Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.03.2011, Az.: 5 ME 43/11

Anspruch eines Hochschulprofessors gegen seinen Dienstherrn auf Hinausschieben der gesetzlichen Altersgrenze im Wege einer einstweiligen Anordnung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.03.2011
Aktenzeichen
5 ME 43/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 12437
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0316.5ME43.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 01.02.2011 - AZ: 3 B 1/11

Fundstellen

  • DÖD 2011, 162-164
  • NdsVBl 2011, 202-204
  • NordÖR 2011, 240-241

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, ob ein Beamter (hier: Hochschulprofessor) beanspruchen kann, dass sein Dienstherr im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, die gesetzliche Altersgrenze hinauszuschieben.

Aus dem Entscheidungstext

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Der am 1946 geborene Antragsteller, der im Mathematischen Institut der Fakultät für Mathematik und Informatik der Antragsgegnerin eine C 4 Professur innehat, beantragte am 2009, seinen Eintritt in den Ruhestand bis zur Vollendung seines 68. Lebensjahres hinauszuschieben. Mit Bescheid vom 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, weil dem Begehren des Antragstellers wichtige dienstliche Interessen entgegenstünden. Dagegen hat der Antragsteller am 10. März 2010 vor dem Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben (3 A 160/10), über die noch nicht entschieden ist.

2

Der Antragsteller hat am 4. Januar 2011 bei dem Verwaltungsgericht Göttingen beantragt,

3

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn über den 31. März 2011 hinaus als Professor am Mathematischen Institut in einem aktiven Beamtenverhältnis zu belassen und den Eintritt des Ruhestandes hinauszuschieben, bis eine rechtskräftige Entscheidung über seinen Antrag auf Hinausschieben des Ruhestandes vom 2009 ergangen ist.

4

Mit Beschluss vom 1. Februar 2011 hat das Verwaltungsgericht den Antrag mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

5

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

Die von dem Antragsteller mit seiner Beschwerde vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der beschließende Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Änderung des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses nicht. Der Antragsteller hat die für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlichen Voraussetzungen nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht.

7

Ein Anordnungsgrund liegt allerdings vor. Der Antragsteller hat am 2011 die für ihn gemäß § 72 Abs. 8 NHG i.V.m. § 35 Satz 2 NBG maßgebliche reguläre Altersgrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres) erreicht. Er wird gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 NHG mit Ablauf des 31. März 2011 (Ablauf des letzten Monats des zurzeit laufenden Semesters), also in etwa zwei Wochen, in den Ruhestand treten. Ein Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand nach einem bereits erfolgten Eintritt in denselben wäre nicht mehr möglich (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 13.3.2008 - 5 ME 8/08 -; Schmidt/Ritter in: Plog/Wiedow, BBG, Band 5, § 36 NBG Rn 14; vgl. auch OVG S-A, Beschluss vom 14.3.2008 - 1 M 17/08 -, [...] Rn 6).

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Der Antragsteller hat jedoch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Er kann nicht beanspruchen, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn über den 31. März 2011 hinaus als Professor am Mathematischen Institut in einem aktiven Beamtenverhältnis zu belassen und den Eintritt des Ruhestandes hinauszuschieben, bis eine rechtskräftige Entscheidung über seinen Antrag auf Hinausschieben des Ruhestandes vom 2009 ergangen ist.

9

Nach § 36 Satz 1 Nr. 2 NBG kann der Eintritt in den Ruhestand auf Antrag des Beamten um bis zu drei Jahre hinausgeschoben werden, wenn dienstliche Interessen nicht entgegenstehen. Die Antragsgegnerin hat dem von dem Antragsteller angegriffenen Bescheid vom 2010 rechtsfehlerfrei diese Vorschrift zugrunde gelegt. Denn die Regelung des § 36 Satz 1 Nr. 2 NBG ist entgegen der Ansicht des Antragstellers wirksam. Sie verstößt weder gegen die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16) noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie stellt keine unzulässige Altersdiskriminierung dar. Dies hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss im Einzelnen und zutreffend ausgeführt (vgl. S. 3 f. BA). Der beschließende Senat schließt sich zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO dieser Begründung an. Die Beschwerde, mit der der Antragsteller an seiner schon erstinstanzlich ausführlich vorgetragenen gegenteiligen Rechtsauffassung festhält, gibt dem beschließenden Senat keine Veranlassung zu weitergehenden Ausführungen. Soweit der Antragsteller vorträgt, der Gesetzgeber hätte eine Optionslösung vorsehen müssen, nach der auch die Professoren, die am 1. Januar 2007 das 60. Lebensjahr bereits vollendet haben, die Möglichkeit erhalten hätten, sich selbst frei für eine Tätigkeit über das 65. Lebensjahr hinaus bis zum 68. Lebensjahr zu entscheiden, ist lediglich darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78/EG (a.a.O.) und Art. 3 Abs. 1 GG dahingehende Differenzierungen nicht gebieten. Die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben vielmehr einen weiten Ermessensspielraum, innerhalb dessen sie einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen finden müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 5.3.2009 - C 388/07 -, Slg 2009, I-1569). Außerdem ist - nochmals - anzumerken, dass die von dem Verwaltungsgericht und dem beschließenden Senat vertretene Rechtsauffassung auch der einhelligen Rechtsprechung anderer Obergerichte entspricht (vgl. OVG Rh-Pf, Urteil vom 25.2.2011 - 2 A 11201/10.OVG -, zitiert nach der Pressemitteilung Nr. 19/2011 vom 15.3.2011; Bay. VGH, Beschluss vom 9.8.2010 - 3 CE 10.927 -, [...] Rn 36 ff.; OVG N-W, Beschluss vom 30.9.2009 - 1 B 1412/09 -, NVwZ-RR 2010, 203, zitiert nach [...] Rn 6; Hess. VGH, Beschluss vom 28.9.2009 - 1 B 2487/09 -, NVwZ 2010, 140, zitiert nach [...] Rn 7 ff.; OVG M-V,Beschluss vom 19.8.2008 - 2 M 91/08 -, NVwZ-RR 2009, 23, zitiert nach [...] Rn 8; OVG S-A, Beschluss vom 14.3.2008, a.a.O. Rn 18).

10

Die Antragsgegnerin hat in dem Bescheid vom 2010 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass dem Hinausschieben der Altersgrenze dienstliche Interessen im Sinne des § 36 Satz 1 Nr. 2 NBG entgegenstehen. Da die Antragsgegnerin mithin schon rechtsfehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 36 Satz 1 Nr. 2 NBG verneint hat, hatte sie eine Ermessensentscheidung nicht mehr zu treffen (vgl. zu derartigen Fallgestaltungen auch OVG M-V, Beschluss vom 19.8.2008, a.a.O., Rn 5; OVG S-A, Beschluss vom 14.3.2008, a.a.O., Rn 9).

11

Der Begriff des dienstlichen Interesses, bei dem es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, bezeichnet das Interesse des Dienstherrn an einer sachgerechten und reibungslosen Aufgabenerfüllung. Das Bestehen eines dienstlichen Interesses hängt in erheblichem Maße von vorausgegangenen organisatorischen und personellen Entscheidungen des Dienstherrn ab und richtet sich nach dem gesetzlichen Auftrag der Dienststelle und den dort vorhandenen personalwirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten. Es ist in erster Linie Sache des Dienstherrn, in Ausübung des ihm zugewiesenen Personal- und Organisationsrechts zur Umsetzung gesetzlicher und politischer Ziele die Aufgaben der Verwaltung festzulegen, ihre Prioritäten zu bestimmen, sie auf die einzelnen Organisationseinheiten zu verteilen und ihre Erfüllung durch bestmöglichen Einsatz von Personal sowie der zur Verfügung stehenden Sachmittel sicherzustellen. Insofern gewährt die Voraussetzung, dass dienstliche Interessen dem Hinausschieben der Altersgrenze nicht entgegenstehen dürfen, dem Dienstherrn einen Beurteilungsspielraum und eröffnet ihm eine Einschätzungsprärogative sowie eine Gestaltungsfreiheit dahingehend, dass er seine dienstlichen Interessen und Aufgaben nach den Gesetzen definieren und sie durch einen ihm als geeignet erscheinenden Einsatz von Personal- und Sachmitteln umsetzen kann. Die gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidungen ist auf die Prüfung beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Organisationsermessens überschritten sind oder von diesem in unsachlicher Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. OVG M-V, Beschluss vom 19.8.2008, a.a.O., Rn 7; Bay. VGH, Beschluss vom 9.8.2010, a.a.O., Rn 49).

12

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Antragsgegnerin ohne Rechtsverstoß das antragsgemäße Hinausschieben des Ruhestandes unter Hinweis auf entgegenstehende dienstliche Interessen, nämlich ihre Stellenplanung, die auf das Jahr 2007 zurückgeht, ablehnen dürfen. Der beschließende Senat hat schon in seinem Beschluss vom 22. September 2010 (- 5 ME 156/10 -, IÖD 2010, 246 = Nds. Rpfl. 2010, 419 = Nds. VBl. 2011, 24, zitiert nach [...] Rn 10) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem der Antragsteller erfolglos versucht hat, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Besetzung einer von ihr im Mai 2010 für das Mathematische Institut der Fakultät für Mathematik und Informatik ausgeschriebenen W 2 Professur für Geometrische Aspekte in der Reinen Mathematik zu untersagen, das Vorbringen der Antragsgegnerin zu ihrer Stellenplanung als glaubhaft und nachvollziehbar eingestuft. Das Verwaltungsgericht hat sich dieser Einschätzung in Kenntnis des erstinstanzlichen Vorbringens des Antragstellers, der das Vorbringen der Antragsgegnerin als falsch bezeichnet, angeschlossen. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren zwar unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens an seiner Rüge, die Ausführungen der Antragsgegnerin seien falsch, festgehalten. Das Vorbringen des Antragstellers gibt dem beschließenden Senat jedoch ebenso wenig wie dem Verwaltungsgericht Veranlassung, von seiner im Beschluss vom 22. September 2010 (a.a.O.) vertretenen Einschätzung abzurücken. Bei dieser Sachlage hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass insbesondere unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative der Antragsgegnerin nicht davon ausgegangen werden kann, dass ihr konzeptionelles Handeln und die darin eingebundene Verweigerung des Hinausschiebens des Ruhestandes als sachwidrig erscheinen könnten.

13

Der Antragsteller kann schließlich auch nicht mit Erfolg geltend machen, er habe aus dem zwischen ihm und der Antragsgegnerin bestehenden Fürsorge- und Schutzverhältnis einen Anspruch auf Hinausschieben der Altersgrenze, weil die Antragsgegnerin ihm gegenüber einen dahingehenden Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Die von dem Antragsteller vorgelegten Protokolle der Sitzungen des Vorstands des Mathematischen Instituts vom 2007 und 2008 zeigen zwar, dass der Antragsteller diesem Gremium gegenüber seinen Wunsch schon am 2007 geäußert hat und dass der Geschäftsführende Direktor des genannten Instituts in der Sitzung vom 2008 geäußert hat, dass eine Weiterbeschäftigung des Antragstellers über dessen 65. Lebensjahr hinaus "finanziell problemlos möglich" sei. Abgesehen davon, dass der Geschäftsführende Direktor in der Sitzung vom 2008 im Zusammenhang mit der von dem Antragsteller hervorgehobenen Äußerung aber auch die Personalplanung der Antragsgegnerin dargestellt hat, die dem Begehren des Antragstellers entgegensteht, haben das Verwaltungsgericht und die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu Recht entgegengehalten, dass das genannte Institut für das Begehren des Antragsteller nicht entscheidungsbefugt war; zuständig waren vielmehr ein Fakultätsrat und das Präsidium der Antragsgegnerin. Der Antragsteller hat weder im erstinstanzlichen noch im zweitinstanzlichen Verfahren vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass ihm von diesen Gremien Zusicherungen gegeben worden sind, die einen Vertrauenstatbestand begründen würden. Dass dem Antragsteller die Zuständigkeiten bewusst waren, zeigt zudem sein an den Präsidenten der Antragsgegnerin gerichtetes Schreiben vom 2009, mit dem er erstmals diesem gegenüber das Hinausschieben des Ruhestandes beantragt hat. Im Anschluss an diesen Antrag ist sodann zeitnah aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Fakultätsrates der Fakultät für Mathematik und Informatik der den Antrag des Antragstellers ablehnende Bescheid vom 2010 ergangen. Angesichts dieses Geschehensablaufs ist der Vorwurf des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe sich ihm gegenüber treuwidrig und widersprüchlich verhalten, fernliegend. Der beschließende Senat teilt die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass der Dienstherr nicht verpflichtet ist, den Bediensteten permanent sämtliche Optionen und Entscheidungswege aufzuzeigen, und dass eine Entscheidung, die - wie im Falle des Antragstellers - mehr als ein Jahr vor dem Zeitpunkt des gesetzlichen Eintritts in den Ruhestand ergeht, ausreichend ist, um die künftige Lebensplanung darauf einzustellen.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

15

Die Streitwertfestsetzung beruht - wie das Verwaltungsgericht insoweit zutreffend angenommen hat - auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG. Der sich danach ergebende Wert von 43.219,86 EUR (6,5 x 6.649,21 EUR [Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe C 4]) wäre allerdings nach der Festsetzungspraxis des beschließenden Senats lediglich in einem Hauptsacheverfahren, das das Hinausschieben der Altersgrenze betrifft, anzunehmen (vgl. zum Hauptsacheverfahren Nds. OVG, Beschluss vom 8.12.2010 - 5 LA 295/10 -). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Wert entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts angesichts des vorläufigen Charakter dieses Verfahrens um die Hälfte zu reduzieren, auch wenn der Antragsteller mit seinem Antrag teilweise eine Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt (vgl. zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Nds. OVG, Beschluss vom 13.3.2008 - 5 ME 8/08 -; vgl. ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 9.8.2010, a.a.O., Rn 57; Hess. VGH, Beschluss vom 28.9.2009, a.a.O. Rn 20; a. A. insoweit hinsichtlich der Reduzierung des Streitwertes OVG N-W, Beschluss vom 30.9.2009, a.a.O., Rn 13; OVG S-A, Beschluss vom 14.3.2008, a.a.O. Rn 23; wiederum a. A. OVG M-V, Beschluss vom 19.8.2008, a.a.O., Rn 17, das gemäߧ 52 Abs. 2 GKG den Auffangwert von 5.000 EUR zugrunde legt, eine Reduzierung des Wertes im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch nicht vornimmt). Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung ist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG entsprechend zu ändern.