Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.2011, Az.: 7 LA 3/11
Differenzierung zwischen den Anforderungen gem. JAR-FCL 1.440 (c) (Prüfer mit der Berechtigung, zur Abnahme von Prüfungen zum Erwerb der Lizenz für Verkehrspiloten auf bestimmten Mustern) und denen gem. JAR-FCL 1.425 (a) (3) S. 3 (Erfahrener Prüfer mit besonderer Anerkennung); Mehrjährige, in jeder Hinsicht unbeanstandet gebliebene Prüfertätigkeit als gesteigerte Anforderung an einen erfahrenen Prüfer mit besonderer Anerkennung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.2011
- Aktenzeichen
- 7 LA 3/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 10176
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0126.7LA3.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 20.04.2009 - AZ: 2 A 34/08
Rechtsgrundlagen
- Art. 5 GG
- § 86 VwGO
- § 124 Abs. 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Zwischen den Anforderungen gemäß JAR-FCL 1.440 (c) (Prüfer mit der Berechtigung, auf bestimmten Mustern Prüfungen zum Erwerb der Lizenz für Verkehrspiloten abnehmen zu dürfen) und denen gemäß JAR-FCL 1.425 (a) (3) Satz 3 (erfahrener Prüfer mit besonderer Anerkennung) ist zu differenzieren. Die Anforderungen an einen erfahrenen Prüfer mit besonderer Anerkennung sind gesteigert und setzen eine mehrjährige, in jeder Hinsicht unbeanstandet gebliebene Prüfertätigkeit voraus.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten, ob die Anerkennungen des Klägers einerseits als Prüfer mit der Berechtigung, auf bestimmten Mustern Prüfungen zum Erwerb der Lizenz für Verkehrspiloten abnehmen zu dürfen, und andererseits als "erfahrener Prüfer mit besonderer Anerkennung", der Prüfer-Prüfungen überwachen darf, zu verlängern sind. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung des erstgenannten Antrags verpflichtet, die weitergehende Klage hingegen abgewiesen.
II.
Die Anträge sind unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 3 und 5 VwGO nicht vorliegen.
1.
Die von beiden Beteiligten geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht.
1.1
Soweit die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht sei ausschließlich von einem Fehlen weiterer Beanstandungen bis zum Ablauf der dem Kläger zeitlich begrenzt erteilten Prüferanerkennung ausgegangen, ist dies ersichtlich nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe darauf abgestellt, das es sich um eine Fehlleistung des Klägers im Einzelfall ohne gravierende Auswirkungen auf die Sicherheit des Luftverkehrs handelt. Es hat bei der Würdigung der Fehlleistung auf die gesamte Zeit abgestellt, in der der Kläger als ATPL(A)-Prüfer tätig war, nicht nur auf den Zeitraum ab Dezember 2006. Es ist nicht erkennbar, inwieweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts der Beklagten eine Prognoseentscheidung nicht möglich sein soll, das gezeigte (einmalige) Verhalten werde sich voraussichtlich nicht wiederholen. Schließlich konnte die Beklage bei der erstmaligen Erteilung einer ATPL(A)-Erlaubnis ebenfalls nicht auf das Verhalten als Prüfer für Verkehrsflugzeugführer abstellen. Die Beklagte wird zu würdigen haben, dass der Kläger sowohl im Verfahren erster Instanz wie auch im Berufungszulassungsverfahren ausdrücklich erklärt hat, künftig der Rechtsauffassung der Beklagten zu den ATPL(A)-Prüfungen zu folgen. Dies dürfte schwerer wiegen als der - im Ergebnis untaugliche - Versuch des Klägers, im gerichtlichen Eil- wie Hauptsacheverfahren durch eigene Interpretation einschlägiger Vorschriften den Verlust der streitgegenständlichen Genehmigungen zu vermeiden, zumal diesen Rechtsansichten durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren nunmehr die Grundlage entzogen worden ist.
1.2
Beide Beteiligte können nicht mit Erfolg geltend machen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht zwischen den Anforderungen gemäß JAR-FCL 1.440 (c) (Prüfer mit der Berechtigung, auf bestimmten Mustern Prüfungen zum Erwerb der Lizenz für Verkehrspiloten abnehmen zu dürfen) und denen gemäß JAR-FCL 1.425 (a) (3) Satz 3 (erfahrener Prüfer mit besonderer Anerkennung) differenziert. Indem beide Beteiligte - mit unterschiedlicher Zielrichtung - eine undifferenzierte Wertung verlangen, setzen sie sich weder mit den angefochtenen Urteilsgründen noch mit den genannten Vorschriften der JAR-FCL auseinander. Schon die Formulierung der JAR-FCL 1.425 (a) (3) Satz 3 zeigt, dass gegenüber den Voraussetzungen zum Erwerb einer Anerkennung gemäß JAR-FCL 1.440 (c) die Anforderungen nochmals gesteigert sind. Wären sie gleich, bedürfte es einer "besonderen" Anerkennung seitens der Beklagten als zuständiger Stelle nicht. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass ein zur Abnahme von ATPL(A)-Prüfungen berechtigter Prüfer ein hohes Maß an Integrität und fachlicher Verlässlichkeit besitzen muss, dies ist aber eben nicht gleichzusetzen mit den Höchstanforderungen, die ein "Prüfer-Prüfer" zu erfüllen hat. Insofern fehlt es in der jeweiligen Zulassungsantragsbegründung an einer Auseinandersetzung mit dem vom Verwaltungsgericht angeführten Umstand, dass die Fehlleistung des Klägers nicht während einer Tätigkeit als Prüfer gemäß JAR-FCL 1.440 (c), sondern als Überwacher nach JAR-FCL 1.425 (a) (3) Satz 3 aufgetreten ist.
1.3
Entgegen der Ansicht des Klägers beruht das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht auf Rechtsanwendungsfehlern. Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger Frau B. als Prüferin "bestimmt" oder sie in seiner Eigenschaft als Flugbetriebsleiter des Unternehmens, in dem der Prüfling Herr Richter, Frau Schilling als Prüferin gemäß JAR-FCL 1.440 (a) und (b) und der Kläger im Dezember 2006 beschäftigt waren, "eingeteilt" bzw. von anderen Diensten "freigestellt" hat. Unstreitig ist, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt keinen Prüfer i.S.d. JAR-FCL 1.030 (c) (2) bestimmt und dem Prüfling mitgeteilt hatte. Die dem Kläger vorzuhaltende Fehlleistung liegt darin, dass der Kläger die Prüfung als "beaufsichtigt und geprüft" bescheinigt hat, ohne sich zu vergewissern, ob alle Voraussetzungen, also auch die zutreffende Bestimmung des Prüfers durch die Beklagte und dessen Identität mit dem tatsächlich eingesetzten Prüfer, vorliegen. Soweit sich der Kläger einlässt, ein Prüfflug zur Erlangung einer Musterberechtigung auf einem Flugzeug mit zwei Piloten könne auch als praktische Prüfung zum Erwerb der ATPL(A)-Lizenz gewertet werden, ist nicht diese mit JAR-FCL 1.295 (b) übereinstimmende Ansicht beanstandet worden, sondern der Umstand, dass die formalen Anforderung der höherwertigen Prüfung ATPL(A) gemäß JAR-FCL 1.030 (c) (2) in dem von der Beklagten beanstandeten Fall nicht eingehalten worden sind. Es liegt auf der Hand, dass bei mehreren miteinander verbundenen Prüfungen die Vorschriften mit den jeweils strengsten Anforderungen anzuwenden sind, um eine Umgehung der strengeren Vorschriften durch eine Kombination von Prüfungen zu umgehen. Dass der Flug an sich nicht gegen luftrechtliche Vorschriften verstieß, ist im Zusammenhang, ob der Kläger in jeder Hinsicht die Gewähr für die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften für die Durchführung praktischer Prüfungen bietet, unerheblich. Auch die Regelungen über den formalen Ablauf eines Prüfungsverfahrens sind solche, für deren fehlerfreie Anwendung ein besonders erfahrener Prüfer zu sorgen hat. Auch der Verweis des Klägers auf ein anderes, ähnliches Prüfungsverfahren ist nicht geeignet, die einschlägige Vorschrift der JAR-FCL für obsolet zu halten. Der vom Verwaltungsgericht festgestellte Verstoß gegen das in den JAR-FCL festgelegte Prüfungsverfahren ist auch nicht durch den Hinweis auf die ihm zustehende Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG abweichend zu bewerten. Dem Kläger bleibt es unbenommen, eine von der der Beklagten abweichende Rechtsmeinung zu haben. Als Prüfer hat er sich bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften allerdings an die von der Beklagten vertretene und vom Verwaltungsgericht bestätigte Auslegung der JAR-FCL zu halten. Seine mehrfach gegebene Zusicherung, dies künftig strikt zu beachten, hat das Verwaltungsgericht u.a. als geeignet angesehen, der Klage teilweise stattzugeben. Zur Durchsetzung des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Anerkennung als erfahrener Prüfer bedarf es indes einer mehrjährigen gleichsam makellosen Ausübung seiner Prüfertätigkeit.
Die höheren Anforderungen, denen ein erfahrener Prüfer genügen muss, und die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger diesen Anforderungen nicht entsprochen hat, sind auch im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtsbedenkenfrei. Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Qualifikation eine Erweiterung der Berufstätigkeit ermöglicht. Sein Interesse, sich neben seiner Tätigkeit als Flugbetriebsleiter und Prüfer weitere Verdienstmöglichkeiten zu erhalten, ist jedoch geringer zu bewerten als das sich aus den JAR-FCL ergebende Ziel, als erfahrener Prüfer mit besonderer Anerkennung nur die Leistungsspitze aller Prüfer auch wegen ihrer Vorbildfunktion für andere Prüfer zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf die rechtliche Würdigung des Nds.OVG in seinem Beschluss vom 12. Dezember 2008 (- 12 ME 288/08 -, BA S. 11) verwiesen, deswegen mangelt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht an einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch das Verwaltungsgericht. Die allein den Flug, nicht aber die geboten gewesene Einhaltung des Prüfungsverfahrens berücksichtigende Argumentation des Klägers genügt nicht, das angefochtene Urteil und mit ihm den Beschluss des 12. Senats vom 12. Dezember 2008 in Frage zu stellen und ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.
2.
Dem Verfahren kommt die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht zu. Die als rechtsgrundsätzlich formulierte Frage, "ob und in welchem Umfang eine zuvor durch eine Behörde zur Ausübung hoheitlicher Rechte berechtigte Person bei nachgewiesenem Fehlverhalten verpflichtet ist, zur Wiedererteilung einer solchen Berechtigung die Beseitigung zutage getretener Defizite nachzuweisen" ließe sich im angestrebten Berufungsverfahren nicht in einer verallgemeinerungsfähigen Weise beantworten. Die Beklagte geht davon aus, dass jeglicher einmalig aufgetretene Fehler es rechtfertigt, gleichsam die Wiederholung einer vor der erstmaligen Erteilung der Berechtigung abgelegten Prüfung zu verlangen. Damit verkennt die Beklagte, dass jedes behördliche Handeln unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit steht, das aber gerade eine Prüfung des Einzelfalls gebietet. Der seitens der Beklagten stets vorgebrachte Hinweis auf die zu schützende Sicherheit des Luftverkehrs, dem letztlich alle luftverkehrsrechtlichen Vorschriften dienen, enthebt die Beklagte (und damit auch den Senat im Fall eines Berufungsverfahrens) nicht, den konkret vorgeworfenen Verstoß ebenso zu gewichten wie die im Übrigen beanstandungsfrei ausgeübte Prüfertätigkeit. Hier ist weder eine konkrete Gefährdung noch eine Beeinträchtigung der Luftverkehrssicherheit festzustellen gewesen, zumal sich die vom Kläger in nicht korrekter Weise festgestellte Eignung des Luftfahrers in der anschließend von der Beklagten veranlassten Prüfung bestätigt hat. All dies sind Fragen des Einzelfalls.
3.
Ein zur Zulassung der Berufung führender Verfahrensmangel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Der Kläger trägt hierzu vor, dass das Verwaltungsgericht seiner Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nicht nachgekommen sei. Die Frage, ob das Verfahren der Vorinstanz an einem Mangel leidet, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu beurteilen, den die Vorinstanz eingenommen hat. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt regelmäßig nicht vor, wenn das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der beigezogenen Verwaltungsvorgänge für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten Beweiserhebungen nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt haben. Daran gemessen hat das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Auf die nach Ansicht des Klägers aufzuklären gewesenen Umstände (Grund für die Besetzung des Cockpits mit Frau B.) kam es nicht an, weil die Nichteinhaltung des in JAR-FCL 1.030 (c) (2) für eine ATPL(A)-Prüfung vorgesehenen Verfahrens vom Kläger hätte erkannt werden müssen (vgl. oben zu 1.3).