Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.01.2011, Az.: 4 OB 9/11

Zweckmäßigkeit des Ruhens des Verfahrens vor dem Hintergrund der Prozesswirtschaftlichkeit und der gerichtlichen Prozessförderungspflicht bei der Möglichkeit der Förderung des stillzulegenden Verfahrens durch Maßnahmen außerhalb des Verfahrens in absehbarer Zeit; Zweckmäßigkeit der Ruhensanordnung als der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegender unbestimmter Rechtsbegriff

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.01.2011
Aktenzeichen
4 OB 9/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 10126
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0128.4OB9.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 21.12.2010 - AZ: 11 A 1772/10

Fundstellen

  • DVBl 2011, 649-650
  • NVwZ-RR 2011, 340-341
  • NordÖR 2011, 150-151

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zweckmäßig ist das Ruhen des Verfahrens vor dem Hintergrund der Prozesswirtschaftlichkeit und der gerichtlichen Prozessförderungspflicht dann, wenn Gründe vorliegen, aufgrund derer zu erwarten steht, jedenfalls aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Förderung des stillzulegenden Verfahrens durch Maßnahmen außerhalb des Verfahrens in absehbarer Zeit erfolgen wird.

  2. 2.

    Die Zweckmäßigkeit der Ruhensanordnung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Beschwerdeverfahren nicht der eingeschränkten Überprüfung auf das Vorliegen von Ermessensfehlern, sondern der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt.

Gründe

1

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde der Klägerin und der Beigeladenen gegen die Ablehnung der Ruhensanordnung durch das Verwaltungsgericht ist zulässig und begründet.

2

Gemäß § 251 Satz 1 ZPO hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist.

3

Die Voraussetzungen dieser auf den zivilrechtlichen Parteienprozess zugeschnittenen ("beide Parteien"), nach § 173 VwGO aber auf den Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Regelung liegen hier vor.

4

Die Hauptbeteiligten des Klageverfahrens 11 A 1172/10 haben mit Schriftsätzen vom 6. Dezember 2010 und 7. Dezember 2010 und erneut mit Schriftsätzen vom 16. Dezember 2010 übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens beantragt. Da auch die vom Verwaltungsgericht gemäß § 65 Abs. 1 VwGO dem Verfahren Beigeladenen mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2010 das Ruhen des Verfahrens beantragt haben, kann dahinstehen, ob das Ruhen des Verfahrens die Zustimmung eines im Wege der Beiladung am Verfahren Beteiligten erfordert (zum Erfordernis der Zustimmung des (notwendig) Beigeladenen vgl. den Beschl. des 1. Senats des erkennenden Gerichts vom 21.2.2002 - 1 OB 3332/01 -, NVwZ-RR 2002, 788, m.w.N.).

5

Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens ist vorliegend wegen des Schwebens von Vergleichsverhandlungen auch zweckmäßig. Zweckmäßig ist das Ruhen vor dem Hintergrund der Prozesswirtschaftlichkeit und der gerichtlichen Prozessförderungspflicht dann, wenn Gründe vorliegen, aufgrund derer zu erwarten steht, jedenfalls aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Förderung des stillzulegenden Verfahrens durch Maßnahmen außerhalb des Verfahrens in absehbarer Zeit erfolgen wird (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 23.5.1962 - III B 264/62 -, NJW 1962, 1931; ferner Kreutz/Franz/Maske, Die Ruhensanordnung im Verwaltungsprozess, DVBl. 2006, 221, 222). Eine Förderung des Verfahrens liegt auch in einer Erledigung durch außergerichtlichen Vergleich. Eine realistische Möglichkeit dazu ist hier nach dem Vorbringen der Beteiligten gegeben. Die Beteiligten haben nachvollziehbar dargelegt, dass zwischen der Klägerin und den Beigeladenen derzeit Verhandlungen geführt werden, die aufgrund von erforderlichen Abstimmungen mit verschiedenen Stellen voraussichtlich nicht vor Februar 2011 abgeschlossen werden können, im Fall einer Einigung zwischen der Klägerin und den Beigeladenen jedoch dazu führen werden, dass sich der Rechtsstreit durch Klagerücknahme erledigen wird.

6

Der Zweckmäßigkeit des Ruhens des Verfahrens steht nicht entgegen, dass eine Vereinbarung zwischen der Klägerin und den Beigeladenen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtswidrig sein dürfte. Unabhängig davon, dass der Inhalt der in Aussicht genommenen Vereinbarung derzeit nicht bekannt ist, richtet sich die Zweckmäßigkeit des Ruhens des Verfahrens nach prozessökonomischen Gesichtspunkten. Ein Klageverfahren kann jedoch aufgrund des auch im Verwaltungsprozess geltenden Dispositionsgrundsatzes durch die Beteiligten beendet werden, ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit der außergerichtlichen Vereinbarung, die zur Erledigung des Verfahrens führt, ankommt. Auch der Umstand, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im Falle einer streitigen Entscheidung künftige Konkurrentenklagen wie diejenige der Klägerin vermieden können, ist nicht geeignet, die Zweckdienlichkeit des Ruhens des Verfahrens hier zu verneinen. Entscheidend für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit sind hier die zu erwartenden Auswirkungen der geführten Vergleichsverhandlungen auf das konkrete Verfahren der Beteiligten und nicht die Auswirkungen einer streitigen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht auf weitere mögliche, derzeit jedoch nicht konkret absehbare Verfahren.

7

Liegen die Voraussetzungen für eine Ruhensanordnung nach § 251 ZPO vor, hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift handelt es sich insoweit anders als bei der Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO um eine gebundene Entscheidung. Soweit aus der Verwendung des Wortes "zweckmäßig" im Gesetzestext teilweise abgeleitet wird, dass das Gericht einen Ermessensspielraum bei seiner Entscheidung hat (vgl. BFH, Beschl. v. 20.3.2009 - III B 219/08 - mit Verweis auf den BFH-Beschluss vom 10.1.1995 - IV B 69/94 -, vgl. ferner Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 94 Rn 1), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn die Zweckmäßigkeit der Ruhensanordnung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Beschwerdeverfahren nicht der eingeschränkten Überprüfung auf das Vorliegen von Ermessensfehlern, sondern der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.11.1983 - 1 B 1452/83 -; vgl. insoweit auch Kreutz/Franz/Maske, a.a.O.).

8

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).