenso wie der ihres Sohnes in der Sache unbegründet.

4

Den Antragstellern kann zunächst nicht in der Annahme gefolgt werden, der Bescheid vom 2. August 2010 sei fehlerhaft, soweit er an die Antragstellerin adressiert ist. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Verwaltungsakt auch hinsichtlich der Frage nach seinem Adressaten grundsätzlich auslegungsfähig ist und maßgeblich für diese Auslegung das Verständnis des Bescheides ist, das sich bei objektiver Würdigung für den Empfänger ergibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.11.2005 - 10 B 65/05 -, NJW 2006, 791 f., m.w.N.). Hieran gemessen konnte der an die Antragstellerin gerichtete Bescheid von ihr als Empfängerin aber nur so verstanden werden, dass er nicht für sie persönlich, sondern in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin für ihren Sohn, den Antragsteller, bestimmt war. Denn Regelungsinhalt des Bescheides waren die Sicherstellung und Einziehung des Kinderreisepasses, den die Antragstellerin als gesetzliche Vertreterin ihres Sohnes nach der ausdrücklichen Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 6 und 7 PassG grundsätzlich persönlich für ihn zu beantragen und dessen Sicherstellung bzw. Einziehung dementsprechend ebenfalls gegenüber der Antragstellerin als gesetzliche Vertreterin für ihren Sohn zu erfolgen hatte. Für die Annahme, die Antragsgegnerin habe mit dem streitigen Bescheid eine die Antragstellerin persönlich betreffende Maßnahme vornehmen wollen, fehlen hingegen jegliche Anhaltspunkte. Dass der so verstandene Bescheid auch im Übrigen hinreichend bestimmt und formell rechtmäßig ist, wird zu Recht auch von den Antragstellern nicht in Zweifel gezogen.

5

Das Verwaltungsgericht hat weiterhin zutreffend angenommen, dass der Antragsteller nach der seit dem März 2010 rechtskräftigen Feststellung, dass der deutsche Staatsangehörige Herr D. entgegen der von ihm ursprünglich abgegebenen Erklärung nicht der Vater des Antragstellers ist, nicht mehr kraft Abstammung von Herrn D. nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG deutscher Staatsangehöriger und auch sonst kein Erwerbstatbestand kraft Abstammung oder Geburt im Bundesgebiet ersichtlich ist. Wie die Antragsgegnerin bereits in ihrer Antragserwiderung zutreffend dargelegt hat, entfällt nämlich - wie sich aus§ 17 Abs. 3 Satz 2 StAG ergibt - die einem Kind allein durch eine Vaterschaftsanerkennung vermittelte deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend ab Geburt automatisch, wenn diese Vaterschaftsanerkennung von der zuständigen Behörde erfolgreich nach§ 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 BGB angefochten worden ist - wie hier von der Beklagten.

6

Da nach § 1 Abs. 4 Satz 1 PassG nur Deutschen ein Pass ausgestellt werden darf, ist mit dem rückwirkenden Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit der dem Antragsteller erteilte Pass i.S.d. § 11 Nr. 2 PassG insoweit unzutreffend (vgl. Ziffer 11 c) PassVwV v. 3. Juli 2000 (GMBl. S. 587) sowie VGH München, Beschl. v. 11.9.2007 - 5 CS 07/1921 -, [...]) und ungültig geworden. Ein solcher ungültiger Pass kann nach § 12 Abs. 1 PassG eingezogen und vorab - wie hier geschehen - gleichsam vorläufig sichergestellt werden, § 13 Abs. 1 Nr. 3 PassG (vgl. zu diesem Verhältnis zwischen Sicherstellung und Einziehung etwa OVG Münster, Beschl. v. 22.11.1993 - 25 A 1143/92 -, [...], sowie Süßmuth/Koch, Pass- und Personalausweisrecht, § 12 PassG, Rn. 2).

7

Die schwer verständlichen - offenbar auf den bestrittenen automatischen Verlust der Staatsangehörigkeit des Antragstellers bezogenen - Einwendungen der Antragsteller greifen nicht durch. Die Antragsteller verkennen dabei, dass der Gesetzgeber auf die Entscheidung desBundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 2006 ( - 2 BvR 696/04 -) mit dem Erlass des Änderungsgesetzes zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 158) reagiert und durch die Einfügung des zuvor zitierten § 17 Abs. 3 Satz 2 StAG klargestellt hat, dass ein Kind in der hier maßgeblichen Fallgestaltung automatisch seine deutsche Staatsangehörigkeit verliert (vgl. Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, § 17 StAG, Rn. 17). Einem etwaigen altersbedingten Vertrauensschutz des Kindes wird nicht durch die - nach § 17 Abs. 3 Satz 2 StAG hier ausdrücklich unanwendbare, aber ohnehin nicht überschrittene - Altersgrenze in§ 17 Abs. 2 StAG von fünf Jahren, sondern durch die Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1a Satz 3 BGB, die bei einer Geburt im Bundesgebiet ebenfalls fünf Jahre ab Anerkennung beträgt und hier gewahrt worden ist, hinreichend Rechnung getragen (vgl. BT-Drs. 16/10528, S. 7). Der von den Antragstellern vermissten Abwägung des öffentlichen und privaten Interesses unter Einbeziehung der sozialen Verhältnisse des betroffenen Kindes und eines etwaigen Bewusstseins seiner deutschen Staatsangehörigkeit bedarf es daher für die Feststellung des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit nicht. Ebenso wenig sind solche Erwägungen Gegenstand der Ermessensausübung nach § 13 PassG (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.9.2009 - 5 S 17/09 -, [...]).