Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.03.2021, Az.: 1 LA 49/20
Bordell; Eigentümer; Einschreiten, bauaufsichtliches; Ermessen; Ermessen, intendiertes; formelle Illegalität; Mieter; Nutzung; Nutzungsänderung; Nutzungsuntersagung; Prostitution; Prostitutionsstätte; Störer; Störerauswahl
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.03.2021
- Aktenzeichen
- 1 LA 49/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70827
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 22.10.2019 - AZ: 4 A 5130/18
Rechtsgrundlagen
- § 56 BauO ND
- § 79 Abs 1 S 1 BauO ND
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 22. Oktober 2019 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 36.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Untersagung der Nutzung von zwei Gewerbeeinheiten zur Ausübung der Prostitution.
Der Kläger ist Eigentümer des im unbeplanten Innenbereich belegenen Grundstücks D-Straße in B-Stadt. Das Grundstück ist in seinem rückwärtigen Bereich mit einem Wohnhaus und straßenseitig mit zwei selbstständig nutzbaren, eingeschossigen Gewerbeeinheiten, bestehend aus einem Haupt- und einem Nebenraum, bebaut, die zuletzt als Restaurant/Weinstube genutzt und entsprechend genehmigt waren. Nach Nutzungsaufgabe ließ der Kläger die Räume in zwei Apartments umbauen, die er mindestens seit dem Jahr 2014 zur Ausübung der Prostitution an wechselnde Personen vermietet.
Nach Bürgerbeschwerden und einem vier Jahre dauernden Verwaltungsverfahren untersagte die Beklagte dem Kläger mit dem angegriffenen Bescheid vom 13. März 2018 die Nutzung der Gebäude zu Prostitutionszwecken. Zur Begründung verwies sie auf die formelle Illegalität. Seinen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2018 zurück; die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Urteil vom 22. Oktober 2019 ab.
Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat der Kläger einen Bauantrag für eine Nutzungsänderung der Gewerbeeinheiten gestellt, den die Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 abgelehnt hat. Die dagegen erhobene Klage ist ebenfalls erfolglos geblieben; die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung ist beim Senat anhängig (1 LC 50/20).
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Berufung. Solche Zweifel setzen voraus, dass es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Urteils mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Das ist dem Kläger nicht gelungen.
Ohne Erfolg wendet sich der Kläger erstens gegen die Ermessensbetätigung der Beklagten; er ist der Meinung, die Beklagte habe ihren Entscheidungsspielraum zu gering eingeschätzt. Das trifft nicht zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Bauaufsichtsbehörde gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO gegen baurechtswidrige Zustände regelmäßig einzuschreiten. Ein „Für und Wider“ braucht nur dann abgewogen zu werden, wenn der Fall so geartet ist, dass ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme vorliegen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, NdsVBl 2015, 304 = BRS 83 Nr. 101 = juris Rn. 15; v. 18.9.2020 - 1 ME 22/20 -, GewArch 2020, 415 = BauR 2020, 1914 = juris Rn. 16). Das ist nicht der Fall.
Besondere Umstände liegen nicht darin, dass sich der Kläger um eine Legalisierung der illegalen Nutzung bemüht hat. Das Vorbringen trifft schon tatsächlich nicht zu; einen ordnungsgemäßen Bauantrag hat er erstmals im Juni 2018 und damit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens gestellt. Von einem ernstlichen Bemühen kann zuvor keine Rede sein; zudem verlangt das öffentliche Baurecht das Vorliegen einer Genehmigung vor der Nutzungsaufnahme. Nicht überzeugend ist auch sein Einwand, er sei von einer Genehmigungsfreiheit der Nutzungsänderung ausgegangen. Selbst wenn dies der Wahrheit entsprechen sollte, erklärt dies nicht, warum er die Nutzung über mehr als vier Jahre fortgesetzt hat, nachdem ihn die Beklagte auf die Rechtswidrigkeit seines Handelns hingewiesen hatte. Zudem wäre ein entsprechender Irrtum unerheblich. Sein Einwand, auch das Baugenehmigungsverfahren stelle aufgrund des vielfach begrenzten Prüfungsumfangs nicht sicher, dass eine bauliche Anlage dem öffentlichen Baurecht genüge, geht ebenfalls fehl. Aus welchen Gründen die Beklagte deshalb veranlasst sein könnte, eine illegale Nutzung noch weitergehend zu tolerieren, als sie dies ohnehin schon getan hat, erschließt sich dem Senat nicht.
Zu Unrecht meint der Kläger zweitens, die Verfügung habe nicht an ihn als Eigentümer gerichtet werden dürfen, weil er die bestehenden Mietverhältnisse nicht einfach beenden könne. Es entspricht vielmehr ständiger Rechtsprechung des Senats, dass der Eigentümer einer unzulässig genutzten Wohnung nach § 56 Satz 1 NBauO Adressat einer bauaufsichtlichen Anordnung sein kann, wenn die unmittelbaren Nutzer der Räume ständig wechseln bzw. die einzelnen Nutzer der Bauaufsichtsbehörde unbekannt bleiben (vgl. Senatsbeschl. v. 11.9.2015 - 1 ME 118/15 -, NdsVBl 2016, 57 = BRS 83 Nr. 103 = juris Rn. 10). Ein solcher Fall liegt regelmäßig bei der Nutzung von Räumen zu Zwecken der Prostitutionsausübung - und so auch hier - vor. Die Schwierigkeiten der Beklagten, mit den wechselnden Nutzerinnen der Objekte in Kontakt zu treten oder gar ihre Identität zu ermitteln, sind im Verwaltungsvorgang anschaulich beschrieben. Hinzu kommt, dass der Vortrag des Klägers, er könne die Mietverhältnisse nicht einfach beenden, auch im Zulassungsverfahren unsubstantiiert geblieben ist.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz steht drittens einem Einschreiten ebenfalls nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass die Bauaufsichtsbehörde gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn sie bei einem bauaufsichtlichen Einschreiten systemwidrig ein Vorgehen gegen vergleichbare Verstöße unterlässt. Das war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts aber nicht der Fall, weil die Beklagte mitgeteilt hat, sie werde die vom Kläger bezeichneten, ihr bis dahin nicht bekannt gewordenen Referenzobjekte baurechtlich überprüfen. Hinzu kommt selbstständig tragend: Die Forderung nach Systemgerechtigkeit hat räumliche Grenzen; soll sie nicht über die Anfechtung eines Einzelfalles hinaus mittelbar in eine allgemeine Kontrolle der Verwaltung ausufern. Der Berufungsfall muss deshalb in handgreiflicher Entfernung liegen, die Behörde muss gleichsam beide Vorhaben auch optisch zugleich im Blick haben (vgl. Senatsbeschl. v. 22.8.2011 - 1 LA 4/11 -, RdL 2011, 286 = juris Rn. 18, stRspr.). Schon daran fehlt es hier. Die von dem Kläger bezeichneten Referenzobjekte, die ebenfalls formell illegal als Bordell genutzt werden sollen, liegen mehr als einen Kilometer vom Grundstück des Klägers entfernt; sie liegen damit nicht mehr in handgreiflicher Entfernung. Die Beklagte ist unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht verpflichtet, darüber hinaus in einem bestimmten Umkreis „tabula rasa“ zu machen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.3.2012 - 1 LA 254/09 -, juris Rn. 71).
2. Einen Verfahrensfehler, der gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zur Zulassung der Berufung führen könnte, hat der Kläger schon nicht in einer § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargetan. Soweit er eine weitergehende Sachaufklärung vermisst, versäumt er es dazuzulegen, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht sich nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung dazu hätte veranlasst sehen müssen. Tatsächlich war eine weitergehende Sachaufklärung auch nicht geboten; eine rechtliche Forderung dahingehend, dass es in Bezug auf illegale Nutzungen einer „einheitlichen Verwaltungspraxis im Gemeindegebiet“ bedürfe, hat das Verwaltungsgericht nicht aufgestellt.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat bemisst den Streitwert ebenso wie das Verwaltungsgericht nach dem geschätzten Jahresmietwert der beiden Apartments.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).