Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.2011, Az.: 10 LC 31/09
Erstattung von Kosten einer durch den Landkreis i.R.d. Fachaufsicht ausgeführten Weisung durch das Land im Falle der Aufhebung der Maßnahme durch die Fachaufsichtsbehörde; Maßnahmen nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) als Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.01.2011
- Aktenzeichen
- 10 LC 31/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 10172
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0118.10LC31.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 27.01.2009 - AZ: 7 A 1495/08
- nachfolgend
- BVerwG - 07.12.2011 - AZ: BVerwG 8 B 45.11
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 5 NLO
- § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO
- § 161 Abs. 2 VwGO
- § 1 Abs. 1 NVwVfG
- § 43 Abs. 2 VwVfG
- § 10 Abs. 1 LFGB
- § 10 Abs. 2 LFGB
- § 39 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, 4 LFGB
- § 5 Abs. 5 NGO
Fundstellen
- GK 2011, 269-272
- StoffR 2011, 87
Redaktioneller Leitsatz
Ein Aufheben aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Sinne des § 4 Abs. 5 NLO kommt nicht in Betracht, wenn die betreffende Maßnahme von der der Weisung unterliegenden Behörde - ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde - selbst aufgehoben wird. Ebenso verhält es sich, wenn die der Weisung unterliegende Behörde - ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde - (irrtümlich) die Erledigung der Maßnahme angenommen hat.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung von Kosten, die ihm aufgrund einer fachaufsichtlichen Weisung entstanden sind.
Er ist u.a. für die Überwachung des Verkehrs mit Lebensmitteln nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch zuständig. Bei Proben von Eiern und Geflügel aus den Legehennenfarmen der D. GmbH sowie von Eiprodukten der E. GmbH, die im Bezirk des Klägers genommen worden waren, wurden hohe Konzentrationen von Nikotin und Cotinin - einem Abbauprodukt von Nikotin - in Federn, Eiprodukten und zum Teil in Eiern festgestellt. Daraufhin verbot der Kläger mit Bescheiden vom 31. März 2006 den vorgenannten Gesellschaften, Geflügel, Eier und Eiprodukte aus seinem Bezirk in Verkehr zu bringen. Nachfolgende Proben ergaben, dass sich die Rückstände an Nikotin in den Produkten der o.a. Gesellschaften erheblich verringert hatten, so dass sie den Wert von 0,01 mg/kg nach derRückstands-Höchstmengenverordnung nicht mehr überschritten.
Der Kläger hob daraufhin mit Bescheiden vom 9. Mai 2006 seine Verfügungen vom 31. März 2006 auf, nachdem er zuvor das Nds. Ministerium für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - nachfolgend ML - hierüber unterrichtet hatte. Weiter wies er die o.a. Gesellschaften darauf hin, dass nur Eier oder Eiprodukte in den Verkehr gebracht werden dürften, die weniger als 0,01 mg Nikotin bzw. Cotinin je kg Ei bzw. Eiprodukt enthielten.
Das ML wies den Kläger unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 und 5 NLO durch Erlass vom 22. Juni 2006 an, gegenüber den o.a. Gesellschaften Sperrverfügungen zu erlassen, mit denen gesichert wird, dass Eier und Eiprodukte mit nachweisbaren Gehalten an Nikotin und/oder Cotinin nicht in den Verkehr gebracht werden und Legehennen nicht zur Schlachtung abgegeben werden, wenn in den Federn und/oder Geflügelfleisch Nikotin und/oder Cotinin nachweisbar ist. Der Weisung kam der Kläger mit Bescheiden vom 29. Juni 2006 gegenüber den genannten Gesellschaften nach.
Daraufhin erhoben die genannten Gesellschaften gegen diese Bescheide im Juli 2006 beim Verwaltungsgericht Oldenburg Klagen (Az.: 7 A 3360/06 und 7 A 3662/06). Im April 2007 erklärten die Gesellschaften die Rechtsstreitigkeiten in der Hauptsache für erledigt. Der Kläger schloss sich diesen Erledigungserklärungen ohne Rücksprache mit dem ML unter dem 24. April 2007 an. Das Verwaltungsgericht stellte durch Beschluss vom 2. Mai 2007 die Verfahren ein und hob die Kosten des jeweiligen Verfahrens gegeneinander auf. Auf Antrag der E. GmbH setzte das Verwaltungsgericht Oldenburg durch Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 25. Mai 2007 die vom Kläger zu erstattenden Kosten auf 15.684,- EUR fest.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 21. Juni 2007 an das ML und forderte Erstattung der entstandenen Gerichtskosten. Das ML verneinte unter dem 10. Juli 2007 den geltend gemachten Erstattungsanspruch mit der Begründung, die auf die Weisung hin verfügten Maßnahmen seien weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen aufgehoben worden; eine durch Gericht beschlossene Einstellung eines gegen eine behördliche Verfügung angestrengten Verfahrens beinhalte keine Aufhebung dieser Verfügung.
Der Kläger hat daraufhin am 3. März 2008 Klage erhoben und zu deren Begründung im Wesentlichen geltend gemacht: Der Beklagte sei in entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 5 NLO zur Erstattung der mit der fachaufsichtlichen Weisung verbundenen Kosten verpflichtet. Die Bestimmung sei in Fällen der Erledigung analog anzuwenden. So liege hier eine planwidrige Regelungslücke vor, weil alleiniger Zweck der Bestimmung sei, dass der Beklagte diejenigen Kosten zu erstatten habe, die er durch eine Weisung verursacht habe. In Fällen einer Erledigung eines Verwaltungsakts sei eine Aufhebung desselben nicht möglich. Wollte man eine entsprechende Anwendung der genannten Bestimmung verneinen, hätte dies zur Folge, dass der Beklagte in solchen Fällen niemals Kosten erstatten müsste. Hier hätten sich die Bescheide, die er aufgrund der Weisung erlassen habe, durch Zeitablauf erledigt. Eine Aufhebung wäre nicht mehr möglich gewesen, weil der Verwaltungsakt keinerlei Wirkungen mehr entfaltet habe. Es liege auch eine vergleichbare Interessenlage vor. Durch die Weisung habe der Beklagte die ihm - dem Kläger - entstandenen Kosten adäquat kausal verursacht. Er sei gezwungen gewesen, die Sperrverfügungen gegen die genannten Gesellschaften zu erlassen. Damit sei Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 NLO uneingeschränkt erfüllt. Er habe sich auch der Erledigung nicht verschließen können. Hätte er keine Erledigungserklärung abgegeben, so hätte das Verwaltungsgericht "eine Entscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO" treffen müssen und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt, weil es zu der Feststellung gelangt wäre, der Verwaltungsakt entfalte keine Wirkungen mehr, weil er sich durch Zeitablauf erledigt habe. Eine reine Wortauslegung werde dem Sinn und Zweck der Bestimmung nicht gerecht, die ausdrücklich regele, dass derjenige die Kosten zu tragen habe, der die Maßnahmen durchgesetzt habe. Im Übrigen könne im Falle einer Erledigungserklärung der Klägerseite der Beklagte eines solchen Prozesses keine Hauptsacheentscheidung mehr erreichen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, 15.684,- EUR nebst Zinsen seit dem 30. September 2007 an den Kläger zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen erwidert: Der geltend gemachte Erstattungsanspruch bestehe nicht. Zwar habe der Kläger unter dem 29. Juni 2006 der Weisung entsprechende Verfügungen gegenüber den genannten Gesellschaften erlassen. Diese Bescheide seien rechtmäßig und rechtswirksam gewesen. Der Kläger habe diese auch nicht aufgehoben. Der in § 4 Abs. 5 NLO normierte Erstattungsanspruch sei ausdrücklich auf die Fälle begrenzt, in denen die vom Landkreis getroffene Maßnahme aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen aufgehoben worden sei. In allen anderen Fällen - insbesondere wie hier der Fall der Erledigung der Hauptsache aus anderen Gründen - bestehe keine Erstattungsverpflichtung, sondern trage der zuständige Weisungsempfänger das Kostenrisiko. Dies entspreche auch dem Rechtsgedanken der genannten Bestimmung. Weiter habe für den Kläger die Möglichkeit bestanden, auf Grundlage des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Rechtsmäßigkeit eines erledigten Verwaltungsakts feststellen zu lassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Leistungsklage habe keinen Erfolg. Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs des Klägers nach § 4 Abs. 5 NLO lägen nicht vor. Zwar sei der Kläger unstreitig angewiesen worden, eine lebensmittelrechtliche Verfügung gegenüber der E. GmbH zu erlassen. Diese Verfügung sei aber vom Verwaltungsgericht Oldenburg nicht aufgehoben, sondern vielmehr sei das Verfahren eingestellt worden, nachdem beide Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hätten. Die Voraussetzungen für eine Analogie lägen nicht vor. Zwar möge eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Lücke vorliegen. Eine analoge Anwendung der genannten Vorschrift auf eingestellte Verfahren nach Hauptsacheerledigung scheitere aber daran, dass die Interessenlage in dem gesetzlich geregelten Fall nicht identisch sei mit derjenigen im nicht geregelten Fall. Sinn und Zweck der genannten Regelung könne nur sein, dass ein Landkreis für die Ausführung von Weisungen des Landes nicht mit Kosten belastet werden solle, die er nicht zu vertreten habe. Der Gesetzgeber habe dabei ersichtlich den Fall vor Augen gehabt, dass eine auf Weisung des Landes erlassene Verfügung des Landkreises von einem Verwaltungsgericht aufgehoben werde, weil die Weisung und in der Folge die daraufhin erlassene Verfügung rechtwidrig gewesen sei. Denn eine rechtmäßige Weisung könne einen Erstattungsanspruch nicht auslösen. Die Aufhebung einer Verfügung und der damit verknüpfte Ausspruch der Rechtswidrigkeit könnten nur durch verwaltungsgerichtliches Urteil erfolgen. Hätten beide Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache aber für erledigt erklärt, werde das Verfahren eingestellt, ohne dass noch eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts durch das Gericht erfolgen müsse. Die Rechte des Klägers würden hierdurch nicht unzulässig beschnitten, weil er als Beklagter des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit gehabt habe, der einseitigen Erledigungserklärung zu widersprechen und die Feststellung zu verlangen, dass die Klage vor dem erledigenden Ereignis unbegründet gewesen sei. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ergebe sich zum einen aus einer bestehenden Wiederholungsgefahr und zum anderen aus der Frage der Kostenerstattung nach § 4 Abs. 5 NLO. Zwar hätte das Feststellungsbegehren im Ausgangsverfahren auch nicht zu der von § 4 Abs. 5 NLO vorausgesetzten Aufhebung geführt, jedoch komme für den Fall der festgestellten Rechtswidrigkeit eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 5 NLO in Betracht, weil hier die Interessenlage mit dem gesetzlich geregelten Fall der Aufhebung identisch sei. Hiernach komme es nicht darauf an, ob der Schaden dem Grunde und der Höhe nach durch die fachaufsichtliche Weisung verursacht worden sei; ein Erstattungsanspruch könne nur entstehen, wenn die Verfügung gerade wegen der Rechtswidrigkeit der Weisung aufgehoben oder für rechtswidrig erklärt worden sei.
Gegen das am 4. Februar 2009 zugestellte Urteil führt der Kläger die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene und am 27. Februar 2009 eingelegte Berufung. Dazu trägt er ergänzend im Wesentlichen vor: Ein Kostenerstattungsanspruch scheide entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht deshalb aus, weil er sich ohne streitige Feststellungsklage der Erledigungserklärung der Klägerin des Ausgangsverfahrens angeschlossen habe. Auch in Fällen der Verfahrenseinstellung aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen habe das Gericht bei der nach § 161 VwGO zu treffenden Kostenentscheidung den bisherigen Sach- und Streitstand bis zum erledigenden Ereignis zu berücksichtigen. Insofern unterschieden sich die Fälle, bei denen das Verfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt worden sei, nicht so gravierend von denen, bei denen "Erledigungsfeststellungsanträge" gestellt worden seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine Feststellungswiderklage nicht unproblematisch zulässig. Eine Wiederholungsgefahr sehe er nicht. Dies gelte zumindest nicht im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Erledigung streitgegenständliche Rechtsmaterie bzw. im Verhältnis zur Klägerin des Ausgangsverfahrens. Es sei zweifelhaft, ob eine Wiederholungsgefahr allein aus dem Umstand zu folgern sei, dass sich der Fall einer fachaufsichtlichen Weisung wiederholen könne. Ferner sei zu berücksichtigen, dass bei Eintritt des erledigenden Ereignisses die Rechtslage nicht eindeutig gewesen sei. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt einer Anwaltsforderung in Höhe von ca. 60.000,- bis 70.000,- EUR ausgesetzt gesehen. Mit Blick auf das Risiko, dass ein Feststellungsinteresse im Ausgangsverfahren verneint worden wäre, habe er mit der Abgabe seiner Erledigungserklärung auch zur Kostenminimierung beigetragen. Eine Kostenerstattung nach § 4 Abs. 5 NLO sei auch dann möglich, wenn eine Rechtsprüfung nicht stattgefunden habe. Nach der genannten Bestimmung genüge es, wenn die Maßnahme aus tatsächlichen Gründen aufgehoben worden sei. Nicht gemeint sein könnten die Fälle, in denen die ausführende Behörde selbst oder die anweisende Behörde die betreffende Maßnahme aufhebe. Die "übereinstimmende" Erledigung komme einer tatsächlichen Aufhebung gleich.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Antrag erster Instanz zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertieft sein bisheriges Vorbringen und entgegnet ergänzend: Eine Erledigung führe nicht zu einer entsprechenden Anwendung des § 4 Abs. 5 NLO. Sinn und Zweck der genannten Bestimmung könne nur sein, dass ein Landkreis durch die Ausführung von Weisungen des Landes nicht mit Kosten belastet werden solle, die er nicht zu vertreten habe. Der Gesetzgeber habe dabei ersichtlich den Fall vor Augen gehabt, dass eine auf Weisung des Landes erlassene Verfügung des Landkreises von einem Verwaltungsgericht aufgehoben werde, weil die Weisung und in der Folge die daraufhin erlassene Verfügung rechtswidrig gewesen seien. Diese Auffassung werde durch die Gesetzeshistorie bestätigt. Hiernach komme nach dem Rechtsgedanken des § 4 Abs. 5 NLO eine entsprechende Anwendung der Erstattungsregelung bei übereinstimmender Erledigungserklärung nur in Fällen in Betracht, in denen die Rechtswidrigkeit festgestellt worden sei, woran es hier aber fehle. Der Verweis des Klägers auf § 161 Abs. 2 VwGO führe nicht weiter, weil die vom Gericht zu treffende Kostenentscheidung nicht zu einer eingehenden Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage führen dürfe. Es habe für den Kläger die Möglichkeit bestanden, eine Entscheidung entsprechend§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO über die Rechtmäßigkeit des von ihm erlassenen Verwaltungsakts zu erlangen. Werde ein Feststellungsverfahren nicht betrieben, müsse sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass eine Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bzw. der zugrunde liegenden Weisung nicht festgestellt worden sei. Dann bestehe eine Erstattungsverpflichtung auf Grundlage des § 4 Abs. 5 NLO nicht. Soweit § 4 Abs. 5 NLO einen Kostenerstattungsanspruch auch für die Fälle der Aufhebung der Maßnahme aus tatsächlichen Gründen vorsehe, setze eine solche Aufhebung ein aktives Tun voraus, sei es durch ein Urteil eines Gerichts oder eine Aufhebungsverfügung einer Behörde. Erledige sich eine Verfügung aus tatsächlichen Gründen, bedeute dies nicht zugleich ihre Aufhebung aus tatsächlichen Gründen. Weiter werde die Notwendigkeit der geltend gemachten Kosten bestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten sowie der beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Oldenburg unter den Az. 7 A 3660/08 und 7 A 3662/06, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu. Als Anspruchsgrundlage kommt hier allein § 4 Abs. 5 Niedersächsische Landkreisordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Oktober 2006 - Nds. GVBl. 473, berichtigt Nds. GVBl. 2010, S. 41) - NLO - in Betracht.
1.
Indes liegen die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vor. Diese Vorschrift bestimmt, dass in den Fällen, in denen der Landkreis bei der Erfüllung von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises eine Maßnahme auf Weisung der Fachaufsichtsbehörde getroffen hat und diese Maßnahme aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen aufgehoben wird, das Land dem Landkreis alle notwendigen Kosten zu erstatten hat, die ihm durch die Ausführung der Weisung entstanden sind.
Die genannte Bestimmung ist durch Art. II Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung vom 18. April 1963 (Nds. GVBl. S. 255) eingefügt worden und geht zurück auf die inhaltsgleiche Regelung in§ 72 Abs. 2 Satz 2 der Nds. Gemeindeordnung - NGO - vom 4. März 1955 (Nds. GVBl. S. 55), die sich seit dem 1. Juni 1963 inhaltlich unverändert in § 5 Abs. 5 NGO findet (siehe Art. I Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes vom 18. April 1963).
Zwar hat das ML als zuständige Fachaufsichtsbehörde den Kläger durch Erlass vom 22. Juni 2006 im Sinne einer sachlichen und rechtlichen Direktive angewiesen, die nachfolgend durch Bescheid des Klägers vom 29. Juni 2006 gegenüber der E. GmbH umgesetzte Maßnahme zu treffen; bei dieser Maßnahme nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB - handelt es sich auch um die Wahrnehmung einer Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises, für welche die Landkreise zuständig sind (§ 97 Abs. 1 und 3 Nds. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 2005 - Nds. GVBl. S. 9 - in Verbindung mit § 2 Nr. 5 Verordnung über Zuständigkeiten auf verschiedenen Gebieten der Gefahrenabwehr vom 18. Oktober 1994 - Nds. GVBl. S. 457 -). Jedoch ist diese Maßnahme weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen aufgehoben worden. Dabei ist nicht entscheidend, ob die Aufhebung durch ein Gericht, durch die Aufsichtsbehörde selbst oder auf Weisung oder mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde durch die angewiesene Behörde erfolgt ist (vgl. Beckhof/Slawski/Wehmann, in: Lüersen/Neuffer, NGO - Kommentar, Stand: Mai 1994, § 5 Rdnr. 11; Lindemann, NGO - Kommentar, 1955, § 72 Anm. zu Abs. 2). Hierunter fällt jedoch nicht, wenn die Maßnahme von der der Weisung unterliegenden Behörde - ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde - selbst aufgehoben wird. Einer solchen Möglichkeit stünde entgegen, dass in einem solchen Fall die fachaufsichtliche Weisung weiterhin Bestand hat und die angewiesene Behörde hieran wegen des verbindlichen Charakters einer solchen Direktive und mit Blick auf die innere Einheit der Verwaltung im Bereich des übertragenen Wirkungskreises gebunden wäre (vgl. Thiele, NGO - 8. Aufl. 2007 - § 5 Anm. 5; in diese Richtung OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29. Juli 2009 - 4 L 166/07 -, [...] ). Hier ist der an die E. GmbH gerichtete Bescheid des Klägers vom 29. Juni 2006 weder vom Verwaltungsgericht noch - mit Zustimmung des ML - vom Kläger aufgehoben worden. Da ein Aufheben im Sinne des § 4 Abs. 5 NLO ein zielgerichtetes Beseitigen voraussetzt, stellt auch die vom Kläger - wie noch zu zeigen sein wird irrtümlich - angenommene Erledigung der Verfügung keine Aufhebung derselben dar.
2.
Ob § 4 Abs. 5 NLO in entsprechender Anwendung auch für den Fall der anderweitigen Aufhebung oder der Erledigung auf andere Weise (§§ 1 Abs. 1 NVwVfG, 43 Abs. 2 VwVfG) einen Kostenerstattungsanspruch des angewiesenen Landkreises zu begründen vermag, bedarf hier keiner Entscheidung.
a.
Die (innere) Wirksamkeit der o. a. lebensmittelrechtliche Verfügung ist nicht durch Zeitablauf (auflösende Befristung) oder durch Eintritt einer auflösenden Bedingung aufgehoben worden.
Mit der Verfügung vom 29. Juni 2006 hat der Kläger gegenüber der E. GmbH angeordnet:
"Aus Ihren Betriebsstätten im Landkreis A. dürfen folgende Produkte nicht als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden:- Eier mit nachgewiesenen Gehalten an Nikotin und/oder Cotinin
- Eiprodukte mit nachgewiesenen Gehalten an Nikotin und/oder Cotinin.
Gehalte an Nikotin und/oder Cotinin gelten dabei als nachgewiesen, wenn ein qualitativer Nachweis dieser Stoffe vorliegt, d.h. Nikotin oder Cotinin auch ohne quantitativen Nachweis festgestellt wurden (Nulltoleranz)."
In der Begründung hat der Kläger lediglich auf die Weisung des ML verwiesen und als Rechtsgrundlage § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und 4 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 und 2 LFGB angegeben.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Anordnung und unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenen Begründung und den Begleitumständen ist die Anordnung weder mit auflösender Wirkung befristet oder bedingt gewesen. Die Beteiligten sind deshalb unzutreffend davon ausgegangen, die Anordnung habe sich durch Zeitablauf erledigt.
Eine Erledigung der o.a. lebensmittelrechtlichen Verfügung ist zunächst auch nicht auf andere Weise eingetreten, etwa durch die unschädliche Beseitigung der genannten Produkte oder durch Export dieser außerhalb der Europäischen Union.
Die zur Bestimmung des Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts erforderliche Auslegung desselben richtet sich dabei nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Adressaten oder der erlassenden Behörde. Maßgebend ist entsprechend der Auslegungsregel des § 133 BGB der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 -, BVerwGE 115, 274). Dabei sind auch die Begleitumstände einzubeziehen (BVerwG, Urteil vom 3. März 2005 - BVerwG 2 C 13.04 -, Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 32).
Nach Maßgabe dessen ist die Verfügung des Klägers nicht dahin begrenzt zu verstehen, nur bestimmte, bereits vorhandene Produkte oder Produktchargen würden gesperrt. Mit der Anordnung hat der Kläger gegenüber der betroffenen Gesellschaft verfügt, dass sämtliche bezeichneten Produkte mit nachgewiesenen Gehalten an Nikotin und/oder Cotinin nicht als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden dürfen, unabhängig davon, ob diese im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung bereits hergestellt waren oder erst noch hergestellt werden. Dies wird auch durch die Bezugnahme auf die Regelung in § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 LFGB deutlich, die gerade auf die Verhütung künftiger Verstöße sowie auf den Schutz vor Gefahren für die Gesundheit abzielt. Ferner spricht für diese Auslegung, dass die fachaufsichtliche Weisung des ML darauf abgezielt hat, die Reglementierungen der zuvor vom Kläger durch Bescheid vom 9. Mai 2006 aufgehobenen Sperrverfügung vom 31. März 2006 nach Maßgabe des § 10 LFGB weiter gelten zu lassen. Ein Inverkehrbringen von Lebensmitteln nach Maßgabe des § 9 LFGB unter Hinnahme von Belastungen mit bestimmten Stoffen unterhalb einer jeweils festgelegten Höchstmenge sollte auch für die nach der Feststellung von Nikotin-Belastungen im Frühjahr 2006 hergestellten Erzeugnisse verhindert werden. Dementsprechend bezog sich diese Sperrverfügung - wie insbesondere die Hinweise auf Seite 2 des Bescheides zeigen - sowohl auf vorhandene Produktchargen als auch auf nach Erlass der Verfügung hergestellte Produkte.
b.
Eine Erledigung der Verfügung des Klägers vom 29. Juni 2006 auf andere Weise im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG ist ferner nicht dadurch eingetreten, dass die Beteiligten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburgs den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Dieser Umstand führt allein dazu, dass die Rechtshängigkeit der Klage endet (BVerwG, Beschluss vom 6. August 1987 - BVerwG 3 B 18.87 -, Buchholz 451.54 MStG Nr. 11; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 161 Rdnr. 26, 29; Clausing, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 161 Rdnr. 13 und 17; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 161 Rdnr. 15).
c.
Denkbar ist, dass sich die vorgenannte Verfügung dadurch erledigt haben könnte, dass die Beteiligten des Ausgangsverfahrens im Nachgang auf die Erledigungserklärungen zwischenzeitlich übereinstimmend davon ausgingen, die Verfügung entfalte keine Wirkungen mehr und sei obsolet geworden. Ein Verwaltungsakt verliert seine Wirksamkeit, wenn die an dem Verwaltungsakt Beteiligten übereinstimmend dem Verwaltungsakt keinerlei tatsächliche oder rechtliche Bedeutung mehr beimessen. Dies setzt keinen Verzichtswillen voraus, sondern nur konsensuales Verhalten. Ähnlich dem Verlust der Wirksamkeit durch Zeitablauf, stellen sich die Beteiligten bewusst auf eine neue, veränderte Sachlage ein, die sie ihrem weiteren Verhalten nunmehr zugrunde legen. Die Rechtsordnung hält die Beteiligten nicht an einem früheren Verwaltungsakt fest, wenn die Beteiligten diesen als "erledigt" ansehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1998 - BVerwG 4 C 11.97 -, Buchholz 316 § 43 VwVfG Nr. 10 = NVwZ 1998, 729 [BVerwG 27.03.1998 - 4 C 11/97]).
Selbst wenn nach Maßgabe dessen von einer Erledigung der Verfügung vom 29. Juni 2006 auszugehen wäre, weil der Kläger und die E. GmbH dieser keinerlei tatsächliche oder rechtliche Bedeutung mehr beimäßen, so beruhte dies - soweit es den Kläger betrifft - auf einer Entscheidung, die er einseitig, weil ohne Zustimmung des ML als Fachaufsichtsbehörde getroffen hätte. Dies wäre einer Aufhebung der betreffenden Maßnahme durch die angewiesene Behöre ohne Zustimmung der Fachaufsichtsaufsichtsbehörde gleich zu achten und schlösse einen Kostenerstattungsanspruch nach § 4 Abs. 5 NLO aus.
3.
Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob in analoger Anwendung des § 4 Abs. 5 NLO ein Kostenerstattungsanspruch des angewiesenen Landkreises gegen das Land dann bestünde, wenn ein Verwaltungsgericht in seiner Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO von der Rechtswidrigkeit der angewiesenen Maßnahme ausgegangen ist, nachdem die Beteiligten des gegen diese Maßnahme gerichteten Verfahrens dieses übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten. Insoweit ist denkbar, eine solche verwaltungsgerichtliche Entscheidung wie eine Aufhebung der Maßnahme zu behandeln und dann einen Erstattungsanspruch zuzuerkennen. Indes hat das Verwaltungsgericht Oldenburg in dem Ausgangsverfahren offen gelassen, ob die zugrunde liegende lebensmittelrechtliche Verfügung des Klägers rechtswidrig gewesen sei.