Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.02.2020, Az.: 1 LC 63/18

Abluftreinigung; Abluftreinigungsanlage; Anlagenart; Außenklimastall; Geruch; Geruchsbelästigung; Geruchsimmission; Geruchsimmissions-Richtlinie; Geruchsvorbelastung; GIRL; Ist-Zustand; Offenstall; Planzustand; Stand der Technik; Verbesserung; Verbesserungsgenehmigung; Vorbelastung; Zwangslüftung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.02.2020
Aktenzeichen
1 LC 63/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 72040
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.02.2018 - AZ: 12 A 7782/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Soll in einem Gebiet, dessen Geruchsbelastung oberhalb der Richtwerte der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) liegt, ein Vorhaben im Rahmen der Vorbelastung zugelassen werden, muss dieses Vorhaben dem Stand der Technik entsprechen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 6 BImSchG; Anschluss an BVerwG, Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = juris Rn. 13).

2. Der Stand der Technik ist auf Anlagen einer bestimmten Art zu beziehen und demzufolge für jede Anlagenart individuell zu bestimmen. Ein Schweinemaststall in Gestalt eines frei belüfteten Außenklimastalls (Offenstalls) stellt gegenüber einem zwangsbelüfteten Stall eine eigenständige Anlagenart dar.

3. Der Stand der Technik bezieht sich auch auf die Aufstellung einer Anlage, also ihre räumliche Ausrichtung an einem bestimmten Standort.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Beklagte aufgrund des Nachbarwiderspruchs des Beigeladenen die dem Kläger zunächst erteilte Baugenehmigung zur Erweiterung eines Schweinemaststalls um 200 Tierplätze aufgehoben hat.

Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke A-Straße bis 8 in A-Stadt (Flurstücke G., H., I., J. und K., jeweils Flur 2 der Gemarkung L.). Auf diesen östlich der M. Straße gelegenen Grundstücken führt er nach der Übernahme des Betriebs von seinem Vater Mitte des Jahres 2014 in mehreren Stallgebäuden auf der Grundlage bestandskräftiger Baugenehmigungen in fünfter Generation einen landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieb. Seit dem Jahr 2004 werden hauptsächlich Mastschweine gehalten.

Der Beigeladene ist seit dem Jahr 2002 Eigentümer des Grundstücks C-Straße mit der Flurstücksbezeichnung N., Flur 1 der Gemarkung L.. Sein

Grundstück, das auf der westlichen Seite der M. Straße dem nördlichen Grundstück des Klägers (M. Straße ) gegenüberliegt, ist mit einem Wohnhaus bebaut und wird von der Innenbereichssatzung der Gemeinde A-Stadt vom 3. Juli 1986 umfasst.

Auf dem westlichen, zur Straße gelegenen Teil des Grundstücks M. Straße betrieb der Vater des Klägers bisher einen Stall (Betriebseinheit 3 = BE 3), der 140 Mastschweine fasste, mit Unterdruck betrieben wurde und die Abluft über 12 m hohe Fortluftschächte emittierte. Dieser Stall liegt ebenfalls im Geltungsbereich der Innenbereichssatzung der Gemeinde A-Stadt. Auf dem östlichen, außerhalb der Innenbereichssatzung liegenden Teil dieses Grundstücks steht ein frei belüfteter Außenklimastall mit 600 Mastschweinplätzen (BE 2). Die westliche Seite dieses Gebäudes ist ca. 110 m vom Wohnhaus des Beigeladenen entfernt. Am südlichen Ende der Hofstelle des Klägers, auf dem Grundstück A-Straße mit der Flurstücksbezeichnung K., steht im westlichen, zur Straße gelegenen Teil ein Stallgebäude mit 35 Milchkuh- und sechs Kälberplätzen (BE 1a) und auf dem östlichen, rückwärtigen Teil ein mit Unterdrucklüftung und 6,5 m hohen Fortluftschächten ausgestattetes 480 Mastschweine fassendes Stallgebäude (BE 4). Südlich an die Hofstelle des Klägers grenzen zwei weitere Landwirtschaftsbetriebe mit genehmigter Schweinemasthaltung. Ein weiterer Schweinemastbetrieb befindet sich südwestlich der Grundstücke des Klägers in ca. 350 m Entfernung.

Unter dem 7. Oktober 2010 beantragte der Vater des Klägers die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau einer Mehrzweckhalle zum Abstellen landwirtschaftlicher Geräte und die Erweiterung des Stalles (BE 2) auf dem Grundstück M. Straße. Nach den Bauvorlagen sollte die Halle die bisherige BE 3 ersetzen. Die BE 2 sollte giebelseitig Richtung Westen um einen über die Traufen bzw. den First belüfteten Außenklimastall (BE 2a) zur Unterbringung von 200 weiteren Mastschweinen erweitert werden; der Abstand zum Beigeladenen reduzierte sich dadurch auf ca. 90 m.

Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens reichte der Vater des Klägers eine gutachterliche Stellungnahme vom 20. Dezember 2010 zur Geruchsbelastung ein. Diese legte zur Berechnung des Ist-Zustands einen Tierbestand von 35 Kühen und sechs Aufzuchtkälbern in der BE 1a, 600 Mastschweinen in der BE 2, 480 Mastschweinen in der BE 4 und 140 Mastschweinen in der BE 3 zugrunde. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass sich die Geruchshäufigkeit am Grundstück des Beigeladenen (Monitorpunkt 1) bei der baulichen Erweiterung des Außenklimastalls (BE 2) um weitere 200 Tierplätze (BE 2a) bei gleichzeitiger Stilllegung der BE 3 mit 140 Tierplätzen und Neubau einer Mehrzweckhalle von 25,2 % auf 24,6 % der Jahresstunden verbessern werde, sofern gleichzeitig die Abluftführung in der BE 4 von zehn auf vier Abluftschächte reduziert und auf 11 m über Grund erhöht werde. Weitere später eingeholte Gutachten kamen bei leicht abweichenden Geruchsstundenanteilen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Bauvorhaben zu einer leichten Verringerung im Verhältnis zur Vorbelastung führen würde.

Der Beklagte erteilte dem Vater des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 20. Juli 2011 die beantragte Baugenehmigung, die neben der Erweiterung des Schweinestalles um 200 Tierplätze und dem Neubau einer Mehrzweckhalle auch den Bau und die Nutzung einer bereits vorhandenen Siloplatte zum Gegenstand hatte. Die Baugenehmigung enthält u. a. folgende Nebenbestimmung:

4. Vor Nutzungsaufnahme des neuen Schweinestalls (Betriebseinheit = BE) BE 2a sind gemäß gutachterlicher Stellungnahme vom 20.12.2010 nachfolgende Maßnahmen bzw. Stilllegungen durchzuführen: - Aufgabe der Schweinehaltung in BE 3 und Bündelung Erhöhung der Abluftkamine auf 11 m über Grund in der BE 4, entsprechend Seite 26 in Verbindung mit Seite 32 der gutachterlichen Stellungnahme. ..."

Kurz nach der Erteilung der Baugenehmigung ließ der Vater des Klägers den Stall BE 3 abreißen.

Die Baugenehmigung wurde dem Beigeladenen mit der Begründung übersandt, dass die Geruchsbelastung ortsüblich und aus diesem Grund - trotz der Überschreitung der Richtwerte der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) - hinzunehmen sei. Zudem würden durch die Verlagerung des Emissionsschwerpunktes Richtung Osten bei lediglich geringfügiger Erhöhung des Tierbestandes um 60 Tierplätze und Umbau der Abluftführung in der BE 4 eine geringere Geruchsbelastung prognostiziert und zugleich die Haltungsbedingungen der Tiere verbessert.

Gegen die Baugenehmigung erhob der Beigeladene unter dem 19. August 2011 Widerspruch, mit dem er wie bereits im Genehmigungsverfahren überhöhte Immissionswerte rügte. Durch die Stilllegung der zwangsgelüfteten BE 3 und den Neubau der BE 2a als Außenklimastall sei keine Verbesserung zu erwarten. Sofern überhaupt eine Verbesserung erfolge, werde diese allein durch die überfällige Modernisierung der Abluftführung in der BE 4 erreicht. Zugleich stellte der Beigeladene einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der in beiden Instanzen Erfolg hatte (VG Hannover, Beschl. v. 4.7.2012 - 12 B 2648/12 -, juris; Senatsbeschl. v. 8.11.2012 - 1 ME 128/12 -, juris). Das Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt, weil die nach dem jüngsten Gutachten vom 8. Juni 2012 zu erwartende Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Beigeladenen, die sich von 27 % auf 26,6 % der Jahresgeruchsstunden nur geringfügig reduziere, diesem nicht zuzumuten sei. Der Beklagte hob daraufhin die Baugenehmigung mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2014 auf, soweit sie die Erweiterung des Stalls BE 2 in Form eines Außenklimastalls vorsah.

Gegen den ihm am 9. Oktober 2014 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 10. November 2014, einem Montag, Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass das Vorhaben zu einer Verbesserung der Geruchsimmissionssituation führe und daher nicht gegen das Rücksichtnahmegebot verstoße. Die Umgebung und auch das Grundstück des Beigeladenen seien landwirtschaftlich geprägt, was sich bei der Frage, welche Geruchsimmissionen auf den genannten Grundstücken hingenommen werden müssten, auswirken müsse. Zudem sei die geplante Erweiterung als Außenklimastall nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -) genehmigungsfähig. Insbesondere sei die Haltung im Außenklimastall entgegen der Auffassung des Beklagten damals wie heute Stand der Technik, wie sich aus sachverständigen Stellungnahmen vom 27. Oktober 2017 und 11. Februar 2018 ergebe.

Der Kläger hat beantragt,

den Abhilfebescheid des Beklagten vom 29. September 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Widerspruch des Beigeladenen gegen die Baugenehmigung vom 20. Juli 2011 zurückzuweisen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er vorgetragen, eine maßgebliche landwirtschaftliche Prägung der Umgebung liege nicht mehr vor. Tatsächlich habe die Wohnnutzung stetig zugenommen. Orientiere man sich an der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, müsse das Vorhaben des Klägers dem Stand der Technik entsprechen. Ein Offenstall, der weder Zwangslüftung noch Filtertechnik vorsehe, entspreche dieser Anforderung nicht.

Der Beigeladene hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er ausgeführt, das Vorhaben des Klägers entspreche nicht dem Stand der Technik. Seine Bestände erreichten fast die Schwelle der Genehmigungsbedürftigkeit nach dem BlmSchG (Planzustand: 1280 Mastschweine, 35 Kühe, 6 Kälber). Für nach dem BlmSchG genehmigungsbedürftige Anlagen verlange der sog. Filtererlass des Landes nicht nur geschlossene Stallungen mit Zwangslüftung, sondern darüber hinaus den Einsatz von Abluftreinigungsanlagen. Zudem entspreche auch die Lagerung der Schweinegülle nicht dem Stand der Technik. Diese erfolge sowohl bei dem bestehenden Gebäudeteil als auch bei der geplanten Erweiterung in einem sog. Reck Slalom-System. Dieses eigentlich für Rindergülle entwickelte System sei für die Schweinegülle nur sehr eingeschränkt geeignet, weil es - anders als die üblichen Schweinegüllesysteme - nicht über ein natürliches Gefälle verfüge und daher die Gefahr der Verstopfung bestehe, wenn die Gülle nicht regelmäßig in Bewegung gehalten werde. Hierzu verfüge das System über eine Rühranlage mit einem elektrischen Mixer, deren Leistung durch die Welle eines Schleppers erhöht werden könne. Die Inbetriebnahme dieser Anlage führe zu erheblichen zusätzlichen Geruchsbelastungen, die im vorliegenden Fall wegen der technischen Mängel statt wie üblich zweimal im Jahr nach seinen Beobachtungen mehrfach monatlich auftrete.

Das Verwaltungsgericht Hannover hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 15. Februar 2018 (- 12 A 7782/17 -, juris) abgewiesen. Trotz der Überschreitung der Immissionsrichtwerte der Geruchsimmissionsrichtlinie komme eine Genehmigung des Vorhabens auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar in Betracht, weil sich die Immissionssituation jedenfalls nicht verschlechtere. Das gelte aber nur, wenn das Vorhaben den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genüge und insbesondere dem Stand der Technik entspreche. Das sei bei der streitigen Stallerweiterung jedenfalls an dem gewählten Standort nicht der Fall. Außenklimaställe müssten quer zur Hauptwindrichtung errichtet werden und frei anströmbar sein, um ein günstiges Emissionsverhalten zu erzielen. Hier solle der Stall dagegen in Ost-Westrichtung längs der Hauptwindrichtung aufgestellt werden, was zu einer weiter reichenden Abluftfahne führe. Bei diesen Gegebenheiten entspreche nur der dem Kläger zumutbare Einbau einer Zwangslüftung dem Stand der Technik.

Mit seiner vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor, der Widerspruchsbescheid sei mit einer fehlerhaften Begründung versehen und damit formell rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht habe außerdem zu Unrecht angenommen, dass sein Vorhaben materiell rechtswidrig sei, weil es nicht dem Stand der Technik entspreche. Das Gericht habe zwei Stalltypen (zwangsbelüftet und Offenstall in der Form des Außenklimastalles) verglichen, die zu unterschiedlichen Anlagentypen gehörten und daher in Bezug auf die Anforderungen des Standes der Technik nicht miteinander verglichen werden dürften. Außerdem habe das Gericht zu Unrecht die Wahl des Standortes in seine Überlegungen einbezogen. Der erforderliche Stand der Technik sei jedoch unabhängig von dem gewählten Standort zu bestimmen. Schließlich seien die Überlegungen des Verwaltungsgerichts zur Hauptwindrichtung zu unbestimmt. Bei allen anderen Windrichtungen als Ost und West dominiere die Queranströmung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 15. Februar 2018 abzuändern und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. September 2014 aufzuheben.

Der Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meinen, das Vorhaben des Klägers entspreche nicht dem Stand der Technik und schließen sich inhaltlich dem erstinstanzlichen Urteil an.

Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage, die gemäß 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zulässigerweise allein gegen den Widerspruchsbescheid vom 29. September 2014 gerichtet ist, zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung abgewiesen. Der Widerspruchsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Entgegen der Ansicht des Klägers begegnet der Widerspruchsbescheid keinen formellen Bedenken. Richtig ist zwar, dass dieser im Jahr 2014 erlassene Bescheid in seiner Begründung (naturgemäß) nicht auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 eingeht. Das ist indes unschädlich. Eine inhaltlich falsche Begründung, an der der Beklagte im Übrigen nicht festhält, stellt keinen formellen Rechtsverstoß dar.

Der Widerspruchsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Der Beklagte hat die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 20. Juli 2011 hinsichtlich der Erweiterung der BE 2 um 200 Schweinemastplätze zu Recht aufgehoben, weil sie insoweit Nachbarrechte des Beigeladenen verletzt. Von dem Vorhaben gehen schädliche Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) in Gestalt von unzumutbaren Geruchsbelästigungen aus, die - bei einer Lage im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und bei einer Lage im Innenbereich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO - der Erweiterung entgegenstehen.

Zur Beurteilung der Frage, welche Geruchsbelästigungen zumutbar sind, orientiert sich der Senat in ständiger Rechtsprechung an den Immissionsrichtwerten der GIRL (Geruchsimmissionsrichtlinie v. 29.2.2008/10.9.2008, Gem. RdErl. v. 23.7.2009, Nds. MBl. 2009, 794). In Dorfgebieten, für die das auch hier zu findende Nebeneinander von Wohn- und landwirtschaftlicher Nutzung prägend ist, sind gemäß Nr. 3.1 GIRL Gerüche in bis zu 15 % der Jahresstunden zumutbar; dieser Wert kann - lässt man die Vorbelastung außer Betracht - im vorliegenden Fall aufgrund der weiterhin bestehenden Prägung des Gebietes durch Tierhaltungsanlagen und der Randlage des Grundstücks des Beigeladenen auf bis zu 20 % der Jahresstunden erhöht werden (vgl. Nr. 5 GIRL und Nr. 1 des Gem. RdErl. v. 23.7.2009; dazu bereits Senatsbeschl. v. 8.11.2012 - 1 ME 128/12 -, juris Rn. 14 ff.). Auch dieser Immissionsrichtwert wird am Grundstück des Beigeladenen ausweislich der gutachterlichen Stellungnahme vom 8. Juni 2012 indes deutlich überschritten (Ist-Zustand: 27 %, Planzustand: 26,6 %).

Auch in einer solchen Situation, die von einer erheblichen Überschreitung der Immissionsrichtwerte geprägt ist, kann ein Vorhaben jedoch weiterhin genehmigungsfähig sein. Der Senat hält an seiner gegenteiligen Rechtsprechung (insbes. Senatsurt. v. 9.6.2015 - 1 LC 25/14 -, BRS 83 Nr. 157 = juris Rn. 20 ff.) nicht weiter fest und schließt sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an. Bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Belästigungen sind danach Vorbelastungen schutzmindernd zu berücksichtigen, die eine schutzbedürftige Nutzung an einem Standort vorfindet, der durch eine schon vorhandene emittierende Nutzung vorgeprägt ist. Im Umfang der Vorbelastung sind Immissionen zumutbar, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet nicht hinnehmbar wären. Soll in einem erheblich vorbelasteten Gebiet ein weiteres emittierendes Vorhaben zugelassen werden, ist das jedenfalls dann möglich, wenn hierdurch die vorhandene Immissionssituation verbessert oder aber zumindest nicht verschlechtert wird, sofern die Vorbelastung die Grenze zur Gesundheitsgefahr noch nicht überschritten hat (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und das - immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftige - Vorhaben den Anforderungen des § 22 Abs. 1 BImSchG genügt (BVerwG, Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = juris Rn. 13 m.w.N.). Auch diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Das Vorhaben des Klägers entspricht - wie das Verwaltungsgericht zu Recht und mit insofern zutreffender Begründung festgestellt hat - nicht dem Stand der Technik mit der Folge, dass vom ihm vermeidbare Geruchsbelästigungen ausgehen (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG).

Gemäß § 3 Abs. 6 BImSchG ist Stand der Technik der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen.

Der Stand der Technik ist - wie aus dem Einleitungssatz der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG folgt - auf Anlagen einer bestimmten Art zu beziehen und demzufolge für jede Anlagenart individuell zu bestimmen. Maßgebliche Anlagenart ist im vorliegenden Fall ein Schweinemaststall mit 200 Mastplätzen, und zwar in der besonderen Bauform eines Außenklimastalls. Diese Bauform stellt gegenüber einem zwangsbelüfteten Stall eine eigenständige Anlagenart dar mit der Folge, dass für sie ein eigenständiger Stand der Technik zu bestimmen ist. Maßgeblich ist insofern, dass ein Außenklimastall eine erheblich artgerechtere Tierhaltung ermöglicht und damit eine gegenüber einem herkömmlichen zwangsbelüfteten Stall andersartige, zum Tierschutz beitragende Produktionsweise darstellt. Derartige Ställe verfügen bei optimaler Anströmung über hohe Luftwechselraten, die zu grundsätzlich geringeren Stalltemperaturen und zu verschiedenen Temperaturzonen im Stall beitragen. Beides wirkt sich auf die Tiergesundheit positiv aus. Außenklimaställe ermöglichen zudem - auch wenn diese Möglichkeit von dem Kläger nicht genutzt wird - die Einrichtung eines Auslaufs ins Freie. Natürliche Belüftung und Auslauf ins Freie sind Voraussetzungen für eine Haltung von Schweinen nach den Regeln der Verordnung (EU) 2018/848 vom 30. Mai 2018 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (EU-Öko-Basis-Verordnung, ABl. L 150/1, hier Nr. 1.6.1. des Anhangs II, Teil II sowie die dazu ergangenen Durchführungsrechtsakte).

Die Annahme, dass ein Außenklimastall eine eigene Anlagenart darstellt, liegt auch Nr. 5.4.7.1 TA Luft zugrunde. Zu den baulichen und betrieblichen Anforderungen enthält die Vorschrift verschiedene Vorgaben für zwangsbelüftete und frei gelüftete Ställe. Zudem wird festgestellt, dass die baulichen und betrieblichen Anforderungen mit den Erfordernissen einer artgerechten Tierhaltung abzuwägen sind, soweit diese Form der Tierhaltung zu höheren Emissionen führt. Das weist darauf hin, dass verschiedene Tierhaltungsformen unter Berücksichtigung von Tierschutzinteressen als eigenständige Anlagenarten einzustufen sind.

Stellt der Außenklimastall daher eine eigenständige Anlagenart dar, ist der Stand der Technik für diese Anlagenart zu bestimmen. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen sowie des Grundsatzes der Vorsorge und der Vorbeugung insbesondere die in der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG genannten Kriterien zu berücksichtigen. Es geht nicht nur um Technologien, sondern umfassend um die Planung und Errichtung, den Betrieb und die Wartung der Anlage (Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 3 Rn. 122). Dabei betrifft der Stand der Technik nie das Ob, sondern allein das Wie des Betriebs. Nicht erfasst wird zudem der Betrieb an einem anderen Standort, da sich der Stand der Technik nicht auf die spezifische Gebietsempfindlichkeit bezieht (Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 3 Rn. 125). Bei der Bestimmung des Standes der Technik ist ein genereller Maßstab anzulegen, für den die Umstände des jeweiligen Einzelfalls keine Rolle spielen (BVerwG, Urt. v. 23.7.2015 - 7 C 10.13 -, BVerwGE 152, 319 = juris Rn. 18).

Daraus folgt, dass bei einem Außenklimastall, dessen Belüftungssystem auf einem freien Luftaustausch durch Öffnungen in den Wänden und/oder dem Dach unter Verzicht auf eine Zwangslüftung beruht, ein Abluftfilter nicht Stand der Technik ist. Ein derartiger Filter setzt eine Kanalisierung des Abluftstroms voraus, die sich in einem Außenklimastall systembedingt nicht erzielen lässt (vgl. BVT-Merkblatt "Beste verfügbare Techniken der Intensivhaltung von Geflügel und Schweinen", Juli 2003, S. 231, abrufbar unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/419/dokumente/bvt_intensivtierhaltung_vv.pdf). Dies führt aber entgegen der Auffassung des Beklagten nicht dazu, dass Außenklimaställe in immissionsvorbelasteten Lagen generell nicht mehr errichtet werden dürfen. Vielmehr kann ein Außenklimastall als solcher dem Stand der Technik entsprechen.

Der Stand der Technik bezieht sich jedoch auch auf die Aufstellung einer Anlage, also ihre räumliche Ausrichtung an einem bestimmten Standort. Er erfasst nach § 3 Abs. 6 BImSchG Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen einer Anlage. Darunter fällt auch die Positionierung einer Anlage auf einem Grundstück; die „Art der Aufstellung“ der Anlage vor Ort ist Teil ihrer Betriebsweise (Kotulla, BImSchG, Stand: September 2017, § 3 Rn. 101).

Ein Außenklimastall ist nur dann nach dem Stand der Technik errichtet, wenn er mit der Firstrichtung quer zur Windrichtung positioniert ist und die Lüftungsöffnungen direkt vom Wind angeströmt werden können. Der Senat nimmt an dieser Stelle auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und die dort aufgeführten Nachweise Bezug. Insbesondere folgt aus der zwar nicht direkt, hier aber nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und insbesondere den Ausführungen der Sachverständigen Barth der Sache nach anwendbaren Nr. 5.4.7.1 lit. d) TA Luft, dass Art und Weise der Abluftführung im Einzelfall an den Bedingungen des Standortes auszurichten sind. Frei gelüftete Ställe sollen möglichst mit der Firstachse quer zur Hauptwindrichtung ausgerichtet und frei anströmbar sein sowie zusätzliche Lüftungsöffnungen in den Giebelseiten aufweisen. Entsprechendes ergibt sich aus dem ebenfalls nicht direkt anwendbaren BvT Merkblatt (vgl. BVT-Merkblatt "Beste verfügbare Techniken der Intensivhaltung von Geflügel und Schweinen", Juli 2003, S. 284, abrufbar unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/419/dokumente/bvt_intensivtierhaltung_vv.pdf). Dort heißt es:

„Freie Lüftung: Um eine ausreichende Funktionssicherheit freier Lüftungssysteme zu gewährleisten, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

- Ausrichtung der Firstachsen quer zur vorherrschenden Windrichtung. Liegen Gebäude in Windrichtung und/oder gegen die Windrichtung von freigelüfteten Ställen, muss gewährleistet sein, dass das Stallgebäude nicht in Zonen mit sehr geringer oder signifikant erhöhter Luftbewegung liegt.“

Das beantragte Vorhaben erfüllt diese Voraussetzung der Aufstellungsweise nach dem Stand der Technik nicht; insbesondere steht es nicht quer zur westlichen Hauptwind, sondern mehr oder weniger parallel dazu. Der Kläger hat zwar angeführt, es herrschten am Standort wechselhafte Windrichtungen. Das erschüttert aber nicht die Gutachtenlage, nach der eine Hauptwindrichtung aus Westen vorhanden ist.

Im Ergebnis wird die für eine möglichst niedrige Geruchsemission optimale Aufstellungsweise verfehlt. Der erkennende Senat geht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die gewählte Aufstellungsweise einerseits die Geruchsentstehung fördert, weil der Stallinnenbereich nicht optimal durch Durchlüftung ausgetrocknet wird und andererseits auch die Abluftfahne bei der gewählten Aufstellungsweise immissionsstärker ist als bei Aufstellung quer zur Hauptwindrichtung. Das führt dazu, dass das Grundstück des Beigeladenen höheren Immissionen ausgesetzt ist, als dies bei einer Aufstellung entsprechend dem Stand der Technik der Fall wäre. Den Anforderungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG ist deshalb nicht genügt, sodass sich das Vorhaben ungeachtet der geringfügigen Verbesserung gegenüber dem Ist-Zustand als nicht genehmigungsfähig erweist.

Der Kläger hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel keinen Erfolg hatte. Die Kosten des Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, da er das Verfahren gefördert und einen Antrag gestellt hat.