Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.03.2011, Az.: 4 LB 239/10

Beteiligter kann Erklärung über Rücknahme der Berufung bei fehlerhafter Auskunft der Kanzlei zur Rechtslage wirksam widerrufen; Widerruf der Erklärung über Rücknahme der Berufung bei fehlerhafter Auskunft der Kanzlei zur Rechtslage; Stationäre oder teilstationäre Betreuung als Voraussetzung des § 5 Abs. 7 S. 1 RGebStV

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.03.2011
Aktenzeichen
4 LB 239/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 19290
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0328.4LB239.10.0A

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2011, 848

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Beteiligter kann seine Erklärung über die Rücknahme der Berufung wirksam widerrufen, wenn er durch ein gerichtliches Schreiben, das aufgrund eines Kanzleiversehens einen falschen Hinweis zur Rechtslage enthielt und bei dem Beteiligten den Eindruck erweckt hat, seine Berufung sei unbegründet und werde daher zurückgewiesen, zu der Rücknahme der Berufung bewogen worden ist.

  2. 2.

    Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für Rundfunkempfangsgeräte in den in § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV aufgeführten Einrichtungen setzt voraus, dass in den Einrichtungen ein hilfebedürftiger Personenkreis stationär oder teilstationär betreut wird.

  3. 3.

    § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 RGebStV lässt eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nur für solche Rundfunkgeräte zu, die in Einrichtungen für Suchtkranke und diesen gleichgestellten Einrichtungen ausschließlich für den jeweils stationär oder teilstationär betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt bereitgehalten werden. "Mischnutzungen" sind von der rundfunkgebührenrechtlichen Privilegierung ausgenommen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin begehrt eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für ein Fernsehgerät.

2

Die Klägerin betreibt in D. eine Einrichtung der Suchthilfe. Der Beklagte befreite sie durch Bescheid vom 9. September 2005 für den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2008 für drei in dieser Einrichtung zum Empfang bereit gehaltene Fernsehgeräte sowie ein Radiogerät von der Rundfunkgebührenpflicht.

3

Die Klägerin stellte unter dem 30. April 2008 bei dem Beklagten den Antrag, sie in der Folgezeit für drei Fernsehgeräte und zwei PC, die in Gruppen- und Aufenthaltsräumen für Patienten zum Empfang bereit gehalten wurden, von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.

4

Der Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 26. Juni 2008 mit der Begründung ab, dass eine Beratungsstelle nicht zu den nach § 5 Abs. 7 Nr. 1 bis 4 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) begünstigten Einrichtungen gehöre. Die daher zu Unrecht bestehende Gebührenbefreiung werde unter Wahrung des Vertrauensschutzes zum 30. Juni 2008 aufgehoben. Die Klägerin sei folglich verpflichtet, ab Juli 2008 Rundfunkgebühren zu entrichten. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte durch Bescheid vom 29. Juli 2008 als unbegründet zurück.

5

Die Klägerin hat daraufhin am 18. August 2008 Klage erhoben und geltend gemacht, sie betreibe in D. in einem Gebäude sowohl eine Fachambulanz als auch eine Adaptionseinrichtung für Suchtkranke mit zwölf Plätzen zur stationären Nachsorge nach einer Entwöhnungsbehandlung. Die Fachambulanz und die Adaptionseinrichtung verfügten über gemeinsame Gruppenräume. Im ersten Stock des Gebäudes lägen die Zimmer der stationär untergebrachten Patienten; dort befänden sich zwei Fernsehgeräte. Im Erdgeschoss des Gebäudes gebe es einen mit einem Fernsehgerät ausgestatteten Gruppentherapieraum, der sowohl von den stationär untergebrachten Patienten als auch von Selbsthilfegruppen genutzt werde.

6

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte die Klägerin für die im ersten Stock des Gebäudes vorhandenen zwei Fernsehgeräte von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

7

Die Klägerin hat danach beantragt,

ihr Rundfunkgebührenbefreiung für ein Fernsehgerät ab Juli 2008 zu erteilen und den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

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Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

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und geltend gemacht, dass eine stationäre Unterbringung über einen längeren zusammenhängenden Zeitraum mit anstalts- bzw. heimmäßiger Betreuung Voraussetzung für die von der Klägerin beanspruchte Rundfunkgebührenbefreiung sei. Das Fernsehgerät im Erdgeschoss könne jedoch nicht allein von den im Gebäude stationär untergebrachten Patienten, sondern auch von den ambulanten Patienten genutzt werden.

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Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 13. Februar 2009 das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Rundfunkgebührenbefreiung für ein Rundfunkempfangsgerät ab Juli 2008 zu erteilen, und den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Zur Begründung der streitigen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ab Juli 2008 für das im Erdgeschoss der Fachambulanz D. aufgestellte Fernsehgerät habe. Die Rücknahme der bereits mit Bescheid vom 9. September 2005 gewährten Rundfunkgebührenbefreiung für den Monat Juli 2008 sei rechtswidrig, weil der Beklagte insoweit kein Ermessen ausgeübt habe. Die Klägerin sei auch ab August 2008 nach § 5 Abs. 7 Nr. 4 RGebStV für das Fernsehgerät im Erdgeschoss der Fachambulanz von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien. Nach dieser Bestimmung werde von der nach § 6 Abs. 4 RGebStV zuständigen Landesrundfunkanstalt eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für die Rundfunkempfangsgeräte gewährt, die in Einrichtungen für Suchthilfe, der Altenhilfe, für Nichtsesshafte und in Durchwandererheimen für den jeweils betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt bereitgehalten werden. Diese Voraussetzungen für eine Rundfunkgebührenbefreiung lägen auch für das im Aufenthaltsraum im Erdgeschoss vorgehaltene Fernsehgerät vor, da die Klägerin eine Einrichtung für Suchtkranke betreibe. Dass das Gerät auch von ambulanten Patienten oder Selbsthilfegruppen genutzt werde, stehe der Rundfunkgebührenbefreiung nicht entgegen. Im Hinblick auf die typisierende Betrachtungsweise der Rundfunkgebührenbefreiung als Geschäft der Massenverwaltung könne aus praktischen Gründen nicht verlangt werden, dass eine Nutzung der Empfangsgeräte ausschließlich durch den betreuten Personenkreis erfolge. Vielmehr müssten die Empfangsgeräte, für die eine Befreiung begehrt werde, lediglich typischerweise für den betreuten Personenkreis bereitgehalten werden. Im vorliegenden Fall sei das Fernsehgerät im Erdgeschoss schon wegen der beengten Wohnsituation im Obergeschoss und der fehlenden Fernsehgeräte in der darüber liegenden Etage bei lebensnaher Betrachtung überwiegend dafür bestimmt, den Bewohnern einen gemeinsamen Fernseh- oder Videoabend zu ermöglichen. Dass in den Aufenthaltsräumen im Erdgeschoss auch Selbsthilfegruppen verkehrten, stehe dem Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht entgegen.

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Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 1. September 2010 (4 LA 91/09) die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen, soweit der Beklagte verpflichtet worden ist, die Klägerin für ein Rundfunkempfangsgerät ab dem 1. August 2008 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, und der Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufgehoben worden ist, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

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Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 erklärt, dass er die Berufung zurücknehme. Diese Erklärung hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2010 widerrufen und um Durchführung der Berufung gebeten.

13

Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte unter Berufung auf die Begründung seines Berufungszulassungsantrags im Wesentlichen Folgendes vor: Eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für das Fernsehgerät im Gruppenraum im Erdgeschoss komme nicht in Betracht. Im Erdgeschoss betreibe die Klägerin keine stationäre Einrichtung, sondern eine Fachambulanz. Der dort vorhandene Gruppenraum werde tagsüber für Beratungsgespräche und von Therapiegruppen genutzt. Lediglich abends stehe der Raum auch den Patienten der stationären Adaptionseinrichtung zur Verfügung. Der Gruppenraum werde daher schwerpunktmäßig nicht von den Patienten der stationären Einrichtung, sondern den Patienten der Fachambulanz genutzt. Die im Erdgeschoss des Gebäudes betriebene Fachambulanz falle jedoch entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht unter den Befreiungstatbestand des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 RGebStV. Nach den Gesetzesmaterialien erfasse § 5 Abs. 7 RGebStV nur Betriebe bzw. Einrichtungen mit anstalts- bzw. heimmäßiger Unterbringung und Betreuung. Folglich könnten nur Rundfunkempfangsgeräte in stationären Einrichtungen von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das Fernsehgerät im Gruppenraum werde typischerweise aber nicht für die in der stationären Adaptionseinrichtung untergebrachten Patienten bereitgehalten.

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Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 13. Februar 2009 zu ändern, soweit er verpflichtet worden ist, die Klägerin für ein Rundfunkempfangsgerät ab dem 1. August 2008 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, und sein Bescheid vom 26. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufgehoben worden ist, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht,

und die Klage insoweit abzuweisen.

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Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt, aber ausgeführt, dass ein Widerruf der Berufungsrücknahme durch den Beklagten nicht in Betracht komme.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte A) verwiesen.

17

II.

Der Senat hat über die Berufung des Beklagten in der Sache zu entscheiden. Der Beklagte hat zwar mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 erklärt, dass er die Berufung zurücknehme. Diese Prozesserklärung hat er in seinem Schriftsatz vom 14. Dezember 2010 aber wirksam widerrufen und um Durchführung der Berufung gebeten. Das Berufungsverfahren ist daher nicht einzustellen, sondern mit einer Sachentscheidung abzuschließen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.11.1993 - 2 B 151/93 -, NVwZ-RR 1994, 362; BFH, Beschl. v. 19.1.1972 - II B 26/69 -, BFHE 104, 291).

18

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Berufungsrücknahme von dem Beklagten wirksam widerrufen worden. Zwar sind prozessuale Erklärungen wie eine Klage- oder Rechtsmittelrücknahme nicht nur bedingungsfeindlich, sondern grundsätzlich auch unanfechtbar und unwiderruflich (BVerwG, Beschl. v. 7.8.1998 - 4 B 75.98 -, NVwZ-RR 1999, 407 m.w.N.; BFH, Beschl. v. 3.8.1978 - VI R 73/78 -, BFHE 125, 498). Das bedeutet aber nicht, dass die Prozessbeteiligten sich an derartigen Erklärungen ausnahmslos festhalten lassen müssen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist vielmehr anerkannt, dass auch solche Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können. Ein Widerruf kommt insbesondere in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO vorliegt (BVerwG, Beschl. v. 7.8.1998 - 4 B 75.98 -, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 21.3.1979 - 6 C 10.78 -, BVerwGE 57, 342; BGH, Urt. v. 8.7.1960 - IV ZB 201/60 -, BGHZ 33, 73) oder wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, der das gesamte Recht unter Einschluss der Verwaltungsgerichtsordnung beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesserklärung festzuhalten (BVerwG, Beschl. v. 7.8.1998 - 4 B 75.98 -, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 6.12.1996 - 8 C 33.95 -, Buchholz 310 § 126 VwGO Nr. 3; vgl. auch BFH, Beschl. v. 19.1.1972 - II B 26/69 -, BFHE 104, 291; BGH, Beschl. v. 16.5.1991 - III ZB 1/91 -, NJW 1991, 2839). In diesem Zusammenhang kann auch eine Rolle spielen, ob der Betroffene durch eine richterliche Belehrung oder Empfehlung zu einer bestimmten prozessualen Erklärung bewogen worden ist (BVerwG, Beschl. v. 7.8.1998 - 4 B 75.98 -, a.a.O.; BVerwG, Beschl.v. 9.1.1985 - 6 B 222.84 -, NVwZ 1985, 196; BFH, Beschl. v. 3.8.1978 - VI R 73/78 -, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 26.11.1980 - IV b ZR 592/80 -, NJW 1981, 576 [BGH 26.11.1980 - IVb ZR 592/80]). Ausgehend davon konnte der Beklagte seine Erklärung, dass er die Berufung zurücknehme, wirksam widerrufen, weil er durch ein gerichtliches Schreiben, das aufgrund eines Kanzleiversehens einen falschen Hinweis zur Rechtslage enthielt und bei dem Beklagten den Eindruck erweckt hat, seine Berufung sei unbegründet und werde daher zurückgewiesen, zu der Rücknahme der Berufung bewogen worden ist, so dass es mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, ihn an dieser Prozesserklärung festzuhalten.

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Der Berichterstatter des Senats hat am 19. November 2010 verfügt, den Beteiligten mitzuteilen, dass der Senat aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes die Berufung des Beklagten einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, und dass deshalb beabsichtigt sei, gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss über die Berufung zu entscheiden. Diese Verfügung ist aufgrund eines Kanzleiversehens falsch ausgeführt worden; in den dem Beklagten und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugegangenen Schreiben des Gerichts heißt es, der Senat halte die Berufung des Beklagten einstimmig für unbegründet. Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 unter Bezugnahme auf das Schreiben des Gerichts vom 19. November 2010 erklärt, die Berufung werde gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 VwGO zurückgenommen. Diese Erklärung hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2010 widerrufen, nachdem der Vorsitzende des Senats die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass die Verfügung des Berichterstatters vom 19. November 2010 aufgrund eines Kanzleiversehens falsch ausgeführt worden war. Dabei hat der Beklagte betont, dass er auf den Inhalt des bei ihm eingegangenen gerichtlichen Schreibens vom 19. November 2010 vertraut habe und keine Veranlassung bestanden habe, an der Richtigkeit des Inhalts zu zweifeln. Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser Vortrag des Beklagten unzutreffend ist, ist davon auszugehen, dass der Beklagte die Berufungsrücknahme nicht nur in der Annahme, der Senat betrachte die von ihm eingelegte Berufung einstimmig als unbegründet und beabsichtige deshalb, gemäß § 130 a Satz 1 VwGO über die Berufung zu entscheiden, sondern auch im Vertrauen auf die Richtigkeit des gerichtlichen Hinweises zur Rechtslage erklärt hat, um einer Zurückweisung der Berufung, von der er nach dem Inhalt des gerichtlichen Schreibens ausgehen musste, zu entgehen. Folglich ist der Beklagte durch das gerichtliche Schreiben vom 19. November 2010 zur Abgabe der verfahrensbeendenden Erklärung bewogen worden. Damit ist der objektiv unrichtige Hinweis zur Rechtslage in diesem Schreiben für die Berufungsrücknahme ursächlich oder zumindest mitursächlich gewesen. Angesichts dessen wäre es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, den Beklagten an der im Vertrauen auf die Richtigkeit des gerichtlichen Hinweises erklärten Berufungsrücknahme festzuhalten. Daher ist der Widerruf der Prozesserklärung wirksam, so dass über die Berufung in der Sache zu entscheiden ist.

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Die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ist begründet.

21

Diese Entscheidung trifft der Senat nach der mit Verfügung vom 3. Februar 2011 erfolgten Anhörung der Beteiligten gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung des Beklagten einstimmig für begründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht als notwendig erachtet.

22

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, die Klägerin ab dem 1. August 2008 für ein Rundfunkempfangsgerät von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, und den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht. Denn die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keinen Anspruch auf eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für das in dem Gruppenraum im Erdgeschoss ihres Gebäudes zum Empfang bereitgehaltene Fernsehgerät.

23

Als Anspruchsgrundlage für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für dieses Gerät kommt nur § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 RGebStV in Betracht. Danach wird eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auf Antrag für Rundfunkempfangsgeräte gewährt, die in Einrichtungen für Suchtkranke, der Altenhilfe, für Nichtsesshafte und in Durchwandererheimen für den jeweils betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt bereitgehalten werden.

24

Zur Auslegung des § 5 Abs. 7 RGebStV hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. April 2010 (6 C 7.09) u.a. Folgendes ausgeführt:

"In systematischer Hinsicht ist zugrunde zu legen, dass "Einrichtung" ein Oberbegriff ist, der zunächst im Einleitungssatz und sodann in den folgenden vier Nummern des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV verwandt wird. Allen vier Untergliederungen der Vorschrift ist gemein, dass ein hilfebedürftiger Personenkreis angesprochen ist, der stationär oder teilstationär betreut wird. ...

Beachtlich ist allerdings die weitere Aussage in der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages, dass es sich in allen in § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV abschließend aufgezählten Fällen um Betriebe bzw. Einrichtungen mit anstalts- bzw. heimmäßiger Unterbringung und Betreuung handele und damit von der Befreiungsmöglichkeit diejenigen Rundfunkempfangsgeräte erfasst würden, die in derartigen Betrieben bzw. Einrichtungen stationär bereitgehalten würden. ...

In der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages ist festgehalten, dass die zu befreienden Rundfunkempfangsgeräte "ausschließlich" für den betreuten Personenkreis bereitgehalten werden müssen. Dieses Merkmal ist zwar nicht Teil des Normtextes geworden. Doch hat der Gesetzgeber an dieser Stelle hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Schutzzweck der Norm allein dem in der Einrichtung betreuten Personenkreis gilt, nicht aber anderen Personen wie etwa den Beschäftigten des Einrichtungsträgers. Dem hat die Auslegung der Vorschrift Rechnung zu tragen. Für die hier in Rede stehenden Kraftfahrzeuge bedeutet dies, dass ihr Einsatz für den hilfebedürftigen Personenkreis feststehen muss und dass "Mischnutzungen" von der rundfunkgebührenrechtlichen Privilegierung ausgenommen sind."

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Diesen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ist zu entnehmen, dass § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 RGebStV eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nur für solche Rundfunkempfangsgeräte zulässt, die in Einrichtungen für Suchtkranke und diesen gleichgestellten Einrichtungen für den jeweils stationär oder teilstationär betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt bereitgehalten werden, dass die von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreienden Rundfunkempfangsgeräte ausschließlich für den o. a. Personenkreis bereitgehalten werden müssen, dass der Schutzzweck der Norm anderen Personen nicht dient und dass "Mischnutzungen" von der rundfunkgebührenrechtlichen Privilegierung ausgenommen sind.

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Ausgehend davon kann die Klägerin die beantragte Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für das in dem Gruppenraum im Erdgeschoss ihres Gebäudes bereitgehaltene Fernsehgerät nicht beanspruchen, weil dieses Gerät nicht ausschließlich für die im Obergeschoss des Gebäudes stationär untergebrachten Patienten, sondern auch für in der Fachambulanz behandelten Personen und die Mitglieder von Selbsthilfegruppen zur Verfügung steht.

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Folglich hat das Verwaltungsgericht den Beklagten zu Unrecht dazu verpflichtet, die Klägerin für das Fernsehgerät ab dem 1. August 2008 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, und den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufgehoben, soweit er der Verpflichtung entgegensteht. Daher ist das erstinstanzliche Urteil, soweit die Berufung zugelassen worden ist, zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen.