Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.03.2021, Az.: 1 LA 90/20

Absperrung; baufällig; Baustelle; Betreten; Betretensverbot; Einfriedung; Einsturzgefahr; Gebäude; Gefahr; Gefahrenquelle; Grundstück; Hausfriedensbruch; Jugendliche; Kind; Kinder; Minderjährige; Schilder; Sicherung; Sicherungsmaßnahmen; Straftat; unbefugt; Verkehrssicherungspflicht; Warnschild

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.03.2021
Aktenzeichen
1 LA 90/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70839
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 10.12.2019 - AZ: 4 A 3179/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. § 16 Abs. 1 NBauO begründet eine öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht, die neben die zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten unter anderem aus § 823 Abs. 1 BGB tritt, sich ihrem Inhalt nach aber an diesen nach ihrer Schutzrichtung gleichlaufenden Pflichten orientiert.

2. Die Reichweite der öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht hängt von Art und Beschaffenheit der Gefahrenquelle sowie dem Umfang und den möglichen Folgen der drohenden Gefahren ab; auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen.

3. Bei ungenutzten Grundstücken und Gebäuden, auf denen der Eigentümer einen Verkehr weder eröffnet noch duldet und die keine außergewöhnlichen Gefahrenquellen bergen, ist es grundsätzlich ausreichend, dass der Eigentümer Warn- und Verbotsschilder aufstellt und das Grundstück erforderlichenfalls einfriedet, um es gegen unbefugtes Betreten zu sichern.

4. Weitergehende Maßnahmen können erforderlich sein, wenn ein ungenutztes Grundstück oder Gebäude für Minderjährige einen besonderen Anreiz bietet und mit einem Betreten verbundene Gefahren für diese nicht ohne weiteres erkennbar sind.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 10. Dezember 2019 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 225.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Verfügung zur Sicherung eines denkmalgeschützten baufälligen Industriegebäudes durch einen Wachdienst gegen unbefugtes Betreten.

Die Klägerin ist Eigentümerin des ehemaligen Geländes der C. AG in D. -E.. An seinem Südrand ist das zur Wohnbebauung vorgesehene Gelände mit mehreren ehemaligen Fabrikgebäuden bebaut, die erheblich baufällig und in Teilen einsturzgefährdet sind. Im Inneren befinden sich zahlreiche Gefahrenquellen wie ungesicherte Treppen, Fenster- und Maueröffnungen, Gruben und Schächte. Die Gebäude stehen in Teilen unter Denkmalschutz.

Zu den markanten und weithin sichtbaren Gebäuden verschafften sich regelmäßig Dritte unbefugten Zutritt, obwohl die Klägerin sich bemühte, dies unter anderem durch das Aufstellen von Bauzäunen, das Blockieren von Zugängen, das Aufschütten eines Erdwalls und das Anbringen von Verbotsschildern zu verhindern. Die Sicherungen wurden immer wieder von Unbekannten zerstört. Auf dem Gelände kam es deshalb regelmäßig zu Polizeieinsätzen; dennoch erlitten mehrere Menschen aufgrund von Abstürzen den Tod bzw. schwerste Verletzungen.

Die Beklagte verlangte von der Klägerin aus diesem Grund eine weitergehende Gebäudesicherung. Mit bestandskräftiger Verfügung vom 23. März 2018 ordnete sie an, alle Gebäudeöffnungen lückenlos zu verschließen; dem kam die Klägerin jedoch nicht nach. Mit der hier angegriffenen weiteren Verfügung vom 6. Juli 2018 ordnete sie daraufhin an, das Gebäude durch einen aus mindestens drei Personen bestehenden und rund um die Uhr vor Ort anwesendem Sicherheitsdienst bewachen zu lassen, um den Zugang zu den Gebäuden zu unterbinden. Zur Begründung verwies sie insbesondere darauf, dass die Gebäude einen beliebten Treffpunkt von Minderjährigen darstellten, die die Gefahren nicht richtig einschätzen könnten. Weniger einschneidende Maßnahmen hätten nicht den gewünschten Erfolg erbracht bzw. seien nicht durchgeführt worden. Zudem drohte sie die Ersatzvornahme an und vollzog diese, nachdem die Klägerin der für sofort vollziehbar erklärten Verfügung ebenfalls nicht nachkam. Der Sicherheitsdienst war bei monatlichen Kosten in Höhe von rund 45.000 EUR von Ende Juli bis Ende Dezember 2018 tätig; der Einsatz endete mit dem Abriss eines Gebäudes sowie dem vollständigen Verschließen der Zugänge ebenfalls im Wege der Ersatzvornahme. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2019 zurück.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Urteil vom 10. Dezember 2019 abgewiesen. Die Klägerin sei als Eigentümerin für den Zustand der Gebäude verantwortlich und ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Eine solche bestehe gegenüber Unbefugten, die Verbots- und Warnschilder missachteten, zwar nur in Ausnahmefällen. Etwas anderes gelte aber gegenüber Kindern, die von den Ruinen angezogen würden und deren Gefahren nicht richtig einschätzen könnten. Ihnen gegenüber seien weitergehende Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Die Anordnung sei auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere stelle die von der Klägerin vorgeschlagene Kameraüberwachung kein milderes Mittel dar, weil Unbefugte mangels unmittelbarer Präsenz auf dem Grundstück nicht davon abgehalten werden könnten, das ohne Schwierigkeiten zugängliche Gebäude dennoch zu betreten und sich den Gefahren auszusetzen.

Dagegen richtet sich die Klägerin mit ihrem auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Berufung. Solche Zweifel setzen voraus, dass es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Urteils mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Das ist der Klägerin nicht gelungen; der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die auf § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO gestützte Verfügung frei von Rechtsfehlern ist.

Ohne Erfolg meint die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sie als Eigentümerin eine Verantwortlichkeit gegenüber widerrechtlich in das Gebäude eindringenden Personen trage. Ihre Zustandsverantwortlichkeit sei dadurch unterbrochen, dass sich Dritte bewusst und vorsätzlich über Sicherungen, Verbote und Warnungen hinwegsetzten und sich daher in eigener Verantwortung gefährdeten. Es fehle daher an der erforderlichen unmittelbaren Verursachung der Gefahr durch den Zustand des Gebäudes. Dass auch Kinder, gemeint seien wohl solche im Alter von unter 14 Jahren, in das Gebäude eingedrungen seien, sei nicht belegt. Diese Ausführungen überzeugen nicht.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Verwaltungsgericht die Verantwortlichkeit der Klägerin auf § 56 Satz 1 NBauO gestützt. Danach sind die Eigentümer dafür verantwortlich, dass Anlagen und Grundstücke dem öffentlichen Baurecht entsprechen. Dieser Verantwortung hat die Klägerin - auch das hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt - nicht genügt. Der baufällige und zugleich nicht hinreichend gesicherte Zustand der Gebäude widerspricht dem Gebot des § 3 Abs. 1 Satz 1 NBauO. Bauliche Anlagen müssen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass die öffentliche Sicherheit, insbesondere Leben und Gesundheit, sowie die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere nicht gefährdet werden. Bauliche Anlagen sowie Verkehrsflächen in baulichen Anlagen und auf dem Baugrundstück müssen insbesondere gemäß § 16 Abs. 1 NBauO verkehrssicher sein. Diese Bestimmung begründet eine öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht, die neben die zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten unter anderem aus § 823 Abs. 1 BGB tritt, sich ihrem Inhalt nach aber an diesen nach ihrer Schutzrichtung gleichlaufenden Pflichten orientiert. Verkehrssicherungspflichten bestehen gegenüber allen Bewohnern und sonstigen Benutzern einer baulichen Anlage sowie gegenüber allen sonstigen Teilnehmern am Verkehr auf dem Baugrundstück sowie innerhalb und im Umfeld der baulichen Anlage.

In welchem Umfang diesen Personen gegenüber Verkehrssicherungspflichten bestehen, lässt sich dort, wo nicht besondere Rechtsvorschriften Vorgaben zur Bauausführung und Beschaffenheit baulicher Angaben machen, nicht in allgemein gültiger Weise bestimmen. Die Reichweite der Verkehrssicherungspflicht hängt vielmehr von Art und Beschaffenheit der Gefahrenquelle sowie dem Umfang und den möglichen Folgen der drohenden Gefahren ab; auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu berücksichtigen. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst vor diesem Hintergrund diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. zuletzt etwa BGH, Urt. v. 19.1.2021 - VI ZR 194/18 -, juris Rn. 8 m.w.N., stRspr.).

Bei ungenutzten Grundstücken und Gebäuden, auf denen der Eigentümer einen Verkehr weder eröffnet noch duldet und die keine außergewöhnlichen Gefahrenquellen bergen, ist es vor diesem Hintergrund grundsätzlich ausreichend, dass der Eigentümer Warn- und Verbotsschilder aufstellt und das Grundstück erforderlichenfalls einfriedet, um es gegen unbefugtes Betreten zu sichern. Wer Schilder missachtet und eine Einfriedung überwindet, handelt in der Regel auf eigene Gefahr.

Weitergehende Anforderungen gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Deliktsrecht, die auf das hier zur Prüfung stehende Bauordnungsrecht zu übertragen ist, allerdings gegenüber Kindern (im Sinne von Minderjährigen, vgl. § 2 BGB und näher Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 488). Ein Grundstückseigentümer darf sich nicht darauf verlassen, dass sich Kinder nicht unbefugt in einen Gefahrenbereich begeben, wenn dieser besonderen Anreiz für den kindlichen Spieltrieb bietet und damit verbundene Gefahren für ein Kind nicht ohne weiteres erkennbar sind. Vielmehr muss jeder Grundstückseigentümer wirksame Schutzmaßnahmen ergreifen, um Kinder vor den Folgen ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen, wenn ihm bekannt ist oder sein muss, dass sie sein Grundstück zum Spielen benutzen, und die Gefahr besteht, dass sie sich an den dort befindlichen gefährlichen Gegenständen zu schaffen machen und dabei Schaden erleiden können. An die Pflicht zur Gefahrenabwehr sind umso strengere Anforderungen zu stellen, je größer der Anreiz ist, den die vom Sicherungspflichtigen geschaffene oder unterhaltene Gefahrenquelle auf Kinder ausübt, und je weniger diese selbst in der Lage sind, die für sie bestehenden Gefahren zu erkennen (vgl. BGH, Urt. v. 19.1.2021 - VI ZR 194/18 -, juris Rn. 11 m.w.N., stRspr.).

Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht dadurch genügt hat, dass sie die Gebäude eingezäunt oder anderweitig abgegrenzt, einzelne Zugänge versperrt und Warn- und Verbotsschilder aufgestellt hat. Von den Gebäuden ging - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - ein besonderer Anreiz für Kinder und Jugendliche aus, ohne dass die drohenden Gefahren für diese in einer Weise erkennbar waren, dass sie wirksam von einem Betreten abgehalten wurden.

Hinsichtlich des besonderen Anreizes hat das Verwaltungsgericht auf die Lage der Gebäude im dicht besiedelten innerstädtischen Gebiet und an stark frequentierten Naherholungsflächen, seine gute Erreichbarkeit, die einfache Zugänglichkeit und den Anschein eines „leicht erreichbaren und attraktiven Abenteuerspielplatzes“ abgestellt. Das trifft uneingeschränkt zu. Die markanten Bauwerke, die als Ruinen weithin sichtbar sind, das weitläufige umgebende Freigelände und die vielfältige Innenausstattung mit Treppen, Gruben und großen Hallen stellen weitere Faktoren dar, die Kinder und Jugendliche anziehen und sie verleiten, das Gebäude ohne Rücksicht auf die erheblichen Gefahren für Leib und Leben zu betreten und zum Spielen sowie zur sonstigen Freizeitgestaltung zu nutzen. Der „Reiz des Verbotenen“ mag dabei eine weitere Rolle spielen, solange ein Betretungsverbot nicht effektiv überwacht und durchgesetzt wird. Aufgrund dieser Sachlage war mit einem Betreten durch Kinder und Jugendliche in erheblichem Umfang schon nach allgemeiner Lebenserfahrung sicher zu rechnen; die von der Beklagten vorgelegten Polizeiberichte bestätigen diesen Befund.

Ohne Erfolg wendet die Klägerin dagegen ein, die Anwesenheit von Kindern sei nicht ausreichend aufgeklärt. Unter Kindern seien in Anlehnung an das Strafrecht nur Personen zu verstehen, die weniger als 14 Jahre alt seien; zu deren Anwesenheit gebe es in den Polizeiberichten keine ausreichenden Feststellungen. Das überzeugt aus zwei Gründen nicht.

Erstens übersieht die Klägerin, dass die strafrechtlichen Altersgrenzen für die zivilrechtliche Rechtsprechung zu den Verkehrssicherungspflichten keine Geltung beanspruchen. Im Zivilrecht gilt vielmehr § 828 BGB, der bei Minderjährigen, die das siebente Lebensjahr vollendet haben, auf die Einsichtsfähigkeit abstellt. Der Vertrauensgrundsatz gilt daher gegenüber Minderjährigen generell nur eingeschränkt (Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 488), ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um „Kinder“ oder „Jugendliche“ handelt. Diese Wertung ist auf die hier maßgebliche öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht übertragbar; davon ist auch das Verwaltungsgericht erkennbar ausgegangen.

Zweitens lässt die Klägerin unberücksichtigt, dass die Beklagte bei Erlass ihrer Anordnung eine Prognose anzustellen hatte, mit welchen Gefahren zu rechnen war. Dabei ist das bisherige Geschehen in die Betrachtung einzustellen, aber nicht allein maßgeblich. Deshalb kann offenbleiben, in welchem genauem Umfang Kinder und Jugendliche das Gebäude in der Vergangenheit betreten hatten. Maßgeblich ist vielmehr, dass aufgrund der besonderen Anziehungskraft der Gebäude, ihrer Lage und ihrer einfachen Zugänglichkeit mit einem Betreten durch Kinder und Jugendliche sicher zu rechnen war. Die Polizeiberichte bestätigen dies; auf genaue Quantifizierungen hinsichtlich der Altersgruppen kommt es nicht an.

Schutzvorkehrungen, die angesichts des von den Gebäuden ausreichenden Anreizes und der von ihnen ausgehenden Gefahren ausreichend wirksam waren, um ein Betreten durch Kinder und Jugendliche zu verhindern, hat die Klägerin nicht getroffen. Ihre Auffassung, den aus ihrer Sicht maßgeblich zu betrachtenden Personen im Alter von über 14 Jahren müsse aufgrund der Warn- und Verbotsschilder und des Gebäudezustands bewusst gewesen sein, welche Gefahren drohten, sodass auch bezüglich dieser Gruppe von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung auszugehen sei, trägt den Besonderheiten dieses Falles nicht ausreichend Rechnung. Dabei mag im Grundsatz davon auszugehen sein, dass auch Jugendlichen - für die von der Beklagten zu Recht ebenfalls in ihre Überlegungen eingestellten Kinder dürfte schon im Ausgangspunkt anderes gelten - bewusst ist, dass das Betreten eines baufälligen Gebäudes Gefahren birgt. Dennoch durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass die Gefahrenlage deshalb und aufgrund der Warn- und Sicherungsvorkehrungen so offensichtlich war, dass sich Kinder und Jugendliche der Gefahr aufgrund ihres natürlichen Angstgefühls nicht bewusst aussetzen würden (vgl. zu diesem Kriterium BGH, Urt. v. 14.3.1995 - VI ZR 34/94 -, NJW 1995, 2631 = juris Rn. 13). Das gilt insbesondere für die in den Hallen befindlichen Gruben und Schächte und die daraus resultierende Absturzgefahr, aber auch für die einsturzgefährdeten Decken und die fehlenden Absturzsicherungen an Treppen, Fenstern und Maueröffnungen. Den daraus resultierenden Gefahrenlagen ist gemein, dass sie nicht offenkundig sind, weil auch ein einsturzgefährdetes Gebäude zunächst massiv und stabil wirkt und sich die Absturzgefahr häufig erst dann zeigt, wenn man an der Kante angelangt ist. Der in den Akten anschaulich dokumentierte rege Verkehr von Personen in den Gebäuden sowie die zahlreichen Unfälle belegen, dass selbst Erwachsene die Gefahren offenkundig und nicht nur ausnahmsweise unterschätzt haben. Von Kindern und Jugendlichen war mit Blick darauf eine realistischere Einschätzung nicht zu erwarten.

Soweit die Klägerin schließlich darauf abstellt, dass sie das Gebäude (teilweise) abgesperrt habe, die Absperrungen aber immer wieder durch Dritte zerstört worden seien, ist mit dem Verwaltungsgericht zu entgegnen, dass es sich für Kinder und Jugendliche als unerheblich darstellt, ob ein Gebäude über Absperrungen verfügt, die aufgrund ihres Zustands wirkungslos sind. Hinzu kommt, dass die wiederholte Zerstörung der Absperrungen die Rechtsauffassung der Beklagten eher bestätigt als widerlegt. Offensichtlich war die Anziehungskraft der Gebäude so ausgeprägt, dass sie Erwachsene vielfach zur Begehung von Sachbeschädigungen veranlasst hat. Von Kindern und Jugendlichen zu erwarten, dieser Anziehungskraft zu widerstehen, ist realitätsfremd.

Dass das Betreten der Gebäude eine Straftat darstellt, trifft zu. Dies ändert aber nichts an der Verkehrssicherungspflicht der Klägerin, für die es - soweit sie ausnahmsweise gegenüber Unbefugten besteht - gerade kennzeichnend ist, dass die zu schützenden Personen das Grundstück oder Gebäude in rechtswidriger und gemäß § 123 StGB strafbarer Weise betreten. Ein allgemeiner Grundsatz, dass der Verstoß gegen ein Strafgesetz eine Verkehrssicherungspflicht ausschließt, besteht deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin gerade in Bezug auf Kinder und Jugendliche nicht.

Die Überlegungen zur Zweckveranlassung gehen fehl. Die Klägerin übersieht, dass der Zustand ihres Eigentums gegen § 3 Abs. 1 Satz 1, § 16 Abs. 1 NBauO verstößt und dieser rechtswidrige und von der Klägerin zu verantwortende Zustand Anknüpfungspunkt für die Maßnahmen der Beklagten ist. Das entspricht den Vorgaben des § 56 Satz 1 NBauO.

Der Senat hat schließlich über das Zulassungsvorbringen hinaus erwogen, ob aus den Wertungen des § 11 Abs. 1 NBauO eine Begrenzung der Verkehrssicherungspflicht folgt. Nach dieser Vorschrift müssen bei Baumaßnahmen die Teile der Baustellen, auf denen unbeteiligte Personen gefährdet werden können, abgegrenzt oder durch Warnzeichen gekennzeichnet sein. Soweit es aus Sicherheitsgründen erforderlich ist, müssen Baustellen ganz oder teilweise mit Bauzäunen abgegrenzt, mit Schutzvorrichtungen gegen herabfallende Gegenstände versehen und beleuchtet sein. Bei Baustellen verlangt der Gesetzgeber daher nicht mehr als eine Warnung und einen Zaun; weitergehende Sicherungsmaßnahmen sind jedenfalls in dem von der Norm erfassten Regelfall einer Baustelle von typischer Art und typischem Umfang auch gegenüber einem Betreten durch Kinder und Jugendliche nicht geschuldet (vgl. Kammeyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 5). Auf den vorliegenden Fall ist die Vorschrift jedoch nicht anwendbar, weil nicht eine Baustelle, sondern ein seit vielen Jahren baufälliges Gebäude zu sichern ist.

Zwischen einer Baustelle und einem baufälligen Gebäude gibt es erhebliche Unterschiede, die eine auch nur wertungsmäßige Anwendung etwa bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ausschließen. Erstens handelt es sich bei einer Baustelle um eine zeitlich begrenzte Einrichtung, auf der gearbeitet wird und auf der deshalb Sicherheitsstandards einzuhalten sind. Der regelmäßig vorübergehende und sich kontinuierlich verändernde Zustand einer Baustelle verhindert auch, dass sich diese als Attraktion gleichsam „etabliert“. Zweitens handelt es sich um eine alltägliche Situation; Kinder lernen schon im jungen Alter, welche Gefahren eine Baustelle birgt. Zudem besteht ein weitaus geringerer Betretensanreiz als bei einem baufälligen Gebäude; das gilt insbesondere in diesem Fall angesichts der Weitläufigkeit der Anlage, die einen besonderen Anreiz schafft und die über eine typische Baustelle, welche § 11 Abs. 1 NBauO im Blick hat, deutlich hinausgeht. Drittens ist das Einrichten einer Baustelle trotz der damit naturgemäß verbundenen Gefahren notwendig und rechtmäßig, während die Klägerin gegen ihre Pflichten aus § 3 Abs. 1 Satz 1 NBauO verstößt. Auch dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, der Klägerin gesteigerte Verkehrssicherungspflichten aufzuerlegen, weil es sich insofern nicht um eine im weitesten Sinne sozialadäquate, sondern um eine rechtlich missbilligte und zu beseitigende Gefahrenquelle handelt. Dementsprechend höherer Aufwand ist demjenigen zuzumuten, der eine solche Gefahrenquelle aufrechterhält.

Unverhältnismäßig ist die Anordnung der Überwachung des Betretungsverbots durch einen Sicherheitsdienst in diesem besonderen Fall nicht. Der Senat folgt den Ausführungen des Verwaltungsgerichts und macht sich diese gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu eigen. Das Zulassungsvorbringen gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Anmerkungen.

Ungeeignet ist die Anordnung der Überwachung nicht deshalb, weil eine umfassende Durchsetzung des Betretungsverbotes nicht gelungen ist. Im Gegenteil steht die Zweckdienlichkeit nicht in Frage. Aus dem Bericht der Polizeidirektion Hannover vom 28. November 2019, den die Beklagte in erster Instanz vorgelegt hat, ergibt sich, dass die Zahl der Polizeieinsätze im zweiten Halbjahr 2018 - bei Einsatz des Sicherheitsdienstes - gegenüber dem ersten Halbjahr um ein Drittel abgenommen hat. Das ist ein deutlicher Effekt. Dass auch die Anordnung des Einsatzes einer höheren Zahl von Sicherungskräften denkbar und naturgemäß effektiver gewesen wäre, aus Verhältnismäßigkeitsgründen aber unterblieben ist, ändert daran nichts.

Erforderlich war die Anordnung trotz der Möglichkeit einer Videoüberwachung des gesamten Außenbereichs; eine solche Videoüberwachung stellt kein milderes Mittel gleicher Effektivität dar. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, fehlt in diesem Fall die Möglichkeit einer unmittelbaren persönlichen Ansprache, die die Beklagte aufgrund ihrer Zielsetzung, ein Betreten möglichst zu verhindern, als erforderlich ansehen durfte. Die unbelegte Einschätzung der Klägerin, dass eine Videoüberwachung um ein Vielfaches wirkungsvoller und abschreckender gewesen wäre als die persönliche Ansprache, teilt der Senat nicht. Offenkundig ist vielmehr, dass die Reaktionsmöglichkeiten bei bloßer Videoüberwachung deutlich eingeschränkter sind als bei einer Präsenz von Kräften vor Ort, die unmittelbar einschreiten und auch Hilfe leisten können. Die reduzierte Zahl der Polizeieinsätze im zweiten Halbjahr bestätigt die dahingehenden Überlegungen der Beklagten. Ob der Sicherheitsdienst von der Möglichkeit der Ansprache stets konsequent Gebrauch gemacht hat, ist unerheblich. Eine möglicherweise unzureichende Ausführung stellt die Erforderlichkeit der Anordnung nicht in Frage.

2. Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen nicht zur Zulassung der Berufung. Die rechtlichen Maßstäbe für Verkehrssicherungspflichten gegenüber Kindern und Jugendlichen sind geklärt; ihre Anwendung auf den Einzelfall ist nicht besonders schwierig, sondern angesichts der besonderen Attraktivität des Gebäudes, des Ausmaßes des Betretens durch Unbefugte und des rechtswidrigen Gebäudezustands von unterdurchschnittlicher Komplexität. Dass die Klägerin die Gebäude abreißen wollte, dies aufgrund denkmalschutzrechtlicher (oder anderweitiger) Hindernisse aber nicht durfte, ist offensichtlich ohne Belang. Auch besondere tatsächliche Schwierigkeiten stellen sich nicht. Eine Videoüberwachung mag Vorzüge bieten; aufgrund der fehlenden Präsenz vor Ort bietet sie jedoch nur eingeschränkte Reaktionsmöglichkeiten, was einen erheblichen Nachteil darstellt. Besonderen Sachverstand im Bereich des Sicherheitswesens erfordert diese Feststellung nicht.

3. Wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Berufung ebenfalls nicht zuzulassen. Die aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Eigentümer eines leerstehenden Gebäudes auch verantwortlich ist für Gefahren, die gewaltsam und widerrechtlich auf sein Grundstück eindringenden Personen drohen, würde sich im Berufungsverfahren schon nicht stellen. Die gesteigerte Verkehrssicherungspflicht besteht nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht gegenüber „Personen“, sondern gegenüber Kindern und Jugendlichen. Zudem war das Betreten auch ohne Anwendung von Gewalt möglich. Hinzu kommt, dass die anzulegenden Maßstäbe an die entsprechenden Verkehrssicherungspflichten in der Rechtsprechung - wie ausgeführt - geklärt sind. Vergleichbares gilt für die weitere Frage, ob der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Zustand eines Gebäudes einerseits und der Gefahr für Dritte andererseits durch vorsätzliche Straftaten durchbrochen wird. Sie würde sich in der Allgemeinheit schon nicht stellen, weil es nicht auf „Dritte“, sondern konkret auf Kinder und Jugendliche ankommt. Zudem gilt auch hier, dass die rechtlichen Maßstäbe geklärt sind.

4. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO haftet der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht an. Eine weitergehende Aufklärung, in welchem Umfang Kinder die Gebäude in der Vergangenheit betreten hatten, bedurfte es nach der maßgeblichen - und zutreffenden - Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, das in erster Linie auf die Attraktivität der Gebäude für Kinder und Jugendliche abgestellt und die Polizeiberichte lediglich als Beleg herangezogen hat, nicht.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).