Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.01.2011, Az.: 1 MN 178/10

Antragsbefugnis nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz bei bauleitplanerischer Inanspruchnahme eines Überschwemmungsgebiets

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.01.2011
Aktenzeichen
1 MN 178/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 12942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0105.1MN178.10.0A

Fundstellen

  • AUR 2011, 324-327
  • BauR 2011, 990-992
  • BauR 2011, 728
  • IBR 2011, 433
  • ZfBR 2011, 157-159

Amtlicher Leitsatz

Zur Antragsbefugnis nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz bei bauleitplanerischer Inanspruchnahme eines Überschwemmungsgebiets.

Gründe

1

Der Antragsteller, ein anerkannter Naturschutzverband, wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 137 "Technologie-Zentrum Biogas, Langweger Straße" der Antragsgegnerin, welcher zugunsten der Beigeladenen die Errichtung einer Biogasanlage mit einer Leistung von maximal 1,5 MW sowie weiterer Anlagen zulässt.

2

Nach der vom Antragsteller vorgelegten Satzung in der Fassung vom 7./8. November 2009 ist sein Zweck die Förderung des Naturschutzes, der Landschaftspflege, des Tierschutzes unter besonderer Berücksichtigung der freilebenden Vogelwelt und das Eintreten für die Belange des Umweltschutzes. Zu seinen Aufgaben zählt er u.a. das Erhalten, Schaffen und Verbessern von Lebensgrundlagen für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt sowie das Eintreten für den Schutz der Gesundheit des Menschen vor Schäden durch Umweltbeeinträchtigungen.

3

Das 5,6 ha große Plangebiet, das bisher als Acker bewirtschaftet wurde, liegt östlich der Autobahn A 1, an welche es angrenzt. Erschlossen wird es in der Art eines "Pfeifenstielgrundstücks" über eine festgesetzte private Verkehrsfläche von der im Südosten verlaufenden Langweder Straße (K 269). Im Übrigen wird es im Wesentlichen eingenommen von einem sonstigen, nach SO1 und SO2 gegliederten Sondergebiet mit der Zweckbestimmung Technologie-Zentrum Biogas. Die textlichen Festsetzungen hierfür lauten:

"1. Art der baulichen Nutzung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB)

'Sondergebiet Technologie-Zentrum Biogas, Langweger Straße'

Gemäß § 11 BauNVO ist in den Sondergebieten die Errichtung und der Betrieb eines Technologie-Zentrums Biogas mit Schulungs- und Technologiegebäude zulässig. Als Biomasse dürfen lediglich nachwachsende Rohstoffe im Sinne der Ziffer III (mit Ausnahme der Nr. 6) der Positivliste der Anlage 2 des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien vom 25.10.2008 (BGBl. I S. 2074) verwendet werden. Im einzelnen sind im Technologiezentrum folgende Nutzungen und bauliche Anlagen zulässig:

Schulungs- und Technologiegebäude;

Biogasanlage mit einer Leistung von max. 1,5 MW elektrischer Energie und den dazugehörigen baulichen Bestandteilen (einschließlich Blockheizkraftwerk);

Anlage zur Gasaufbereitung mit den dazugehörigen baulichen Bestandteilen;

Anlage zur Gärrestaufbereitung mit den dazugehörigen baulichen Bestandteilen;

Fahrzeugwaage;

Fahrsiloanlage für die Inputstoffe;

Anlagen und Vorkehrungen zur Sammlung und Zwischenspeicherung des im Gebiet anfallenden Niederschlagswassers, Anlagen und Vorkehrungen zum Schutz der nächsten Vorfluter vor Schadstoffeinträgen,

ein Werbepylon.

2. Lärmschutz

Das Sondergebiet ist gemäß § 1 (5) BauNVO wie folgt eingeschränkt: Zulässig sind Vorhaben (Betriebe und Anlagen), deren Geräusche die im folgenden angegebenen Emissionskontingente LEK weder tags (06.00 - 22.00 Uhr) noch nachts (22.00 - 06.00 Uhr) überschreiten.

71/56 dB(A) tags/nachts

Schallpegelminderungen, die im konkreten Einzelfall durch Abschirmungen erreicht werden, erhöhte Luftabsorptions- und Bodendämpfungsmaße (frequenz- und entfernungsabhängige Pegelminderungen sowie meteorologische Korrektur nach DIN ISO 9613-2) und/oder zeitliche Begrenzungen der Emissionen können bezüglich der maßgebenden Aufpunkte dem Wert des Flächenschallleistungspegels zugerechnet werden.

3. Höhe baulicher Anlagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB)

...

4. Bauweise (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB)

..."

4

Das unregelmäßig zugeschnittene Sondergebiet ist durch Randflächen eingefasst, u.a. fast umlaufend durch festgesetzte Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft. Am Ostrand werden zusätzlich Schutzgebiete und Schutzobjekte im Sinne des Naturschutzrechts umgrenzt, am Westrand zieht sich eine Grünfläche mit der Zweckbestimmung Räumstreifen entlang. Streckenweise ist im Westen auch eine Fläche zum Anpflanzen von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Umpflanzungen festgesetzt. Ferner finden sich Flächen für Versorgungsanlagen mit der Zweckbestimmung Rückhaltung und Versickerung. Die näheren Anforderungen sind jeweils durch textliche Festsetzungen bestimmt.

5

Das Plangebiet liegt überwiegend im Überschwemmungsgebiet des Trenkampsbaches. Dieser unterquert verläuft von Osten kommend etwa 280 m nördlich des Plangebiets die Autobahn. Das Überschwemmungsgebiet erstreckt sich östlich der Autobahn an dieser entlang nach Süden. Die bisherige Grenze des ermittelten Überschwemmungsgebiets liegt kurz hinter der Markierung 4+000.

6

Die Kreisgruppe Vechta des Antragstellers hat unter dem 7. Februar 2010 (gefaxt am 8. Februar 2010) im Planungsverfahren umfangreiche Einwendungen erhoben.

7

Im vorliegenden Normenkontrolleilverfahren macht der Antragsteller geltend, der angegriffene Bebauungsplan als eine Entscheidung im Sinne des §§ 1 Abs. 1 Satz 1a, 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG widerspreche im Sinne des § 2 Abs. 1 Ziff. 1 UmRG Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienten, Rechte Einzelner begründeten und für die Entscheidung von Bedeutung seien. Verstoßen werde gegen § 1 Abs. 7 BauGB, wonach Belange im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB als einer dem Umweltschutz dienenden Vorschrift abzuwägen gewesen seien. Bei der Möglichkeit planbedingter Überschwemmungsschäden handele es sich nach der Rechtsprechung des Senats um den Einzelnen schützenden Abwägungsbelange (Urt. v. 23.4.2008 - 1 KN 113/06 -). Darauf, ob § 2 Abs. 1 Ziff. 1 UmwRG gemeinschaftsrechtswidrig sei, komme es deshalb nicht an.

8

In der Sache trägt er detailliert seine Auffassung vor, der Bebauungsplan gebe ohne zureichende Abwägung und im Widerspruch zu europäischem und nationalen Naturschutzrecht in erheblichem Umfang Umweltschutzgüter preis.

9

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen.

10

Der Antrag ist nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung zulässig.

11

Der angegriffene Bebauungsplan ist tauglicher Gegenstand eines Rechtsbehelfs nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, weil er im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG die Zulässigkeit eines Vorhabens im Sinne der Anlage 1 des UVPG begründen soll (vgl. hierzu Schrödter, LKV 2008, 391). Nach deren Nummer 1.3.2 unterliegen Biogasanlagen mit einer Leistung über 1 MW jedenfalls einer standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c Satz 2 UVPG.

12

§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG setzt für eine Verbandsklage weiter voraus, dass die Vereinigung geltend macht, der Bebauungsplan widerspreche Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können. Zutreffend geht der Antragsteller davon aus, dass der Einzelne für sich reklamieren kann, dass sein Interesse an ausreichendem Schutz vor Überschwemmungen abgewogen wird (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 28.3.2008 - 1 KN 93/07 -, DVBl. 2008, 724; Urt. v. 23.4.2008 - 1 KN 113/06 -, BauR 2008, 1846; Urt. v. 24.11.2010 - 1 KN 266/07 -); daran hat sich durch zwischenzeitliche Gesetzgebungstätigkeit nichts geändert. Weniger eindeutig ist die Frage zu beantworten, ob Hochwasserschutz zugleich Umweltschutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG ist. Soweit § 1 Abs. 6 BauGB Umweltschutz und Hochwasserschutz in getrennten Nummern aufführt (Nr. 7 und Nr. 12), ergeben sich daraus für die Auslegung des Begriffes "Umweltschutz" in europarechtlichen Zusammenhängen noch keine zwingenden Vorgaben. § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB hat allerdings (nur) die möglichen Schäden eines Hochwassers für Bauten im Auge (vgl. Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, § 1 Rdnrn. 178 f.). Ebenfalls nicht unmittelbar einschlägig ist der Beschluss des 13. Senats dieses Gerichts vom 8. Januar 2009 (- 13 LA 15/08 -, NordÖR 2009, 119), mit welchem ein Verbandsklagerecht nach § 60c Abs. 1 NNatG mit der Rüge einer Hochwassergefährdung von Wohngebieten verneint worden ist; auf diese Vorschrift stützt sich der Antragsteller hier nicht.

13

Europarechtlich ergeben sich Auslegungshinweise aus dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Kom(2003) 624)). Deren Erwägungsgrund Nr. 7 besagt:

"Angesichts der Tatsache, dass das Umweltrecht ständig weiter entwickelt wird, sollte sich die Definition von Umweltrecht auf die Ziele der Umweltpolitik der Gemeinschaft, insbesondere den Schutz oder die Verbesserung der Umwelt einschließlich der menschlichen Gesundheit und des Schutzes der natürlichen Ressourcen, beziehen. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, diese Definition auf ausschließlich innerstaatliche Umweltrechtsvorschriften auszudehnen."

14

Art. 2 Abs. 1 g) soll danach lauten:

"'Umweltrecht' bedeutet eine Rechtsvorschrift der Gemeinschaft zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, deren Ziel der Schutz oder die Verbesserung der Umwelt, einschließlich der menschlichen Gesundheit und des Schutzes der rationellen Nutzung natürlicher Ressourcen, insbesondere auf folgenden Gebieten ist:

i) Gewässerschutz

ii) Lärmschutz

iii) Bodenschutz

iv) Luftverschmutzung

v) Flächenplanung und Bodennutzung

vi) Erhaltung der Natur und biologische Vielfalt

vii) Abfallwirtschaft

viii) Chemikalien, einschließlich Bioziden und Pestiziden

ix) Biotechnologie

x) sonstige Emissionen, Ableitungen und Freisetzungen in die Umwelt.

xi) Umweltverträglichkeitsprüfung

xii) Zugang zu Informationen und die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren."

15

Als Absatz 2 ist vorgesehen:

"Die Mitgliedstaaten können in die Definition in Absatz 1 Buchstabe g auch ausschließlich innerstaatliche Umweltrechtsvorschriften einbeziehen."

16

Daraus folgt zunächst, dass vorerst nur Gemeinschaftsrecht selbst in Rede steht, im vorliegenden Zusammenhang praktisch also die nach der amtlichen Anmerkung zum Wasserhaushaltsgesetz mit diesem Gesetz umgesetzten Richtlinien. In Bezug auf Ziff. i) "Gewässerschutz" liegt zwar zunächst nahe, an den Schutz des Gewässers zu denken (also den Gegenstand der ersten sechs dort aufgeführten Richtlinien), nicht an den Schutz vor dem Gewässer (also die als siebte Richtlinie aufgeführte Richtlinie 2007/60/EG über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken). Die Terminologie ist jedoch unsystematisch (auch in der englischen Fassung); bei Ziff. ii) "Lärmschutz" soll z.B. nicht der Lärm geschützt werden, dafür bei Ziff. iii) "Bodenschutz" wiederum der Boden. Gewässerschutz dürfte deshalb auch den Hochwasserschutz umfassen, denn ein gerade durch die bauliche Nutzung von Überschwemmungsgebieten erst verursachtes Hochwasser kann auch das Gewässer selbst sowie Pflanzen und Tiere in dessen vom Hochwasser betroffenen Umgebung schädigen.

17

Der Hauptzweck der Richtlinie 2007/60/EG ist zweifellos nicht der Umweltschutz. In den Erwägungsgründen und den einzelnen Bestimmungen wird jedoch wiederholt auch auf die Umwelt als Schutzobjekt und auf umweltpolitische Ziele Bezug genommen. Jedenfalls bei vorläufiger Bewertung im Eilverfahren ist es daher gerechtfertigt, den Hochwasserschutz zum Umweltschutz im Sinne des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zu rechnen.

18

Im Übrigen unterstreicht auch das nationale Recht durch § 1 Abs. 3 Nr. 3 BNatSchG, dass der Hochwasserschutz in den Naturschutz eingebunden ist (vgl. Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2010, § 1 Rdnr. 115; zur früheren Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, 2 Aufl. 2003, § 2 Rdnr. 57).

19

Soweit darüber hinausgehend streitig ist, ob das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz europarechtskonform ist (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.7.2008 - 1 ME 131/08 -, NVwZ 2008, 1144 mit kritischer Würdigung durch Berkemann, NordÖR 2009, 336 und NordÖR 2010, 233; siehe als vorerst jüngsten einer langen Reihe von Literaturbeiträgen auch Gärditz, EurUP 2010, 210), liegen inzwischen die Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtssache C-115/09 vor, welche die Beschränkung in § 2 UmwRG auf Rechtsvorschriften, die Rechte Einzelner begründen, für zu eng hält. Unbeschadet der Frage, welche Überzeugungskraft ihren Argumenten zukommt, gewinnt damit die Erwägung an Gewicht, dass schon eine potentielle Europarechtswidrigkeit im Eilverfahren in die Interessenabwägung einzubeziehen ist (wie OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.3.2010 - 12 ME 176/09 -, NordÖR 2010, 255).

20

In der Sache hat der Antrag Erfolg. Dabei bedarf es hier keiner näheren Abgrenzung der Reichweite, in der eine Vereinigung nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 UmwRG im Normenkontrollverfahren mit Erfolg Rechtsverstöße geltend machen kann, weil der aufgetretene Mangel auch auf diejenigen Belange durchschlägt, welche der Antragsteller nach seiner Satzung fördert. Insoweit verweist der Senat auf die Gründe seines stattgebenden Beschlusses vom 4. Januar 2011 (- 1 MN 130/10 -) in der Parallelsache eines von der Planung betroffenen Landwirts:

"In Bezug auf die Erfolgsaussichten unterliegt die Planung jedoch hinsichtlich der Frage, ob die Antragsgegnerin bei ihrer planerischen Abwägung von zutreffenden Grundlagen ausgegangen ist, durchgreifenden Zweifeln. Die Beteiligten streiten darum, ob bestimmte Belange ausreichend berücksichtigt worden sind. Zugrunde liegt dem allerdings ein verfahrensrechtliches Problem:

Die Antragsgegnerin ist zunächst zu Recht davon ausgegangen (Planbegründung S. 2 und 7 f.), dass sie rechtlich nicht verpflichtet war, das Instrumentarium des vorhabenbezogenen Bebauungsplans zu nutzen (§ 12 BauGB). U.a. wollte sie damit erreichen, dass zeit- und arbeitsaufwendige Änderungsverfahren im Falle z.B. geringfügiger Standortverschiebungen einzelner Anlagenteile entfallen könnten. Der Bebauungsplan bilde damit einen "streng gefassten", d.h. auf die Umgebung abgestimmten und in das städtebauliche Gesamtkonzept eingepassten Rahmen, innerhalb dessen die Beigeladene als Vorhabenträgerin mit größtmöglicher Flexibilität agieren könne.

Diesen Ansatz hat die Antragsgegnerin jedoch tatsächlich nicht "durchgehalten", sondern eine vom Gesetz nicht gedeckte Mischform von Angebotsplanung und vorhabenbezogenem Bebauungsplan praktiziert. Der durch die Festsetzungen gesteckte Rahmen ist tatsächlich nicht "streng gefasst", sondern vergleichsweise geräumig; wesentliche Einschränkungen werden durch die städtebaulichen Verträge vorgenommen, welche für die Beurteilung des Bebauungsplanes außerhalb des Anwendungsbereichs von § 12 BauGB jedoch ohne jede Bedeutung sind. In der Sache hat die Antragsgegnerin damit zusätzlich wesentliche Teile der Planung der Öffentlichkeitsbeteiligung entzogen.

Wählt eine Gemeinde das Instrument der "normalen" Angebotsplanung, darf sie bei der Bewertung des Abwägungsmaterials nicht allein das konkrete Vorhaben betrachten, welches Anlass zu der Planung gegeben hat, sondern muss von der maximalen Ausnutzung der Festsetzungen des Bebauungsplans ausgehen. Denn wenn der ursprüngliche Investor "abspringt", könnte sich ein neuer Investor auf die Festsetzungen des Bebauungsplanes berufen, ohne durch städtebaulichen Vertrag gebunden zu sein. Zwar kann die Bewältigung der durch einen Bebauungsplan hervorgerufenen Konflikte in gewissem Umfang auch in das nachfolgende Einzelgenehmigungsverfahren verlagert werden. Das hat die Antragsgegnerin jedoch gerade nicht getan, sondern auf eine Konfliktbewältigung durch städtebaulichen Vertrag gebaut. Aus solchen Verträgen kann die Genehmigungsbehörde jedoch weder Versagungsgründe noch Gründe für eine inhaltliche Modifizierung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens herleiten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.12.2009 - 4 B 74.09 -, BauR 2010, 742), zumal "neuen" Investoren gegenüber, welche vertraglich ohnehin nicht gebunden wären.

Sowohl die Begründung zum Bebauungsplan als auch die hierfür eingeholten Gutachten legen durchgängig eine bestimmte Anlagenkonfiguration zugrunde, die im städtebauliche Vertrag festgeschrieben und dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrag zugrunde gelegt worden sei. Dass diese Konfiguration die Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht ausschöpft, ergibt sich mit großer Deutlichkeit aus dem von der Antragsgegnerin erst im Normenkontrollverfahren mitgeteilten und oben wieder gegebenen Inhalt der mit der Beigeladenen abgeschlossenen städtebaulichen Verträge. Erst mit diesen sollte ein beträchtlicher Teil der von der Planung aufgeworfenen Probleme wirklich gelöst werden; auch die Antragserwiderung stützt sich maßgeblich darauf. Dabei handelt es sich nicht nur um Randfragen, sondern um substanzielle Festlegungen. So hat sich die Beigeladene z.B. vertraglich verpflichtet, keine Anlage zu errichten, die unter die Störfallverordnung fällt. Welche Anforderungen die Störfallverordnung für ein Vorhaben der vom Plan zugelassenen Art stellt, war Gegenstand eines Gutachtens. Dieses hat jedoch nur eigene Angaben der Beigeladenen zur Gasvolumenberechnung zugrunde gelegt, die nicht auf Grenzziehungen durch den Bebauungsplan beruhen. Schon so ist das Gutachten davon ausgegangen, dass das Vorhaben unter die Störfallverordnung falle, weil die Grenze von 10.000 kg überschritten werde, hat allerdings die vorhandenen Abstände als auseichend angesehen. Das Gewerbeaufsichtsamt hat Vorschläge für Formulierungen in der Begründung zum Bebauungsplan gemacht, wonach die Antragsgegnerin davon ausgehe, dass im Planbereich keine Anlagen mit Betriebsbereichen im Sinne der Störfallverordnung errichtet werden. Die Antragsgegnerin hat dies nicht zum Anlass genommen, eine entsprechende Planfestsetzung vorzunehmen, sondern knüpft auf den Seiten 21 f. der Planbegründung zunächst an das Ergebnis des Gutachtens an, das Vorhaben könne an diesem Standort auch dann verwirklicht werden, wenn es unter die Störfall-Verordnung falle. Das ist für sich genommen bereits deshalb nicht tragfähig, weil das Gutachten - nur - von der konkreten Anlagenkonfiguration ausgegangen ist. Im weiteren legt dann auch die Planbegründung selbst eine im Sinne des Änderungsvertrages weiter reduzierte Anlagenkonfiguration zugrunde, die Gegenstand des Genehmigungsantrages nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz sei, und gelangt auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass der Angebotsbebauungsplan auf dieser Grundlage umsetzbar sei. Damit bleibt die Abwägung aber hinter den Möglichkeiten zurück, welche der Plan hergibt, selbst wenn der Rat von dem späteren Abschluss eines entsprechenden städtebaulichen Vertrags ausging (vgl. Planbegründung S. 8 und 21). Der Rat kann und darf nicht abwägen, was nicht zuvor jedenfalls im Wesentlichen Gegenstand der Beteiligungsverfahren nach den §§ 3, 4 BauGB war.

Auch der Umfang der Beeinträchtigung aller übrigen vom Antragsteller gegen das Vorhaben ins Feld geführten Belange - seien es eigene oder fremde - hängt maßgeblich davon ab, ob auf die Festsetzungen des Bebauungsplans oder auf die inhaltlichen Einschränkungen durch die städtebaulichen Verträge abgestellt wird. Insoweit sind auch die eingeholten Gutachten teilweise (nicht alle, siehe z.B. Geruchsimmissionsprognose vom 17. März 2010, S. 15) auf fehlerhafter Grundlage erstellt worden, soweit sie nicht die vorgesehenen planerischen Festsetzungen, sondern ein konkretes Bauvorhaben in den Mittelpunkt gestellt haben. Aufgabe von Gutachten, die für die Bauleitplanung erstellt werden, ist es, abzuschätzen, ob die vorgesehenen Festsetzungen realistischerweise ohne Gefährdung betroffener Schutzgüter ausgeschöpft werden können, ggf. unter Verlagerung der Problembewältigung in nachfolgende Genehmigungsverfahren. Dafür reicht es nicht, wenn von vornherein nur ein konkretes Vorhaben untersucht wird, das hinter den Ausnutzungsmöglichkeiten des Plans zurückbleibt. In solchen Fällen müsste der Gutachterauftrag (sonst) entweder einschließen, dass der Gutachter Möglichkeiten einer Anpassung der Festsetzungsentwürfe an das konkrete Vorhaben aufweist - eine Art "shrinking" - oder jedenfalls klare Vorgaben für eine Problembewältigung im nachfolgenden Genehmigungsverfahren benennt. Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Die Gutachten befassen sich allein mit einem konkreten Bauvorhaben. Was geschieht, wenn dieses Vorhaben nicht verwirklicht, sondern durch ein anderes, umfangreicheres Vorhaben ersetzt werden sollte, bleibt ungeklärt. Dies gilt auch z.B. für die im Zusammenhang mit dem der Flächennutzungsplanung vorgenommenen FFH-Verträglichkeitsuntersuchung, welche auf Seite 15 ebenfalls von der konkreten Anlagenkonfiguration ausgeht; ähnliche Angaben finden sich in allen fast Untersuchungen.

Wegen damit grundsätzlicher Verfehlung des für die Abwägung maßgeblichen Rahmens kann auch nicht angenommen werden, dass dieser Mangel auf das Ergebnis der Abwägung im Sinne des § 214 Abs. 3 BauGB ohne Einfluss geblieben sein könnte.

Darüber hinaus hat der Senat Zweifel daran, ob die Antragsgegnerin zu Recht Gründe des Allgemeinwohls für die Inanspruchnahme des Überschwemmungsgebiets reklamieren kann. Soweit sich der Senat zu den materiellen Anforderungen geäußert hat (siehe oben im Zusammenhang mit der Antragsbefugnis), sind diese durch § 76 ff. WHG nicht ernsthaft erleichtert worden. Die Begründung zum Bebauungsplan äußert sich zum Überwiegen des Allgemeinwohls nur äußerst knapp (S. 8 unten und 33) und enthält mehr Behauptung als Begründung.

Zweifel bestehen auch, ob die Lärmkontingentierung gelungen ist. Wie sich aus dem zugrunde gelegten Gutachten vom 11. Dezember 2009 ergibt, ist darin die DIN 45691 zugrunde gelegt worden. Die Planfestsetzung nimmt demgegenüber lediglich auf die DIN ISO 9613-2 Bezug, welche in dem Gutachten nur unter "Grundlagen" erwähnt wird. Die Formulierung der Festsetzung beruht nicht auf einem Vorschlag der Gutachter; wie sie zustande gekommen ist, ergibt sich aus den Unterlagen nicht. Es fehlt der Festsetzung mithin an der erforderlichen Eindeutigkeit. Im nachfolgenden Einzelgenehmigungsverfahren würde ein Gutachter allein auf der Grundlage der Festsetzung und der Begründung zum Bebauungsplan auch dann nicht genau nachvollziehen können, wie die Lärmkontingente zu berechnen sind, wenn er das genannten Gutachten zu Hilfe nimmt.

Im Falle eines ergänzenden Verfahrens wäre es tunlich, die textliche Festsetzung in Abstimmung mit dem Gutachten zu formulieren und ausdrücklich die maßgebliche Berechnungsmethode, d.h. regelmäßig alle hierfür herangezogenen DIN-Normen zu bezeichnen. Insoweit könnten Missverständnisse vermieden werden, wenn die Formulierung von Vorschlägen für eine textliche Festsetzung von vornherein in den Gutachterauftrag einbezogen wird; dann läge die Annahme nahe, dass die wesentlichen Erkenntnisse des Gutachtens zutreffend umgesetzt sind. Ob in der textlichen Festsetzung bereits eine Bezugsquelle angegeben werden muss - was nach den Beobachtungen des Senats jedenfalls guter fachlicher Praxis entspricht -, ist zweifelhaft, weil die DIN-Normen einen hohen Bekanntheitsgrad haben; problematischer wären die hohen Beschaffungskosten. Die Gemeinden sind aber - wenn sie in ihren Bebauungsplänen überhaupt auf DIN-Normen Bezug nehmen - ohnehin gehalten, diese zur Einsicht bereit zu halten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.7.2010 - 4 BN 21.10 -, BauR 2010, 1889). In der Regel wird deshalb davon auszugehen sein, dass alle in Bebauungsplänen verwendeten DIN-Normen ständig von den Gemeinden zur Einsichtnahme vorgehalten werden, ggf. in mehreren Exemplaren, um Engpässe bei der Einsichtnahme zu vermeiden. Dass sie zusätzlich zu den Planungsakten der einzelnen Bauleitplanverfahren genommen werden, ist jedenfalls bei vorläufiger Beurteilung dagegen nicht erforderlich."