Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.03.2021, Az.: 2 LA 331/20

Oberschule; Realschulzweig; Schülerbeförderung; Schülerbeförderungskosten; Schulform

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.03.2021
Aktenzeichen
2 LA 331/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70792
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.06.2020 - AZ: 4 A 185/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 114 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG behandelt mit der Bezugnahme auf § 10a Abs. 2 und 3 NSchG nur die Oberschule mit und die Oberschule ohne gymnasialem Zweig als selbstständige Schulformen.

Bei den dem Schulträger durch § 10a Abs. 2 NSchG eröffneten strukturellen Optionen, in der Oberschule die Haupt- und Realschule als aufeinander bezogene Schulzweige zu führen oder die Oberschule nach Schuljahrgängen zu gliedern, handelt es sich schülerbeförderungsrechtlich nicht um zwei eigenständige Schulformen innerhalb der Schulform „Oberschule“ (vgl. auch Senatsbeschl. v. 6.6.2019 - 2 LA 1630/17 -, NdsVBl. 2019, 330, juris Rn. 6).

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 23. Juni 2020 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 486,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die in A-Stadt/Landkreis B-Stadt wohnhaften Kläger begehren die Erstattung der Kosten der öffentlichen Schülerbeförderung ihres Sohnes F. vom Wohnort in A-Stadt zur Oberschule in G. -Stadt in Höhe von monatlich 40,50 € für das Schuljahr 2018/2019. Der Sohn der Antragsteller besuchte bis zur siebten Klasse das Gymnasium in G. -Stadt und wechselte zum Schuljahr 2018/2019 in die achte Klasse der Oberschule in G. -Stadt. Den Antrag der Kläger auf Übernahme der Kosten der öffentlichen Schülerbeförderung (HVV-Card für Schüler) hat der Beklagte am 9. August 2018 abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage - 4 A 185/18 -, mit der die Kläger beantragt haben,

den Bescheid des Beklagten vom 9. August 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für das Schuljahr 2018/2019 die notwendigen Aufwendungen der Schülerbeförderung ihres Sohnes F. zur Oberschule in G. -Stadt zu erstatten,

hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Juni 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, nach § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG bestehe eine Beförderungs- oder Erstattungspflicht des Beklagten als Träger der Schülerbeförderung nur für den Weg zur nächsten Schule der gewählten Schulform. Dies sei hier die von der Wohnung der Kläger und ihres Sohnes nächstgelegene Oberschule in A-Stadt. Als Schulform im Sinne des § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG gelte zwar nach § 114 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG auch die jeweils gewählte Form der Oberschule nach § 10a Abs. 2 oder § 10a Abs. 3 NSchG. Weder die Oberschule in G. -Stadt noch die Oberschule in A-Stadt unterhielten aber ein gymnasiales Angebot (§ 10a Abs. 3 NSchG), sodass zwischen den Schulen kein Unterschied bestehe. Dass die Oberschule in G. -Stadt anders als die Oberschule in A-Stadt ab der neunten Klasse einen eigenen Realschulzweig führe, lasse nicht den Schluss zu, dass es sich dabei um eine eigene Schulform im Sinne des § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG handele.

II.

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind gegeben, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, juris Rn. 17, u. v. 16.1.2017 - 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19; Senatsbeschl. v. 15.12.2020 - 2 LA 7/20 -, juris Rn. 10, m. w. N.). Solche Zweifel sind nicht erst dann gegeben, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg, denn das Berufungszulassungsverfahren hat nicht die Aufgabe, das Berufungsverfahren vorwegzunehmen (BVerfG, Beschl. v. 16.1.2017 - 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Zweifel an einzelnen entscheidungstragenden Rechtssätzen oder tatsächlichen Feststellungen reichen daher nicht aus, wenn sich das Urteil im Ergebnis aus anderen Gründen als offensichtlich richtig darstellt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9 f.; BVerfG, Beschl. v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 17).

Davon ausgehend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Mit dem Zulassungsantrag machen die Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe die Regelung des § 114 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG, wonach als Schulform im Sinne des § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG auch die jeweils gewählte Form der Oberschule nach § 10a Abs. 2 oder Abs. 3 NSchG gelte, nicht richtig angewandt. Richtigerweise handele es sich auch bei den Oberschulen nach § 10a Abs. 2 NSchG, in denen die Hauptschule und die Realschule als aufeinander bezogene Schulzweige geführt würden und bei den Oberschulen, die nach Schuljahrgängen gegliedert seien, um zwei eigenständige Schulformen im Sinne des § 114 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG. Da es eine nach Schulzweigen gegliederte Oberschule in A-Stadt nicht gebe, sei die nach Schulzweigen gegliederte Oberschule in G. -Stadt die nächstgelegene Schule der gewählten Schulform und mithin die Kosten der Schülerbeförderung erstattungsfähig.

Dieser Vortrag vermag den tragenden Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, wonach § 10a Abs. 2 NSchG nicht zwei eigenständige Schulformen im Sinne des § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG definiert, nicht in Zweifel zu ziehen.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NSchG haben die Träger der Schülerbeförderung die in ihrem Gebiet wohnenden Schülerinnen und Schüler der 1. bis 10. Schuljahrgänge der allgemeinbildenden Schulen unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Diese Beförderungs- und Erstattungspflicht besteht gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG grundsätzlich nur für den Weg zur entfernungsmäßig nächsten Schule der gewählten Schulform (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 30.1.2020 - 2 ME 622/19 -, juris Rn. 7). Der Begriff der Schulform in § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG entspricht demjenigen in § 4 Abs. 1 Satz 2 NSchG und § 5 Abs. 2 NSchG (vgl. Senatsurt. v. 14.11.2018 - 2 LC 1768/17 -, NdsVBl. 2019, 191, juris Rn. 22 ff., m.w.N.). Für den Bereich der Schülerbeförderung bestimmt § 114 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG zudem, dass als Schulform im Sinne des § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG auch die jeweils gewählte Form der Oberschule nach § 10a Abs. 2 oder 3 NSchG gilt. Bei den dem Schulträger durch § 10a Abs. 2 NSchG eröffneten strukturellen Optionen, in der Oberschule die Haupt- und Realschule als aufeinander bezogene Schulzweige zu führen oder die Oberschule nach Schuljahrgängen zu gliedern, handelt es sich nicht um zwei eigenständige Schulformen innerhalb der Schulform „Oberschule“ (vgl. Senatsbeschl. v. 6.6.2019 - 2 LA 1630/17 -, NdsVBl. 2019, 330, juris Rn. 6). Eine Schulform ist - wie auch die Begriffsdefinition der Oberschule in § 10a Abs. 1 NSchG zeigt - regelmäßig durch ihre Zugangsvoraussetzungen, ihren pädagogischen Inhalt und Bildungsauftrag und ihren Abschluss geprägt. Diese Anforderungen erfüllen die durch § 10 Abs. 2 NSchG eröffneten strukturellen Optionen nicht. Die Norm differenziert in den Absätzen 2 und 3 lediglich zwischen der Oberschule mit und ohne gymnasialen Zweig. Nur die Oberschule mit und die Oberschule ohne gymnasialen Zweig behandelt § 114 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG fahrkostenrechtlich als selbstständige Schulformen (vgl. Senatsbeschl. v. 6.6.2019 - 2 LA 1630/17 -, NdsVBl. 2019, 330, juris Rn. 6). Das entspricht auch den unterschiedlichen Abschlüssen, die an der Oberschule mit bzw. ohne gymnasiales Angebot erworben werden können und trägt zudem der Systematik des Schülerbeförderungsrechts des Niedersächsischen Schulgesetzes Rechnung, nach der die Beförderungs- und Erstattungspflicht - wie § 114 Abs. 3 Satz 1 NSchG zum Ausdruck bringt - schulformbezogen ausgestaltet ist und es auf weitere Differenzierungen nur ausnahmsweise und kraft besonderer gesetzlicher Anweisung (etwa § 114 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 5 und 6 NSchG) ankommt. § 114 Abs. 3 NSchG korrespondiert insofern mit dem schulformbezogenen Wahlrecht der Eltern aus § 4 Abs. 1 Satz 2, § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG (vgl. Senatsurt. v. 14.11.2018 - 2 LC 1768/17 -, juris Rn. 22, Urt. v. 6.5.2013 - 2 LB 151/12 -, NdsVBl. 2013, 340, NordÖR 2014, 239 [OVG Niedersachsen 14.05.2013 - 2 LB 151/12], juris Rn. 45). Aus fahrtkostenrechtlichen Gründen soll sich kein Schüler gehindert sehen, eine Schule der Schulform seiner Wahl zu besuchen (vgl. dazu Senatsurt. v. 14.11.2018 - 2 LC 1768/17 -, NdsVBl. 2019, 191, juris Rn. 22 ff., Beschl. v. 6.6.2019 - 2 LA 1630/17 -, NdsVBl. 2019, 330, juris Rn. 7).

Zu Recht weist das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung zu dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes vom 10. Februar 2015 (LT-Drs 17/2882) auch darauf hin, dass die Ansicht der Kläger der mit der gesetzlichen Änderung des § 114 NSchG verfolgten finanziellen Entlastung der Träger der Schülerbeförderung entgegenliefe (vgl. LT-Drs. 17/2882, S. 37). Dafür, dass § 10a Abs. 2 und 3 NSchG nur die Oberschule mit und ohne gymnasialem Zweig jeweils als „eine“ Schulform im Sinne des § 114 Abs. 3 NSchG betrachtet, spricht schließlich auch die amtliche Begründung zu dem Gesetz zur Neuordnung der Schulstruktur in Niedersachsen vom 8. Dezember 2010, mit dem die Oberschule als neue Schulform eingeführt wurde (vgl. LT-Drs. 16/3155, S. 10, A. Allgemeiner Teil, I. Anlass und Ziel -). Auch dort wird ausgeführt:

„Die neue Schulform Oberschule wird ab dem fünften Schuljahrgang mit zwei Angebotsprofilen eingeführt. Sie kann mindestens zweizügig - ohne gymnasialen Schulzweig - und mindestens dreizügig - mit gymnasialem Schulzweig - geführt werden.“

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG und berechnet sich nach dem Jahresbetrag der Kosten der Schülerbeförderung im Schuljahr 2018/2019, auf dessen Erstattung die mit der Klage begehrte Verpflichtung der Beklagten gerichtet ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).