Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.01.2011, Az.: 7 PA 1/11
Wiedergestattung einer Gewerbeerlaubnis bei Fortbestehen erheblicher Steuerschulden aus der Vergangenheit; Verhältnismäßigkeit einer Gewerbeuntersagung bei drohender lebenslänglicher Gewerbeuntersagung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.01.2011
- Aktenzeichen
- 7 PA 1/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 10177
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0127.7PA1.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 03.12.2010 - AZ: 11 A 3263/09
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs. 1 GewO
- § 35 Abs. 6 S. 1 GewO
- § 166 VwGO
- § 114 S. 1 ZPO
- § 9 Abs. 1 NVwKostG
Fundstellen
- DVBl 2011, 380
- DÖV 2011, 493
- GewArch 2011, 159
- NVwZ-RR 2011, 319-320
Redaktioneller Leitsatz
Im Hinblick auf die Wiedergestattung der Ausübung eines Gewerbes nach § 35 Abs. 6 S. 1 GewO lässt ein Verhalten des betreffenden Antragstellers in der Vergangenheit, das sehr lange zurückliegt und seither durch eine wechselnde Erwerbsbiografie nachhaltig unterbrochen worden ist, nur noch bedingt Schlüsse auf ein zukünftiges gewerbliches Gebaren zu. Insbesondere kann das Fortbestehen auch erheblicher Steuerschulden aus (sehr) alter Zeit nicht schematisch als Begründung der Ablehnung einer Wiedergestattung dienen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht.
Mit Bescheid vom 26. April 1990 untersagte der ehemalige Landkreis Hannover dem Kläger das damals von ihm ausgeübte Gewerbe "Elektroinstallation" sowie die Ausübung aller weiteren Gewerbe wegen steuerlicher Unzuverlässigkeit.
Unter dem 3. März 2009 beantragte der Kläger eine Wiedergestattung des Gewerbes "Unabhängige Gebäudeenergieberatung, Ausarbeitung von Finanzierungsplänen, Baubegleitung", nachdem er offenbar lange Zeit arbeitslos gewesen war und im November 2008 bei der Handwerkskammer Hannover die Prüfung zum Gebäudeenergieberater (HWK) bestanden hatte.
Die Beklagte lehnte den Wiedergestattungsantrag durch Bescheid vom 8. Juli 2009 ab. Dem Kläger fehle noch immer die erforderliche Zuverlässigkeit. Die Rückstände beim Finanzamt seien auf inzwischen über 148.000,00 Euro angestiegen; die letzte Zahlung dort habe er im April 1996 geleistet. Für den Ablehnungsbescheid setzte sie Kosten von 503,09 Euro an, in denen eine Gebühr von 500,00 Euro enthalten ist.
Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Wiedergestattungsbegehren weiter und wendet sich zudem gegen den Kostenbescheid.
Seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Verwaltungsgericht mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss abgelehnt. Die Rechtsverfolgung biete wegen der noch angestiegenen Rückstände beim Finanzamt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch die Höhe der Kosten für den Ablehnungsbescheid bewege sich "noch hinreichend" in dem dafür zur Verfügung stehenden Rahmen.
II.
Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Klägers hat Erfolg. Ihm ist Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Diese wird nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO bewilligt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden. Es reicht in der Regel aus, wenn letztere sich bei summarischer Prüfung als zumindest offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO16, Rn. 8 m.w.N.).
So liegt es hier.
1.
Nach § 35 Abs. 6 S. 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes wieder zu gestatten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Unzuverlässigkeit im Sinne des Absatzes 1 jener Vorschrift nicht mehr vorliegt.
Der Untersagungsgrund der Unzuverlässigkeit aus steuerrechtlichen Gründen, um den es vorliegend geht, entfällt regelmäßig zwar erst dann, wenn der Antragsteller die Rückstände inzwischen abgebaut, Abzahlungsvereinbarungen eingehalten, neue Verpflichtungen erfüllt und keine weiteren Schulden hat auflaufen lassen (Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, Rn. 174 zu § 35 m.w.N.). Es darf jedoch nicht aus dem Auge geraten, dass es bei der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO um den Schutz der Allgemeinheit vor solchen Personen geht, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie ihr Gewerbe (auch) in Zukunft nicht ordnungsgemäß ausüben werden. Das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten dient für diese prognostische Entscheidung als - durchaus starkes - Indiz; nicht soll es durch die Gewerbeuntersagung aber gleichsam bestraft werden.
Dieser Zusammenhang macht deutlich, das ein Verhalten in der Vergangenheit, das sehr lange zurückliegt und seither durch eine wechselnde Erwerbsbiografie nachhaltig unterbrochen worden ist, nur noch bedingt Schlüsse auf ein zukünftiges gewerbliches Gebaren zulässt. Die hier zur seinerzeitigen Gewerbeuntersagung führende Schuldensituation ist vor mehr als 20 Jahren eingetreten. Wenn es zutrifft, dass der Kläger, wie er vorträgt, danach in abhängiger Beschäftigung zu wenig oder wegen Arbeitslosigkeit gar nichts verdient hat und deshalb mit dem Finanzamt keine Abzahlungsvereinbarung schließen konnte, erklärte dies, dass die Rückstände nicht gesunken, sondern durch den fortwährenden Anfall von Säumniszuschlägen sogar stark gestiegen sind. Das kann den Kläger zwar nicht von seiner Verantwortlichkeit für das damalige Entstehenlassen der Steuerrückstände befreien. Es bietet jedoch möglicherweise keinen Grund für den Vorwurf, die Rückstände nicht abgebaut zu haben, und eine daraus gleichsam automatisch abgeleitete Schlussfolgerung, er werde auch als Gewerbetreibender mit Einnahmen sich wieder ohne weiteres steuerrechtswidrig verhalten.
Eine Gewerbeuntersagung ist auch dann nicht mehr rechtmäßig, wenn es inzwischen an der Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit mangelt (Marcks a.a.O.). Insbesondere letzterer Gesichtspunkt ist in den Blick zu nehmen, wenn die Untersagung auf eine gleichsam lebenslängliche hinauszulaufen droht.
Das Fortbestehen auch erheblicher Steuerschulden aus (sehr) alter Zeit kann damit nicht schematisch als Begründung der Ablehnung einer Wiedergestattung dienen. Es wird vielmehr detailliert zu würdigen sein, wie der Kläger sich nach der Gewerbeuntersagung steuerlich und finanziell verhalten hat und welche Schlussfolgerungen daraus für die jetzt von ihm beabsichtigte gewerbliche Betätigung in Bezug auf seine Zuverlässigkeit zu ziehen sind. Zu berücksichtigen dürfte auch sein, dass es sich offensichtlich um einen Ein-Personen-Betrieb handeln wird, für den Waren nicht gekauft zu werden brauchen, der Kläger im Gegenteil mit seiner Dienstleistung in Vorlage treten würde. Ein Erfolg des Wiedergestattungsbegehrens ist danach nicht ausgeschlossen.
2.
Nicht unerhebliche Zweifel bestehen auch an der Rechtmäßigkeit der Gebührenhöhe in Höhe von 500,00 Euro für den Ablehnungsbescheid, so dass die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfebewilligung auch für den Anfechtungsteil der Klage vorliegen.
Bei dem vorliegenden Gebührenrahmen von 88,00 Euro bis 1.940,00 Euro ist nach Aktenlage nicht nachvollziehbar, ob das "Maß des Verwaltungsaufwands für die einzelne Amtshandlung sowie der Wert des Gegenstands" angemessen berücksichtigt worden sind, § 9 Abs. 1 NVwKostG. Auch wenn, wie das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des Urteils des Senats vom 18. März 2004 -7 LB 112/03 - (GewArch 2004, 387) zutreffend ausgeführt hat, die Bemessung nur auf grobe Missverhältnisse überprüfbar ist, müssen die Bemessungsparameter nachvollzogen werden können und plausibel sein. Die Ausführungen im Kostenbescheid der Beklagten dazu fallen nicht nur, wie das Verwaltungsgericht es ausdrückt, "knapp aus", sondern lassen nicht erkennen, weshalb die Ausschöpfung des Rahmens mit gut einem Viertel sowohl vom Aufwand her - mehr als eine Routineanfrage hat die Beklagte im wesentlichen nicht durchgeführt - als auch nach dem Wert des Gegenstands - der Kläger strebt eine gewerbliche Betätigung in voraussichtlich sehr geringem Umfang an - ermessens- und beurteilungsgerecht ist. Die Bedeutung des hier angestrebten Gewerbes lässt eine Orientierung am unteren Rand des Rahmens naheliegend erscheinen, die auch nach dem Maß des Verwaltungsaufwandes keine wesentliche Anhebung des Betrages rechtfertigen dürfte.