Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.01.2011, Az.: 4 KN 310/10

Zuständigkeit der Sozialgerichte für den Streit eines Trägers der Sozialhilfe um die Zuordnung zu einer Quotenklasse i.R.d. sog. "quotalen Systems" nach den §§ 12 ff. Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (Nds. AG SGB XII)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.01.2011
Aktenzeichen
4 KN 310/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 10171
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0113.4KN310.10.0A

Fundstellen

  • DVBl 2011, 316
  • DÖV 2011, 331

Amtlicher Leitsatz

Bei dem Streit eines Trägers der Sozialhilfe um die Zuordnung zu einer Quotenklasse im Rahmen des sog. "quotalen Systems" nach den §§ 12 ff. Nds. AG SGB XII handelt es sich um eine Angelegenheit der Sozialhilfe, über die nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen seine Zuordnung zur Quotenklasse 10 durch Art. 1 der Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuordnung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zu Quotenklassen vom 7. Januar 2010 (Nds. GVBl. Seite 6).

2

Der Antragsteller ist örtlicher Träger der Sozialhilfe in seinem Gebiet einschließlich des Gebiets der großen selbständigen Stadt A.. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (Nds. AG SGB XII) vom 16. Dezember 2004 (Nds. GVBl. Seite 644) werden die auf der Grundlage des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs entstehenden Aufwendungen von dem überörtlichen Träger und den örtlichen Trägern der Sozialhilfe gemeinsam getragen und nach Quotenklassen verteilt. Das Fachministerium legt durch Verordnung die Quotenklassen in gleichen Schritten von mindestens drei Prozentpunkten fest (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nds. AG SGB XII). Die Zuordnung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zu der für sie maßgeblichen Quotenklasse und Änderungen der Zuordnung erfolgen ebenfalls durch Verordnung des Fachministeriums (§ 14 Abs. 2 Nds. AG SGB XII). Ausgangspunkt der Zuordnung zu den Quotenklassen ist der jeweilige Anteil der Träger der Sozialhilfe an den Aufwendungen in den drei Kalenderjahren vor dem Jahr, für das die Zuordnung erfolgt (§ 14 Abs. 3 Satz 1 Nds. AG SGB XII).

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Für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2009 war der Antragsteller gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 4 und Abs. 4 Nr. 4 der Verordnung über die Zuordnung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zu Quotenklassen vom 19. September 2006 (Nds. GVBl. Seite 451) in der damals jeweils geltenden Fassung der Quotenklasse 9 zugeordnet. Seit dem 1. Januar 2010 ist der Antragsteller gemäß § 1 Abs. 5 Nr. 5 der Verordnung über die Zuordnung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zu Quotenklassen vom 19. September 2006 in der Fassung der eingangs bezeichneten Änderungsverordnung vom 7. Januar 2010 der Quotenklasse 10 zugeordnet.

4

II.

Für den Rechtsstreit um die durch Art. 1 der Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuordnung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zu Quotenklassen vom 7. Januar 2010 erfolgte Zuordnung des Antragstellers zur Quotenklasse 10 ab dem 1. Januar 2010 ist der Verwaltungsrechtsweg nicht zulässig. Vielmehr ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben. Daher ist der Rechtsstreit gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der Beteiligten an das Sozialgericht A. zu verweisen. Das ergibt sich aus Folgendem:

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Das Oberverwaltungsgericht entscheidet nach § 47 Abs. 1 VwGO nur im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit über die Gültigkeit der dort genannten Rechtsnormen. Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über einen Normenkontrollantrag setzt daher voraus, dass für die Streitigkeit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Maßgeblich ist insoweit, ob sich aus der Anwendung der zur Überprüfung gestellten Norm Rechtsstreitigkeiten ergeben können, die in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte nach § 40 VwGO fallen würden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.7.1995 - 7 NB 1/95 -, BVerwGE 99, 88, 96 f.; ferner Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 47 Rn 17 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche anderweitige Zuweisung durch Bundesgesetz besteht im vorliegenden Fall. Bei einer Streitigkeit, die die Anwendung der hier zur Überprüfung gestellten Norm, insbesondere die Verteilung der auf der Grundlage des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches entstehenden Aufwendungen zwischen dem überörtlichen Träger und den örtlichen Trägern der Sozialhilfe nach der zugeordneten Quotenklasse betrifft, handelt es sich nämlich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe, über die nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden. Folglich fällt auch der Rechtsstreit eines Trägers der Sozialhilfe um die Zuordnung zu einer Quotenklasse durch eine auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nds. AG SGB XII erlassene Rechtsverordnung in die sozialgerichtliche Zuständigkeit.

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Der Begriff "Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe" ist schon von seinem Wortlaut her nicht auf Streitigkeiten um die Gewährung von Sozialhilfe beschränkt, sondern erfasst alle Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der Sozialhilfegewährung ergeben (Senatsbeschl. v. 21.6.2005 - 4 OB 193/05 -, NVwZ 2005, 1097). Die Zuständigkeit der Sozialgerichte erstreckt sich daher auch auf Erstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern, die ihre Rechtsgrundlage nicht im SGB XII selbst, sondern in landesrechtlichen Ausführungsgesetzen zum SGB XII haben, zumal diese Regelungen einen engen inhaltlichen Zusammenhang mit den Regelungen des SGB XII über die Leistungsgewährung und die unterschiedlichen Zuständigkeiten hierfür aufweisen (Senatsbeschl. v. 21.6.2005 - 4 OB 193/05, a.a.O.; ferner OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.9.2005 - OVG 6 L 96.05 -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.1.2006 - L 23 B 1080/05 SO -). Die Sozialgerichte sind ebenfalls für Streitigkeiten um die Zuordnung eines Sozialhilfeträgers zu einer Quotenklasse nach Maßgabe des § 14 Nds. AG SGB XII, die für die Verteilung der auf der Grundlage des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs entstehenden Aufwendungen zwischen den Sozialhilfeträgern und die Festsetzung der Ausgleichsbeträge nach § 13 Nds. AG SGB XII maßgeblich ist, sachlich zuständig, weil es sich auch bei derartigen Streitigkeiten, ebenso wie bei Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung der Verordnung über die Zuordnung der öffentlichen Träger der Sozialhilfe zu Quotenklassen ergeben können, um solche in Angelegenheiten der Sozialhilfe handelt. Dies folgt bereits daraus, dass sowohl die für die Zuordnung der örtlichen Sozialhilfeträger zu Quotenklassen als auch die für die Verteilung der Aufwendungen für Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches zwischen dem überörtlichen Träger und den örtlichen Trägern der Sozialhilfe nach Quotenklassen, die auf der Zuordnung der örtlichen Träger zu bestimmten Quotenklassen basiert, maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen im Nds. AG SGB XII enthalten sind und Streitigkeiten nach diesem Gesetz grundsätzlich auch zu den Angelegenheiten der Sozialhilfe im Sinne des§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG gehören.

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Es kommt hinzu, dass die für die Zuordnung zu den Quotenklassen und die für die Kostenaufteilung zwischen den Sozialhilfeträgern nach den §§ 12 bis 14 Nds. AG SGB XII maßgeblichen Vorschriften in einem engen Zusammenhang mit den Regelungen des SGB XII über die Leistungsgewährung und die Kostenerstattung stehen. So bestimmt § 12 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AG SGB XII, dass die Leistungen nach dem SGB XII Aufwendungen im Sinne des § 12 Abs. 1 und der §§ 13 und 14 Nds. AG SGB XII sind und damit nach dem "quotalen System" zwischen dem überörtlichen und den örtlichen Trägern der Sozialhilfe aufgeteilt werden. § 12 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Nds. AG SGB XII nimmt bestimmte, im Einzelnen bezeichnete Leistungen nach dem SGB XII davon wiederum aus, so dass die Vorschriften zum "quotalen System" auch inhaltlich an die unterschiedlichen Leistungsarten nach dem SGB XII anknüpfen. Darüber hinaus ist ein sachlicher Bezug der Regelungen zur Kostenaufteilung im Rahmen des "quotalen Systems" zu den Regelungen desSGB XII dadurch gegeben, dass Kostenerstattungen zwischen den örtlichen Trägern der Sozialhilfe einerseits und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe andererseits im Rahmen des "quotalen Systems" grundsätzlich zu berücksichtigen sind, wobei Kostenerstattungen nach § 108 oder 115 SGB XII und Kostenerstattungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften außerhalb der§§ 106 bis 112 SGB XII allerdings ausgenommen sind (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 Nds. AGSGB XII). Ferner sind der Anteil des Trägers der Sozialhilfe an den im Rahmen des "quotalen Systems" zu berücksichtigenden Aufwendungen in den drei Kalenderjahren vor dem Jahr, für das die Zuordnung des Sozialhilfeträgers erfolgt, sowie die voraussichtliche Entwicklung dieser Aufwendungen für dessen Zuordnung zu einer Quotenklasse maßgeblich (vgl. § 14 Abs. 3 Satz 1 Nds. AG SGB XII). Auch dieser inhaltliche Bezug zu den Regelungen des SGB XII über die Leistungsgewährung und die Kostenerstattung stützt die Auffassung, dass es sich bei dem hier vorliegenden Streit um die durch Rechtsverordnung vorgenommene Zuordnung zu einer Quotenklasse, die Grundlage für die Festsetzung der Ausgleichsbeträge nach § 13 Nds. AG SGB XII ist - ebenso wie bei einer Streitigkeit zwischen Sozialhilfeträgern um die Erstattung von Aufwendungen für die Erbringung von Leistungen nach demSGB XII im Einzelfall - um eine Streitigkeit in "Angelegenheiten der Sozialhilfe" im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG handelt.

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Für die Rechtsauffassung, dass die hier vorliegende Streitigkeit eine "Angelegenheit der Sozialhilfe" im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG darstellt und daher die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist, spricht zudem die Regelung des § 12 Abs. 5 Nds. AG SGB XII. Nach dieser Vorschrift findet eine Kostenerstattung zwischen den örtlichen Trägern der Sozialhilfe einerseits und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe andererseits außerhalb des Kostenausgleichs nach § 12 Abs. 1 Nds. AG SGB XII nur eingeschränkt in den in dieser Vorschrift aufgeführten Fällen statt. Es wäre widersprüchlich, bei Kostenerstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialhilfeträgern die Zuständigkeit der Sozialgerichte anzunehmen, bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Regelungen des landesrechtlichen Ausführungsgesetzes zum SGB XII zum "quotalen System", das auf der Grundlage des § 112 SGB XII die Kostenerstattung zwischen Sozialhilfeträgern modifiziert bzw. einschränkt, hingegen eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit zu bejahen.

9

Schließlich handelt es sich bei dem Streit um die durch Art. 1 der Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuordnung der örtlichen Träger der Sozialhilfe zu Quotenklassen vom 7. Januar 2010 erfolgte Zuordnung des Antragstellers zur Quotenklasse 10 auch nicht um eine Streitigkeit des (allgemeinen) kommunalen Finanzausgleichs wegen besonderer Belastungen durch die Gewährung von Leistungen nach demSGB XII, für die mangels anderweitiger Zuweisung durch ein Bundesgesetz gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.1.2006, a.a.O.). Der Antragsteller wendet sich mit seinem Begehren nicht gegen eine unzureichende Berücksichtigung seiner Ausgabenbelastungen für die Sozialhilfe im Rahmen des allgemeinen kommunalen Finanzausgleichs nach Maßgabe des § 7 des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich vom 14. September 2007 (Nds. GVBl. 2007, 466). Gegenstand seines Begehrens ist vielmehr die Zuordnung zu einer bestimmten Quotenklasse, welche auf Regelungen zum "quotalen System" in dem landesrechtlichen Ausführungsgesetz zum SGB XII beruht. Da es dem Antragsteller um die zutreffende Einordnung in die Quotenklasse und damit um die richtige Anwendung der im Sachzusammenhang mit dem SGB XII stehenden landesrechtlichen Regelungen zum "quotalen System" geht, kann vorliegend eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit auch nicht mit der Begründung bejaht werden, dass der Rechtsstreit im Schwerpunkt grundsätzliche, das landesverfassungsrechtlich verankerte sog. Konnexitätsprinzip (vgl. Art. 57 Abs. 4 Nds. Verf.) betreffende Fragen zum Gegenstand habe, die nicht im Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum SGB XII geregelt seien. Der hier vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich insoweit von dem vom Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht entschiedenen Fall, in dem der Sozialhilfeträger einen Anspruch auf Erstattung sozialhilferechtlicher Kosten gegen das Land Schleswig-Holstein auf der Grundlage des in der Landesverfassung normierten Konnexitätsprinzips im Zusammenhang mit Regelungen des Finanzausgleichs geltend gemacht hatte (VG Schleswig, Urt. v. 3.11.2009 - 7 A 123/08 - mit Entscheidungsbesprechung von Badenhop, NordÖR 2010, 282)

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Die Streitsache ist nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG örtlich zuständige Sozialgericht A. als Gericht erster Instanz zu verweisen. Ein Fall der Zuständigkeit des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen im ersten Rechtszug nach § 29 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.