Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.01.2011, Az.: 4 LB 257/09

Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei Zusammenleben des zu erziehenden Kindes mit seinen Eltern und seinen Großeltern; Gewährung eines Pflegegeldes zur Sicherstellung des notwendigen Unterhalts eines Kindes außerhalb des Elternhauses bei Zusammenleben des Kindes mit seinen Eltern und seinen Großeltern

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.01.2011
Aktenzeichen
4 LB 257/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 10196
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0113.4LB257.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 21.05.2008 - AZ: 4 A 1681/06
nachfolgend
BVerwG - 01.07.2011 - AZ: BVerwG 5 B 13.11 (5 C 12.11)
BVerwG - 01.03.2012 - AZ: BVerwG 5 C 12.11

Fundstellen

  • DVBl 2011, 314
  • DÖV 2011, 331
  • ZfF 2011, 236

Amtlicher Leitsatz

Lebt ein Kind zusammen mit seinen Eltern oder einem Elternteil bei seinen Großeltern, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und für die Gewährung eines "Pflegegeldes" zur Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Kindes außerhalb des Elternhauses nach §§ 39, 33 SGB VIII nicht vor.

Gründe

1

I.

Die Kläger begehren die Gewährung eines Pflegegeldes nach §§ 39, 33 SGB VIII für den Unterhalt ihres bei ihnen lebendes Enkelkindes.

2

Das am C. 2005 geborene Enkelkind und die am D. 1990 geborene Tochter der Kläger, die die Mutter des Enkelkindes ist, leben im Haushalt der Kläger. Das Amtsgericht Buxtehude hat die Kläger durch Beschluss vom 1. Dezember 2005 zum Vormund für das Enkelkind bestellt.

3

Die Kläger beantragten am 19. April 2006 die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in der Form der Vollzeitpflege für ihr Enkelkind. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19. Mai 2006 mit der Begründung ab, dass die Kläger ihr Enkelkind in ihrem Haushalt betreuten, in dem auch ihre minderjährige Tochter, die Mutter des Enkelkindes, lebe, und daher die Voraussetzungen für die beantragte Hilfegewährung nach den §§ 27, 33 SGB VIII nicht vorlägen. Zwar seien die Kläger als Personensorgeberechtigte anspruchsberechtigt. Es fehle aber das Tatbestandsmerkmal der Hilfe zur Erziehung außerhalb des Elternhauses. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben, wenn die Mutter sich in demselben Haushalt wie das Kind befinde.

4

Die Kläger haben gegen diesen Bescheid am 22. Juni 2006 Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorgetragen haben, dass der beantragten Hilfegewährung nicht entgegen stehe, dass ihr Enkelkind gemeinsam mit seiner Mutter in ihrem Haushalt lebe. Denn die Hilfe zur Erziehung setze voraus, dass eine Erziehung im erforderlichen Umfang anders nicht gewährleistet sei, was hier der Fall sei. Im Übrigen verweise§ 27 SGB VIII nur insbesondere auf die §§ 28 bis 35 SGB VIII. Daraus folge, dass die in diesen Vorschriften genannten Hilfeformen nicht abschließend seien. Es könne bei dieser Verweisung nur um den Regelfall gehen. Im Einzelfall sei hiervon abzuweichen, wenn dies der erforderlichen Hilfegewährung zum Wohle des Kindes diene. Im vorliegenden Fall böten sie - die Kläger-die persönlichen Voraussetzungen für die zu erbringende Erziehung. Sie besäßen eine enge persönliche Bindung zu ihrem Enkelkind. Die Klägerin zu 1. habe bei der Geburt des Kindes ihre Arbeitsstelle aufgegeben, um für ihr Enkelkind da zu sein. Zu berücksichtigen sei auch, dass ihre Tochter, die Mutter ihres Enkelkindes, selbst minderjährig und nicht in der Lage sei, für sich und ihr Kleinkind zu sorgen. In einem solchen Falle könne ein Zusammenleben der betroffenen Generationen den geltend gemachten Anspruch nicht ausschließen.

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Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihnen auf ihren Antrag vom 19. April 2006 Hilfe zur Erziehung in der Form der Gewährung von Pflegegeld für ihr Enkelkind für die Zeit ab dem 19. April 2006 zu bewilligen und den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2006 aufzuheben.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass die hier einschlägigen Vorschriften des SGB VIII voraussetzen, dass die beanspruchte Hilfe außerhalb des Elternhauses erfolge. Zwar könnten auch Großeltern eine sogenannte andere Familie im Sinne von § 33 SGB VIII sein, erforderlich sei aber auch in diesem Falle eine räumliche Trennung von der Herkunftsfamilie. Eine Erziehung durch eine Familie, in deren Haushalt zugleich die Herkunftsfamilie lebe, widerspreche der Zielrichtung der §§ 27, 33 SGB VIII. Danach sei ein örtliches Zusammenfallen von Herkunfts- und Pflegefamilie nicht vorgesehen. Denn die Vollzeitpflege ziele darauf ab, das Kind zu seinem Wohl von der bisherigen Bezugsperson zu trennen, weil diese den erzieherischen Bedarf nicht decken könne. Dies ergebe sich auch aus der Systematik des Gesetzes. Denn der Gesetzgeber habe unterschieden zwischen der ambulanten oder teilstationären Hilfe einerseits, bei der das Kind in der Familie verbleibe, und Hilfen außerhalb des Elternhauses andererseits. Es sei zwar zutreffend, dass das Gesetz keine abschließende Regelung treffe. Es handele sich aber auch nicht um eine Generalklausel, die jede geeignete Maßnahme als Hilfe zur Erziehung zulasse.

8

Das Verwaltungsgericht hat durch das angefochtene Urteil den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2006 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Klägern auf ihren Antrag vom 19. April 2006 Hilfe zur Erziehung in Form der Gewährung von Pflegegeld für ihr Enkelkind ab dem 19. April 2006 zu bewilligen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Kläger einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich der Gewährung von Leistungen zum Unterhalt des Enkelkindes hätten. Dieser Anspruch ergäbe sich aus den §§ 39, 27, 33 SGB VIII. Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII habe ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für die Entwicklung geeignet und notwendig sei. Die Hilfe zur Erziehung werde insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt. Art und Umfang der Hilfe richteten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall. Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege solle nach § 33 Satz 1 SGB VIII entsprechend dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Im Rahmen dieser Hilfe sei nach § 39 Abs. 1 SGB VIII auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicher zu stellen, der auch die Kosten der Erziehung umfasse. Der Anspruch aus § 39 SGB VIII i.V.m. §§ 27 Abs. 1 und 2, 33 SGB VIII stehe als sogenannter Annex-Anspruch zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung dem Personensorgeberechtigten, hier also den Klägern als Vormund zu. Hilfe zur Erziehung setze nach § 27 SGB VIII allgemein und damit auch für die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII voraus, dass ein ungedeckter erzieherischer Bedarf bestehe, weil eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet sei, und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig sei. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Die bei der Geburt des Kindes fünfzehnjährige Tochter der Kläger habe eine dem Wohl ihres Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleisten können, zumal davon auszugehen sei, dass bei ihr selbst noch erzieherischer Bedarf bestanden habe. Die Kläger seien zu einer dem Wohl ihres Enkelkindes entsprechenden Erziehung in der Lage. Die Klägerin zu 1. habe im Hinblick auf dessen Geburt ihre Arbeitsstelle aufgegeben, um sich im gebotenen Umfang um ihr Enkelkind kümmern zu können. § 27 Abs. 2 a SGB VIII, wonach der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch entfalle, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit sei, die Erziehungsaufgabe zu übernehmen, wenn die Erziehung außerhalb des Elternhauses erforderlich sei, schließe einen Hilfeanspruch in der vorliegenden Fallkonstellation nicht zwingend aus. Das SGB VIII gehe bei der Hilfe zur Erziehung in der Form von Vollzeitpflege für den Regelfall davon aus, dass das Kind in seiner Herkunftsfamilie, in der ein nicht gedeckter erzieherischer Bedarf bestehe, aufwachse. Wenn in dieser Situation dem nicht gedeckten Bedarf nicht anders abgeholfen werden könne, als durch die Gewährung von Vollzeitpflege, solle eine Herausnahme des Kindes aus der Herkunftsfamilie und eine vorübergehende Eingliederung in eine Pflegefamilie erfolgen. Die Maßnahme verfolge das Ziel, in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt eine Stabilisierung der Herkunftsfamilie herbeizuführen, die es nach einer gewissen Zeit gestatte, das Kind bei entsprechend geänderten Verhältnissen wieder in die Herkunftsfamilie einzugliedern. Dieser Regelfall liege hier jedoch nicht vor. Denn als das Enkelkind der Kläger geboren worden sei, habe es im eigentlichen Sinne keine Herkunftsfamilie gegeben. Vielmehr sei die Kindesmutter selbst noch ein Kind gewesen und habe der Erziehung bedurft. Eine räumliche Trennung sei hier daher gerade nicht geboten gewesen. Denn die durch die Kläger praktizierte Erziehung solle nicht vorrangig erzieherische Defizite ausgleichen, die in der Persönlichkeit der Kindesmutter begründet seien, sondern ihrem jugendlichen Alter und den daraus resultierenden erzieherischen Schwierigkeiten Rechnung tragen. Würde die Kindesmutter ihre elterliche Wohnung verlassen und sich für die Zeit der Vollzeitpflege ihrer Tochter in einer anderen Wohnung aufhalten, wäre dies für ein gedeihliches Aufwachsen des Kindes möglicherweise eher nachteilig, weil ein späteres Zusammenleben von Mutter und Tochter in einer eigenen Familie gerade beabsichtigt sein dürfte. Allein der Umstand, dass es Hilfeformen gebe, die die räumliche Trennung von Herkunftsfamilie und aufnehmender Familie voraussetzten, besage nicht, dass diese Voraussetzung bei jeder Form der Vollzeitpflege gegeben sein müsse. § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestimme, dass Hilfe zur Erziehung insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt werde. Letztlich setze jede Form der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII allgemein und damit auch für die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII voraus, dass eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende und für seine Entwicklung notwendige Erziehung nicht gewährleistet sei. Die Gründe hiefür seien für die zu gewährende Hilfe letztlich unerheblich. Dem entspreche es, dass der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege grundsätzlich auch nicht voraussetze, dass die Herkunftsfamilie noch vorhanden sei.

9

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 23. September 2009 zugelassene Berufung der Beklagten, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, dass der Wortlaut der §§ 27 Abs. 2 a, 39 SGB VIII verlange, dass eine Erziehung außerhalb des Elternhauses erforderlich bzw. der notwendige Unterhalt außerhalb des Elternhauses sicherzustellen sei. Bei einer Pflege durch die Großeltern liege eine Pflege in einer anderen Familie im Sinne des § 33 SGB VIII nicht vor, wenn die leibliche Mutter mit dem Pflegekind und den Großeltern in einem Haushalt lebe. Dies sei hier der Fall, was die Kläger auch ausdrücklich im erstinstanzlichen Verfahren in ihrem Schriftsatz vom 19. Oktober 2006 bestätigt hätten. Es fände deshalb keine Erziehung außerhalb des Elternhauses statt, weil es keine Trennung zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie gebe. Das Erfordernis einer Erziehung außerhalb des Elternhauses bestehe auch nicht nur für den Regelfall, weil es das vom Verwaltungsgericht angenommene Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht gebe. Eine Stabilisierung der Herkunftsfamilie herbeizuführen, die es nach einer gewissen Zeit gestatte, das Kind bei entsprechend geänderten Verhältnissen wieder in die Herkunftsfamilie einzugliedern, sei vielmehr der alleinige Sinn und Zweck der Regelungen des SGB VIII. Im Übrigen sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass hier keine Herkunftsfamilie im eigentlichen Sinne bestanden habe, unzutreffend, da das jugendliche Alter der Kindesmutter insofern irrelevant sei. Gerade das jugendliche Alter der Kindesmutter begründe hier die erzieherischen Defizite. Da hier jedoch keine räumliche Trennung zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie stattgefunden habe, bestehe der geltend gemachte Anspruch nicht.

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Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 21. Mai 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigen das angefochtene Urteil und verweisen darauf, dass § 27 Abs. 2 a SGB VIII dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen stehe, weil davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber bei Einführung dieser Vorschrift nicht die im vorliegenden Fall gegebenen Probleme gesehen habe. Es bestehe daher insoweit eine ungewollte Regelungslücke. Nach der Gesetzessystematik und Sinn und Zweck, gegebenenfalls auch der Entstehungsgeschichte der Regelung gelte jedoch, dass auch im vorliegenden Fall, in dem die Großeltern als Pflegepersonen, die junge Mutter und ihr Kind unter einem Dach zusammenlebten, die Voraussetzungen für die Gewährung von Jugendhilfe gegeben seien. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die elterliche Sorge der Kindesmutter bis zum Erreichen der Volljährigkeit nach § 1673 BGB geruht habe, was ihrer Ansicht nach zur Folge habe, dass das Kind bereits seit seiner Geburt, spätestens seit der Übertragung des Sorgerechts in einer anderen Familie im Sinne des § 33 SGB VIII gelebt habe. Ferner sei insofern zu beachten, dass ihre Tochter nach der Geburt des Kindes - auch um eine gewisse räumliche Distanz zu diesem zu dokumentieren - in der Regel bei Freunden und Bekannten genächtigt habe, was ihre Tochter bezeugen könne. Es sei auch ratsam, die Vorgänge der Beklagten über ihre Tochter beizuziehen. Die Beklagte habe sie und ihre Tochter nicht ausreichend beraten. Die Klägerin zu 1. wolle über eine Pflegschaft für das Enkelkind die Voraussetzungen für rentenrechtlich anzuerkennende Erziehungszeiten erhalten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

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II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

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Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht für erforderlich hält.

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Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, weil die Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung des von ihnen als Personensorgeberechtigte begehrten "Pflegegeldes" haben, da das Kind mit seiner Mutter und seinen Großeltern, den Klägern, in einem Haushalt gelebt hat und deshalb die Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen "Pflegegeldes" für den notwendigen Unterhalt des Kindes nach § 39 Absätze 1, 2 Sätze 1 und 4 und Absätze 4 bis 6 i.V.m. § 33 Satz 1 SGB VIII nicht gegeben sind.

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Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist in dem Fall, dass Hilfe nach den §§ 32 bis 35 oder nach § 35 a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGB VIII gewährt wird, der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen "außerhalb" des Elternhauses sicherzustellen. Der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen umfasst nach Satz 2 dieser Regelung die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen. Der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf soll nach§ 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch laufende Leistungen gedeckt werden, die nach § 39 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII im Rahmen der Hilfe in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII nach den Absätzen 4 bis 6 des § 39 SGB VIII zu bemessen sind. Unter Elternhaus im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist der Ort zu verstehen, an dem sich der Minderjährige zusammen mit seinen Eltern oder einem Elternteil aufhält und an dem sich Eltern-Kind-Beziehungen entwickeln können (Senatsurteil vom 10.3.1982 - 4 A 89/81-, FEVS 32, 359, 361), wobei es in diesem Zusammenhang entgegen der Auffassung der Kläger ohne Belang ist, ob die Eltern (bzw. der betreffende Elternteil) selbst noch minderjährig sind mit der Folge, dass ihre elterliche Sorge gegenüber dem Kind gemäß § 1673 Abs. 2 BGB ruht (Vermögenssorge) bzw. eingeschränkt ist (Personensorge).§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII regelt die Sicherstellung des Lebensunterhalts eines Kindes oder Jugendlichen, der außerhalb der eigenen Familie erzogen wird und Hilfeleistungen nach den genannten Vorschriften erhält (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu der entsprechenden Regelung des § 38 KJHG vom 1.12.1989, BT-Drucks. 11/5948, S. 75). Bereits § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII setzt demnach voraus, dass das Kind oder der Jugendliche außerhalb der eigenen Familie erzogen wird und deshalb dessen notwendiger Unterhalt außerhalb des Elternhauses sicherzustellen ist.

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Dem entspricht die Unterscheidung zwischen der "Herkunftsfamilie" und der "anderen Familie", wie sie die Vollzeitpflege nach § 33 Satz 1 SGB VIII als hier von den in § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII genannten Hilfen allein in Betracht kommende Hilfeform voraussetzt (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 9.12.2004 - 12 BV 02.1722 -; VG Lüneburg, Urteil vom 19.4.2001 - 4 A 78/98 -; Kunkel, SGB VIII, 3. Aufl., § 33 Rn. 4; Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl., § 33 Rn. 21; Frankfurter Kommentar, SGB VIII, 6. Aufl., § 33 Rn. 5). Denn nach dieser Vorschrift soll die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrem Alter und Entwicklungsstand und ihren persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der "Herkunftsfamilie" eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform "in einer anderen Familie" bieten. Die "andere Familie" ist danach der Gegenpol zu der "Herkunftsfamilie", deren unzureichende Erziehungsbedingungen der Grund für die Hilfe zur Erziehung in einer "anderen Familie" sind (Wiesner, a.a.O., § 33 Rn. 21). Dabei ist "Herkunftsfamilie" die Kernfamilie, aus der der Minderjährige ursprünglich stammt (Frankfurter Kommentar, a.a.O., § 33 Rn. 5) und die von dessen natürlichen Eltern gebildet wird (Mrozynski, SGB VIII, 5. Aufl., § 33 Rn. 10), wobei es auch insofern unerheblich ist, ob diese selbst noch minderjährig sind. Unter Vollzeitpflege ist mithin im Gegensatz zur Kindertagespflege (§ 23 SGB VIII) die Unterbringung und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses bzw. der Herkunftsfamilie zu verstehen (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu der entsprechenden Regelung des§ 33 KJHG vom 1.12.1989, BT-Drucks. 11/5948, S. 71; ferner Kunkel, a.a.O., § 33 Rn. 2). Sie ist die traditionelle Form der Erziehung außerhalb des Elternhauses (Frankfurter Kommentar, a.a.O., § 33 Rn. 2). Dementsprechend regelt auch § 27 Abs. 2 a SGB VIII allein für die Erziehung "außerhalb des Elternhauses", dass der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch entfällt, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen, und wird nach dem oben Gesagten gemäߧ 39 SGB VIII nur in dem Fall der Hilfe "außerhalb des Elternhauses" ein "Pflegegeld" gewährt.

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Lebt das Kind zusammen mit seinen Eltern oder einem (minderjährigen) Elternteil beispielsweise bei seinen Großeltern, liegen daher nach dem klaren Wortlaut der §§ 33, 39 SGB VIII, der Gesetzessystematik und den Gesetzesmaterialien die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach § 33 Satz 1 SGB VIII und für die Gewährung eines "Pflegegeldes" zur Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des Kindes außerhalb des Elternhauses nach § 39 Absätze 1, 2 Sätze 1 und 4 und Absätze 4 bis 6 i.V.m. § 33 Satz 1 SGB VIII nicht vor. Insofern besteht entgegen der Auffassung der Kläger auch kein Grund für die Annahme einer ungewollten Regelungslücke, da die Unterhaltskosten des Kindes nach dem oben Gesagten allein für den Fall, dass das Kind von der Herkunftsfamilie getrennt in einer anderen Familie untergebracht ist, gemäß § 39 Absätze 1 SGB VIII sicher gestellt werden sollen, auch nur in diesem Fall unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik und der Gesetzesmaterialien von einer Vollzeitpflege im Sinne des § 33 Satz 1 SGB VIII gesprochen werden kann und daher nichts dafür ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber den Fall, dass das Kind mit seinen Eltern und Großeltern, also in einer aus drei Generationen bestehenden Familie, zusammenlebt, versehentlich nicht geregelt hat. Ein Anspruch auf Gewährung eines "Pflegegeldes" nach § 39 Absätze 1, 2 Sätze 1 und 4 und Absätze 4 bis 6 i.V.m. § 33 Satz 1 SGB VIII ergibt sich in diesem Fall entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nicht daraus, dass nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII Hilfe zur Erziehung "insbesondere" nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt wird, also neben den in den §§ 28 bis 35 SGB VIII genannten Maßnahmen auch andere Formen der Hilfe zur Erziehung (möglicherweise auch im vorliegenden Fall) in Betracht kommen. Denn dies ändert nichts daran, dass jedenfalls das hier begehrte "Pflegegeld" nach § 39 Absätze 1, 2 Sätze 1 und 4 und Absätze 4 bis 6 i.V.m. § 33 Satz 1 SGB VIII ausschließlich für den notwendigen Unterhalt des Kindes "außerhalb" des Elternhauses gewährt wird und auch die Vollzeitpflege nach § 33 Satz 1 SGB VIII als einer der Fälle, in denen ein Pflegegeld nach § 39 SGB VIII nur bewilligt werden kann, eine Unterbringung des Kindes in einer "anderen Familie" außerhalb der Herkunftsfamilie bzw. des Elternhauses voraussetzt, die nicht vorliegt, wenn das Kind weiterhin mit seinen Eltern oder einem (minderjährigen) Elternteil zusammenlebt.

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Hier hat das Kind zusammen mit seiner zum Zeitpunkt der Beantragung des Pflegegeldes noch minderjährigen Mutter bei den Klägern, den Großeltern des Kindes und Eltern der Kindesmutter, gelebt. Dies haben die Kläger nochmals ausdrücklich in ihrem letzten Schriftsatz vom 12. Oktober 2010 bestätigt, wonach ihr bisheriger Vortrag zu diesem Sachverhalt unverändert gültig sein soll. In ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19. Oktober 2006 hatten die Kläger diesbezüglich erklärt, dass ihre Tochter und ihr Enkelkind in ihrem Haushalt lebten und dass mit der Betreuung des Kindes durch sie "die beste Lösung" gefunden worden sei, "da es dem Kind so möglich ist, von erfahrenen Personen erzogen zu werden und zugleich bei seiner Mutter aufzuwachsen." Soweit die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 23. Februar 2010 erstmals vorgetragen haben, dass ihre Tochter nach der Geburt des Kindes bei Freunden und Bekannten übernachtet habe, um damit auch eine "gewisse räumliche Distanz" zu dem Kind zu "dokumentieren", ändert dies nichts daran, dass die Kindesmutter nach dem eigenen, nochmals bekräftigten Vorbringen der Kläger auch nach der Geburt des Kindes in ihrem Haushalt gelebt, also keinen eigenen Haushalt außerhalb des Elternhauses geführt hat, und dass das Kind "bei seiner Mutter" (und den Klägern) aufgewachsen ist. Deshalb hat hier auch kein Anlass bestanden, die Kläger zu diesem Sachverhalt anzuhören, die Kindesmutter "für die Details" als Zeugin zu vernehmen und die über sie geführten Verwaltungsvorgänge der Beklagten beizuziehen, wie dies die Kläger angeregt haben.

21

Nach allem kann aufgrund des sich aus dem eigenen Vorbringen der Kläger ergebenden Sachverhalts keine Rede davon sein, dass das Kind von seiner Mutter getrennt bei einer anderen Familie untergebracht gewesen ist. Eine Unterscheidung zwischen "Herkunftsfamilie" und "anderer Familie" ist hier daher nicht möglich. Es ist keine Erziehungshilfe in einer "anderen Familie" im Sinne des § 33 Satz 1 SGB VIII geleistet worden. Das Kind, dessen Mutter und die Großeltern haben vielmehr ineiner aus drei Generationen bestehenden Familie in einem Haushalt zusammen gelebt, weil die aufgrund ihres jugendlichen Alters selbst noch erziehungsbedürftige Mutter des Kindes offenbar nicht zu dessen Erziehung in der Lage gewesen und deshalb auch nach der Geburt des Kindes zusammen mit diesem in ihrem Elternhaus verblieben ist. Dementsprechend sind hier auch keine Kosten für den Unterhalt des Kindes "außerhalb des Elternhauses" entstanden, wie dies die Gewährung von "Pflegegeld" gemäß § 39 Absätze 1, 2 Sätze 1 und 4 und Absätze 4 bis 6 i.V.m. § 33 Satz 1 SGB VIII nach dem oben Gesagten voraussetzt.